· Fachbeitrag · Zwangsmedikation
Genehmigung ohne Einholung eines ärztlichen Gutachtens ist schwere Grundrechtsverletzung
von RA Holger Glaser, Nordkirchen
| Eine Zwangsmedikation ist ein schwerwiegender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen. Daher bedarf sie stets der gerichtlichen Genehmigung. Wird die Genehmigung aufgrund eines gravierenden Verfahrensfehlers rechtswidrig erteilt, verletzt das Gericht die Grundrechte des Betroffenen. Dies hat der BGH mit klaren Worten festgestellt. |
1. Der Fall des BGH
Die Betroffene B steht unter Betreuung. Im Rahmen des Betreuungsverfahrens hat das AG die B begutachtet und ein ärztliches Zeugnis der behandelnden Ärztin „zum Antrag einer Zwangsmedikation“ eingeholt. Nach Anhörung der B hat das AG die Einwilligung der Betreuerin auf Zwangsmedikation für einen Zeitraum von sechs Wochen genehmigt. Die Beschwerde der Betroffenen hat das LG zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde der B auf Feststellung, dass die Beschlüsse von AG und LG sie in ihren Rechten verletzt haben, hat vor dem BGH Erfolg (BGH 8.7.15, XII ZB 600/14, Abruf-Nr. 178823)
2. Die Entscheidung des BGH
Der BGH stellt klar, dass die Instanzgerichte nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Notwendigkeit der Maßnahme hätten entscheiden dürfen. Die dennoch erteile Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in die ärztliche Zwangsbehandlung hat die B in ihren Rechten verletzt.
Checkliste / Das ist bei einem Gutachten zu beachten |
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Danach hat das AG auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage entschieden. Denn: Das im Betreuungsverfahren eingeholte Gutachten, auf das es sich bezieht, trifft keine Aussage zur Notwendigkeit einer Zwangsmedikation. Das ärztliche Attest der Stationsärztin, das vom AG ebenfalls zur Begründung herangezogen worden ist, setzt sich zwar inhaltlich mit der Erforderlichkeit einer medikamentösen Behandlung der B auch gegen deren Willen auseinander. Dies genügt jedoch den Anforderungen, die § 321 Abs. 1 FamFG an das zwingend einzuholende Sachverständigengutachten stellt, nicht.
- Die Stationsärztin wurde nicht zur Sachverständigen bestellt, sondern nur um ein entsprechendes ärztliches Attest gebeten.
- Sie ist daher auch nicht als gerichtlich bestellte Sachverständige gegenüber der Betroffenen aufgetreten und es fand vor der Erstellung des ärztlichen Attests auch keine weitere Untersuchung der Betroffenen statt. Die Stationsärztin hat das ärztliche Attest allein aufgrund ihrer eigenen Kenntnisse aus der stationären Behandlung der Betroffenen erstellt. Dieser Mangel wurde auch im Beschwerdeverfahren nicht geheilt.
Hinzu kommt, dass AG und LG auch § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG nicht beachtet haben. Danach soll in Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme der zwangsbehandelnde Arzt nicht zum Sachverständigen bestellt werden. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen - etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit - kann das Gericht hiervon abweichen und im Einzelfall auch den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellen. In diesem Fall hat das Gericht jedoch in dem Genehmigungsbeschluss nachvollziehbar zu begründen, weshalb es von § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG abgewichen ist (30.10.13, XII ZB 482/13). Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Abweichung rechtfertigen könnten.
B ist durch diese Verfahrensmängel in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verletzt worden. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der B daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf - erledigten Maßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff i.S. des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
Weiterführender Hinweis
- § 62 Abs. 1 FamFG gilt in der Beschwerdeinstanz analog (29.1.14, XII ZB 330/13, Abruf-Nr. 140755).