16.02.2012
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 12.10.2011 – 7 K 2296/11 E
Auch im Falle der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wegen Arbeitslosigkeit für 9 Monate besteht ein hinreichend enger wirtschaftlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Kinderbetreuungskosten während der Zeit der Arbeitssuche und der Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit, wenn eine ganztägige Betreuung des Kindes für den Fall einer Wiederaufnahme der Berufstätigkeit bei Kündigung des Betreuungsvertrags nicht sichergestellt wäre (gegen BMF-Schreiben vom 19.1.2007, BStBl I 2007,184 Rz. 24).
Tatbestand
Die Kläger machten in der Einkommensteuererklärung 2009 Kinderbetreuungskosten für das am 23. 4. 2002 geborene Kind „A” für die Zeit vom 1. 8. bis 31. 12. 2009 in Höhe von 905 EUR geltend und für das am 15. 4. 1999 geborene Kind „B” in Höhe von 987 EUR für die Zeit vom 1. 1. bis 31. 7. 2009. Zur Begründung war ausgeführt „Betreuung Offener Ganztag”, bezüglich „A” : bis 31. 7. gemeinsame Betreuung bei Kind 1) und bezüglich „B” : ab 8/09 Schulwechsel.
Der Kläger war in 2009 erwerbstätig, die Klägerin erklärte keine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit. Sie bezog ausweislich der beigefügten Entgeltbescheinigung der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld nach § 117 SGB III für die Zeit vom 1. 1. bis 31. 12. 2009 in Höhe von 8.110,20 EUR. Laut Bescheinigung der Fa. „C” in „D” war die Klägerin dort im Oktober 2009 40 Stunden unentgeltlich zur Probe tätig und ab November 2009 im Rahmen einer 400 EUR-Tätigkeit angestellt.
Der Beklagte berücksichtigte die Kinderbetreuungskosten im Einkommensteuerbescheid 2009 vom 22. 9. 2010 nicht mit der Begründung, es habe keine Erwerbstätigkeit der Klägerin vorgelegen.
Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und übersandten den Betreuungsvertrag mit der Schule. Danach entfällt der Beitrag für das zweite Kind, wenn mehrere Kinder der Familie eine Betreuung in Anspruch nehmen. Der Vertragszeitraum endet am 31. 7. 2009 und verlängert sich mangels anderweitiger Entscheidungen der Vertragspartner um ein Jahr. In begründeten Ausnahmefällen ist er vorzeitig mit einer Frist von 6 Wochen zum Ende des darauf folgenden Monats kündbar; es liegt im Ermessen der Schule einer vorzeitigen Vertragsauflösung zuzustimmen. Eine außerordentliche Kündigung ist nur bei einem wichtigen Grund, insbesondere einer schwerwiegenden Vertragsverletzung möglich.
Die Kläger trugen vor, die befristete Beschäftigung der Klägerin sei nach 2008 nicht verlängert worden. Zwingende Voraussetzung für den Antrag auf Arbeitslosengeld I sei, dass man sich dem Arbeitsmarkt für mindestens 15 Wochenstunden zur Verfügung stelle. Sie habe auch regelmäßig bei der Agentur für Arbeit vorgesprochen und eigene Bewerbungsnachweise beigebracht. Dies sei nur möglich gewesen, weil ihr für den jüngsten Sohn „A” ein Betreuungsplatz im Offenen Ganztag der Schule zur Verfügung gestanden habe. Dadurch habe sie ab 1. 10. 2009 zunächst zur Probe und dann auf geringfügiger Beschäftigungsbasis arbeiten können. Ab 2010 habe sie bei dieser Firma einen unbefristeten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsvertrag erhalten. Laut Betreuungsvertrag sei eine Beendigung nur zum Schuljahresende möglich. Kurzfristig sei ein neuer Betreuungsplatz aufgrund der Warteliste kaum zu bekommen. Kausal für die Betreuung sei die Erwerbstätigkeit 2008 gewesen; dieser Vertrag sei nicht vor Juli 2009 kündbar gewesen.
Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Monate Januar bis April 2009 seien eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit. Die auf „B” entfallenden Kosten seien daher mit 4/7 von 987 EUR = 564 EUR anzuerkennen. Die auf „A” entfallenden Kosten von 905 EUR seien für die Zeit von Oktober bis Dezember mit 543 EUR (3/5) dem Grunde nach berücksichtigungsfähig. Die Summe von 1.107 EUR sei daher zu 2/3 wie Werbungskosten zu berücksichtigen. Am 24. 1. 2011 änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2009 entsprechend. Der weitergehende Einspruch wurde am 3. 6. 2011 zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Kläger tragen vor:
Sie hätten am 23. 6. 2008 den Betreuungsvertrag abgeschlossen. Bei Abschluss des Vertrages sei die Erwerbslosigkeit der Klägerin in 2009 nicht erkennbar gewesen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines der Erziehungsberechtigten sei kein Grund zur Vertragsbeendigung. Der Betreuungsaufwand stelle vorweggenommene Werbungskosten dar. Eine Vollzeittätigkeit sei der Klägerin nur möglich gewesen, wenn die Kinderbetreuung sichergestellt sei. Betreuungsverträge mit den Schulen seien nur auf Jahresbasis möglich. Das im IV. Quartal 2009 aufgenommene Probearbeitsverhältnis sei ab 2010 in ein volles Arbeitsverhältnis umgewandelt worden sei.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2009 vom 24. 1. 2011 und der Einspruchsentscheidung vom 3. 6. 2011 die Einkommensteuer 2009 um 136,15 EUR herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt Klageabweisung.
Er bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor,
Kinderbetreuungskosten seien stets auch privat mitveranlasst. Die Aufwendungen würden lediglich fiktiv teilweise den Erwerbsaufwendungen zugeordnet. Die Abzugsvoraussetzungen seien ausschließlich anhand des § 9 c EStG zu prüfen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Gründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 FGO.
Nach § 9 c Abs. 1 EStG können Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörenden Kindes im Sinne des § 32 Absatz 1, die wegen einer Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen anfallen, bei Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, in Höhe von zwei Dritteln der Aufwendungen, höchstens 4 000 Euro je Kind, bei der Ermittlung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit wie Betriebsausgaben abgezogen werden. Im Fall des Zusammenlebens der Elternteile ist erforderlich, dass beide Elternteile erwerbstätig sind. Die Vorschrift gilt nach § 9 Abs. 5 EStG sinngemäß für den Werbungskostenabzug bei den Überschusseinkünften.
Der Abzug von Kinderbetreuungskosten setzt danach voraus, dass die Betreuungsaufwendungen „wegen einer Erwerbstätigkeit” des Steuerpflichtigen anfallen. Die Aufwendungen müssen durch die Erwerbstätigkeit (mit-)veranlasst sein; eine gewisse private Mitveranlassung – nämlich durch die elterliche Entscheidung für Kinder, die eine Betreuung erst erforderlich macht (vgl. BVerfG Beschluss vom 16. März 2005 2 BvL 7/00BVerfGE 112,268, NJW 2005,2448) – ist typisch und für die Frage der Abzugsfähigkeit nicht schädlich (Schmidt/Loschelder § 9 c EStG Tz. 15). Denn bei § 9 c EStG handelt es sich um eine staatliche Förderung von Betreuungskosten, die zwangsläufig den Bereich der privaten Lebensführung tangiert. In Absatz 1 der Vorschrift hat der Gesetzgeber bei erwerbsbedingten Betreuungskosten gerade ungeachtet der privaten Mitveranlassung den Betreuungsaufwand dem Bereich der Einkünfteermittlung zugeordnet (vgl. zu § 4 f EStG Hey in NJW 2006 S. 2001 ff., 2003). Soweit die Norm den Abzug „wie Betriebsausgaben” bzw. „wie Werbungskosten” fingiert, rechtfertigt dies keine Einschränkung bei der Beurteilung der betrieblichen oder beruflichen Veranlassung des Betreuungsaufwandes. Denn aufgrund des objektiven Nettoprinzips ist eine Differenzierung zwischen „echten” und „unechten” (fingierten) Betriebsausgaben oder Werbungskosten nicht zulässig (vgl. Hey aaO.).
Abzustellen ist von daher darauf, ob die Kinderbetreuungskosten durch die Erwerbstätigkeit der Eltern veranlasst sind. Dafür ist ein objektiver tatsächlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang erforderlich, aber auch ausreichend (Schmieszek in Bordewin/Brandt § 9 c EStG Tz. 64; Steiner in Lademann § 9 c EStG Tz. 17 ff.). Ein solcher Zusammenhang kann auch dann bestehen, wenn der Steuerpflichtige aktuell keine berufliche Tätigkeit ausübt, die Aufwendungen aber im Hinblick auf eine angestrebte Tätigkeit anfallen. Voraussetzung für den Abzug solcher vorab entstandener Werbungskosten oder Betriebsausgaben ist ein ausreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Aufwand und Einkunftserzielung, der dann zu bejahen ist, wenn sich anhand objektiver Umstände feststellen lässt, dass der Steuerpflichtige den Entschluss, Einkünfte aus einer bestimmten Einkunftsart zu erzielen, endgültig gefasst hat (Köhler in Bordewin/Brandt § 9 EStG Tz. 255). Hierfür ist auch der zeitliche Zusammenhang mit der Aufnahme einer (neuen) Erwerbstätigkeit indiziell.
Im Streitfall war die Klägerin von Januar bis September 2009 arbeitslos. Die Kinder wurden im Offenen Ganztag der Schule betreut, der Betreuungsvertrag war nur zum Schuljahresende kündbar (31. 7.). Die Klägerin bezog Arbeitslosengeld und wollte wieder eine neue berufliche Tätigkeit aufnehmen. Hätte sie den Betreuungsvertrag fristgerecht gekündigt, wäre eine ganztägige Betreuung des Kindes „A” für den Fall einer Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit nicht sichergestellt gewesen; auf einen erneuten Betreuungsplatz im Offenen Ganztag bestand kein Rechtsanspruch. Tatsächlich hat sie auch ab Oktober zunächst zur Probe und sodann im festen Anstellungsverhältnis wieder Arbeit gefunden. Damit bestand ein hinreichend enger wirtschaftlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Betreuungsaufwendungen, die der Klägerin in der Zeit der Arbeitslosigkeit und Arbeitssuche von Januar bis September entstanden sind, und der ab Oktober eingegangenen beruflichen Tätigkeit.
Soweit die Finanzverwaltung nach dem BMF-Schreiben vom 19. Januar 2007, BStBl I 2007,184 Rz. 24 nur eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit bis zu vier Monaten als unschädlich ansieht, ist das Gericht hieran nicht gebunden. Derartige norminterpretierende Verwaltungsanordnungen dienen lediglich der gleichmäßigen Auslegung und Anwendung des Gesetzes durch die nachgeordneten Behörden. Ob diese Auslegung oder Anwendung richtig ist, unterliegt der vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung (BFH vom 31. Oktober 1990 I R 3/86 BStBl II 1991,610; vgl. auch FG München vom 5. Dezember 2006 12 K 23/06 EFG 2007,776).
Abzugsfähig sind weitere Aufwendungen in Höhe von 523,33 EUR („B” Mai-Juli 2009, 2/3 von 423 EUR; „A” August-September 2009 (2/3 von 362 EUR).
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen (§ 135 Abs. 1 FGO).