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· Fachbeitrag · Altenpflege - Vertrauen und Vorsicht (Teil 1)

Beschäftigung von Pflegepersonal im Haushalt: Diese Fallkonstellationen sind denkbar

von Ltd. Ministerialrat a. D. Dr. iur. Frank Hennecke

| Altenpflege ist ein breites gesellschaftliches Bedürfnis und damit auch Gegenstand politischer Diskussion. Sie hat vielfältige Geschäftsmodelle entstehen lassen, deren Seriosität gelegentlich aber auch infrage gestellt wird. Auch legitime Formen gewerblicher Altenpflege geraten schnell in die Gefahr der Illegalität. So geben bekanntgewordene Fälle, aber auch Bedürfnisse der Praxis Anlass, darüber nachzudenken, wie die Sach- und Problemlage im Fall der Beschäftigung von Personen in der Altenpflege aussieht und wie in einem juristischen Konfliktfall geholfen werden kann. |

1. Die Ausgangslage

Alte Menschen bedürfen der Hilfe - ein Grundsachverhalt menschlicher Existenz seit Menschengedenken. Dies erfordert personelle und sachliche Mittel. Sie zur Verfügung zu stellen, ist ein moralischer Anspruch an die Gesellschaft. In Gesellschaften mit gefestigten Familienstrukturen wird sie von der Familie getragen. Die Voraussetzungen und der normative Anspruch der Altenhilfe unterliegen indes dem gesellschaftlichen und normativen Wandel. Dieser ist vielfältig.

 

1.1 Veränderte Familienstrukturen

So lösen veränderte Familienstrukturen, wie das Ende der Mehrgenerationenhaushalte, die Kinderlosigkeit, die Einpersonenhaushalte, Patch-Work-Familien, die frühere familiäre Solidarität auf oder stellen keine auch nur faktischen Hilfekapazitäten mehr bereit. An die Stelle der individuellen Verantwortung tritt die Vergesellschaftung der Altenhilfe. Signifikantester Ausdruck dessen ist die Pflegeversicherung als die Fünfte Säule der Allgemeinen Sozialversicherung.

 

Ebenfalls signifikant ist der weiträumige Ausbau von stationären Pflegeeinrichtungen. Damit verbunden ist aber eine umfangreiche gesetzliche Regulierung der Altenhilfe und ein wachsender Regulierungsdruck. Gleichwohl bleibt eine individuelle Verantwortlichkeit aufgrund der familiären Unterhaltspflichten übrig, die sich freilich meist nur in Geld ausdrückt.

 

1.2 Demografischer Wandel

Die demografische Zunahme von Menschen höheren Alters in der Gesamtbevölkerung erhöht die Nachfrage und verringert relativ die Zahl der Personen, die die Nachfrage erfüllen können. Zudem wirkt sich das Paradox der modernen Medizin, dass die Menschen zwar länger leben, aber gerade deswegen einen höheren Bedarf an medizinischer und pflegerischer Hilfe haben, natürlicherweise auf die Nachfrage nach Pflegeleistungen aus. Wegen der prinzipiellen Begrenztheit der Mittel erhöht der demographische Wandel insgesamt den Regulierungsdruck auf die Gesetzliche Pflegeversicherung.

 

3. Professionalisierung und Standardisierung

Die Vergesellschaftung der Altenhilfe mit Pflegeversicherung und Pflegeeinrichtungen steht im Kontext einer Professionalisierung der Altenhilfe und einer medizinischen, hygienischen und technischen Standardisierung der Pflegeleistungen. Medizinischer, therapeutischer und baulicher Fortschritt schlägt auf die Pflegeleistungen durch. Auch hier setzt Regulierung an.

 

4. Der Kostendruck

Wird Altenhilfe von Fremdpersonen anstelle unentgeltlicher, jedenfalls außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses stehender familiärer Hilfe erbracht, gilt für diese Personen das allgemeine Arbeitsrecht mit allen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Folgen. Damit schlagen auch die Personalkosten auf die Pflegeleistungen durch. Externalisierung, Professionalisierung und Standardisierung der Pflegeleistungen werden zu einem individuellen und gesamtwirtschaftlichen Kostenfaktor.

 

Die Folge ist wegen der prinzipiell knappen Ressourcen ein doppelter Druck: Einerseits der Solidaritätsdruck der Gesetzlichen Sozialversicherung, möglichst alle Pflege- und Arbeitsverhältnisse einzubeziehen, andererseits das Kostenminderungsinteresse derer, bei denen, nach Abzug der Leistungen der Pflegversicherung, am Ende noch eine persönliche Kostenlast verbleibt. So entsteht ein Interessenwiderstreit: Das Interesse der Sozialversicherung steht gegenläufig zu den Interessen der individuellen Kostenträger. Von diesem Interessengegensatz sind die gegenwärtige Praxis und die politische Auseinandersetzung um die Altenhilfe bestimmt.

 

Institutionelle Träger von Pflegeleistungen sind die stationären Einrichtungen der Altenpflege, somit die kommunalen, kirchlichen und privaten Altenheime, die sich ihrerseits aber über die Beiträge der Pflegebedürftigen, die Leistungen der Gesetzlichen Pflegversicherung und sonstige öffentliche oder private Zuschüsse refinanzieren. Aber auch in ihrem Interesse liegt eine Kosteneffizienz, zumal unter den privaten Pflegeeinrichtungen Konkurrenzdruck besteht. Ob und in welchem Umfang die Altenheime den Kostendruck durch ihre Personalwirtschaft aufzufangen versuchen, mag hier dahinstehen. Es sei davon ausgegangen, dass alle Bediensteten in einem regulären Arbeitsverhältnis stehen und damit sozial und wirtschaftlich gesichert sind. Für die stationären Einrichtungen sollen auch die vorliegenden Überlegungen des Weiteren nicht mehr gelten.

 

Individuelle Kostenträger sind Privatpersonen, die außerhalb stationärer Einrichtungen nach Pflegeleistungen nachfragen. Sie sind Adressaten eines vielfältigen Markts. Auch ihr Interesse gilt der Kostensenkung, indem sie sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse möglichst vermeiden wollen. Sie stehen andererseits aber auch unter besonderer Beobachtung der Sozialversicherung, die jedenfalls sozial abhängige Beschäftigungsverhältnisse der Versicherungspflicht unterwerfen will und Versäumnisse ahndet. Die private Nachfrage nach Leistungen der Altenhilfe ist daher mit Gefahren für alle Beteiligten verbunden. Die anwaltliche und gerichtliche Praxis ist mit den Konflikten beschäftigt. Die nachfolgenden Überlegungen gelten diesbezüglich den verschiedenen Fallkonstellationen.

 

5. Pflegepersonal aus Ostmittel- und Osteuropa

Die bekanntgewordenen und gerichtlich ausgetragenen Fallkonstellationen sind dadurch gekennzeichnet, dass ausländisches Personal zu Pflegeleistungen eingesetzt worden ist. Der Einsatz ausländischen Personals hat seinen Grund genau darin, dass der Kostendruck, dem auch Privatpersonen entgehen wollen, jedenfalls im freien europäischen Dienstleistungsverkehr ein willkommenes Ventil findet: Ist ausländisches Personal zu günstigeren Tarifen zu bekommen, holt man denn auch das Pflegepersonal aus dem Ausland. Entsprechend professionalisierte Unternehmen stehen zur Vermittlung bereit. Da hat sich ein neues Geschäftsfeld aufgetan. Und in der Tat: Der freie Dienstleistungsverkehr ist ein Grundprinzip der EU.

 

Es liegt nahe, die Beschäftigung ausländischer Pflegepersonen moralisch und sozialpolitisch zu diskreditieren. Das mag berechtigt sein, wenn es zur Ausbeutung und Rechtlosigkeit der Hilfspersonen kommt. Dem steht jedoch entgegen, dass dies nicht immer der Fall sein muss und dass es inzwischen auch eine Regulierung des Arbeitseinsatzes ausländischer Personen gibt. Wenn es einen freien Arbeitsmarkt in der EU geben soll, steht auch einer Beschäftigung ausländischer Personen, auch zu den von diesen angebotenen Arbeitsbedingungen, in Deutschland grundsätzlich nichts entgegen.

 

Es kommt aber ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Es fällt auf, dass die meist weiblichen Pflegepersonen, die aus dem Ausland kommen und in Deutschland Altenhilfe leisten, aus Ostmittel- und Osteuropa stammen. Pflegepersonen aus diesen Ländern bieten sich einerseits in großer Zahl an, werden andererseits aber auch sehr gern nachgefragt. Der Grund kann nicht allein darin liegen, dass diese Personen mit vielleicht bescheidenen Vergütungen zufrieden sind. Ein Grund mag darin bestehen, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt nur geringe Bereitschaft vorhanden ist, Pflegeleistungen mit den durchaus belastenden Arbeitsumständen zu erbringen; insoweit ist die Öffnung des Arbeitsmarkts für Personen, die dazu bereit sind, prinzipiell zu begrüßen.

 

Der eigentliche Grund aber liegt darin, dass diese Personen eine besondere persönliche Affinität zu caritativen, pflegerischen Leistungen haben, dass ihnen eine spezifische Empathie innewohnt, kraft derer sie besondere, wenn nicht hingebungs- und liebevolle Pflegeleistungen erbringen. Es ist die Qualität, die die Nachfrage auslöst! Diese Qualität mag in den gesellschaftlichen Strukturen der betreffenden Länder begründet sein, in denen religiöse Bindungen stärker ausgeprägt sein mögen als in den westlichen Gesellschaften, in denen sich aber auch solidarische und familiale Grundhaltungen stärker erhalten haben. So darf es nicht wundern, wenn Personen aus Ostmittel- und Osteuropa ein gesellschaftliches Vakuum in Deutschland füllen. Dafür sollte man dankbar sein. Und wenn die Dankbarkeit auch darin bestehen mag, dass diesen Personen ein möglichst weitgehender Schutz des deutschen Sozial- und Arbeitsrechts zukommen soll.

 

Weiterführender Hinweis

  • Im Folgebeitrag in SR 3/2017 werden die verschiedenen Fallkonstellationen der Beschäftigung von Pflegepersonen in Privathaushalten betrachtet.
Quelle: Ausgabe 02 / 2017 | Seite 29 | ID 44446172