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  • 01.12.2006 | Beweisverwertungsverbot

    Die „Widerspruchslösung“ des BGH im verkehrsstrafrechtlichen Verfahren

    von RiOLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm

    Für den Verteidiger ist die „Widerspruchslösung“ des BGH (BGHSt 38, 214) auch in verkehrsstrafrechtlichen Verfahren von erheblicher Bedeutung. Dabei geht es in der Regel um die Frage, ob Fehler bei der Vernehmung des Mandanten zu einem Beweisverwertungsverbot führen und wie dieses in der Hauptverhandlung geltend zu machen ist. Dieses Problem stellt sich insbesondere, wenn er bei der ersten Befragung (durch die Polizei) Angaben gemacht hat, er sich dann aber nicht mehr zur Sache einlässt.  

    Wir zeigen Ihnen in den nachfolgenden beiden Checklisten, worauf in diesem Zusammenhang besonders zu achten ist.  

     

    Checkliste 1: Ist die Vernehmung des Mandanten ordnungsgemäß erfolgt?

    Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Frage, ob die Angaben des Mandanten, die dieser bei seiner Befragung durch die Polizei, die StA oder den Ermittlungsrichter gemacht hat, ggf. deshalb unverwertbar sind, weil hinsichtlich dieser Angaben ein Beweisverwertungsverbot besteht. Insoweit gilt:  

     

    Frage  

    Antwort  

    1. Woraus kann sich in diesen Fällen ein Beweisverwertungsverbot ergeben?

    Das Beweisverwertungsverbot folgt häufig aus einem Verstoß gegen § 136 Abs. 1 StPO, wenn der Mandant vom befragenden Ermittlungsbeamten nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist. Handelte es sich bei der Befragung nämlich bereits um die Vernehmung eines Beschuldigten i.e.S. und nicht nur um eine „informatorische Befragung (s.u. Nr. 4 ff.), musste der Mandant nach § 136 Abs. 1 StPO vor der Vernehmung über seine Rechte belehrt werden (dazu auch BayObLG PA 03, 166, Abruf-Nr. 031645). Die Vorschrift gilt zwar nach ihrer Stellung im Gesetz nur für sog. richterliche Vernehmungen. Sie ist aber über § 163a Abs. 4 StPO auch auf Vernehmungen durch Polizeibeamte anwendbar.  

    2. Wann liegt eine Vernehmung i.S.d. § 136 StPO vor?

    Der Begriff der Vernehmung ist in der StPO nicht definiert. Meist wird hierunter die Herbeiführung einer Aussage durch ein staatliches Ermittlungsorgan in einem Ermittlungsverfahren verstanden (eingehend zum Vernehmungsbegriff Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., 2006, Rn. 1836 ff.).  

    3. Wann ist der Mandant Beschuldigter i.S.d. StPO?

    Werden die Ermittlungen gegen den Mandanten aufgrund einer Strafanzeige geführt, muss er immer als Beschuldigter behandelt werden (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., Einl. Rn. 77 m.w.N.).  

     

    Praxishinweis: Im Übrigen ist für die Beschuldigteneigenschaft die Stärke des Tatverdachts entscheidend (BGHSt 37, 48; 40, 211; StraFo 04, 241; 05, 27). Entscheidend ist, ob Tatsachen vorliegen, die auf die nahe liegende Möglichkeit der Täterschaft oder Teilnahme schließen lassen. Das ist von besonderer Bedeutung bei sog. informatorischen Befragungen (BayObLG PA 03, 166, Abruf-Nr. 031645; s.u. Nr. 4 ff.). Nach Auffassung der Rspr. steht den Ermittlungsbehörden ein Beurteilungsspielraum zu, den sie allerdings nicht missbrauchen dürfen, um den Zeitpunkt der Belehrung hinauszuschieben (BayObLG, a.a.O.).  

     

    Die Beschuldigteneigenschaft wurde z.B. in folgenden Fällen bejaht:  

    • Die Polizeibeamten, denen das Auto des Beschuldigten kurz zuvor durch die Fahrweise aufgefallen ist, trafen den alkoholisierten Beschuldigten (= Halter des Tatfahrzeuges) in unmittelbarer Nähe an (BayObLG NZV 05, 494),
    • Der Halter wurde gefragt, wer das Fahrzeug zur Tatzeit gesteuert hat (AG Bayreuth NZV 03, 202),
    • Der Beschuldigte hat eingeräumt, das Fahrzeug, das noch mit warmer Motorhaube auf dem Hof seines Hauses steht, geführt zu haben (ähnlich AG Ellwangen StraFo 04, 167),
    • Die Polizeibeamten hatten bei einer verdachtsunabhängigen Verkehrs-Alkoholkontrolle im Pkw, in dem sich nur eine Person befindet, Alkoholgeruch festgestellt (so zutr. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., Einl. Rn. 77; a.A. BayObLG PA 03, 166, Abruf-Nr. 031645).
    4. Was sind sog. bloß informatorische Befragungen?

    Informatorische Befragungen sind formlose Befragungen einer einzelnen oder auch mehrerer Personen, die das Ziel haben, zunächst nur festzustellen, ob überhaupt eine Straftat begangen wurde und wer als Beschuldigte oder (nur) als Zeuge in Betracht kommt (BGH NStZ 83, 86; OLG Oldenburg NJW 67, 1096 f.; OLG Stuttgart MDR 77, 70).  

    5. Welche (besonderen) Regeln gelten für die informatorischen Befragungen?

    Eine informatorische Befragung ist noch keine Beschuldigtenvernehmung und auch noch keine (Zeugen-)Vernehmung i.e.S. (OLG Düsseldorf NJW 68, 1840, KG JR 92, 437). D.h.: Es bestehen zwar die Auskunftsverweigerungsrechte aus den §§ 52 ff. Die Auskunftsperson muss aber noch nicht nach § 136 Abs. 1 StPO belehrt werden.  

    6. Wann muss die Belehrung der Auskunftsperson als Beschuldigter erfolgen?

    Die Belehrung als Beschuldigter ist erforderlich, wenn die Auskunftsperson als „Beschuldigter“ i.S.d. StPO und nicht mehr nur als Zeuge vernommen wird. Das ist der Fall, wenn sie ernstlich als Täter in Betracht kommt (BGH StraFo 04, 241; 05, 27).  

     

    Praxishinweis: Ergibt sich während einer informatorischen Befragung, dass der Befragte als Täter in Betracht kommt, muss der Vernehmende ihn nun als Beschuldigten belehren und darf erst dann mit der Vernehmung fortfahren.  

    7. Gilt das auch, wenn die Auskunftsperson spontan gegenüber den Polizeibeamten Angaben macht?

    Nein, bei Spontanäußerungen handelt es sich nicht um Vernehmungen i.e.S. Hat der Beschuldigte also von sich aus, ungefragt und aus eigenem Antrieb gegenüber dem Polizeibeamten Angaben gemacht, kann er sich später nicht darauf berufen, dass er nach § 136 StPO hätte belehrt werden müssen (BGHSt 34, 365; OLG Köln StraFo 98, 21).  

     

    Praxishinweis: Etwas Anderes gilt aber für Bekundungen, die nach telefonischer Ankündigung von Angaben bei der Polizei gemacht werden (OLG Köln VRS 80, 32) oder wenn die Angaben als Reaktion auf eine staatliche Strafverfolgungsmaßnahme gemacht werden (OLG Frankfurt StV 94, 117).  

     

    Der Verteidiger muss bei „Spontanäußerungen“ seines Mandanten allerdings immer prüfen, ob diese ggf. deshalb unverwertbar sind, weil der Mandant sie nicht „im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte“ gemacht hat (BGHSt 39, 349; 42, 170). Das gilt insbesondere für Angaben, die ein alkoholisierter Mandant gemacht hat (LG Osnabrück zfs 99, 49 [für eine Trunkenheitsfahrt]). Der Mandant dürfte sich ab einer BAK von etwa 2 ‰ nicht mehr „im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte“ befinden.  

    8. Wann muss belehrt werden?

    Die Belehrung muss vor der Vernehmung des Mandanten erfolgen.  

    9. Worüber muss der Beschuldigte belehrt werden?

    Der Umfang der Belehrung ergibt sich aus § 163a Abs. 4i.V.m. § 136 Abs. 1 S. 2bis 4 StPO. Der Mandant muss darüber belehrt werden, dass  

    • es ihm freisteht, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen,
    • er auch schon vor der Vernehmung einen Verteidiger beiziehen kann,
    • er einzelne Beweiserhebungen beantragen kann.

     

    Praxishinweis: Der Beschuldigte muss die Belehrung auch verstanden haben. Daran wird man, wenn er stärker alkoholisiert ist, zweifeln können (LG Osnabrück zfs 99, 49; s. auch BGHSt 39, 349).  

    10. Welche Folgen hat der Verstoß gegen die Belehrungspflicht?

    Ist der Beschuldigte vor einer Vernehmung nicht entsprechend § 136 Abs. 1 S. 2bis 4 StPO belehrt worden, dürfen die von ihm bei dieser Vernehmung gemachten Angaben nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Es besteht insoweit ein Beweisverwertungsverbot (BGHSt 38, 214, 225 = NJW 92, 1463, NJW 93, 338; Meyer-Goßner, a.a.O. § 136 Rn. 20; Burhoff, a.a.O., Rn. 1372).  

     

    Praxishinweis: Eine Ausnahme gilt, wenn der Beschuldigte sein Schweigerecht gekannt hat (zuletzt BGHSt 47, 172) oder er der Verwertung ausdrücklich zustimmt.  

    11. Besteht das Beweisverwertungsverbot uneingeschränkt bzw. besteht es auch im OWi-Verfahren?

    Das Beweisverwertungsverbot infolge unterlassener Belehrung besteht auf jeden Fall im Strafverfahren.  

     

    Praxishinweis: Ob die unterlassene Betroffenenbelehrung im OWi-Verfahren ebenfalls zum Beweisverwertungsverbot führt, ist in der Literatur umstritten. Diese Frage wird von Brüssow (StraFo 98, 395), Hecker (NJW 97, 1833), Burhoff/Gübner, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 251) und Burhoff/Stephan, a.a.O., Rn. 387 bejaht. Göhler (OWiG, 14. Aufl., § 46 Rn. 10c) will sie unter Hinweis auf die BGH-Rspr. (BGHSt 38, 214 = NJW 92, 1463) vom Einzelfall abhängig machen. Unabhängig davon, ob diese Ansicht grundsätzlich zutreffend ist, muss man m.E. sowohl wegen der Bedeutung des „nemo tenetur Grundsatzes“ als auch wegen der möglichen weit reichenden Folgen für den Betroffenen bei einer Verletzung von § 136 StPO auch im OWi-Verfahren ein Beweisverwertungsverbot annehmen (siehe aber BGH, a.a.O.).  

     

     

     

    Besteht ein Beweisverwertungsverbot muss sich der Verteidiger sorgfältig auf sein weiteres Verhalten, insbesondere auf die Hauptverhandlung, vorbereiten. Dazu die nachfolgende Checkliste.  

     

    Checkliste 2: Verhalten des Verteidigers, insbesondere in der Hauptverhandlung

    1. Ab wann kann das Beweisverwertungsverbot geltend gemacht werden?

    Das Beweisverwertungsverbot kann schon im Ermittlungsverfahren zulässig geltend gemacht werden. Der Verteidiger muss damit also nicht bis zur Hauptverhandlung warten.  

     

    Praxishinweis: Der Verteidiger sollte das Beweisverwertungsverbot so früh wie möglich geltend machen. Das hat nämlich den Vorteil, dass das Verfahren gegen den Mandanten ggf. erst gar nicht weiter geführt wird, sondern wegen fehlenden hinreichenden Tatverdachts eingestellt wird (OLG München StV 00, 352). Auch dürfen vorläufige Maßnahmen dann ggf. nicht aufrechterhalten werden (z.B. LG Koblenz DAR 02, 326 = NZV 02, 422 [für vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis]).  

    2. Wie soll sich der Mandant verhalten?

    Der Mandant wird sich in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht zur Sache einlassen.  

    3. Wie ist das Beweisverwertungsverbot in der HV geltend zu machen?

    Der Verteidiger muss in der Hauptverhandlung Widerspruch gegen die Verwertung der Angaben erheben, die der Mandant bei einer Vernehmung ohne vorherige Belehrung gemacht hat (st. Rspr. seit BGHSt 38, 214; zur „Widerspruchslösung“ des BGH eingehend Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 5. Aufl., 2006, Rn. 1166a ff.).  

    4. Wann muss der Widerspruch erhoben werden?

    Der Verteidiger muss den Widerspruch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Beweiserhebung geltend machen, und zwar spätestens im Rahmen einer Erklärung nach § 257 StPO (st.Rspr. seit BGHSt 38, 214; zuletzt BGHSt 42, 86, 90; eingehend Leipold StraFo 01, 300).  

     

    Praxishinweis: Der Widerspruch darf nicht erst im Plädoyer erhoben werden (BayObLG NJW 97, 404). Das ist zu spät.  

    5. Muss der Verteidiger noch einmal widersprechen, wenn er dies bereits im Ermittlungsverfahren ggü. der StA getan hat?

    Ja, auf jeden Fall. Der Widerspruch gegenüber der StA reicht nicht aus (BGH NStZ 97, 502). Das muss er aus anwaltlicher Vorsorge auch tun, wenn er mit der Lit. der Meinung sein sollte, dass ein einmal erklärter Widerspruch bis zur Rücknahme fortwirkt (Burhoff, a.a.O., Rn. 1166e).  

     

    Praxishinweis: Der Verteidiger sollte seinen Widerspruch vorsorglich auch wiederholen, wenn er ihn zwar bereits in der HV erhoben hat, diese dann aber ausgesetzt worden ist (s. aber OLG Stuttgart StV 01, 388).  

    6. Kann der Widerspruch später nachgeholt werden?

    Nach h.M. in der Rspr. kann der Verteidiger einen versäumten oder verspäteten Widerspruch später nicht mehr nachholen – auch nicht nach Zurückverweisung der Sache in einer neuen HV (BGHSt 50, 272 = NJW 06, 707; BayObLG NJW 97, 404, Burhoff, HV, Rn. 1166g m.w.N.  

    7. Wogegen muss sich der Widerspruch richten?

    Der Widerspruch muss sich gegen jede Beweiserhebung richten, durch die die unverwertbaren Angaben des Mandanten in das Verfahren eingeführt werden sollen. Das können sein:  

    • die Vernehmung des Vernehmungsbeamten, und zwar jedes Beamten, wenn der Mandant von mehreren vernommen wurde,
    • der Verlesung eines Vernehmungsprotokolls,
    • dem Vorhalt des unverwertbaren Beweismittels aus einem Vernehmungsprotokoll.
    8. Wie muss der Verteidiger vorgehen, wenn das Gericht trotz Widerspruchs die Beweiserhebung durchführen will?

    Die Anordnung der Beweiserhebung ist eine Maßnahme der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden i.S.d. § 238 Abs. 1 StPO. Der Verteidiger muss daher diese Maßnahme nach § 238 Abs. 2 StPO beanstanden und somit einen Gerichtsbeschluss herbeiführen. Das gilt auch für die Verhandlung beim Einzelrichter.  

     

    Praxishinweis: Dieser Beschluss ist unbedingt erforderlich, wenn die Beweiserhebung später mit der Revision oder der Rechtsbeschwerde als unzulässig gerügt werden soll (§ 338 Nr. 8 StPO !!!).  

    9. Wie kann das Gericht feststellen, ob ordnungsgemäß belehrt worden ist?

    Bei der Frage handelt es sich um eine prozessuale Frage. Für diese gilt also nicht das Strengbeweisverfahren, sondern der Freibeweis. Das heißt: Zur Beantwortung der Frage kann das Gericht alle Erkenntnisquellen ausschöpfen.  

    10. Muss der Widerspruch ins Protokoll?

    Ja. Der Widerspruch ist wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung und muss daher in das Protokoll aufgenommen werden (BayObLG NJW 97, 404).  

    11. Was ist, wenn sich in der HV herausstellt, dass nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist?

    Wenn sich erst in der HV herausstellt, dass der Mandant nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist, sollte der Verteidiger auf jeden Fall um eine kurzfristige Unterbrechung der HV bitten, um die Umstände der Vernehmung abzuklären. Danach ist dann zu entscheiden, ob der Mandant sich weiter zur Sache einlässt oder jetzt schweigt und ob Widerspruch gegen die Verwertung seiner Angaben erhoben werden soll.