09.06.2011 · IWW-Abrufnummer 111925
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 25.03.2011 – 4 K 120/11 Z
1.Eine bei einem Urlaubsaufenthalt in der Türkei erworbene Brille, deren der Warenwert (690 EUR) die Wertgrenze des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b der Einreise-Freimengen-Verordnung – EF-VO – von 430 EUR überschreitet, ist bei Einfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft im persönlichen Gepäck des Reisenden zoll- und anmeldepflichtig.
2.Bei der Wertgrenze von 430 EUR handelt es sich nicht um einen Freibetrag, der anteilig vom Zollwert der Brille abgezogen werden könnte.
3.Die Wertgrenze des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b EF-VO kann nicht mit der Anzahl der zusammen einreisenden Personen multipliziert werden. Sie steht nur jedem Reisenden einzeln zu.
4.Wird die Brille durch das Benutzen des grünen Ausgangs für anmeldefreie Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht und dadurch zumindest eine leichtfertige Steuerverkürzung begangen, kann ein Zollzuschlag nach § 32 Abs. 3 ZollVG festgesetzt werden.
FG Düsseldorf v. 25.03.2011
4 K 120/11 Z
Tatbestand
Der Kläger verbrachte im November 2010 mit Frau A einen Urlaub in der Türkei. Dort erwarb er am 13. November 2010 eine Brille, die er sich von einem Optiker in der Türkei hatte anfertigen lassen.
Der Kläger reiste am 14. November 2010 mit A aus der Türkei kommend über das Zollamt X in das Zollgebiet der Gemeinschaft ein. Er benutzte den grünen Ausgang für anmeldefreie Waren. Dabei trug er die von ihm in der Türkei erworbene Brille. Nach dem Durchschreiten des grünen Ausgangs befragte ihn der Zollbeamte M nach mitgebrachten Waren. Der Kläger erklärte, keine Waren aus der Türkei mitgebracht zu haben. Auf die Frage des Zollbeamten, ob er in der Türkei eine neue Brille gekauft habe, bestätigte er, eine Gleitsichtbrille im Wert von 410 EUR gekauft zu haben. Nachdem der Zollbeamte ihn darauf hingewiesen hatte, dass neue Waren ab einem Wert von 430 EUR pro Person anmeldepflichtig seien, erklärte der Kläger nochmals, dass seine Brille nur 410 EUR gekostet habe. Der Zollbeamte durchsuchte schließlich den Rucksack des Klägers und fand darin die Rechnung für die Brille über 690 EUR. Der in der Türkei ansässige Optiker hatte auf der Rechnung quittiert, den Betrag von 690 EUR erhalten zu haben.
Das beklagte Hauptzollamt – Zollamt X – setzte gegen den Kläger unter Anwendung eines pauschalierten Abgabensatzes von 17,5 % Einfuhrabgaben von 120,75 EUR und einen Zuschlag nach § 32 Abs. 3 des Zollverwaltungsgesetzes (ZollVG) von 120,75 EUR fest. Die Abgabenfestsetzung wurde dem Kläger mündlich bekannt gegeben.
Der Kläger trug mit seinem hiergegen eingelegten Einspruch vor: Er habe sich die Gleitsichtbrille in der Türkei anfertigen lassen, weil die von ihm in den Urlaub mitgenommene Brille verkratzt worden sei. Bei der Berechnung der Einfuhrabgaben und des Zuschlags sei der Freibetrag von 430 EUR nicht berücksichtigt worden. Dieser Freibetrag habe ihnen zweimal zugestanden, so dass sie Waren im Wert bis zu 860 EUR abgabenfrei hätten einführen können. Stattdessen seien die Einfuhrabgaben und der Zuschlag „knallhart vom Bruttowert der Brille in Höhe von 690 EUR” erhoben worden.
Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch zurück und führte aus: Der Kläger habe die Brille nicht abgabenfrei einführen können, weil die Wertgrenze von 430 EUR überschritten worden sei. Der Wert der Brille dürfe nicht aufgeteilt werden. Die Wertgrenzen mehrerer Reisender könnten bei einer unteilbaren Ware nicht addiert werden. Da der Kläger zumindest eine leichtfertige Steuerverkürzung begangen habe, habe ein Zuschlag festgesetzt werden dürfen. Der Zuschlag sei auch der Höhe nach zu Recht festgesetzt worden.
Der Kläger wiederholt mit seiner Klage sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 14. November 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Dezember 2010 aufzuheben.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 25. März 2011 eine von A unter dem 25. März 2011 unterzeichnete eidesstattliche Erklärung vorgelegt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 23 der Gerichtsakte).
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 14. November 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Dezember 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Für die vom Kläger aus der Türkei in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachte Brille ist nach Art. 202 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex – ZK –) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften eine Zollschuld entstanden. Entsprechendes gilt nach § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer. Der Kläger ist als Verbringer der Brille Zoll- und Steuerschuldner geworden (Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK; § 21 Abs. 2 UStG).
Der Kläger hat die Brille vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht, weil sich bei einer Kontrolle durch M ergeben hat, dass er durch das Benutzen des grünen Ausgangs für anmeldefreie Waren die Willensäußerung nach Art. 233 Abs. 1 Buchst. a Anstrich 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (ZKDVO) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften getätigt hat, obwohl die Voraussetzungen des Art. 230 Abs. 1 Buchst. a ZKDVO nicht vorlagen. Bei der Brille handelte es sich nicht um eine Ware zu nichtkommerziellen Zwecken, die im Gepäck des Klägers enthalten war und nach Art. 41 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1186/2009 (VO Nr. 1186/2009) des Rates vom 16. November 2009 über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen (ABl EU Nr. L 324/23) abgabenfrei eingeführt werden konnte. Dahinstehen kann, ob dies im Streitfall schon daran scheitert, dass die Brille nicht im Gepäck des Klägers enthalten war, sondern er sie bei dem Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft getragen hat. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Einfuhrabgabenfreiheit von Waren im persönlichen Gepäck von Reisenden (Einreise-Freimengen-Verordnung – EF-VO –) können an sich nur Waren im persönlichen Gepäck von Reisenden nach Maßgabe der Verordnung abgabenfrei eingeführt werden. Persönliches Gepäck sind sämtliche Gepäckstücke, die Reisende der Zollstelle bei Ankunft gestellen (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 EF-VO). Dies steht in Einklang mit den Regelungen der Richtlinie 2007/74/EG (Richtlinie 2007/74) des Rates vom 20. Dezember 2007 über die Befreiung der von aus Drittländern kommenden Reisenden eingeführten Waren von der Mehrwertsteuer und den Verbrauchsteuern (ABl EU Nr. L 346/6), auf die Art. 41 Unterabs. 1 VO Nr. 1186/2009 Bezug nimmt. Nach Art. 4 der Richtlinie 2007/74 befreien die Mitgliedstaaten Waren, die im persönlichen Gepäck von Reisenden eingeführt werden, auf der Grundlage von Schwellenwerten und Höchstmengen von der Mehrwertsteuer und den Verbrauchsteuern. Art 5 der Richtlinie 2007/74 enthält eine dem § 1 Abs. 2 Nr. 5 EF-VO entsprechende Begriffsbestimmung des persönlichen Gepäcks.
Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Kläger die Brille in seinem persönlichen Gepäck i.S. des § 1 Abs. 1 EF-VO eingeführt hat, überschreitet der Warenwert der Brille von 690 EUR jedenfalls die Wertgrenze des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b EF-VO von 430 EUR.
Das Gericht vermag dem Kläger nicht zu folgen, soweit er in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf die von ihm vorgelegte eidesstattliche Erklärung der A behauptet hat, nur 410 EUR für die Brille gezahlt zu haben. Die in seinem Rucksack vorgefundene Rechnung für die Brille weist einen Gesamtbetrag von 690 EUR aus. Davon entfallen 180 EUR auf das Brillengestell und 510 EUR auf die Gläser. Überdies hat der in der Türkei ansässige Optiker auf der Rechnung quittiert, den Betrag von 690 EUR erhalten zu haben. Der Kläger hat zudem selbst in seinem Einspruch und in seiner Klagebegründung (Bl. 1 der Gerichtsakte) eingeräumt, dass der Bruttowert der Brille 690 EUR betragen habe. Das Vorbringen des Klägers zum Wert der Brille ist mithin widersprüchlich. Darüber hinaus bestehen unter Berücksichtigung seines Vorbringens in der mündlichen Verhandlung durchgreifende Bedenken an dem Wahrheitsgehalt seiner Äußerungen. So hat er in der mündlichen Verhandlung behauptet, die Rechnung sei nur für Zwecke der Vorlage bei einer Haftpflichtversicherung ausgestellt worden. Für den Fall, dass A einen Schaden an der Brille verursachen würde, hätte er die Rechnung der Haftpflichtversicherung vorgelegt. Damit hat der Kläger zum Ausdruck gebracht, Äußerungen gegenüber Dritten jeweils so zu gestalten, wie es ihm wirtschaftlich vorteilhaft erscheint. Dies wird bestätigt durch seine weiteren Äußerungen in der mündlichen Verhandlung, mittlerweile mit dem Optiker gesprochen zu haben. Der Optiker sei bereit, ihm eine neue Rechnung auszustellen und zwar getrennt nach dem Gestell und den Gläsern jeweils für ihn und A.
Anders als der Kläger offenbar meint, handelt es sich bei der Wertgrenze von 430 EUR des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b EF-VO nicht um einen Freibetrag, der anteilig vom Zollwert der Brille (Art. 29 Abs. 1 ZK) abgezogen werden könnte. Der Wert einer Ware darf bei der Anwendung der Wertgrenzen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 EF-VO nicht aufgeteilt werden (§ 2 Abs. 2 EF-VO). Das hat zur Folge, dass die Brille mit ihrem gesamten Zollwert der Einfuhrabgabenerhebung unterliegt. Die Wertgrenze des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b EF-VO kann auch nicht mit der Anzahl der zusammen einreisenden Personen multipliziert werden. Die (unteilbare) Wertgrenze des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b EF-VO steht nur jedem Reisenden einzeln zu.
Ginge man davon aus, dass der Kläger die Brille nicht in seinem persönlichen Gepäck eingeführt hat, hätte das beklagte Hauptzollamt die Einfuhrabgaben nicht gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Zollverordnung (ZollV) nach einem pauschalierten Abgabensatz von 17,5 % erheben dürfen. Hierdurch wird der Kläger jedoch nicht in seinen Rechten verletzt. Für die Brille, die der Unterpos. 9004 90 der Kombinierten Nomenklatur zuzuweisen ist, ist an sich ein vertragsmäßiger Zollsatz von 2,9 % anzuwenden (vgl. die Verordnung (EG) Nr. 948/2009 der Kommission vom 30. September 2009 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif – ABl EU Nr. L 287/1 –). Auf der Grundlage eines Zollwerts von 690 EUR wäre daher bei Nichtanwendung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZollV 20,01 EUR Zoll festzusetzen. Ferner wäre ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von 710,01 EUR (690 EUR + 20,01 EUR; § 11 Abs. 1 UStG) Einfuhrumsatzsteuer von 134,90 EUR festzusetzen. Der bei Nichtanwendung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZollV insgesamt festzusetzende Einfuhrabgabenbetrag von 154,91 EUR (20,01 EUR + 134,90 EUR) überschreitet den vom beklagten Hauptzollamt erhobenen Einfuhrabgabenbetrag von 120,75 EUR.
Das beklagte Hauptzollamt hat auch zu Recht einen Zollzuschlag nach § 32 Abs. 3 ZollVG festgesetzt. Der Kläger hat im grenzüberschreitenden Reiseverkehr eine Steuerordnungswidrigkeit begangen, die nach § 32 Abs. 1 ZollVG vom Zollamt X nicht verfolgt worden ist. Da er verpflichtet war, die Brille ungefragt anzumelden, dies jedoch unterlassen hat, hat er zumindest eine leichtfertige Steuerverkürzung begangen (§§ 378 Abs. 1 Satz 1, 370 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung – AO –). Er hat gegenüber M wahrheitswidrig erklärt, keine Waren aus der Türkei mitgebracht zu haben. Ferner hat er gegenüber M zum Wert der Brille unrichtige Angaben gemacht und dadurch die Einfuhrabgaben zumindest leichtfertig verkürzt (§§ 378 Abs. 1 Satz 1, 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Eine Steuerverkürzung wird leichtfertig begangen, wenn ein Steuerpflichtiger nach den Gegebenheiten des Einzelfalles und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Dazu ist eine Gesamtwertung seines Verhaltens erforderlich (Bundesfinanzhof – BFH –, Beschluss vom 17. März 2000 VII B 39/99, BFH/NV 2000, 1180). Dabei ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass einem mit den Gegebenheiten an den Flughäfen in der Gemeinschaft einigermaßen vertrauten Reisenden geläufig ist, dass er mit Waren, von denen er weiß oder bei denen er zumindest für möglich halten muss, dass sie einfuhrabgabenpflichtig sind, den roten Ausgang benutzen und diese dort anmelden muss (BFH-Beschluss vom 16. März 2007 VII B 21/06, BFHE 216, 468). Dem Kläger hätte bewusst sein müssen, gegenüber M unrichtige Angaben gemacht zu haben. Er hat die Frage nach mitgebrachten Waren wahrheitswidrig verneint und M die Rechnung für die Brille vorenthalten (Bl. 9 der Rechtsbehelfsakte).
Das Zollamt X hat auch nach § 32 Abs. 1 ZollVG von der Verfolgung der Steuerordnungswidrigkeit abgesehen. Dies wäre an sich unzulässig gewesen, wenn mangels Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZollV der verkürzte Einfuhrabgabenbetrag mehr als 130 EUR betragen würde. Gleichwohl kommt es letztlich auch insoweit nicht darauf an, ob der Kläger die Brille in seinem persönlichen Gepäck eingeführt hat. § 32 Abs. 3 ZollVG stellt nämlich lediglich darauf ab, dass die Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nach § 32 Abs. 1 ZollVG – wie im Streitfall – nicht verfolgt wird oder das Strafverfahren nach § 398 AO eingestellt wird. Allein diese Beendigung des Steuerstrafverfahrens oder Bußgeldverfahrens rechtfertigt nach § 32 Abs. 3 ZollVG die Erhebung eines Zuschlags.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.