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  • 22.12.2010

    Finanzgericht Thüringen: Urteil vom 01.12.2009 – 3 K 965/08

    Für die Frage, ob eine im Zusammenhang mit der Beendigung einer nichtselbstständigen Tätigkeit bezogene Abfindungszahlung aufgrund einer Zusammenballung von Einkünften ermäßigt zu besteuern ist, ist der nach § 34 EStG begünstigte Betrag der außerordentlichen Einkünfte nicht um laufende Verluste aus einer im Anschluss aufgenommenen gewerblichen Tätigkeit zu kürzen.


    Im Namen des Volkes

    Urteil

    In dem Rechtsstreit

    hat der III. Senat des Thüringer Finanzgerichts auf Grund mündlicher Verhandlung vom 1. Dezember 2009 für Recht erkannt:

    1. Der Einkommensteuerbescheid 2006 vom 24.1.2008, geändert durch Bescheid vom 11.9.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9.10.2008 wird dahingehend abgeändert, dass die steuerpflichtige Abfindung in Höhe von 39.453 Euro gem. § 34 Abs. 1, 2 EStG ermäßigt besteuert wird. Dem Beklagten wird aufgegeben, die Steuer zu berechnen.

    2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

    3. Das Urteil ist wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruches der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    4. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob § 34 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) auf die von der Klägerin im Streitjahr aufgrund der Beendigung des Dienstverhältnisses bezogene Abfindungsleistung anzuwenden ist. Fraglich ist dabei, ob negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb in die sogenannte „Vergleichsberechnung” für die Prüfung der Zusammenballung von Einkünften einzubeziehen sind.

    In 2005 erhielt die Klägerin einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 64.014 EUR, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit betrugen 63.094 EUR. Im Streitjahr 2006 erzielte sie bis zum 31.03.2006 einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 16.699 EUR. Das Arbeitsverhältnis wurde Ende März durch Ausscheidensvereinbarung mit der Firma ABC AG beendet. Als Ausgleich für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte die Arbeitgeberin eine Abfindung in Höhe von 46.653,48 EUR. Vom 24.06.2006 bis zum 22.12.2006 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld in Höhe von 9.197,02 EUR. Zum 23.12.2006 meldete die Klägerin ein Gewerbe an und erzielte daraus negative Einkünfte in Höhe von -13.158 EUR. In der Einkommensteuererklärung 2006 beantragte sie, die Abfindungsleistung nach § 34 EStG zu besteuern. Der Antrag wurde abgelehnt, weil es – unter Einbeziehung der negativen Einkünfte – nicht zu einer die bisherigen Einkünfte übersteigenden Zusammenballung von Einkünften gekommen sei. Der Einspruch blieb erfolglos.

    Die Klägerin wendet sich gegen die Nichtanwendung des § 34 EStG unter Berufung auf das BMF-Schreiben vom 24.05.2004 (Bundessteuerblatt [BStBl] I 2004, 487). Es sei (Bl. 15 FG-Akte) wie folgt zu rechnen.

    2005:64.014 (brutto)
    2006:
    § 19 EStG:16.699 EUR
    Steuerfreie Abfindung7.200 EUR
    steuerpfl. Teil der Entschädigung39.453 EUR
    Arbeitslosengeld9.197 EUR
    72.549 EUR


    Die Einkünfte 2006 würden die Einkünfte 2005 übersteigen. Gem. BMF-Schreiben sei die Prüfung nach der Summierung der Einkünfte nach § 19 EStG und damit im Zusammenhang stehender Einnahmen (hier: Arbeitslosengeld) beendet.

    Die Klägerin beantragt,

    den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 24.1.2008, geändert durch Bescheid vom 11.9.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9.10.2008 zu ändern und die steuerpflichtige Abfindung in Höhe von 39.453 Euro gem. § 34 Abs. 1, 2 EStG ermäßigt zu besteuern.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er meint, es läge keine besondere Zusammenballung von Einkünften vor, denn auch der gewerbliche Verlust sei zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – verlange § 34 Abs. 1 EStG die Zusammenballung von Einkünften. Entscheidend sei, ob es unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt zu einer über die normalen Verhältnisse hinausgehenden Zusammenballung von Einkünften komme. Dies sei nicht der Fall.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet. Die Ausgleichszahlung ist nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG ermäßigt zu besteuern, da sie im Streitjahr zu einer Zusammenballung von Einnahmen führte.

    Eine Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgehende Einnahmen ist gemäß § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG tarifbegünstigt, wenn sie zu einer Zusammenballung von Einnahmen innerhalb eines Veranlagungszeitraums führt. Diese ist nur gegeben, wenn der Steuerpflichtige infolge der Entschädigung in einem Veranlagungszeitraum mehr erhält, als er bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte. Zur Ermittlung dieser hypothetischen Einkünfte ist regelmäßig auf die Einkünfte des Vorjahres abzustellen. Für etwa durch Tantiemezahlungen stark schwankende Einkünfte und demzufolge eine Bildung von Durchschnittswerten (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 24.2.2009 15 K 257/06, Rev. anhängig IX 31/09) gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt. Nur im Fall einer Zusammenballung ist die Ermäßigung des Steuersatzes gerechtfertigt. Erhält der Steuerpflichtige weniger oder ebensoviel, wie er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte, besteht für eine Milderung kein Anlass. Bereits im Urteil vom 17. Dezember 1959 IV 223/58 S (BFHE 70, 195, BStBl III 1960, 72) wird im einzelnen dargelegt, dass eine Tarifermäßigung nach § 34 EStG nur gerechtfertigt ist, wenn die Besteuerung der Entschädigung ungünstiger wäre als die Besteuerung der entgehenden Einnahmen, an deren Stelle sie tritt. Zur Beurteilung von Einkünften als außerordentlich kommt es auf die gesamten Bezüge an, die dem Steuerpflichtigen im Steuerjahr zufließen, also nicht nur auf den Entschädigungsbetrag (so BFH, Urteil vom 04.03.1998, XI R 46/97). Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs.1 und Abs. 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben (vgl. BFH/NV 1993, 23). Übersteigt die anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraumes entgehenden Einnahmen, so ist das Merkmal der Zusammenballung stets erfüllt (vgl. Horn in Herrmann/Heuer, § 34 Anm. 54).

    Es erfolgt keine Kürzung des gem. § 34 EStG begünstigten Betrages der außerordentlichen Einkünfte um laufende Verluste. Die nach § 34 EStG begünstigten Einkünfte stellen innerhalb der Summe der Einkünfte bzw. der jeweiligen Einkunftsart eine „besondere Abteilung” dar (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 29. Juli 1966 IV 299/65, BFHE 86, 486, BStBl II 1966, 544; vom 29. Oktober 1998 XI R 63/97, BFHE 188, 143, BStBl II 1999, 588; vom 26.01.1995 IV R 23/93). Der sachliche Umfang der außerordentlichen Einkünfte, die in § 34 Abs. 2 EStG i.V.m. den darin aufgeführten Normen definiert werden, ist für sich gesondert entsprechend den Bestimmungen des § 2 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 4 bis 7k EStG bzw. §§ 8 bis 9a EStG zu ermitteln (BFH, Urteil vom 13.08.2003, XI R 27/03). Die außerordentlichen Einkünfte sind auch nicht aus anderen Gründen mit den Verlusten aus Gewerbebetrieb auszugleichen. Der Beklagte hat bei der Prüfung, ob eine Zusammenballung vorliegt, zwar das Arbeitslosengeld zutreffender Weise mit einbezogen, da es die entgangenen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit substituiert. Dies ist bei den gewerblichen Verlusten aber nicht zwingend der Fall.

    Die Begünstigung außerordentlicher Einkünfte erfordert ihre Abgrenzung von laufend erzielten Einkünften derselben Einkunftsart, insbesondere derselben „Einkunftsquelle”. Insofern handelt es sich bei außerordentlichen Einkünften um eine besondere Art von Einkünften im Rahmen einer Einkunftsart (Schmidt/Drenseck, Komm. zum EStG § 34 Anm. 10.)

    Der Beklagte geht im Ergebnis davon aus, dass die Klägerin die gewerblichen Verluste nicht gehabt hätte, wenn sie weiterhin nichtselbstständig gearbeitet hätte. Die Verluste gem. § 15 EStG würden daher an die Stelle der Einkünfte gem. § 19 EStG treten, so dass beide zu saldieren seien und daher im Endergebnis keine höheren Einkünfte als im Vorjahr erzielt würden. Diese Überlegung überzeugt aber im Ergebnis nicht, denn es wäre ebenso denkbar, dass die Klägerin neben den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit Verluste aus sonstigen Einkunftsarten, etwa aus einem ererbten Vermietungsobjekt, Spekulationsgeschäften oder ähnlichem erzielte. Diese stehen in keinem inneren Zusammenhang mit den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit und müssen daher unberücksichtigt bleiben. Ebenso wäre es möglich gewesen, dass die Klägerin neben ihrer nichtselbstständigen Tätigkeit bei der ehemaligen Arbeitgeberin gewerbliche Verluste erzielt hätte. Aus dem Umstand, dass sie durch Aufnahme der gewerblichen Tätigkeit versucht, eine neue Einkunftsquelle zu erschließen darf ihr steuerlich kein Nachteil dahingehend erwachsen, dass sie der steuerlichen Vergünstigung auf die Abfindungszahlungen verlustig geht.

    Schließlich soll die Tarifermäßigung, soweit irgend möglich, dem Steuerpflichtigen zugute kommen. Um eine weitestgehende Wirkung zu erzielen, ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH, Urteil vom 13.08.2003 XI R 27/03 zu § 2 Abs. 3 EStG a.F.) bei den der ermäßigten Besteuerung des § 34 EStG unterliegenden außerordentlichen Einkünften z. B. ein Verlustausgleich in der Regel nicht vorzunehmen, solange hierfür tariflich voll zu besteuernde Einkünfte zur Verfügung stehen.

    Die Steuerberechnung wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung – ZPO. Der Senat lässt die Revision schon im Hinblick auf das anhängige Verfahren IX R 31/09 zu.

    VorschriftenEStG § 34 Abs. 1, EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2