01.09.2007 | Unfallmanipulation
Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten in „Autobumser-Prozessen“
von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf
Der jährliche Betrugsschaden allein in der Kfz-Haftpflichtversicherung soll sich auf ca. zwei Milliarden Euro belaufen. Die strafrechtliche Verfolgung hält damit nicht Schritt. Zu beobachten ist eine schleichende Delegation auf die Zivilgerichte. Doch von allen Instanzen sind sie am wenigsten geeignet, das Problem „Unfallmanipulation“ in den Griff zu bekommen. Fehlentscheidungen sind an der Tagesordnung. Verschärft hat sich das Problem durch die Bindung nach § 529 Abs. 1 ZPO und durch den unheilvollen § 522 ZPO. Wie Fehlurteile verhindert bzw. korrigiert werden können, erfahren Sie im Folgenden.
I. Typische Einwendungen des Haftpflichtversicherers |
Anspruchsteller, die im Verdacht einer Unfallmanipulation stehen, werden als Kläger in einem Zivilprozess typischerweise mit folgenden Einwendungen konfrontiert: - Bestreiten der Aktivlegitimation.
- Bestreiten der Kollision als solcher, d.h. Leugnen jeglicher Berührung mit dem Fahrzeug des Versicherungsnehmers.
- Leugnen der behaupteten Kollision an dem fraglichen Ort zur fraglichen Zeit.
- Einwand fehlender Plausibilität („so kann es nicht gewesen sein“).
- Einwand fehlender Schadenkompatibilität („Schäden passen nicht“).
- Einräumen eines Kontakts, aber Leugnen eines Unfalls im Sinne eines „unfreiwilligen Ereignisses“.
- Behauptung der Einwilligung des Klägers in die Beschädigung seines Fahrzeugs, sei es durch Verabredung, sei es per Provokation; Vortrag zahlreicher „Indizien“ nach Art eines Katalogs, gestützt auf vermeintlich einschlägige Judikatur.
- Behauptung eines fingierten, d.h. fiktiven Unfalls (z.B. reiner „Papierunfall“).
- Bestreiten jeglicher Ersatzpflicht trotz unstreitiger oder erwiesener Fahrzeugberührung unter Hinweis auf Vorschäden/Altschäden mit dem Ziel, den gesamten eingeklagten Fahrzeugschaden samt Begleitschäden (Nutzungsausfall, Sachverständigenkosten) nicht ersetzen zu müssen.
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II. Gegenargumente des Anspruchstellers |
Regelmäßig erst in der Replik auf die Klageerwiderung, nicht schon vorsorglich in der Klageschrift, setzen sich die Kläger-Anwälte mit den einzelnen Einwendungen auseinander, indem sie - zum Nachweis der Aktivlegitimation Urkunden vorlegen (z.B. Kopie des Fahrzeugbriefs, Kaufvertrag, Versicherungsunterlagen);
- für das Zustandekommen der (bestrittenen) Kollision (weiteren) Beweis antreten (polizeiliche Unfallmitteilung, Ermittlungsakte, Zeugen, analytisches Gutachten);
- den Vorwurf der Unfallmanipulation vehement zurückweisen und den vorgetragenen Indizien einzeln und in ihrer Gesamtheit jegliche Beweiskraft absprechen;
- dem Einwand fehlender Schadenkompatibilität in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entgegentreten, etwa durch Behauptung der Schadenfreiheit bzw. vollständiger Instandsetzung vor dem streitgegenständlichen Unfall.
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III. Checkliste „Gestellter Unfall“* |
eher für Einwilligung | eher gegen Einwilligung | (1) Motiv | - Abrechnung von Reparaturkosten auf Gutachtenbasis (fiktive Abrechnung), d.h. keine Totalschadensabrechnung mit geringerer „Gewinn-erwartung“
- erschwerte Verkäuflichkeit wegen geringer Nachfrage
| - keine Rechtsschutzversicherung
- ungewöhnlich hoher Nutzungsausfall
| (2) Art des Unfalls | - Auffahrunfall (Zweierkonstellation)
- Kreuzungs- oder Einbiegekollision mit nur einem Fz. in Bewegung
- Verursachung durch Rückwärtsfahren
- Anfahren eines geparkten Kfz
- Beschädigung eines geparkten Pkw durch gestohlenen Pkw, der ohne Fahrer zurückbleibt (Berliner Modell)
| - Kollision mit Drittbeteiligung
- Kollision im Begegnungsverkehr bei höherer Geschwindigkeit
- Kreuzungskollision zwischen 2 Kfz in Bewegung
| (3) Hergang des Unfalls | - abgelegener Ort, z.B. Industriegebiet
- Aufenthalt an der Unfallstelle ungewöhnlich; kein plausibles Fahrtmotiv
- keine unbeteiligten Zeugen in der Nähe
- geringe Kollisionsgeschwindigkeit
- Beherrschbarkeit der Kollision
- spezielles Timing nicht nötig
| - Gefahr von Verletzungen der beteiligten Fahrer
- Anwesenheit von Insassen; Verletzungsgefahr für diese
- Anwesenheit unbeteiligter Zeugen
- Alkoholisierung eines Fahrers
| (4) Unfallfolgen | - Heckschaden nach Auffahrunfall
- Karosserieschaden ohne Eingriff in die Struktur/den Rahmen
- Möglichkeit einer Behelfsreparatur
- Reparaturaufwand unter Wiederbeschaffungswert
- Neuschadenzone liegt im Bereich von Vorschäden/Altschäden
| - Beschädigungen im Umfang eines wirtschaftlichen Totalschadens
- volle Schadenkompatibilität
| (5) Die beteiligten Fahrzeuge (a) Geschädigten-Kfz | - Pkw der Oberklasse/gehobenen Mittelklasse
- Alter zw. 3 und 10 Jahren
- Wiederbeschaffungswert über 5.000 EUR
- umfangreiche Sonderausstattung
- (unreparierte) Vorschäden
- Zulassung erst kurz vor „Unfall“
- Abmeldung kurz nach „Unfall“
- alsbaldige Veräußerung ins Ausland
| - jüngeres Kfz (unter 3 Jahren)
- guter, gepflegter Allgemeinzustand
- Liebhaberfahrzeug, z.B. Oldtimer
- älteres wertloses Fahrzeug
- Wiederbeschaffungswert unter 5.000 EUR
| (b) Schädiger-Kfz | - Mietwagen, insbes. Klein-Lkw
- älterer Kleinwagen ohne hohen Wert
- Zulassung erst kurz vor dem „Unfall“
- Veräußerung/Verschrottung bald nach „Unfall“
- Manipulation am Fahrtenschreiber des gemieteten Lkw
| | (6) Die beteiligten Personen (a) „Geschädigter“ | - Alter zwischen 20 und 50 Jahren
- schlechte/undurchsichtige Vermögensverhältnisse
- Beziehung zur Kfz-Branche
- nähere Beziehung zum Schädiger (Verwandtschaft/Bekanntschaft)
| - normale persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse
| (b) „Schädiger“ | - gleiche Altersgruppe wie „Geschädigter“
- bei Ausländern: gleiche Nationalität
- schlechte/undurchsichtige Vermögensverhältnisse
- erschwerte postalische Erreichbarkeit
- nähere Beziehung zum „Geschädigten“ (Verwandtschaft/Bekanntschaft)
| - andere Altersgruppe als „Geschädigter“
- geordnete wirtschaftliche Verhältnisse
- geordnete persönliche Verhältnisse
- fester Wohnsitz, jederzeitige Erreichbarkeit
| (7) Verhalten nach dem „Unfall“ (a) „Geschädigter“ | - Verzicht auf Polizei trotz fehlender Bekanntschaft bei größerem Schaden
- Polizei trotz Bekanntschaft
- Verschweigen von bekannten Vorschäden gegenüber Sachverständigen
- Verschweigen von Vorschäden gegenüber Versicherung
- Beauftragung eines einschlägig bekannten Sachverständigen
- alsbaldiger Verkauf oder Verschrottung
- Abrechnung von Reparaturkosten auf Gutachtenbasis ohne Fremdreparatur
| - Reparatur in Fachwerkstatt
- Mithilfe bei der Aufklärung
| (b) „Schädiger“ | - Schuldanerkenntnis vor Ort
- bereitwillige Zahlung eines Verwarnungsgeldes
- widersprüchliche Angaben gegenüber Polizei oder Versicherung
- sofortige Beseitigung des eigenen Fahrzeugs
- keine Mithilfe bei der Aufklärung
| - abweichende Unfalldarstellung
- Geltendmachung eigener Ersatzansprüche
| (8) Verhalten im Prozess | - detailarme Unfalldarstellung in Klageschrift
- ungewöhnliche/unplausible Einlassungen zum Unfallhergang, z.B. Verwechselung von Brems- und Gaspedal
- keine anwaltliche Vertretung des bekl. Fahrers
- wechselhafter Sachvortrag
- Anpassung des Sachvortrags auf Klägerseite nach Einholung eines Gutachtens
| - detailreiche Unfallschilderung
- plausible Hergangsdarstellung
- beklagter Fahrer bestreitet die Darstellung des Klägers
- guter persönlicher Eindruck bei der Anhörung
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* Die Checkliste ist ein wichtiger Indikator zur Feststellung der Einwilligung beim verabredeten (gestellten) Unfall. Sie ist mit Einschränkungen auch tauglich für den provozierten Unfall.
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