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  • 21.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123937

    Landgericht Osnabrück: Urteil vom 04.05.2012 – 2 S 418/11

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    LG Osnabrück
    2. Zivilkammer

    Urteil vom 04.05.2012

    2 S 418/11

    Tenor

    1. Unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Osnabrück vom 19.08.2011 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 963,52 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit dem 31.08.2008 zu zahlen.

    2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    4. Die Revision wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

    Das Amtsgericht hat die auf Zahlung gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, dass sich nicht feststellen lasse, dass die Darstellung aller Nebenschilddrüsen aufgrund einer eigenständigen medizinischen Indikation vorgenommen worden sei. Aus diesem Grunde könne die Darstellung aller Nebenschilddrüsen nicht gesondert abgerechnet werden.

    Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

    Die Kammer hat ergänzend Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. R.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2012.

    II.

    Die Berufung des Klägers ist begründet.

    Der Kläger hat gegen die Beklagte gem. § 611 BGB Anspruch auf Zahlung von € 963,52 für die erfolgte Präparation von drei Nebenschilddrüsen.

    Der Kläger war berechtigt, die Ziffer 2756 GOÄ insgesamt viermal abzurechnen.

    Der Kläger hat bei der Beklagten drei Nebenschilddrüsen präpariert (freigelegt) und die vierte Nebenschilddrüse freigelegt und entfernt. Der Kläger hat damit die in Ziffer 2756 GOÄ beschriebene Leistung (Ausschälung der Nebenschilddrüse) viermal erbracht und kann aus diesem Grund auch viermal diese Leistung abrechnen.

    Zwar verhält sich die Ziffer 2756 GOÄ nicht ausdrücklich über die Freilegung einer Nebenschilddrüse. Die Ziffer beschreibt die "Ausschälung" der Nebenschilddrüse. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Begriff "Ausschälung" gleichzusetzen mit Entfernung, was sich daraus ergebe, dass im Klammerzusatz der Ziffer der Begriff "Parathyreoektomie" angeführt sei, was eine Entfernung beschreibe ("ektomie"). Zutreffend ist eine Entfernung von drei freigelegten Nebenschilddrüsen nicht erfolgt. Gleichwohl ist die Kammer der Auffassung, dass auch in diesem Fall die Abrechnung der Ziffer 2756 GOÄ gerechtfertigt ist. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass - nach den Ausführungen des Sachverständigen - der eigentliche Aufwand bei der Entfernung der Nebenschilddrüse in deren Freilegung liegt. Die tatsächliche Entfernung, also der letzte Schnitt, sei demgegenüber mit keinem Aufwand verbunden. Es müsse lediglich ein kleiner Schnitt erfolgen, um die freigelegte Nebenschilddrüse zu entfernen. Wenn jedoch die Freilegung der Nebenschilddrüse im Aufwand praktisch identisch ist mit der Entfernung der Nebenschilddrüse, die reine Freilegung im Gebührenverzeichnis jedoch nicht erwähnt wird, ist es nach Auffassung der Kammer sachgerecht, diese Leistung entsprechend der im Gebührenverzeichnis angeführten Leistung "Ausschälung der Nebenschilddrüse" zu vergüten, § 6 Abs. 2 GOÄ.

    Die mehrfache Abrechnung der Ziffer 2756 GOÄ steht nicht im Widerspruch zu dem aus § 4 Abs. 2a GOÄ folgenden sog. Zielleistungsprinzip. Die vom Kläger erbrachten Leistungen sind gesondert abrechenbar.

    Nach der Vorschrift des § 4 Abs. 2a GOÄ kann der Arzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Das Zielleistungsprinzip greift folglich nur dann ein, wenn zwei unterschiedliche Leistungsziffern gemeinsam abgerechnet werden sollen.

    Vorliegend hat der Kläger aber nicht zwei unterschiedliche Leistungsziffern abgerechnet, sondern viermal die gleiche Leistungsziffer, da die Leistung - im Wesentlichen - viermal erbracht worden war, so dass bereits aus diesem Grund das sog. Zielleistungsprinzip vorliegend nicht greift.

    Selbst wenn man davon ausginge, dass auch die vorliegende Konstellation unter das Zielleistungsprinzip falle, lägen die Voraussetzungen von § 4 Abs. 2a GOÄ nicht vor.

    In den dem Abschnitt L (Chirurgie, Orthopädie) des Gebührenverzeichnisses vorangestellten Allgemeinen Bestimmungen wird ausgeführt, dass zur Erbringung der in Abschnitt L angeführten typischen operativen Leistungen in der Regel mehrere operative Schritte notwendig seien und dass diese Einzelschritte, soweit sie methodisch notwendige Bestandteile der in der jeweiligen Leistungsabrechnung genannten Zielleistung seien, nicht gesondert berechnet werden könnten.

    Nach der Rechtsprechung des BGH bestimmt sich die Frage, ob es sich bei den erbrachten Leistungen um selbständige Leistungen handelt oder ob mehrere von ihnen als Zielleistung und die anderen als deren methodisch notwendige Bestandteile anzusehen sind, nicht danach, was im konkreten Einzelfall (medizinisch) erforderlich gewesen sei. Vielmehr sei bei Anlegung eines abstrakt-generellen Maßstabes wegen des abrechnungstechnischen Zwecks dieser Bestimmungen vor allem der Inhalt und der systematische Zusammenhang der in Rede stehenden Gebührenposition zu beachten und deren Bewertung zu berücksichtigen. Wolle man im Einzelnen prüfen, ob verschiedene ärztliche Leistungen (methodisch notwendige) Bestandteile einer anderen Leistung seien, damit eine doppelte Honorierung vermieden werde, könne man dies nur beantworten, wenn man zuvor Klarheit über den jeweiligen Leistungsumfang gewonnen habe (vgl. BGH NJW-RR 2008, 1278). Diese Frage könne regelmäßig nur nach sachverständiger Beratung beantwortet werden.

    Die Kammer hat aus diesem Grunde erneut den bereits erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen angehört.

    Zwar hat der Sachverständige insoweit die Auffassung vertreten, dass bei dem bei der Klägerin vorliegenden Krankheitsbild die Abrechnung der Ziffer 2756 GOÄ nur einmal gerechtfertigt sei, da bei einer pHPT stets nur eine Nebenschilddrüse entfernt werden müsse und auch nur eine Nebenschilddrüse vom Kläger entfernt worden sei.

    Der Sachverständige hat allerdings ausgeführt, dass es für die Entfernung einer Nebenschilddrüse nicht typischerweise erforderlich wäre, alle anderen Nebenschilddrüsen freizulegen. Diese Notwendigkeit ergebe sich erst, wenn im Rahmen der präoperativen Diagnostik die vergrößerte Nebenschilddrüse nicht eindeutig zu lokalisieren wäre. Es wäre dann Aufgabe des Operateurs, durch Freilegen jeder einzelnen Nebenschilddrüse herauszufinden, welche der vier Nebenschilddrüsen vergrößert sei, um dann diese vergrößerte Drüse zu entfernen. Würde bereits die erste freigelegte Nebenschilddrüse als die vergrößerte identifiziert werden können, wäre damit die Operation beendet. In diesem Falle müssten die anderen Nebenschilddrüsen nicht freigelegt werden. Daraus folgt, dass eine Freilegung der anderen - nicht vergrößerten - Nebenschilddrüsen nur dann (methodisch und medizinisch) erforderlich ist, wenn im Rahmen der präoperativen Diagnostik die vergrößerte Nebenschilddrüse nicht identifiziert werden kann und nicht bereits die erste freigelegte Nebenschilddrüse sich als die vergrößerte darstellt.

    Daraus folgt jedoch auch, dass es zur Erbringung der Leistung "Entfernung der Nebenschilddrüse" nicht typischerweise methodisch erforderlich ist, zunächst die anderen - nicht vergrößerten - Nebenschilddrüsen freizulegen. Die Freilegung der nicht vergrößerten Nebenschilddrüsen ist vielmehr auf die Fälle beschränkt, in denen im Rahmen der präoperativen Diagnostik eine Lokalisation der vergrößerten Nebenschilddrüse nicht möglich war und nicht bereits die erste freigelegte Nebenschilddrüse sich als die vergrößerte darstellt.

    Die Freilegung der anderen - nicht vergrößerten - Nebenschilddrüsen ist damit keine typische operative Leistung, die zur Erreichung des Zieles "Entfernung der - vergrößerten - Nebenschilddrüse" erbracht werden müsste, sondern ihre Erbringung hängt vom jeweiligen Einzelfall ab.

    Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Sachverständige die Auffassung vertreten hat, der vorliegende Fall unterliege dem sog. Zielleistungsprinzip, so dass die Ziffer 2756 GOÄ nur einmal abgerechnet werden könne. Die Frage, ob das sog. Zielleistungsprinzip Anwendung findet, ist nicht vom Sachverständigen zu beantworten sondern vom Gericht. Der Sachverständige hat nur die medizinischen Sachverhalte aufzuklären und die Frage zu beantworten, ob eine Leistung methodisch notwendig ist, um ein bestimmtes medizinisches Ziel zu erreichen.

    Damit ist für die Frage der Abrechenbarkeit der erbrachten Leistung allein entscheidend, ob die Darstellung aller Nebenschilddrüsen medizinisch notwendig war. Das Amtsgericht hatte insoweit - aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen - die Auffassung vertreten dass keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass die Darstellung aller Nebenschilddrüsen aus ärztlicher Sicht erforderlich gewesen sei.

    Diese Ausführungen hat der Sachverständige im Rahmen seiner mündlichen Anhörung - nach Prüfung der Behandlungsunterlagen - indes revidiert. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass es sehr wohl medizinisch erforderlich gewesen wäre, alle Nebenschilddrüsen darzustellen, da im Rahmen der präoperativen Diagnostik die vergrößerte Nebenschilddrüse nicht habe identifiziert werden können. In diesen Fällen müsse man die vergrößerte Nebenschilddrüse während der Operation durch Präparation identifizieren.

    War demnach die Darstellung aller vier Nebenschilddrüsen medizinisch erforderlich, so kann diese Leistung auch entsprechend viermal abgerechnet werden.

    Ein Abzug hatte nicht zu erfolgen. Zwar hat der Sachverständige insoweit angeführt, dass bei mehrfacher Abrechnung der Ziffer 2756 GOÄ ein dreifacher Abzug der Eröffnungsleistung zu erfolgen habe gem. Ziffer. 2751 GOÄ analog. Dieser Ansatz ist für die Kammer nicht überzeugend. Die Ziffer 2751 GOÄ beschreibt eine Tracheotomie, also einen Luftröhrenschnitt, der bei der hier streitgegenständlichen Operation indes nicht durchgeführt wird. Vielmehr beschränkt sich im vorliegenden Fall - wie der Kläger vom Sachverständigen unwidersprochen erläutert hat - die Eröffnungsleistung darauf, einen kleinen Schnitt im Halsbereich durchzuführen, der keine zwei Minuten dauere. Wenn jedoch eine Tracheotomie für die Entfernung einer Nebenschilddrüse nicht erforderlich ist, dann kann diese Ziffer nicht in der Ziffer 2756 GOÄ enthalten sein und muss daher auch nicht in Abzug gebracht werden. Es ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen auch nicht, dass durch die nur einmalige Durchführung eines Zugangs zu den Nebenschilddrüsen signifikant ein Weniger an Leistung erbracht worden wäre.

    In der den Kapiteln H, K und L der GOÄ vorangestellten Allgemeinen Bestimmung wird die Erforderlichkeit des Abzugs der Eröffnungsleistung auch nur für Eingriffe in der Brust- oder Bauchhöhle postuliert. Für Eingriffe im Halsbereich findet sich in der GOÄ kein Hinweis darauf, dass bei der Durchführung mehrerer Eingriffe im Halsbereich auch der Vergütungssatz für die Eröffnungsleistung abgezogen werden müsste. Eine Ausnahme erfolgt lediglich im Falle der Teilresektion der Schilddrüse, Ziffer 2755 GOÄ. Dort findet sich in der Beschreibung der Ziffer, dass nach einem Beschluss des Gebührenausschusses bei einer doppelseitigen Strumaresektion die Ziffer 2755 GOÄ zweimal berechenbar sei, die Eröffnungsleistung, Ziffer 2803, jedoch einmal abzuziehen sei. Aus dem Umstand, dass bei Ziffer 2755 GOÄ ausdrücklich die Erforderlichkeit des Abzugs der Eröffnungsleistung angeführt ist, sich ein solcher Zusatz in Ziffer 2756 jedoch nicht findet, obwohl sich beide Operationen in einem ähnlichen Operationsgebiet abspielen, folgt für die Kammer, dass ein solcher Abzug im Falle der Entfernung der Nebenschilddrüsen auch nicht zu erfolgen hat.

    Der Kläger war schließlich auch berechtigt, den 3,5-fachen Satz abzurechnen. Der Sachverständige hat insoweit dargelegt, dass aufgrund der bei der Beklagten vorliegenden Basedow'schen Krankheit ein erhöhter Aufwand angefallen sei, der die Erhöhung des Gebührensatzes rechtfertige. Die Berechtigung der Berechnung des 3,5-fachen Satzes ist von der Beklagten letztlich auch nie in Abrede gestellt worden.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Die Revision war zuzulassen, da die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 ZPO.