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  • 22.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113156

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 09.03.2011 – 4 K 1932/10

    1. Die dem Betreiber einer inhabergeführten Gaststätte von seinen Gästen gewährten freiwilligen Trinkgelder sind als Entgelt in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer einzubeziehen.



    2. Der in der Literatur vertretenen gegenteiligen Auffassung, in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen seien nur vertraglich vereinbarte Vergütungen, im Bereich der Gastronomie mithin die in der Speisekarte ausgewiesenen Preise, nicht hingegen freiwillige Trinkgelder, die kein zusätzliches Entgelt darstellten, sondern eine „besondere Art von Geschenk”, ist nicht zu folgen. Eine derartige Auslegung ist insbesondere nicht durch vorrangiges Europarecht geboten.


    Sächsisches FG v. 09.03.2011

    4 K 1932/10

    Tatbestand
    Der Kläger wendet sich gegen die Umsatzsteuerbescheide vom 06.01.2010 für 2005, 2006 und 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.10.2010. In den angefochtenen Bescheiden hatte der Beklagte im Anschluss an die Feststellungen einer betriebsnahen Veranlagung (Prüfungsbericht vom 17.12.2009) vom Kläger als Betreiber einer inhabergeführten Gaststätte von seinen Gästen vereinnahmte freiwillige Trinkgelder in der festgestellten Höhe von 1.000 EUR brutto jährlich als Entgelt in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer einbezogen.

    Der Kläger meint, freiwillige Trinkgelder gehörten nicht zum umsatzsteuerlichen Entgelt. Entgelt sei die vertraglich vereinbarte Leistungsvergütung, regelmäßig der Preis. Das freiwillige Trinkgeld, das keinen Preisbestandteil und keinen Preiszuschlag bilde, stehe außerhalb der vertraglichen Vereinbarung. Nach Fortentwicklung des Entgeltbegriffs durch den EuGH (Urteil vom 18.07.2007 C 277/05) würden Trinkgelder auch in der Literatur nicht mehr als Entgeltbestandteil angesehen – der Kläger verweist insoweit auf die Kommentierung von Schuhmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 10 UStG Anm. 65. Abweichende Literaturauffassungen übernähmen zwar die grundsätzliche Rechtsauffassung des BFH im Urteil vom 17.02.1972 V R 118/71, BStBl 1972 II S. 405 setzten sich jedoch mit der Auslegung des Begriffs der Steuerbemessungsgrundlage i.S der EuGH-Rechtsprechung, insbesondere im Urteil vom 18.07.2007 C 277/05, nicht auseinander.

    Der Kläger beantragt,

    die Umsatzsteuerbescheide vom 06.01.2010 für 2005, 2006 und 2007 in Form der Einspruchsentscheidung vom 27.10.2010 aufzuheben,

    im Unterliegensfalle die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er meint unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung, die Trinkgelder seien in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer einzubeziehen.

    Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. Schriftsätze des Klägervertreters vom 06.01.2011 sowie des Beklagten vom 26.01.2011, Bl. 10 und 15 RS dA).



    Entscheidungsgründe
    Die Klage ist unbegründet. Die Umsatzsteuerbescheide vom 06.01.2010 für 2005, 2006 und 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.10.2010 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Zu Recht hat der Beklagte die an den Kläger als Betreiber einer inhabergeführten Gaststätte von seinen Gästen gewährten freiwilligen Trinkgelder, deren im Rahmen einer betriebsnahen Veranlagung festgestellte Höhe von 1.000 EUR brutto jährlich nicht mit substantiierten Einwendungen angegriffen ist, als Entgelt in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer einbezogen, § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG. Zum umsatzsteuerlichen Entgelt gehört alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG. Dazu rechnen auch die an den Kläger freiwillig gewährten Trinkgelder. Denn zwischen den von seinen Gästen an den Kläger als leistenden Unternehmer gezahlten Trinkgeldern und der von ihm erbrachten unternehmerischen Leistung besteht eine innere Verknüpfung, die es gebietet, die Trinkgelder in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer einzubeziehen. Der Senat folgt insoweit der zutreffenden Rechtsauffassung des BFH und der Finanzverwaltung, die, soweit ersichtlich, in der Kommentarliteratur überwiegend Billigung finden (vgl. BFH-Urteil vom 17.02.1972 V R 118/71, BStBl II 1972, 405; Abschnitt 149 Abs. 5 Satz 1 UStR 2008; aus der Literatur vgl. z.B. Bunjes/Geist, UStG, 8. Aufl., § 10 Rn. 15; Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 10 Rn. 85 „Trinkgelder”, Sölch/Ringleb, UStG, § 1 Rn. 59 sowie § 10 Rn. 90; Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 10 Rn. 119).

    Nicht zu folgen vermag der Senat hingegen der vom Kläger – unter anderem unter Bezugnahme auf die Kommentierung von Schuhmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 10 Anm. 65 „Bedienungszuschlag”– vertretenen gegenteiligen Auffassung, in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen seien nur vertraglich vereinbarte Vergütungen, im Bereich der Gastronomie mithin die in der Speisekarte ausgewiesenen Preise, nicht hingegen freiwillige Trinkgelder, die kein zusätzliches Entgelt darstellten, sondern eine „besondere Art von Geschenk”. Eine derartige Auslegung ist insbesondere nicht durch vorrangiges Europarecht geboten. Vielmehr spricht für die Anknüpfung des Entgeltes an die tatsächlich erhaltene Gegenleistung bereits der Wortlaut von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach gehört zur Bemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten „erhält oder erhalten soll”; dem entspricht unverändert Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – MwStSystRL 2006/112 – (vgl. BFH-Urteil vom 19.07.2007 V R 11/05, BStBl II 2007, 966). Auch die historische Auslegung spricht für dieses Ergebnis und damit gerade gegen die Rechtsauffassung des Klägers: Nachdem noch in § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 bestimmt war, dass zum Entgelt nur dasjenige gehört, was der Empfänger der Leistung „vereinbarungsgemäß” aufzuwenden hatte, um die Leistung zu erhalten, wurde durch Art. 6 § 1 Nr. 4 des Steueränderungsgesetzes 1973 (vom 26. Juni 1973, BGBl 1973 I S. 676, 684) diese Fassung durch den heute geltenden Wortlaut mit der Anknüpfung an die tatsächliche Leistung ersetzt (vgl. BFH-Urteil vom 19.07.2007 V R 11/05, BStBl II BStBl 2005 II S. 2007, BStBl 2005 II S. 966). Aus den vom Kläger angeführten Entscheidungen des EuGH ( EuGH-Urteil vom 29.03.2001 C-404/99 betreffend Bedienungszuschläge; EuGH-Urteil vom 18.07.2007 C-277/05 betreffend einbehaltenes Angeld) ergeben sich keine weitergehenden Erkenntnisse für den vorliegenden Fall, sie rechtfertigen eine anderweitige Entscheidung zugunsten des Klägers nicht.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, § 115 Abs. 2 FGO.

    RechtsgebieteUStG, EWGRLVorschriftenUStG § 10 Abs. 1 S. 2 EWGRL 388/77 Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a EGRL 112/2006 Art. 73