· Fachbeitrag · Schwerbehinderung
GdB bei psychischen Erkrankungen: Spielt der Mandant Beschwerden herunter?
| Bei psychischen Erkrankungen sei vor allem die sozial-kommunikative Ebene entscheidend, betont das LSG Baden-Württemberg (18.2.21, L 6 SB 486/20, Abruf-Nr. 222996 ). Nur weil sich der Betroffene nicht therapeutisch behandeln lässt, darf das Gericht nicht automatisch einen geringen Leidensdruck annehmen. Wertet der Mandant seine Krankheit ab, muss sein Anwalt dessen Schwere darstellen, um einen höheren GdB zu bekommen. |
MERKE | Verlangt ein Anwalt einen höheren GdB für seinen Mandanten, weil die Krankheit besonders ausgeprägt ist, bezieht das Gericht auch den Leidensdruck des Betroffenen ein. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich dabei auch und maßgeblich in der Behandlung, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern, so das LSG. |
Aber auch, wenn (noch) keine psychotherapeutische Behandlung stattfindet, kann der Krankheitswert hoch sein. Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin gemäß einem Entlassungsbericht einerseits zwar berichtet, grundsätzlich nicht eingeschränkt zu sein, am sozialen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, in vielen Bereichen des Alltags selbstständig zu sein und sich auch möglichst weitestgehend eigenständig zu versorgen.
Andererseits räumte die Klägerin zugleich ein, dass eine eingeschränkte Belastbarkeit bestehe. Das relativiere ihre Selbsteinschätzung deutlich. Sie gab auch an, Hilfe im Haushalt durch eine Putzfrau zu benötigen. Ihre Schmerzen würden zu Müdigkeit und vielen Ruhepausen führen.
Nach Auffassung des LSG würde die Klägerin ihre tatsächlichen Einschränkungen eher dissimulieren (= Krankheitssymptome verbergen, herunterspielen oder verheimlichen). Dies zeige schon ihre Erwerbsbiografie: Sie habe ihre Berufstätigkeit bis zur Regelaltersrente nach der ersten massiven Darmkrebserkrankung aufrechterhalten. Ein hoher Krankheitswert zeige sich auch daran, dass die Rentenversicherung ihr bereits eine dritte mehrwöchige Reha-Maßnahme (2018/2019) bewilligt habe, diese also die Ausschöpfung aller ambulanten Behandlungsmöglichkeiten gesehen hat. Zu einer von der Klägerin angegebenen „nicht eingeschränkten Teilnahme am sozialen und gesellschaftlichen Leben“ passe dies überhaupt nicht.
PRAXISTIPP | Es ist Aufgabe des Anwalts, Tendenzen und Haltungen zu beobachten, ob ein Mandant seine Beschwerden leichter darstellt oder herunterspielt. Diese Verhaltensweise findet sich nicht selten, kann auch aus Scham oder durch psychische Krankheitsverläufe entstehen oder verstärkt werden. Der Bevollmächtigte muss dann das Gericht auf die einschlägigen Diagnosen verweisen und mögliche Widersprüche entkräften. Sieht ein Mandant sich als „nicht so stark eingeschränkt“, während sein vielleicht schon langjähriges multimorbides Krankheitsbild einen völlig anderen Eindruck hinterlässt, muss der Anwalt hier als Korrektiv wirken. |