08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 19.02.2004 – 11 K 2286/03
Bei der Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags nach § 29 Abs. 1 GewStG ist nicht zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmer einer Betriebsstätte Arbeiten erledigen, die im Ergebnis einer anderen Betriebsstätte zugute kommen.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
wegen
Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags 2000
hat der 11. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht xxx, des Richters am Finanzgericht xxx und des Richters am Finanzgericht xxx sowie der ehrenamtlichen Richter xxx und xxxx aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2004 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Beklagte (das Finanzamt) verteilte den gegen die Beigeladene zu 1, eine Bank, für das Streitjahr (2000) festgesetzten Gewerbesteuermessbetrag mit Bescheid vom 22. Mai 2002 auf die Klägerin, eine Gemeinde, und die Beigeladenen zu 2 bis 7. Der Einspruch, mit dem die Klägerin einen höheren Zerlegungsanteil forderte, blieb erfolglos.
Mit der Klage beantragte die Klägerin zunächst, den Zerlegungsbescheid vom 22. Mai 2002 aufzuheben.
Während des gerichtlichen Verfahrens teilte die Beigeladene zu 1 dem Finanzamt mit, dass im Jahr 2000 zwischen ihr und der xxxxx GmbH, die ein Lagerhaus im Gebiet der Klägerin betreibt, sowie mit einer weiteren GmbH eine Organschaft bestanden habe, und gab eine demgemäß berichtigte Erklärung für die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags ab, in der die Arbeitslöhne dieser Gesellschaften berücksichtigt sind. Das Finanzamt erließ demgemäß am 22. Oktober 2003 einen geänderten Zerlegungsbescheid, mit dem der Gewerbesteuermessbetrag von 86.408,33 EUR (169.000 DM) auf die Klägerin mit einem Anteil von 7.630,86 EUR (14.924,67 DM) und die Beigeladenen zu 2 bis 7 verteilt wurde.
Die Klägerin schränkte daraufhin mit Schriftsätzen vom 7. November 2003 und 12. Januar 2004 ihren Klageantrag ein und begehrt nunmehr, die Zerlegung nach Maßgabe des § 33 Abs. 1 Gewerbesteuergesetz (GewStG) entsprechend dem Geschäftsvolumen der einzelnen Geschäftsstellen vorzunehmen. Das Geschäftsvolumen bemisst sich nach ihrer Ansicht nach den Gesamteinlagen und dem Kreditvolumen. Danach stehe ihr ein Anteil von 10,91 v.H. des Gewerbesteuermessbetrags zu.
Zur Begründung bringt die Klägerin vor, ihr Zerlegungsanteil müsse bereits nach § 29 GewStG höher angesetzt werden. Nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) Münster im Urteil vom 23. August 1984 IV – IX 4489/80 G sei der Arbeitslohn von Arbeitnehmern, die in mehreren Betriebsstätten des Unternehmens beschäftigt seien, für Zwecke der Gewerbesteuerzerlegung aufzuteilen. Dabei könne es keine Rolle spielen, ob die Arbeitnehmer räumlich gesehen in zwei Betriebsstätten zugegen seien oder ob sie infolge der fortschreitenden Technisierung lediglich logistisch in zwei Betriebsstätten arbeiteten. Beschäftigt i.S. des § 29 GewStG sei ein Arbeitnehmer in allen Betriebsstätten, in denen er einen wesentlichen Teil der ihm arbeitsvertraglich obliegenden Aufgaben erfülle (vgl. Bundesfinanzhof-BFH-Urteil vom 22. Juli 1988 III R 286/84).
Im Übrigen lägen die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG für eine abweichende Zerlegung vor. Vor der Fusion der xxxx-bank xxxx mit der xxxx-bank xxx im Jahr 1990 habe ihr Messbetragsanteil bei 22,23 v.H. gelegen. Sie habe zur Erschließung der Bankfiliale einen Gehsteig mit Straßenbeleuchtung errichten müssen und trage die Aufwendungen für die Straße (Erhalt, Reinigung, Winterdienst). Infolge fortschreitender Technisierung sei nach der Fusion eine Umstrukturierung dahingehend erfolgt, dass aus den Geschäftsstellen in den Umlandgemeinden der Stadt xxxx immer mehr Personal abgezogen worden sei. So sei in der in ihrem Gemeindegebiet befindlichen Geschäftsstelle der Bank statt früher sechs heute nur noch ein Arbeitnehmer beschäftigt. Der in dieser Geschäftsstelle anfallende Arbeitsaufwand werde nunmehr weitgehend in der Zentrale der Bank in xxxx erledigt. Die Mitarbeiter der Bank hätten ihren Wohnsitz zu 90 v.H. in den umliegenden Gemeinden. Hinzu komme die Belastung durch das früher in das Bankgeschäft integrierte Lagerhaus. Die Gewerbesteuerzerlegung sei somit offenbar unbillig i.S. von § 33 GewStG. Dies ergebe sich aus dem Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 20. September 1983 I 137/78, wonach die Zerlegung des für eine Reederei festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags nach § 29 GewStG dann zu einem offenbar unbilligen Ergebnis führe, wenn lediglich die Gemeinde, in der sich die Geschäftsleitung befinde, einen Zerlegungsanteil erhalte, hingegen auf die Gemeinde, in der die Reederei eine Betriebsstätte (Schiffsanleger) unterhalte, von der die Schiffe regelmäßig ausliefen, kein Zerlegungsanteil entfalle.
Die Klägerin beantragt,
ihr einen Zerlegungsanteil von 10,91 v.H. von 86.408,33 EUR (169.000 DM) = 9.427,15 EUR (18.437,90 DM) zuzuordnen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verweist auf die Einspruchsentscheidung und hebt ergänzend hervor, für die steuerliche Beurteilung sei maßgebend, an welchem Ort die mit den Arbeiten betrauten Arbeitnehmer die Tätigkeit verrichteten, nicht aber, für welche Betriebsstätte dies der Fall sei. Eine Aufgabenverteilung sei in der gewerblichen Wirtschaft allgemein üblich und keine atypische Gestaltung. Die von der Klägerin im Übrigen angeführten Belastungen durch die Bankfiliale gingen nicht über das übliche Maß hinaus und könnten daher eine abweichende Gewerbesteuerzerlegung nicht begründen.
Die Beigeladene zu 2 beantragte schriftsätzlich, die Klage abzuweisen. In der mündlichen Verhandlung stellte sie keinen Antrag. Sie weist darauf hin, dass die Straße, die die Bankfiliale erschließe, eine überörtliche Funktion aufweise, auch den Zugang zu dem Lagerhaus sowie zu einem Gewerbegebiet eröffne und an einem Wohngebiet vorbeiführe.
Die Beigeladenen zu 3 bis 5 und 7 unterstützen das Begehren der Klägerin, stellen aber ausdrücklich keine Anträge.
Die Beigeladene zu 1 hält eine ausschließliche Bezugnahme auf Arbeitslöhne bei der Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags für nicht sachgerecht. Es erscheine vielmehr gerechtfertigt, eine betriebsspezifische Größe (Bilanzsumme oder Kundenvolumen) als gleichberechtigten Maßstab neben den Arbeitslöhnen in die Berechnung einzubeziehen. Anträge stellt sie nicht.
Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird verwiesen.
Gründe
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Die vom Finanzamt vorgenommene Gewerbesteuerzerlegung entspricht § 29 GewStG.
a) Zerlegungsmaßstab ist nach § 29 Abs. 1 GewStG das Verhältnis, in dem die Summe der Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten (§ 28 GewStG) beschäftigen Arbeitnehmer gezahlt worden sind, zu den Arbeitslöhnen steht, die an die bei den Betriebsstätten der einzelnen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind. Bei dieser Zerlegung sind die Arbeitslöhne anzusetzen, die in den Betriebsstätten der beteiligten Gemeinden (§ 28 GewStG) während des Erhebungszeitraums (§ 14 GewStG) erzielt oder gezahlt worden sind (§ 29 Abs. 2 GewStG).
Diese Vorschriften knüpfen ausschließlich an eine räumliche Komponente an. Beschäftigt ist ein Arbeitnehmer in der Betriebsstätte, in der er seine Tätigkeit ganz oder wesentlich ausübt, einen wesentlichen Teil der ihm arbeitsvertraglich obliegenden Aufgaben erfüllt (BFH-Urteil vom 22. Juli 1988 III R 286/84, BFH/NV 1990, 56).
Ob die Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers einer Betriebsstätte zugute kommt, in der er nicht arbeitet, ist danach nicht erheblich. Eine Berücksichtigung solcher Umstände scheidet bereits aus Praktikabilitätsgründen aus.
2. Das Finanzamt hat zu Recht eine von § 29 GewStG abweichende Zerlegung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG abgelehnt.
a) Führt die Zerlegung nach den §§ 28 bis 31 GewStG zu einem offenbar unbilligen Ergebnis, so ist nach dieser Vorschrift nach einem Maßstab zu zerlegen, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt. Nicht jede offenbare Unbilligkeit rechtfertigt jedoch eine Zerlegung nach einem abweichenden Maßstab. Vielmehr muss die Unbilligkeit erhebliches Gewicht haben und eindeutig und augenfällig sein (BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 I R 19/92, BStBl II 1993, 679). Sie muss auf untypischen, ins Gewicht fallenden Umständen beruhen (BFH-Urteil vom 26. August 1987 I R 376/83, BStBl II 1988, 201).
Der Gesetzgeber hat mit der Regelzerlegung in § 29 GewStG bewusst und gewollt ein einfaches und rohes Verfahren gewählt und damit Unstimmigkeiten und Unbilligkeiten im Einzelfall in Kauf genommen. Die Vorschrift des § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG über die Zulassung eines von der Regelzerlegung abweichenden Zerlegungsmaßstabes zur Vermeidung von offenbar unbilligen Ergebnissen ist daher eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. Die klare, einfache und insofern auch gewollt rohe Regelzerlegung nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne verzichtet bewusst auf die Berücksichtigung von Besonderheiten, durch die sich der Einzelfall vom Normalfall unterscheidet. Nur wenn an diesem Ausgangspunkt, dass die Summe der in einer Betriebsstätte gezahlten Arbeitslöhne der Gradmesser für die der Betriebsstättengemeinde entstehenden Belastungen ist, festgehalten wird, ist das Zerlegungsverfahren überhaupt praktikabel (BFH-Urteil vom 9. Oktober 1975 IV R 114/73, BStBl II 1976, 123, m.w.N.). Das hat der Gesetzgeber auch dadurch unterstrichen, dass er die früher in § 29 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 GewStG enthaltenen besonderen Zerlegungsmaßstäbe für Versicherungs-, Bank- und Kreditunternehmen sowie Wareneinzelhandelsunternehmen gestrichen hat. Nach dem mit Wirkung vom 1. Januar 1974 aufgehobenen § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG war Zerlegungsmaßstab bei Versicherungs-, Bank- und Kreditunternehmen das Verhältnis, in dem die Summe der in allen Betriebsstätten erzielten Betriebseinnahmen zu den in den Betriebsstätten der einzelnen Gemeinden erzielten Betriebseinnahmen stand. Auf den Wohnsitz der Arbeitnehmer kommt es bereits aus Gründen der Praktikabilität nicht an.
Wäre der Wohnsitz maßgebend, müssten zudem ggf. auch Gemeinden, in denen der Gewerbebetrieb keine Betriebsstätte unterhält, abweichend von § 28 GewStG an der Zerlegung beteiligt werden.
Bei der Billigkeitsprüfung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG müssen Aufwendungen der Gemeinde ausscheiden, für die ein Gebührenerhebungsrecht besteht. Es ist nicht Funktion der Gewerbesteuer, insoweit für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen. Dies gilt auch dann, wenn die Gemeinde keine Gebühren oder nur solche erhebt, die die anfallenden Aufwendungen nicht abdecken. Die Nichterhebung einer Gebühr lässt die Abgrenzung zwischen den Funktionen der Gebühr einerseits und der Gewerbesteuer andererseits unberührt (BFH-Urteil in BStBl II 1988, 201). Entsprechendes gilt auch für Beiträge.
b) Die von der Klägerin angeführten Gründe rechtfertigen die beantragte abweichende Zerlegung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG nicht. Die von ihr geltend gemachte Unbilligkeit hat kein erhebliches Gewicht und ist auch nicht eindeutig und augenfällig.
Für die Erschließung der Zweigstelle der Bank konnte die Klägerin einen Erschließungsbeitrag nach §§ 127 ff. Baugesetzbuch fordern. Ob sie dies getan hat, ist für die Frage, ob eine Unbilligkeit i.S. des § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG gegeben ist, unerheblich, wie oben dargelegt. Die laufenden Aufwendungen für die Straße bilden keine Besonderheit und sind daher ebenfalls ohne Bedeutung. Zudem dient die Straße nicht nur der Erschließung der Bankfiliale; ihr kommt vielmehr eine weit darüber hinausgehende Bedeutung zu. Die Belastungen durch das Lagerhaus sind durch die Einbeziehung der Löhne der dort beschäftigten Arbeitnehmer in die während des gerichtlichen Verfahrens geänderte Zerlegung hinreichend berücksichtigt.
Dass sich Änderungen in den gewerbesteuerpflichtigen Betrieben auf die Gewerbesteuer auswirken, kommt in vielfältigen Erscheinungsformen vor und rechtfertigt nicht die Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 1993, 679, für Verlagerungen des Gewerbesteueraufkommens infolge einer Organschaft).
Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 20. September 1983 I 137/78 (EFG 1984, 242). Zum einen betraf diese Entscheidung einen anders gelagerten Sachverhalt; zum anderen hat der BFH dieses Urteil mit seiner Entscheidung in BStBl II 1988, 201 aufgehoben.
Das von der Klägerin angeführte Urteil des FG Münster vom 23. August 1984 IV – IX 4489/80 G (EFG 1985, 137) ist die Vorentscheidung zum BFH-Urteil in BFH/NV 1990, 56. Es ging dabei um Arbeitnehmer, die in verschiedenen Betriebsstätten beschäftigt waren, nicht um solche, die in einer Betriebsstätte Arbeiten erledigten, die im Ergebnis einer anderen Betriebsstätte zugute kamen.
Besonderheiten, die Banken im Allgemeinen betreffen, können eine abweichende Zerlegung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG nicht begründen. Der Gesetzgeber hat sich abweichend von der früheren Rechtslage dafür entschieden, einen einheitlichen Zerlegungsmaßstab für alle Wirtschaftszweige zu schaffen. An diese Entscheidung ist das erkennende Gericht nach Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 Grundgesetz gebunden.
3. Die Kostenentscheidung beruht bis zur Einschränkung des Klageantrags auf § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) und im Übrigen auf § 135 Abs. 1 FGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Es entspricht nicht der Billigkeit, sie der Klägerin oder der Staatskasse aufzuerlegen (§ 139 Abs. 4 FGO). Insbesondere ist dem Antrag der Beigeladenen zu 1 auf Kostenerstattung nicht stattzugeben. Diese Beigeladene hat zum einen keine Anträge zur Sache gestellt und somit kein Kostenrisiko übernommen (§ 135 Abs. 3 FGO). Zum anderen hat sie nicht das obsiegende Finanzamt unterstützt (vgl. Gräber/Ruban, FGO, Kommentar, 5. Aufl., § 139 Rz. 34). Der schriftsätzliche Klageabweisungsantrag der Beigeladenen zu 2 ist ein bloßer Formalantrag, der für sie zu keinem Kostenrisiko geführt hat (BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 II R 2/83, BStBl II 1985, 368) und es deshalb nicht rechtfertigt, eine Erstattung ihrer Kosten anzuordnen.
4. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die in § 115 Abs. 2 FGO für die Revisionszulassungbestimmten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der BFH hat die für die Auslegung der maßgebenden Vorschriften geltenden Grundsätze bereits geklärt. Im vorliegenden Verfahren geht es lediglich um die Anwendung dieser Grundsätze auf den Einzelfall.