Frage | Antwort |
Welche Voraussetzungen müssen für die Durchführung des Beschlussverfahrens erfüllt sein? | Neben der allgemeinen Geeignetheit (vgl. dazu Checkliste 1) ist Voraussetzung, dass keiner der Widerspruchsberechtigten (vgl. Ziff. 2) der Entscheidung im Beschlussverfahren widersprochen hat (vgl. Ziff. 7 ff.). Praxishinweis: Das Beschlussverfahren ist außerdem nur zulässig, wenn der Betroffene auf die beabsichtigte Verfahrensweise zuvor hingewiesen worden ist (§ 72 Abs. 1 S. 2 OWiG; vgl. Ziff. 4 ff.). Der Hinweis ist nach § 72 Abs. 1 S. 3 OWiG allerdings entbehrlich, wenn der Amtsrichter den Betroffenen frei sprechen will. Nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 12 OWiG hat der Hinweis verjährungsunterbrechende Wirkung. |
Wer ist widerspruchsberechtigt? | Widerspruchsberechtigt sind: - gesetzlicher Vertreter des Betroffenen,
- Erziehungsberechtigter des Betroffenen.
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Wer hat Vorrang, wenn Betroffener und Verteidiger sich nicht einigen können? | Der Widerspruch bzw. die Meinung des Betroffenen geht vor (BayObLG VRS 68, 469). |
Wie muss der Hinweis auf die beabsichtigte Entscheidung im Beschlussverfahren gestaltet sein? | Aus dem Hinweis an die Widerspruchsberechtigten muss sich eindeutig ergeben, dass ohne mündliche Hauptverhandlung im schriftlichen Verfahren entschieden werden soll. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeit des Widerspruchs besteht, der innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung des Hinweises erklärt werden muss. Praxishinweis: Der Hinweis muss (dem Betroffenen) nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG förmlich zugestellt werden (Göhler, a.a.O., § 72 Rn. 41; Krumm, a.a.O., Rn. 366). Ist der Hinweis nicht zugestellt worden, hat der Betroffene die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG (vgl. dazu Checkliste 3). |
Kann eine kürzere Widerspruchsfrist bestimmt werden? | Nein, eine kürzere Frist ist unwirksam und gestattet nicht, vorzeitig durch Beschluss zu entscheiden. |
Reicht ggf. der Hinweis an den Verteidiger aus? | Ja. Aus dem ausdrücklichen Verweis in § 72 Abs. 1 S. 2 letzter HS OWiG auf § 145a Abs. 1, 3 StPO folgt jedoch, dass sich dann eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers bei den Akten befinden muss (vgl. dazu Stephan in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl., 2008, Rn. 2785; OLG Zweibrücken VA 08, 118). |
Ist der Hinweis in Sonderfällen ggf. entbehrlich? | Ja, auf den Hinweis kann z.B. verzichtet werden, wenn der Betroffene selbst das Beschlussverfahren angeregt oder bei Einlegung des Einspruchs erklärt hat, dem Beschlussverfahren werde nicht widersprochen (Göhler, a.a.O., § 72 Rn. 32; OLG Hamm NZV 93, 324). |
Ist der Widerspruch gegen das Beschlussverfahren formbedürftig? | Nein, der Widerspruch bedarf keiner besonderen Form (OLG Koblenz NStZ 91, 191). Das bedeutet: Der Widerspruch kann auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. Praxishinweis: Als Faustregel muss sich der Verteidiger merken, dass ein Widerspruch gegen das Beschlussverfahren in jeder Äußerung des Betroffenen gesehen werden kann, aus der hervorgeht, dass er mit einer richterlichen Entscheidung allein aufgrund des Akteninhalts nicht einverstanden ist, sondern eine weitere Klärung des Tathergangs wünscht (OLG Hamm VA 01, 174; PA 04, 86; OLG Jena VRS 109, 123; OLG Koblenz, a.a.O.). |
Rechtsprechung zu „konkludenten“ Widersprüchen | Widerspruch bejaht (vgl. auch Krumm, a.a.O., Rn. 371 ff.): - Bestreiten des dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Sachverhalts im gerichtlichen Verfahren (OLG Hamm VRS 58, 46),
- Fristverlängerungsantrag durch Verteidiger (Lemke/Mosbacher, Ordnungswidrigkeitenrecht, 2. Aufl., § 72 Rn. 15),
- Antrag auf Ladung eines Sachverständigen (BayObLG DAR 72, 197, 209 bei Rüth),
- Verlangen einer mündlichen Verhandlung (BayObLG DAR 76, 169, 179) oder einer ergänzenden Beweisaufnahme (OLG Hamm JR 72, 208),
- Ankündigung einer schriftlichen Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung im Verfahren nach § 72 OWiG (Göhler, a.a.O., § 72 Rn. 40),
- Einverständnis mit der Entscheidung im Beschlussweg nur für den Fall einer bestimmten Entscheidung (OLG Zweibrücken VA 08, 118).
Praxishinweis: Erklären der Betroffene bzw. sein Verteidiger, dass sie mit dem Beschlussverfahren nur unter einer bestimmten Bedingung einverstanden sind, also dass z.B. kein Fahrverbot verhängt wird, kann nur nach § 72 OWiG entschieden werden, wenn sich das Gericht an die Bedingung hält. Als nicht ausreichend sind hingegen angesehen worden, - das bloße Bestreiten des Tatvorwurfs im Ermittlungsverfahren (BayObLG DAR 85, 233, 248 bei Rüth),
- das Äußern einer anderen Rechtsauffassung als der, die dem Bußgeldbescheid zugrunde liegt (Göhler, a.a.O., § 72 Rn. 17 m.w.N.),
- ein Terminsverlegungsantrag (KG JR 70, 430),
- ein Antrag auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme (BayObLG DAR 1974, 169, 187 bei Rüth).
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Welche Möglichkeiten hat der Betroffene, wenn sein Widerspruch nicht fristgerecht erhoben ist bzw. zu spät beim AG eingeht? | Nach § 72 Abs. 2 S. 1 ist der verspätete Widerspruch unbeachtlich. Das AG kann dann im Beschlussverfahren entscheiden. Der Betroffene hat aber gem. § 72 Abs. 2 S. 2 OWiG die Möglichkeit, gegen den ergehenden Beschluss innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Praxishinweis: Der Wiedereinsetzungsantrag muss nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 45 Abs. 1 StPO beim AG gestellt werden. Der Verteidiger sollte in diesen Fällen unbedingt auch die Rechtsbeschwerde erheben. Wird dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben, ist die Rechtsbeschwerde gegenstandslos (§ 79 Abs. 3 S. 2 OWiG i.V.m. § 342 StPO). Er darf aber nicht versäumen, diese auch zu begründen, da die Begründungsfrist während des Wiedereinsetzungsverfahrens weiter läuft. |
Kann ein Widerspruch zurückgenommen werden? | Ja, auch ein bereits erklärter Widerspruch kann zurückgenommen werden. Damit ist der Weg ins Beschlussverfahren eröffnet. |
Kann der Amtsrichter im Beschlussverfahren weitere Ermittlungen durchführen? | Ja, das ist zulässig. Insoweit gilt § 71 Abs. 2 OWiG. Praxishinweis: Das Ergebnis dieser Ermittlungen darf aber nur zulasten des Betroffenen verwendet werden, wenn ihm rechtliches Gehör gewährt worden ist (Göhler, a.a.O., § 72 Rn. 4, 47 ff.). |
Welche Entscheidungen können im Beschlussverfahren ergehen? | Die Beschlussentscheidung kann - wie das Urteil - den Betroffenen verurteilen oder freisprechen. Möglich ist auch die Einstellung des Verfahrens. Es ist darauf zu achten, dass die Einstellung des Verfahrens nach § 47 OWiG nicht unter § 72 OWiG fällt (OLG Dresden NZV 06, 447). |
Wie muss der Beschluss begründet werden? | Die Anforderungen an die Begründung des Beschlusses ergeben sich aus § 72 Abs. 4, 5 OWiG. |
Welche Rechtswirkungen hat die Beschlussentscheidung? | Der Beschluss führt wie ein Urteil zum Strafklageverbrauch. Zudem tritt nach § 32 Abs. 2 OWiG das Ruhen der Verjährung ein. |