Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 15.06.2011

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 03.05.2011 – 4 K 63/11

    1. Für die Frage, in welchem Zeitraum ein Zollschuldner einen Irrtum der Behörde im Sinne von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK gegebenenfalls vernünftigerweise erkennen konnte, kommt es im Fall einer mündlichen Zollanmeldung grundsätzlich auf die Zeit von der Abgabe der Zollanmeldung bis zum Erhalt des ursprünglichen Abgabenbescheids und der Wahrnehmung seines Inhalts an (im Anschluss an BFH, Beschluss vom 24. April 2008 VII R 62/06, BFHE 221, 279, ZfZ 2008, 965).

    2. Von einer zollrechtlich unerfahrenen Privatperson, die die Einfuhr eines geringwertigen Geräts der Unterhaltungselektronik mündlich anmeldet, kann ohne weiteres nicht erwartet werden, dass sie bei der binnen 15 Minuten erfolgenden Festsetzung erkennt, dass diese nicht in voller Höhe erfolgt ist.


    Tatbestand

    Der Kläger, von Beruf Rechtsanwalt / Fachanwalt ..., wendet sich gegen die Nacherhebung von Einfuhrabgaben.

    1. Der Kläger hatte über das Internet von einem Versandhandel in den USA ein Gerät der Unterhaltungselektronik erworben, einen Blu-Ray-Player zum Preis von umgerechnet EUR 466,75.

    Mit mündlicher Zollanmeldung beantragte der Kläger am 19. Januar 2011 beim Zollamt A die Abfertigung der Ware zum freien Verkehr. Das Zollamt entsprach seinem Antrag. Aufgrund eines Fehlers bei der Bedienung des EDV-Verfahrens - Eingabe des EU-Codes „5F0” - setzte es zwar Einfuhrumsatzsteuer von EUR 88,68 fest, die der Kläger auch bezahlte, unterließ es jedoch, den für die in die Warennummer 8521 9000 900 des Zolltarifs einzureihende Ware vorgesehenen Drittlandszoll von 13,9% und auch hierauf Einfuhrumsatzsteuer festzusetzen.

    In dem Bescheid findet sich unter der Rubrik „Berechnungshinweise” zur „Abgabenberechnung” von Zoll-EU der Hinweis: „Abgaben nicht erheben für diese Abgabengruppe (nach Abfertigungsantrag)”. Ein Hinweis auf Art. 23 Zollbefreiungsverordnung findet sich in diesem Bescheid nicht.

    2. Nachdem bei der Zollbehörde der Fehler bemerkt worden war, erließ der Beklagte einen Einfuhrabgabenbescheid, in dem die Einfuhrumsatzsteuer nunmehr auf EUR 101,01 und Zoll-EU auf EUR 64,88 festgesetzt wurden. In der Begründung heißt es u.a., das Zollamt habe irrtümlich keinen Zoll festgesetzt, obwohl der Befreiungstatbestand nach Art. 23 Zollbefreiungsverordnung nicht erfüllt gewesen sei. Deswegen werde der Drittlandszoll und anteilig darauf Einfuhrumsatzsteuer angefordert.

    Der Kläger legte gegen diesen Nacherhebungsbescheid am 21. Februar 2011 Einspruch ein und machte Gutglaubensschutz nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) Zollkodex (ZK) geltend. Er habe die Bestimmungen für die Zollanmeldung eingehalten. Der Fehler in der Festsetzung habe seine Ursache in einem Irrtum der Zollbehörden. Den Irrtum habe er als gutgläubiger Anmelder vernünftigerweise auch nicht erkennen können.

    Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2011 als unbegründet zurück. Zwar beruhe die Nichterhebung des Zolls auf einem so genannten aktiven Irrtum der Zollbehörde. Dieser Irrtum sei aber für den Kläger erkennbar gewesen. Dabei komme es u.a. darauf an, ob die betreffende Regelung verwickelt oder so einfach und klar sei, dass eine Prüfung der Umstände einen Irrtum leicht erkennbar gemacht hätte. Der Kläger sei gehalten gewesen, sich über die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften anhand ihrer im Amtsblatt der EG bzw. in anderen verbindlichen Quellen erfolgten Veröffentlichung zu informieren. Der Kläger hätte hier durch schlichtes Nachlesen der Vorschriften in der Zollbefreiungsverordnung sowie Einsichtnahme in den elektronischen Zolltarif feststellen können, dass Zoll zu erheben gewesen sei. Der Kläger habe deswegen nicht davon ausgehen können, dass die Zollerhebung für eine Drittlandsware der Codenummer 8521 9000 900 mit einem Zollwert von EUR 466,75 und einem Zollsatz von 13,9% generell unterbleibe.

    3. Der Kläger hat am 25. März 2011 Klage erhoben.

    Der Kläger trägt vor, die Zollabfertigung habe insgesamt nur ca. 15 Minuten gedauert. Der Zollbeamte habe ihm während der Abfertigung erklärt, er müsse nachsehen, in welcher Höhe hier Abgaben anfallen würden. Der Zollbeamte habe dann über eine EDV-Tastatur Eingaben gemacht und eine für ihn nicht wahrnehmbare Rücksprache mit einem anderen Zollbeamten gehalten. Im Übrigen argumentiert der Kläger wie in seiner Einspruchsbegründung.

    Der Kläger beantragt, den Einfuhrabgabenbescheid vom 09. Februar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2011 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte nimmt zur Begründung Bezug auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung.

    4. Der Beklagte hat dem Gericht einen Heftstreifen mit 27 Blatt Verfahrensakten vorgelegt.

    Das Gericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 03. Mai 2011 gemäß § 6 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

    Gründe

    1. Das Gericht entscheidet durch den Berichterstatter als Einzelrichter, § 6 Finanzgerichtsordnung (FGO), gemäß § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung, weil dies in Anbetracht der Sache billigem Ermessen entspricht und der angefochtene Bescheid Abgaben von nicht mehr als EUR 500 festsetzt.

    2. Die Klage ist zulässig und begründet.

    Zwar bestehen keine Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für einen Nacherhebungsbescheid gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK bestehen, weil in dem ersten Abgabenbescheid die Festsetzung von Zoll und insoweit auch von Einfuhrumsatzsteuer unterblieben war.

    Die Nacherhebung ist gleichwohl rechtswidrig, weil hier zugunsten des Klägers die Vertrauensschutzvorschrift des Art. 220 Abs. 2 Buchst b) ZK wirkt. Im Streitfall haben die zuständigen Zollbehörden - wie auch vom Beklagten eingeräumt - einen Irrtum i.S. von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) ZK begangen.

    Der Kläger hätte indes den Irrtum des Hauptzollamts nicht vernünftigerweise erkennen können und war gutgläubig.

    a) Bei der Beurteilung der Frage, ob ein vom Abgabenschuldner erkennbarer Irrtum anzunehmen ist, ist vor allem auf die Art des Irrtums, die Erfahrung des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers und die von ihm aufgewandte Sorgfalt abzustellen (vgl. EuGH-Urteile vom 26. Juni 1990 Rs. C-64/89 -Deutsche Fernsprecher GmbH- Slg. 1990, I-2535 und vom 01. April 1993 Rs. C-250/91 - Hewlett Packard - Slg. 1993, I-1819). Diese Voraussetzungen sind im engen Zusammenhang mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes zu überprüfen. Der Umstand, dass die Zollstelle dem Irrtum unterlegen ist, rechtfertigt nicht für sich ein Absehen von der Nacherhebung. Durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 vom 16.11.2000 (ABl. EG Nr. L 311/17) wurde Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK allerdings dahin gehend gefasst, dass in dem bis dahin alleinigen Unterabsatz, dem jetzigen Unterabsatz 1, bei der Voraussetzung der Nichterkennbarkeit des Irrtums für den Zollschuldner das Wort „vernünftigerweise” eingefügt wurde. Der Verordnungsgeber wollte offensichtlich die allgemeine Regelung in dem jetzigen Unterabsatz 1 weniger eng als in der Vergangenheit angewendet haben. Es darf auch nicht verkannt werden, dass es sich bei Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK um Vertrauensschutzregelungen handelt. Berechtigtes Vertrauen des Zollschuldners in das Handeln der Behörde soll geschützt werden, indem eine spätere Nacherhebung der Abgaben unterbleibt (Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 29. September 2009 7 V 1130/09, AW-Prax 2010, 143). Es ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen.

    b) Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall ist dem Kläger Vertrauensschutz zu gewähren.

    Hier ist zunächst festzustellen, dass der Kläger als Fachanwalt für Medizinrecht offensichtlich ohne zollrechtliche Erfahrung und zu privaten Zwecken ein Gerät der Unterhaltungselektronik im Internetversandhandel erworben hat. Gegenteiliges behauptet auch der Beklagte nicht.

    Es ist weiter festzustellen, dass der Kläger mit der ihm vor diesem Hintergrund abzuverlangenden Sorgfalt eine Verfahrensart gewählt hat, die das Zollverfahrensrecht vorsieht, in dem er nämlich eine mündliche Zollanmeldung abgeben hat. Hierzu hat er sich persönlich an die Zollbehörden gewendet, offenbar im Vertrauen darauf, dass die erforderliche Sachkunde dort vorhanden ist. In einer solchen Situation von einem Bürger mehr zu erwarten, wäre insbesondere unter Berücksichtigung des konkreten Warenwerts von weniger als EUR 500 einerseits und der Komplexität des Zollrechts andererseits unverhältnismäßig. Von dem Bürger ist jedenfalls bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden nicht zu verlangen, dass er sich professioneller, entgeltlicher Hilfe zur Bewältigung des Zollverfahrens bedient. Von einem in Zollsachen unerfahrenen Bürger kann aber in einer solchen Situation auch nicht erwartet werden, dass er mittels eigener Zollrechtsrecherche die zutreffenden Abgaben selbst ermittelt. Der Beklagte meint insoweit in seiner Einspruchsentscheidung, auf die er zur Klagbegründung Bezug nimmt, der Kläger habe durch „schlichtes Nachlesen” der „in Betracht kommenden Rechtsvorschriften im Amtsblatt der EG bzw. in anderen verbindlichen Quellen” die zu erhebenden Abgaben feststellen können. Die diesen Ausführungen zugrunde liegende Vorstellung über die Zugänglichkeit, die Übersichtlichkeit und die Verständlichkeit der zollrechtlichen Bestimmungen ist indes lebensfremd, zumal der Kläger die ihm nach dem Inhalt der Einspruchsentscheidung zuzumutenden Rechtsrecherchen parallel zu seiner Zollanmeldung bis zum Erhalt des ursprünglichen Abgabenbescheids und der Wahrnehmung seines Inhalts hätte anstellen müssen (vgl. insoweit BFH, Beschluss vom 24. April 2008 VII R 62/06, BFHE 221, 279, ZfZ 2008, 965). Das Gericht ist nicht der Meinung, dass der Kläger dementsprechend in den Räumlichkeiten des Zollamts in einem Zeitraum von nicht viel mehr als 15 Minuten, die der Vorgang nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers gedauert hat, die Abgaben zutreffend hätte ermitteln können. Bei vernünftiger Betrachtungsweise, die das Gesetz dem Zollrechtsanwender im Rahmen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK abverlangt, hat der Kläger den Irrtum des Zollamts also nicht erkennen können.

    Der Hinweis des Beklagten, dass die Voraussetzungen für eine Zollbefreiung nach Art. 23 Abs. 2 Zollbefreiungsverordnung nicht vorgelegen hätten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn der Kläger die Möglichkeit gehabt und genutzt hätte, diese Vorschrift zu lesen, und wenn er ihre Nichtanwendbarkeit erkannt hätte, hätte er die Fehlerhaftigkeit des ursprünglichen Abgabenbescheids gleichwohl nicht ohne weiteres erkennen können, weil diese Norm in diesem Bescheid gar nicht als Grund für die Nichterhebung von Zoll genannt worden war. Vielmehr heißt es dort ohne Angabe einer konkreten Vorschrift: „Abgaben nicht erheben für diese Abgabengruppe (nach Abfertigungsantrag)”. Im Übrigen wäre der Irrtum aber, wie oben ausgeführt, selbst wenn der Bescheid die Zollfreiheit mit dem Hinweis auf die genannte Vorschrift begründet hätte, für den Kläger in der konkreten Situation nicht erkennbar gewesen.

    Vor diesem Hintergrund kann ohne weiteres auch von der Gutgläubigkeit des Klägers ausgegangen werden, die ihm im Übrigen auch der Beklagte nicht abspricht.

    3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 151 Abs. 3, § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

    Gründe für die Zulassung der Revision, § 115 Abs. 2 FGO, liegen nicht vor.