07.03.2013 · IWW-Abrufnummer 130800
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 06.07.2012 – 5 V 40/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Az. 5 V 40/12
rechtskräftig
Gründe
I.
Streitig ist der Vorsteuerabzug aus Rechnungen des F.
Der Antragsteller betreibt seit 1996 ein Reise- und Handelsgewerbe mit Schrott. Seit Mitte des Jahres 2007 bestehen Geschäftsbeziehungen zu F.
In den streitbefangenen Rechnungen wird über Schrottlieferungen an den Antragsteller abgerechnet. Als leistender Unternehmer ist „F., Schrott & Metallhandel, mit vollständiger Anschrift und Steuernummer“ benannt. Dieser hat auf den Rechnungen quittiert, den jeweiligen Rechnungsbetrag erhalten zu haben.
Der Antragsgegner versagt den Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass F. kein Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG sei. Dies sei für den Antragsteller zu erkennen gewesen. Er (Antragsteller) hätte auch wissen müssen, dass die in den Rechnungen bescheinigten Beträge in einen Umsatzsteuerbetrug einbezogen seien.
Der Antragsteller sei bereits seit Jahren im Schrotthandel tätig. Vor diesem Hintergrund könne ihm nicht verborgen geblieben sein, dass F. von Schrotthändlern als „Schreiber“ ausgenutzt worden sei.
Der Antragsgegner folgert dies aus folgenden - im Rahmen eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ermittelten - Umständen: F. verfüge über kein typisch ausgestattetes Büro und keinen üblicherweise erforderlichen Zwischenlagerplatz. Stattdessen betreibe F. sein Unternehmen von seiner Wohnung aus. Dort sei zwar ein Schreibtisch, aber keine Computertechnik vorhanden gewesen. F. verfüge über kein eigenes Fahrzeug, um die Altmetalle zu transportieren, lediglich in der Zeit vom 02.03.2010 bis 27.04.2010 sei ein 18 Jahre alter Lkw auf ihn zugelassen worden. Nach außen hin sei F. nicht werbend aufgetreten. Er verfüge über keinen Festnetzanschluss und sei auch im Telefonbuch oder in den „Gelben-Seiten“ nicht eingetragen.
Nach den Feststellungen der Steuerfahndung soll F. innerhalb von 14 Monaten bei verschiedenen Recyclingunternehmen Ablieferungen von etwa 4,15 Mio Euro getätigt haben. F. habe bei den Vernehmungen keine glaubhaften Angaben zur Herkunft der Materialien, deren Unterschiede und den Preisen machen können. In einem aufgefundenen Schreiben habe er gestanden, von Personen aus X. nur als „Schreiber“ benutzt worden zu sein. Dies decke sich mit den beschlagnahmten handschriftlichen Kalenderaufzeichnungen von F. Danach sei dieser regelmäßig von einer bestimmten Person (S.) abgeholt, auf einem entsprechenden Schrottfahrzeug mitgefahren zu dem Schrotthof des Antragstellers, wo er dann die Rechnung unterschrieben und den Schreiberlohn erhalten habe.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs aus den F.-Rechnungen. Er trägt vor, alles ihm Zumutbare getan zu haben, um die Unternehmereigenschaft des Lieferanten F. zu überprüfen. So habe er sich von F. die Gewerbeanmeldung und die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts M. vorlegen lassen. Während der Geschäftsbeziehung seien Bescheinigungen von F. vorgelegt worden, wonach dieser mit der laufenden Umsatzsteuer in Rückstand sei. Hieraus habe er (Antragsteller) den Schluss gezogen, dass F. die Umsätze ordnungsgemäß angemeldet habe.
Er sei nicht verpflichtet gewesen, zu prüfen, woher sein Lieferant (F.) die Ware bezogen habe. Gerade im Bereich des Schrotthandels gehörten die Bezugsquellen zu den wichtigsten Betriebsgeheimnissen. Bei allen Lieferungen seien die jeweiligen Lieferanten zugegen gewesen. Die Auszahlungen seien nur an diese persönlich erfolgt. Art und Menge der gelieferten Ware hätten auch keinen Anlass zu Zweifeln an der Identität von Lieferer und Rechnungsaussteller ergeben. Die bei den Anlieferungen zusätzlich anwesenden Personen, insbesondere Fahrer, hätten nicht den Eindruck erweckt, die in Wahrheit handelnden Personen (Lieferanten) zu sein.
II.
Der Antrag ist begründet.
1. Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466).
Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben.
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt wurden, als Vorsteuerbeträge abziehen. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG).
Nachhaltig ist eine auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Erzielung von Entgelten. Maßgeblich ist das Gesamtbild der Verhältnisse (st. Rspr., vgl. BFH, Urteil vom 27.01.2011 V R 21/09, BStBl II 2011, 524). Der Lieferant F. hat über einen längeren Zeitraum eine Vielzahl von Lieferungen an den Antragsteller und andere Recyclinghöfe ausgeführt. Er ist damit nachhaltig tätig geworden.
b) Wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist, ergibt sich regelmäßig aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen. Leistender ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst ausführt oder durch einen Beauftragten ausführen lässt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt deshalb grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei der Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 12. August 2009 XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259, unter Verweis auf BFH-Urteile vom 7. Juli 2005 V R 60/03, BFH/NV 2006, 139, und vom 26. Juni 2003 V R 22/02, BFH/NV 2004, 233).
c) Leistender kann dabei auch ein "Strohmann" sein. Tritt jemand im Rechtsverkehr (als sog. "Strohmann") im eigenen Namen, aber für Rechnung eines anderen auf, der --aus welchen Gründen auch immer-- nicht selbst als berechtigter oder verpflichteter Vertragspartner in Erscheinung treten will (sog. "Hintermann"), ist zivilrechtlich grundsätzlich nur der "Strohmann" aus dem Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet. Dementsprechend sind dem "Strohmann" auch solche Leistungen zuzurechnen, die der "Hintermann" berechtigterweise im Namen des Strohmannes tatsächlich ausgeführt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 31. Januar 2002 V B 108/01, BStBl II 2004, 622, und BFH Urteil vom 10.11.2010 XI R 15/09, BFH/NV 2011, 867). Entsprechende Grundsätze gelten für den "Strohmann" als Leistungsempfänger (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 2009 V R 82/07, BStBl II 2009, 876).
Unbeachtlich ist das "vorgeschobene" Strohmanngeschäft (vgl. auch § 41 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO -) nur dann, wenn es nur zum Schein abgeschlossen wird, d.h. wenn die Vertragsparteien - der "Strohmann" und der Leistungsempfänger - einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem "Hintermann" eintreten sollen. Letzteres ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Leistungsempfänger weiß oder davon ausgehen muss, dass der Strohmann keine eigene - ggf. auch durch Subunternehmer auszuführende - Verpflichtung aus dem Rechtsgesch äft übernehmen will und dementsprechend auch keine eigenen Leistungen versteuern will (vgl. BFH Urteil vom 10.11.2010 XI R 15/09, BFH/NV 2011, 867).
d) Belastbare Anhaltspunkte und Auffälligkeiten dafür, dass der Antragsteller erkennen konnte und musste, dass es sich bei dem Lieferanten F. um einen bloßen „Schreiber“ (Strohmann) handelt, sind vom Antragsgegner bislang nicht vorgetragen.
So war der Lieferant F. offensichtlich bei allen Lieferungen zugegen und hat den Rechnungsbetrag auch persönlich entgegengenommen. Aufgrund welcher Umstände der Antragsteller erkennen musste, dass nicht F., sondern andere Personen (mitanwesende Fahrer?) die tatsächlichen Lieferanten gewesen sein sollen, bleibt offen. Dass F. den Rechnungsbetrag nicht behalten, sondern abredegemäß an die „Hintermänner“ abzugeben hatte, war für den Antragsteller nicht zu erkennen.
Das Fehlen einer Computertechnik, eines Pkw/Lkw sowie eines Lagerplatzes steht der vorgenommenen Beurteilung nicht entgegen. Der Antragsteller hatte keine Kenntnis darüber, wie und woher der Lieferant die Ware bezogen hat, ob der Lieferant die Ware z.B. selbst gesammelt oder nur als Zwischenhändler (ohne eigenen Lagerplatz) aufgetreten ist. Entsprechende Fragen zu den Bezugsquellen wären von den Lieferanten unter Hinweis auf das Geschäftsgeheimnis auch sicherlich nicht (wahrheitsgemäß) beantwortet worden.
Der Antragsteller hatte auch nicht zu prüfen, wer der Fahrer war und ob der schrottanliefernde Lkw auf den Namen des Lieferanten F. zugelassen oder von einem Dritten gestellt, geliehen oder gemietet war. Anders wäre es nur, wenn der „Fahrer“ wie ein „Unternehmer“ aufgetreten wäre, z.B. die Vertragsverhandlungen geführt, die Preise ausgehandelt, das Geld entgegengenommen oder ähnliche unternehmertypische Verhaltensweisen gezeigt hätte. Diesbezügliche Feststellungen sind von Seiten des Antragsgegners bislang nicht vorgetragen und aus den vorliegenden Steuer- und Strafakten auch nicht zu ersehen.
2. Die Aussetzung der Vollziehung erfolgt ohne Sicherheit.
Es steht im Ermessen des Gerichts, die Gewährung der AdV von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Die AdV gegen Leistung einer Sicherheit (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO i.V.m. § 155 FGO, §§ 108 ff. ZPO) ist angezeigt, wenn die spätere Vollstreckung der Steuerforderung infolge der AdV gefährdet oder erschwert erscheint. Die Sicherheitsleistung dient der Vermeidung von Steuerausfällen bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang (BFH-Beschlüsse vom 24.10.2000 V B 144/00, BFH/NV 2001, 493, und vom 17.5.2005 I B 109/04, BFH/NV 2005, 1782). Das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen entfällt, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 26.06.2009 IX B 194/08, abrufbar in juris). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht. Die Finanzbehörde muss daher die für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vortragen, während der Steuerpflichtige ggf. die Umstände darzulegen hat, die ein (dargelegtes) Sicherungsbedürfnis der Behörde entfallen oder unangemessen erscheinen lassen (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 7.5.2008 IX S 26/07, BFH/NV 2008, 1498).
Da der Antragsgegner im AdV-Verfahren keine für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vorgetragen hat, war AdV ohne Sicherheit zu gewähren.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.