01.09.2006 | Straßenverkehrsgefährdung
Feststellungen zum „Beinaheunfall“
Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen für die Annahme einer konkreten Gefahr bei der Verurteilung wegen einer Straßenverkehrsgefährdung infolge falschen Fahrens beim Überholen (OLG Hamm 6.6.06, 2 Ss 532/06, Abruf-Nr. 062128). |
Sachverhalt
Ein Zeuge überholte auf einer BAB mit 130 bis 140 km/h einen Lkw, als sich von hinten mit deutlicher Differenzgeschwindigkeit der Angeklagte mit seinem BMW näherte und gleich mehrfach die Lichthupe bediente. Er fuhr so nah auf das Auto des Zeugen auf, dass dieser im Rückspiegel die gesamte Frontpartie des BMW nicht mehr erkennen konnte. Der Angeklagte bremste dann sein Auto ab und begann damit, die akustische Hupe zu bedienen. Da vor dem zunächst überholten Lkw noch drei bis vier weitere Fahrzeuge mit dichtem Abstand zueinander fuhren, entschloss sich der Zeuge, auch diese zu überholen. Während dieser Zeit fuhr der Angeklagte weiterhin mit einem Abstand von höchstens 5 m hupend und gestikulierend hinter ihm her. Der Angeklagte ist wegen versuchter Nötigung und Straßenverkehrsgefährdung verurteilt worden. Seine Revision hatte beim OLG teilweise Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die getroffenen tatsächlichen Feststellungen waren zwar ausreichend für die Verurteilung wegen der versuchten Nötigung, nicht aber wegen einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung nach § 351c Abs. 1 Nr. 2b StGB. Denen lässt sich nämlich nicht entnehmen, dass durch das vorschriftswidrige Verkehrsverhalten des Angeklagten eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder Sachen von bedeutendem Wert eingetreten ist. Erforderlich ist dafür die Feststellung einer auf Tatsachen gegründeten nahe liegenden Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses. Es muss eine Situation beschrieben werden, in der die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt worden ist, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH NJW 95, 3131; „Beinaheunfall“). Diese Feststellungen hat das OLG hier vermisst und zur Begründung u.a. darauf abgestellt, dass sich den Feststellungen nicht entnehmen lässt, ob und wie der Zeuge verkehrsbedingt auf das Fahrmanöver des Angeklagten reagiert hat. Nach den Feststellungen müsse man vielmehr davon ausgehen, dass sich der Zeuge durch das zu dichte Auffahren des Angeklagten nicht habe beeindrucken lassen, so dass eine bedrohliche Zuspitzung der Verkehrslage nicht angenommen werden könne.
Praxishinweis
In solchen Fällen reichen die Feststellungen des Tatrichters häufig nicht aus. Es hängt nicht selten von Kleinigkeiten im Verkehrsgeschehen ab, ob es zur Verurteilung des „Dränglers“ kommt. Hier hat das OLG darauf abgestellt, dass der Zeuge offenbar unbeeindruckt von dem zu nah auffahrenden Angeklagten weiter gefahren ist und sich diesen beim Überholen auch noch so genau angeschaut hatte, dass er ihn später identifizieren konnte. Es ist Aufgabe des Verteidigers, solche für den Mandanten günstigen Tatumstände herauszuarbeiten.
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