07.05.2013 · IWW-Abrufnummer 131653
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 17.01.2013 – 14 K 399/11
- Mehraufwendungen für den
behindertengerechten Neubau eines Hauses können als agB abziehbar sein.
- Das gilt jedenfalls dann, wenn
die Mehraufwendungen unausweislich waren, denn dann erwachsen sie zwangsläufig
i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG.
- Zu derartigen zwangsläufigen
Mehraufwendungen können im Einzelfall auch die Mehrkosten für die Anschaffung
eines größeren Grundstücks gehören.
- Die sog. Gegenwertslehre kommt
schon dann nicht zum Tragen, wenn es sich um behinderungsbedingte notwendige
Baumaßnahmen handelt, die keinen über den individuellen Nutzungsvorteil
hinausgehenden Gegenwert begründen.
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute und werden
zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
Die Klägerin ist schwerbehindert.
Sie leidet unter Multipler Sklerose. Mit Bescheid vom 22.12.2006 wurde der Grad
der Behinderung auf 80 % festgestellt.
Die Kläger errichteten in den
Jahren 2009 und 2010 zu eigenen Wohnzwecken einen Bungalow. Aufgrund der
behinderungsbedingten Anforderungen an die Wohnfläche entschieden sie sich u.a.
nach fachkundiger Beratung für einen eingeschossigen Bungalow. Die gegenüber
einem mehrgeschossigen Bungalow erforderliche Grundfläche des Gebäudes
erforderte aufgrund der im Bebauungsplan vorgeschriebenen Grundflächenzahl von
0,3 den Erwerb einer um 151,67 Quadratmeter größeren Grundstücksfläche. Dadurch
ergaben sich bei einem Preis von 87 €/qm Mehrkosten für den Baugrund
i.H.v. 13.195,29 €. Ferner entstand den Klägern in 2009 durch
erforderliche behinderungsgerechte Baumaßnahmen ein behinderungsbedingter
Mehraufwand von 205,45 €, den die Kläger nach Abzug von Zuschüssen der
Kranken- und Pflegekassen als Eigenanteil selbst zu tragen hatten.
In ihrer Einkommensteuererklärung
2009 machten die Kläger aufgrund des behinderungsbedingten Mehraufwandes für
den Hausbau zunächst keine Kosten als außergewöhnliche Belastung geltend. Der
Beklagte setzte die Einkommensteuer 2009 zuletzt mit Einkommensteuerbescheid
vom 14.02.2011 fest. Dagegen legten die Kläger Einspruch ein. Diesen
begründeten sie damit, dass ihnen durch den Hausbau in 2009 Mehrkosten wegen
behinderungsbedingter Baumaßnahmen i.H.v. 13.400,74 € entstanden seien,
die als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen seien. Da
die Kl ägerin u. a. an einer schweren Gehbehinderung leide und ihr das Steigen
von Treppen nicht möglich sei, seien sie auf eine eingeschossige Bauweise des
Bungalows angewiesen gewesen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sanitäre
Einrichtungen großzügig ausgelegt sein mussten, um die pflegerische und
betreuende Unterstützung durch andere Personen zu ermöglichen, und Wendeflächen
für den Rollstuhl, breitere Türen und niedrigere Schwellen, Haltegriffe und
eine barrierefreie Duschkabine mit einem Klappsitz erforderlich gewesen seien.
Dadurch habe sich eine um 45,5 m² größere Grundfläche des Bungalows gegenüber
einem Bungalow ergeben, der ohne Berücksichtigung der Behinderung der Klägerin
hätte gebaut werden können. Aufgrund der im Baugebiet vorgegebenen
Grundflächenzahl seien sie gezwungen gewesen, ein 151,67 Quadratmeter größeres
Grundstück zu kaufen, um das Gebäude entsprechend realisieren zu können.
Dadurch hätten sich für das Grundst ück Mehrkosten i.H.v. 13.195,29 €
ergeben. Weitere Aufwendungen i.H.v. 205,45 € ergäben sich durch den
nicht bezuschussten Eigenanteil der erforderlichen Mehraufwendungen.
Der Einspruch der Kläger war
erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Kläger sind der Auffassung,
dass baubedingte Mehrkosten aufgrund der Behinderung der Klägerin i.H.v.
13.400,74 € als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen seien.
Ferner hätten sie einen Anspruch auf die Berücksichtigung weiterer Kosten für
behinderungsbedingte Fahrtkosten in Höhe von pauschal 900 €.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2009
vom 14.02.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 23.11.2011 dahingehend zu
ändern, dass der Teil von 14.300,74 €, der die den Klägern zumutbare
Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte
abgezogen und die Steuer entsprechend herabgesetzt wird.
Der Beklagte erkennt die von den
Klägern als Eigenanteil getragenen behinderungsbedingten Mehraufwendungen
i.H.v. 205,45 € und die Kosten für behinderungsbedingte Fahrtkosten von
pauschal 900 € an und beantragt im Übrigen,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung,
die Krankheit der Klägerin sei nicht ursächlich für den Erwerb einer größeren
Grundstücksfläche gewesen. Zumindest könnten erhebliche persönliche Motive, die
unabhängig von der Krankheit der Klägerin seien, für den Erwerb der größeren
Grundstücksfläche nicht ausgeschlossen werden. Unabhängig davon sei bei einer
bebauten Fläche von 182,64 m² und einer Grundflächenzahl von 0,3 der Erwerb
einer Grundstücksfläche von lediglich 609 m², nicht aber von 693 m²
erforderlich gewesen. Ferner sei in dem konkreten Fall der Kläger zu
berücksichtigen, dass weiterhin von der Gegenwerttheorie ausgegangen werden
müsse. Der BFH habe in seinen Entscheidungen vom 22.10.2009 (VI R 7/09) und vom
24.02.2011 (VI R 16/10) nicht grundsätzlich Abstand von der Gegenwerttheorie
genommen. Er habe lediglich klargestellt, dass dann nicht von einem über den
Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert auszugehen sei, wenn eine
Umbaumaßnahme durch die Behinderung bedingt und notwendig sei. Dies gelte
jedoch nicht für die Anschaffung von Wirtschaftsgütern, die keine speziell auf
die Behinderung zugeschnittenen Eigenschaften auswiesen. Das Grundstück der
Kläger sei unabhängig von der Behinderung der Klägerin von bleibendem und
andauerndem Nutzen und besitze einen in seiner Marktfähigkeit zum Ausdruck
kommenden Verkehrswert, der unter Berücksichtigung der derzeitigen
Wirtschaftslage zukünftig eher noch eine Wertsteigerung erfahren werde.
Gründe
Die Klage ist begründet.
1. Erwachsen einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden
Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche
Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang
ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG).
a) Mehraufwendungen für den
behindertengerechten Neubau eines Hauses können als außergewöhnliche
Belastungen i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG abziehbar sein, da es sich um größere
Aufwendungen handelt, als sie der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen
gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes
erwachsen und die Aufwendungen weder durch den Grund- oder Kinderfreibetrag
noch durch den Behinderten- und Pflegepauschbetrag abgegolten sind.
b) Den Klägern sind neben den vom
Beklagten anerkannten, von den Klägern als Eigenanteil getragenen
behinderungsbedingten baulichen Mehraufwendungen i.H.v. 205,45 € und den
vom Beklagten ebenfalls anerkannten Kosten für behinderungsbedingte Fahrtkosten
von pauschal 900 € auch die Kosten für das gr ößere Grundstück in Höhe
von 13.195,29 € als behinderungsbedingter Mehraufwand zwangsläufig
erwachsen. Die mit der schwerwiegenden Behinderung der Klägerin verbundene
behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfeldes umfasste auch die Anschaffung
des größeren Grundstücks. Da diese Mehraufwendungen für die Kläger
unausweichlich waren, sind sie ihnen zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz
1 EStG erwachsen (vgl. BFH, Urteil vom 24.02.2011 VI R 16/10, BFH/E 232, 518,
BFH/NV 2011, 906). Den Klägern sind damit Mehraufwendungen für die
behindertengerechte Gestaltung ihres neu errichteten Bungalows i.H.v. 14.300,74
€ entstanden.
aa. Die Entscheidung der Kläger,
einen eingeschossigen Bungalow entsprechend ihren Vorstellungen und den
Bedürfnissen der Klägerin zu errichten, steht der Zwangsläufigkeit
behinderungsbedingter Mehraufwendungen nicht entgegen, da die Notwendigkeit
einer behinderungsgerechten Ausgestaltung ihres Wohnumfeldes und damit die
Zwangsläufigkeit der darauf entfallenden Mehrkosten aus tatsächlichen Gründen
nicht auf ihrer freigewählten Wohnsituation, sondern auf der Krankheit und
Behinderung der Klägerin beruht. Dies wird vom Beklagten auch nicht in Frage
gestellt.
(1) Abzugsfähig sind zwar nur
Mehraufwendungen, die durch die Behinderung des Steuerpflichtigen veranlasst
und zur behindertengerechten Gestaltung seines individuellen Wohnumfeldes
erforderlich sind. Hierunter fallen entgegen der Auffassung des Beklagten
jedoch auch die von den Klägern geltend gemachten Mehrkosten für die
Anschaffung eines gegenüber einem zweigeschossigen Bungalow um 151,67 qm
größeren Grundstücks. Die Kläger konnten sich der Anschaffung des entsprechend
größeren Grundstücks nicht entziehen. Die Klägerin war krankheitsbedingt auf
pflegerische und betreuende Unterstützung durch andere Personen angewiesen.
Dadurch war eine flächenmäßig entsprechende Gestaltung der Sanitärbereiche
erforderlich. Ferner waren Wendeflächen für den Rollstuhl und breitere Türen
mit einer entsprechend größeren Wohnfläche zu berücksichtigen. Damit ergab sich
für die Kläger eine um 45,5 m² größere Grundfläche gegenüber einem Bungalow,
der ohne Berücksichtigung der Behinderung der Klägerin hätte gebaut werden
können. Das um 151,67 qm größere Grundstück ist von den Klägern nur deshalb
angeschafft worden, weil die den krankheitsbedingten Anforderungen der Klägerin
entgegenkommende eingeschossige Bauweise mit der entsprechend größeren
Grundfläche des Bungalows die Anschaffung des größeren Grundstücks aufgrund der
nach den Bauvorschriften vorgegebenen Grundflächenzahl zwingend erforderlich
machte. Darüber hinausgehende weitere Grundstückkosten haben die Kläger nicht
als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht. Die Grundflächenzahl von 0,3
hätte zwar im Verhältnis zur Grundfläche des Bungalows nur die Anschaffung
eines Grundstücks von 609 qm statt der tatsächlich angeschafften 693 qm
erfordert. Die Kläger haben jedoch in hinreichender Weise nachgewiesen, dass
ein entsprechend kleineres Grundstück nicht zur Verfügung stand und an dem
einmal erfolgten Zuschnitt der zum Verkauf anstehenden Grundstücke keine
Änderung mehr möglich war. Auf die Erstellung eines Bungalows in einem anderen
Baugebiet mit einer entsprechend kleineren Grundstücksfläche brauchen sich die
Kläger im Rahmen der steuerrechtlichen Abzugsmöglichkeit nach § 33 EStG nicht
verweisen zu lassen. Zudem machen die Kläger auch nur die Anschaffungskosten
für die Grundstücksfläche geltend, die sie aufgrund der eingeschossigen
Bauweise zusätzlich anschaffen mussten.
(2) Entgegen den Angaben der
Klägerin war die Erstellung eines eingeschossigen Bungalows zwar nicht aufgrund
ihrer Behinderung zwingend erforderlich. Denn nach dem Schreiben der Firma
Westermann Massivhaus vom 22. Juli 2011 sind Alternativen, wie etwa ein
Treppenlift oder ein Fahrstuhl u. a. lediglich auch aus Kostengründen verworfen
worden. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die eingeschossige
Bungalowbauweise alternativlos war, da es bei Mehraufwendungen, die durch die
Behinderung des Steuerpflichtigen veranlasst und zur behindertengerechten
Umgestaltung seines individuellen Wohnfeldes erforderlich sind, auf die Frage
nach zumutbaren Handlungsalternativen nicht ankommt (vgl. BFH, Urteil vom
24.02.2011, a.a.O., Rdz. 13). Es bestehen für das Gericht auch keine Zweifel,
dass die Gestaltung des individuellen Wohnfeldes der Kläger behindertenbedingt
und erforderlich war. Aus den in der mündlichen Verhandlung vom Beklagten
vorgelegten Grundrissen des Bungalows ergab sich, dass die Kläger nur in
minimalem Umfang Wohnflächen vergrößernde Baumaßnahmen umgesetzt haben, die
behinderungsbedingt erforderlich waren. Diese Maßnahmen beschränkten sich
darüber hinaus auf das Bad und die Flure. Außerdem hielten sich diese
notwendigen Wohnflächenvergrößerungen immer noch im Rahmen allgemein üblicher
Wohnflächen. Damit sind den Klägern die Mehrkosten für die Anschaffung des
größeren Grundstücks zwangsläufig entstandenen.
(3) Der Abzug dieser zwangsläufigen
Aufwendungen ist nicht durch einen Gegenwert gehindert, da es sich um
behinderungsbedingte notwendige Baumaßnahmen handelt, die keinen über den
individuellen Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert begründen.
Behinderungsbedingter Mehraufwand steht stets so stark unter dem Gebot der sich
aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines
etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund tritt.
Es handelt sich um eine aus tatsächlichen Gründen bestehende zwangsläufige
Mehrbelastung des Steuerpflichtigen. Der Senat schließt sich insofern den
Gründen der Entscheidung des BFH vom 24.02.2011 (a.a.O.) an.
bb. Hinsichtlich der weiteren
Mehrkosten i.H.v. 205,45 € ist unstreitig, dass es sich um Kosten
aufgrund des behinderungsbedingten Mehrbedarfs der Klägerin handelt, die auch
vom Beklagten entsprechend anerkannt sind. Gleiches gilt für die
behinderungsbedingten Fahrtkosten in Höhe von pauschal 900 €. Diese
werden von der Finanzverwaltung nach den Einkommensteuerrichtlinien H 33b
„Fahrtkosten” i.V.m. H 33.1 bei geh- und stehbehinderten Menschen
mit einem Aufwand für Fahrten bis zu 3.000 km im Jahr und einem Km-Satz von
0,30 €/km pauschal als angemessen anerkannt.
b) Damit sind im Rahmen des § 33
EStG insgesamt 14.300,74 € als außergewöhnliche Belastung zu
berücksichtigen. Die Einkommensteuer ist unter Berücksichtigung der zumutbaren
Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) entsprechend herabzusetzen.
2. Die Berechnung der
Einkommensteuer wird dem FA gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung -
FGO - FGO übertragen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus
§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
folgt aus § 151 Abs. 3, Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der
Zivilprozessordnung.