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  • 29.08.2013 · IWW-Abrufnummer 133004

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 02.07.2013 – 11 K 4300/12 Kg,AO

    1) Für verheiratete Kinder in Erstausbildung besteht ab dem Jahr 2012 unabhängig von der Höhe ihrer Einkünfte und Bezüge Anspruch
    auf Kindergeld.
    2) Ein der Ausbildung vorangegangener Schulbesuch ist keine „erstmalige Ausbildung” i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.


    Im Namen des Volkes
    URTEIL
    In dem Rechtsstreit
    hat der 11. Senat in der Besetzung: ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung
    vom 2. Juli 2013 für Recht erkannt:
    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten in diesem Verfahren noch über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die
    Klägerin ab Januar 2012 und die Rückforderung des für die Monate Januar und Februar 2012 gezahlten Kindergeldes.
    Die am 7. November 1990 geborene Klägerin ist seit dem 9. September 2011 verheiratet. Bis zum 12. April 2010 befand sie sich
    in einer Schulausbildung. Zuletzt besuchte sie das … Gymnasium. Seit dem 1. September 2010 absolviert die Klägerin eine Ausbildung
    zur Gesundheits- und Krankenpflegerin.
    Mit Schreiben vom 17. Februar 2011 teilte die Beklagte der Mutter der Klägerin mit, dass die Einkünfte und Bezüge der Klägerin
    nahezu den Grenzbetrag erreichten. Mit einer momentan nicht absehbaren Erhöhung der Ausbildungsvergütung könnte dieser Grenzbetrag
    überschritten werden. Es werde darauf hingewiesen, dass bei einem späteren Überschreiten des Grenzbetrages der Anspruch für
    das gesamte Kalenderjahr nicht gegeben sei und deshalb zu Unrecht gezahltes Kindergeld zurückgezahlt werden müsse. Wegen der
    weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 17. Februar 2011 Bezug genommen. Mit Schreiben vom 24. März 2011 teilte die
    Klägerin der Beklagten mit, dass sie die Auszahlung des Kindergeldes für das Jahr 2011 ab Januar 2011 erbitte. Hierauf zweigte
    die Beklagte mit Bescheid vom 30. März 2011 zugunsten der Klägerin ab Januar 2011 Kindergeld aus dem Anspruch der Mutter –
    der Frau J. T. – ab.
    Nachdem die Klägerin am 10. Februar 2012 den Fragebogen zur Überprüfung des Anspruchs auf Kindergeld vorgelegt und im weiteren
    Unterlagen nachgereicht hatte, wies die Beklagte sie mit Schreiben vom 20. März 2012 darauf hin, dass sie im Zeitraum Januar
    2011 bis Februar 2012 möglicherweise Kindergeld erhalten habe, obwohl kein Anspruch bestanden habe. Im Kalenderjahr 2011 hätten
    die Einkünfte und Bezüge den maßgeblichen Grenzbetrag überschritten. Für das Jahr 2012 ergebe sich voraussichtlich ebenfalls
    eine Überschreitung des Grenzbetrages.
    Hierauf teilte die Klägerin mit Schreiben vom 27. März 2012 mit, dass sie von der Beklagten mit Schreiben vom 17. November
    2010 die Information erhalten habe, dass der Grenzbetrag nicht überschritten werde, sondern ihre Einkünfte und Bezüge lediglich
    7.892,14 EUR betrügen. Dieser Auskunft hätten sämtliche Unterlagen zugrundegelegen. Sollte der Beklagten eine Fehlberechnung
    unterlaufen sein, so könne dies nicht zu ihren – der Klägerin – Lasten gehen.
    Mit an die Mutter der Klägerin adressiertem Bescheid vom 7. Mai 2012 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes wegen
    Überschreitung des Grenzbetrages der Einkünfte und Bezüge ab Januar 2011 auf. Mit Bescheid vom gleichen Tage forderte die
    Beklagte von der Klägerin das für den Zeitraum Januar 2011 bis Februar 2012 gezahlte Kindergeld zurück.
    Mit E-Mail vom 11. Mai 2012 teilte die Mutter der Klägerin der Beklagten mit, dass sie sich dagegen wende, dass die Beklagte
    von ihrer Tochter 2.500 EUR Kindergeld zurück fordere, und zwar ohne dies zu begründen. Der Beklagten hätten sämtliche Unterlagen
    vorgelegen. Auf Grund dieser habe die Beklagte zunächst festgestellt, dass ihrer Tochter Kindergeld zustehe, nunmehr solle
    dies anders sein. Dem könne nur ein Fehler der Beklagten zugrunde liegen.
    Hierauf teilte die Beklagte der Mutter der Klägerin am 21. Mai 2012 mit, dass sowohl sie selbst als auch die Klägerin mit
    Schreiben vom 17. Oktober 2010 darauf hingewiesen worden seien, dass die Einkünfte und Bezüge für das Jahr 2011 nur geringfügig
    unter dem Grenzbetrag lägen und bei einer nicht absehbaren Erhöhung der Ausbildungsvergütung der Grenzbetrag überschritten
    werden könne. Auch sei sie darauf hingewiesen worden, dass das Kindergeld noch nachträglich beantragt werden könne, um eine
    Überzahlung auszuschließen. Gleichwohl habe die Klägerin mit Schreiben vom 24. März 2011 um Auszahlung des Kindergeldes gebeten.
    In dem Bescheid vom 7. Mai 2012 seien zudem die Gründe für die Rückforderung ausführlich erörtert worden. Die Beklagte bat
    desweiteren um Mitteilung, ob die E-Mail als Einspruch gewertet werden solle. Sie wies darauf hin, „andernfalls” die Sache
    als erledigt anzusehen.
    Bereits mit Anwaltsschreiben vom 16. Mai 2012 (Eingang 18. Mai 2012) hatte die Klägerin gegen den Bescheid vom 7. Mai 2012
    Einspruch eingelegt. Zu Unrecht – so heißt es – werde der Klägerin das Kindergeld für die Zeit von Januar 2011 bis Februar
    2012 „verwehrt und zurückverlangt”. Die Klägerin berufe sich auf den Einwand der Entreicherung. Sie habe der Beklagten lange
    vor der Bewilligung des Kindergeldes ihre Einkommensverhältnisse mitgeteilt und darauf vertraut, dass die Berechnung der Beklagten
    zutreffend sei. Sie habe das Kindergeld für den Lebensunterhalt verbraucht.
    Die Beklagte verstand das Schreiben vom 16. Mai 2012 als Einspruch, der sich sowohl gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung
    als auch gegen die Rückforderung richtete. Mit Einspruchsentscheidung vom 28. September 2012 wies die Beklagte den Einspruch
    der Klägerin zurück.
    Hiergegen richtet sich sowohl die am 23. Oktober 2012 beim Amtsgericht C. als auch die am 25. Oktober 2012 beim Finanzgericht
    Münster (11 K 3660/12 Kg, AO) eingereichte Klage. Das Amtsgericht C. hat das Verfahren zuständigkeitshalber mit Beschluss
    vom 15. November 2012 an das Finanzgericht Münster verwiesen (11 K 4300/12 Kg, AO). Das unter dem Aktenzeichen 11 K 3660/12
    Kg, AO geführte Verfahren ist durch Gerichtsbescheid erledigt. Das Verfahren betreffend den Zeitraum Januar 2011 bis Dezember
    2011 ist abgetrennt und – nach Klagerücknahme – eingestellt worden (11 K 1209/13 Kg).
    Zur Begründung ihrer Klage nimmt die Klägerin auf den Inhalt der Kindergeldakte Bezug und erklärt, ihre Einkünfte lägen im
    anrechnungsfreien Bereich. Das Kindergeld sei daher nicht zurück zu fordern.
    Die Klägerin beantragt sinngemäß,
    den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 7. Mai 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. September 2012 insoweit
    aufzuheben, als darin die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2012 aufgehoben und das für die Monate Januar und Februar
    2012 gezahlte Kindergeld zurückgefordert wird.
    Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Sie ist unter Hinweis auf ihre Verwaltungsanweisungen der Auffassung, dass bei verheirateten Kindern auch nach der für das
    Jahr 2012 maßgeblichen Fassung des § 32 Abs. 4 EStG eine Ermittlung der Einkünfte und Bezüge durchzuführen sei.
    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kindergeldakte und die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Akten der Verfahren
    11 K 3660/12 Kg, AO, 11 V 3662/12 Kg, AO, 11 V 4301/12 Kg, AO, 11 K 1209/13 Kg, AO Bezug genommen.
    Entscheidungsgründe
    Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche
    Verhandlung.
    Die Klage ist begründet. Der streitige Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 7. Mai 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
    vom 28. September 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten, als darin die Festsetzung des
    Kindergeldes ab Januar 2012 aufgehoben und das Kindergeld für die Monate Januar und Februar 2012 zurückgefordert wird.
    Die Klägerin erfüllt im Streitzeitraum die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für volljährige Kinder bis zur Vollendung des
    25. Lebensjahres gemäß §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) des Einkommensteuergesetzes
    (EStG). Sie befand sich im Streitzeitraum in einer Berufsausbildung. Das ist auch zwischen den Beteiligten nicht streitig.
    Entgegen der Auffassung der Beklagten steht § 32 Abs. 4 EStG der Gewährung des Kindergeldes für den Streitzeitraum nicht entgegen.
    Die Einschränkung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der ab 2012 gültigen Fassung, wonach ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen
    Berufsausbildung und eines Erststudiums nur dann berücksichtigt wird, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, greift im
    Streitfall nicht ein. Die Klägerin befindet sich in einer Erstausbildung.
    Ein der Ausbildung vorangegangener Schulbesuch erfüllt zwar den Berücksichtigungstatbestand der Berufsausbildung nach § 32
    Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) EStG, stellt aber keine „erstmalige Berufsausbildung” im Sinne der enger auszulegenden Vorschrift
    des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG dar. Letztere liegt nur vor, wenn dem Kind alle notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse
    vermittelt wurden, die es für die Ausübung des von ihm angestrebten Berufes benötigt. Der Senat schließt sich der Entscheidung
    des 4. Senates des Finanzgerichts Münster vom 30. November 2012 (4 K 1569/12 Kg, EFG 2013, 298 unter Verweis auf Loschelder
    in Schmidt, EStG, 31. Auflage 2012, § 32 Rn. 49 und BMF-Schreiben vom 7. Dezember 2011, BStBl. I 2011, 1243, Tz. 21) an.
    Weitere Voraussetzungen, von denen die Gewährung des Kindergeldes abhängt, enthält das Gesetz nicht, denn die in § 32 Abs.
    4 Satz 2 EStG in der bis zum 31. Dezember 2011 gültigen Fassung (EStG a. F.) enthaltene Regelung ist zum 1. Januar 2012 entfallen
    (Art. 1 Nr. 17 Buchstabe a), Art. 18 Abs. 1 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1. November 2011, BGBl. I 2011, S. 2131
    ff.). Daher ist die Höhe der Ausbildungsvergütung der Klägerin für den Kindergeldanspruch ab 2012 und damit auch im Streitzeitraum
    nicht maßgeblich.
    Gleiches gilt für den Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren Ehemann (§§ 1608 Satz 1, 1360, 1360a des Bürgerlichen Gesetzbuches),
    der bis 2011 zu den maßgeblichen Einkünften und Bezügen gehörte (vgl. FG Münster in EFG 2013, 298 unter Hinweis auf BFH-Beschluss
    vom 22. Dezember 2011 III R 8/08, BStBl II 2012, 340).
    Der Senat folgt der Entscheidung des 4. Senates des Finanzgerichts Münster vom 30. November 2012 (in EFG 2013, 298) auch insoweit,
    als danach die Einkünfte des Ehemannes eines in einer Erstausbildung befindlichen Kindes ab 2012 für die Kindergeldfestsetzung
    ohne Bedeutung sind. Denn für verheiratete Kinder sieht das Gesetz keinerlei Einschränkungen vor. Der Kindergeldanspruch setzt
    – wie auch die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes jedenfalls für die Fälle der Vollzeitbeschäftigung ausdrücklich
    klargestellt hat (vgl. BFH-Urteile vom 17. Juni 2010 III R 34/09, BStBl II 2010, 982; vom 27. Januar 2011 III R 57/10, BFH/NV
    2011, 1316; und vom 22. Dezember 2011 III R 64/10, BFH/NV 2012, 927; III R 65/10, BFH/NV 2012, 929; III R 67/10, BFH/NV 2012,
    930; III R 93/10, BFH/NV 2012, 932 und III R 66/10, BFH/NV 2012, 1301) – keine „typische Unterhaltssituation” voraus. Daran
    hat sich mit der gesetzlichen Neuregelung und dem ab 1. Januar 2012 geltenden Wegfall der Prüfung der eigenen Einkünfte und
    Bezüge des Kindes nichts geändert. Hätte der Gesetzgeber den Kindergeldanspruch für verheiratete Kinder ausschließen wollen,
    hätte er einen entsprechenden Ausschlusstatbestand eingeführt (ausführlich hierzu FG Münster in EFG 2013, 298).
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151
    Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
    Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Kindergeldberechtigung für verheiratete Kinder nach Wegfall
    des Grenzbetrags der Einkünfte und Bezüge zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO). Die Entscheidung widerspricht einer bundesweit geltenden
    Verwaltungsanweisung (DA 31.2.2 FamEStG).

    VorschriftenEStG § 32 Abs 4