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· Fachbeitrag · Betreuungsrecht

Betreuervorschlag ist bindend, solange dieser dem Wohl des Betroffenen nicht entgegensteht

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA FamR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

| Ist der Wunsch eines Betroffenen nach einem bestimmten Betreuer bei der Auswahlentscheidung auch zu beachten, wenn der Betroffene ‒ z. B. aufgrund einer Altersdemenz ‒ nicht mehr geschäftsfähig und seine Einsichtsfähigkeit vermindert ist? In der vorliegenden Entscheidung hat der BGH erläutert, wann der Betreuervorschlag des Betroffenen bindend ist. |

 

Ein Betreuervorschlag des Betroffenen erfordert weder die Geschäftsfähigkeit noch die natürliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen. Es genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person dem Wohl des Betroffenen zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will.

(Abruf-Nr. 224964)

 

Sachverhalt

Der im Jahre 1922 geborene Betroffene leidet an fortgeschrittener Altersdemenz und lebt in einem Seniorenheim. Er hat mehrere Kinder, denen er eine notarielle Vorsorgevollmacht erteilen wollte. Aufgrund bereits bestehender Geschäftsunfähigkeit war das nicht mehr möglich.

 

Das Betreuungsgericht hat eine Betreuung eingerichtet und nach Aufgabenkreisen differenziert, eine Berufsbetreuerin und eine Tochter als Betreuerin bestellt. Auf die hiergegen gerichteten Beschwerden der weiteren Kinder hat das LG zwei andere Kinder als alleinvertretungsberechtigte Betreuer bestellt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Tochter, mit der sie weiterhin die Bestellung eines Berufsbetreuers anstelle ihrer Geschwister erreichen möchte. Der Betroffene tritt der Rechtsbeschwerde entgegen.

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde wurde zurückgewiesen (BGH 18.8.21, XII ZB 151/20, Abruf-Nr. 224964). Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Auswahlentscheidung ausgeführt, die Auswahl der beiden Betreuer habe dem grundsätzlich zu beachtenden Vorschlag des Betroffenen entsprochen.

 

Der Betroffene habe den Beteiligten eine Vorsorgevollmacht erteilen wollen. Er habe im Anhörungstermin ausdrücklich bekräftigt, dass diese seine Betreuer sein sollten. Auch habe er dies in einem weiteren Anhörungstermin nochmals bekräftigt. Daher sei nicht von einer Änderung seines Willens bis zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung auszugehen.

 

Beachten Sie | Trotz bestehender familiärer Verwerfungen bestünden keine Bedenken gegen die grundsätzliche Eignung der beiden Betreuer.

 

Wunsch des Betroffenen zu beachten

Diese Ausführungen hielten rechtlicher Nachprüfung stand. Gemäß § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB sei grundsätzlich die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Ein solcher Vorschlag erfordere weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genüge es, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden.

 

MERKE | Der Tatrichter hat bei der Auswahl des Betreuers dann kein Ermessen. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft.

 

Dies setze voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es müsse die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will.

 

Gericht muss die Eignung beurteilen

Umstände von erheblichem Gewicht, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen, könnten sich zwar nicht nur aus ihrer fehlenden persönlichen Eignung, sondern grundsätzlich auch aus familiären Spannungen ergeben.

 

MERKE | Die vom Tatrichter vorgenommene Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer ist rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt, relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt.

 

Vorliegend sei das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Erteilung der Vorsorgevollmacht im Zustand der Geschäftsunfähigkeit zugleich den natürlichen Willen des Betroffenen erkennen lässt, die Söhne zu Betreuern zu bestellen. Dieser Wille sei durch die persönlichen Anhörungen des Betroffenen bestätigt worden. Da keine konkreten Bedenken gegen die Eignung der vorgeschlagenen Betreuer ersichtlich gewesen wären, habe das Betreuungsgericht den Vorschlägen auch folgen müssen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der Streit unter den Geschwistern sich nachteilig auf das Wohl des Betroffenen auswirken würde.

Relevanz für die Praxis

Dem Betreuervorschlag des Betroffenen hat das Betreuungsgericht grundsätzlich Folge zu leisten. Der Gesetzgeber hat diesem ganz bewusst anders als einem Negativvorschlag eine hohe Bindungswirkung beigemessen (siehe dazu jüngst BGH 30.6.21, XII ZB 133/21, Abruf-Nr. 224109).

 

Diese Wertung folgt dem grundrechtlich geschützten hohen Gut der Allgemeinen Handlungsfreiheit des Betroffenen, welchem auch durch Betreuungsverfügungen Ausdruck verliehen wird. Die Grenze dieser persönlichen Handlungsfreiheit wird erst dann überschritten, wenn sie dem Wohl des Betroffenen entgegensteht. Das ist insbesondere bei einer fehlenden Eignung des gewünschten Betreuers der Fall. Dazu muss der Tatrichter aber konkrete Feststellungen treffen. Zwar können auch innerfamiliäre Konflikte zu einer fehlenden Eignung führen. Dafür ist es aber nicht hinreichend, dass diese nur abstrakt vorhanden sind. Die Schwelle zu einer fehlenden Eignung der als Betreuer vorgeschlagenen Person ist erst überschritten, wenn die aufgrund festgestellter Tatsachen konkrete Gefahr besteht, dass der Betreuer gegen das Wohl des Betreuten handeln würde.

 

PRAXISTIPP | Da es sich um eine Prognoseentscheidung handelt, sind an deren Tatsachengrundlage hohe Anforderungen zu stellen. Dies wird aus den revisionsgerichtlichen Vorgaben erneut deutlich, sodass die Betreuungsgerichte zu hoher Sorgfalt bei der Abfassung der Entscheidungsgründe aufgerufen sind.

 

 

Quelle: Ausgabe 11 / 2021 | Seite 185 | ID 47718396