· Fachbeitrag · Betreuungsrecht
Negativer Betreuervorschlag muss nicht zwingend berücksichtigt werden
von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA FamR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen
| In einem betreuungsrechtlichen Verfahren musste sich der BGH mit dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör befassen, diesmal insbesondere auch im Hinblick auf die Frage, inwieweit Wünsche des Betroffenen bei der Betreuerauswahl berücksichtigt werden müssen. |
Sachverhalt
Die Betroffene und ihre Schwester wenden sich gegen die betreuungsgerichtliche Betreuerauswahl.
Gemeinsame Betreuungsführung
Für die Betroffene ist bereits langjährig eine Betreuung eingerichtet. Die rund 40 Jahre alte Betroffene leidet schon von Geburt an unter einer geistigen Behinderung. Nachdem zunächst die Mutter die Betreuung übernommen hatte, wurde dies später von einer der Schwestern der Betroffenen übernommen. Das führte zwischenzeitlich zu Unstimmigkeiten zwischen der Betroffenen und der sie betreuenden Schwester. Daraufhin wurde eine Berufsbetreuerin nebst Ersatzbetreuern bestellt. Im Ergebnis wurde die Betreuung sodann dahingehend geändert, dass die Schwester nur noch zusammen mit der Berufsbetreuerin die ihr übertragenen Aufgabenkreise wahrnehmen darf. Die Betroffene hatte indes unabhängig von den vorhandenen Unstimmigkeiten im Rahmen der gerichtlichen Anordnungen fortlaufend angegeben, nur von ihrer Schwester betreut werden zu wollen.
Beschwerde der Ersatzbetreuer
Gegen diese letzte betreuungsgerichtliche Entscheidung haben zunächst die zu Ersatzbetreuer bestellten weiteren Schwestern der Betroffenen Beschwerde eingelegt, da sie ihrerseits entpflichtet werden wollten. Dem wurde auch gefolgt und die Ersatzbetreuer wurden als solche entlassen. Darüber hinaus hatten die Ersatzbetreuer auch begehrt, die Schwester als Betreuerin zu entlassen, weil diese psychisch krank sei. Zudem bestehe wegen der Erbschaft nach dem verstorbenen Vater ein Interessenkonflikt zwischen der betreuenden Schwester und der Betroffenen.
Das LG hat den Aufgabenkreis der Berufsbetreuerin sodann erweitert. Diese wurde auch für den Bereich der Vermögenssorge nebst Einwilligungsvorbehalt als Betreuerin gemeinsam mit der Schwester bestellt.
Gegen diese Änderung wenden sich die Betroffene und ihre Schwester mit der hier gegenständlichen Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerden waren erfolgreich (BGH 30.6.21, XII ZB 133/21, Abruf-Nr. 224109). Die landgerichtliche Entscheidung wurde aufgehoben und zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
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Anders als bei einem positiven Betreuervorschlag des Betroffenen ist das Gericht zwar nicht daran gebunden, wenn der Betroffene eine Person als Betreuer ablehnt. Das Gericht hat in einem solchen Fall jedoch den Wunsch des Betroffenen bei seiner Auswahlentscheidung zu berücksichtigen, um eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Betroffenen und seinem Betreuer zu gewährleisten. (Abruf-Nr. 224109) |
Ausdehnung der Betreuung rechtsfehlerhaft
Die zuletzt vorgenommene Ausdehnung der gemeinsamen Betreuungsführung durch die Schwester und die Berufsbetreuerin auf den Bereich der Vermögenssorge nebst Einwilligungsvorbehalt sei in Bezug auf die gerichtliche Auswahlentscheidung rechtsfehlerhaft erfolgt.
Zwar habe das Beschwerdegericht zutreffend seine Entscheidungsfindung auf die Betreuerauswahl beschränkt, da nur diese der Gegenstand der Beschwerden war. Hierbei habe das LG jedoch den Anspruch der Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
MERKE | Das Gericht muss stets die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis nehmen und diese auch in Erwägung ziehen. Werden Äußerungen eines Beteiligten oder ein ordnungsgemäß eingegangener Schriftsatz nicht berücksichtigt, liegt bereits darin ein Gehörsverstoß. |
Das LG habe in seinen Entscheidungsgründen fehlerhaft ausgeführt, die Betroffene habe nicht im Sinne von § 1897 Abs. 4 S. 2 BGB vorgeschlagen, die Berufsbetreuerin nicht weiter als Betreuerin zu bestellen. Dies sei mit den weiteren betreuungsgerichtlichen Feststellungen nicht vereinbar. Die Betroffene habe stets den Wunsch geäußert, nur von ihrer Schwester betreut werden zu wollen. Auch habe das LG vollständig verkannt, dass die Betroffene durch Anwaltsschriftsatz ausdrücklich auch die Bestellung der Berufsbetreuerin zum Verfahrensgegenstand gemacht habe. Die Betroffene habe sogar beantragt, die Berufsbetreuerin zu entlassen. Es sei weder festgestellt worden, noch ergebe sich aus dem Protokoll der Anhörung im Beschwerdeverfahren, dass die Betroffene ihre Auffassung später geändert hat.
Damit habe die Betroffene im Ergebnis den zu beachtenden negativen Wunsch geäußert, die Berufsbetreuerin nicht zur Betreuerin zu bestellen.
MERKE | Nach § 1897 Abs. 4 S. 2 BGB solle darauf Rücksicht genommen werden, wenn der Betroffene vorschlägt, eine bestimmte Person nicht als Betreuer zu bestellen. Zwar sei anders als bei positiven Vorschlägen des Betroffenen das Gericht an die Ablehnung einer Person als Betreuer nicht gebunden. Das Gericht habe den Wunsch des Betroffenen bei seiner Auswahlentscheidung indes zu berücksichtigen, um eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Betroffenen und seinem Betreuer zu gewährleisten. |
Beachten Sie | Dies gilt nach Ansicht des BGH in gleicher Weise, wenn es wie vorliegend um die Auswahlentscheidung für einen bestimmten Teilbereich des Aufgabenkreises geht.
Für den hier im Rechtsbeschwerdeverfahren allein zur Entscheidung gestellten Bereich der Vermögenssorge nebst Einwilligungsvorbehalt fehle es an einer solchen Berücksichtigung des negativen Betreuervorschlags. Folglich könne nicht ausgeschlossen werden, dass das LG insoweit zu einer anderen Betreuerauswahl gekommen wäre, wenn es die im Hinblick auf die Berufsbetreuerin geäußerte ablehnende Haltung der Betroffenen in seine Erwägungen ordnungsgemäß einbezogen hätte.
Relevanz für die Praxis
Der Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht wird grundgesetzlich für jedermann gewährleistet. Je stärker durch staatliche Gewalt in die Rechtsposition des Einzelnen eingegriffen wird, desto deutlicher wird der Sinn und Zweck dieser grundgesetzlichen Vorgabe. Das betreuungsrechtliche Verfahren berücksichtigt daher in besonderer Weise den Gehörsanspruch des Betroffenen. Es beinhaltet nicht nur den Grundsatz der (erneuten) Anhörung des Betroffenen zu allen (neuen) Tatsachengrundlagen, sondern auch die Beachtung seiner Wünsche bei der Betreuerauswahl.
Dies gilt namentlich für einen positiven Betreuerwunsch. Diesem ist regelmäßig nachzukommen. Das Betreuungsgericht darf nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zum Wohle des Betroffenen davon abweichen. Praktisch ist dies zumeist bei einer fehlenden Eignung der Fall.
Wird dagegen eine bestimmte Person als Betreuer abgelehnt, ist die Rechtsposition des Betreuten schwächer ausgestaltet. Gleichwohl soll hierauf Rücksicht genommen werden.
PRAXISTIPP | Das Betreuungsgericht muss sich folglich mit dem Willen des Betroffenen auseinandersetzen (siehe bereits BGH, Beschluss vom 27.6.18, XII ZB 601/17). Aus den Entscheidungsgründen hat hervorzugehen, aufgrund welcher Erwägungen die Betreuerauswahl entgegen dem Wunsch des Betroffenen erfolgt ist. Vor dem Hintergrund des Wohls des Betroffenen hat das Betreuungsgericht im Rahmen seines Auswahlermessens den Willen des Betroffenen angemessen zu berücksichtigen. |