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  • 25.05.2010 | Unfallschadensregulierung

    Aktuelle Restwertprobleme

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    Ruhe an der Restwert-Front? Keine Spur! Streitstoff ohne Ende, nicht zuletzt durch mehrere aktuelle BGH-Entscheidungen und einige brisante Urteile von Instanzgerichten. VA bringt Sie auf den neuesten Stand.  

     

    Checkliste: Was muss der Geschädigte beachten? Zehn Grundregeln im Überblick
    1. Grundsätzlich geht es den Schädiger nichts an, was der Geschädigte mit seinem unfallbeschädigten Fahrzeug macht (BGH NJW 92, 903).

     

    2. Nur ausnahmsweise ist der Geschädigte zur Eigenverwertung des Wracks verpflichtet. Zumindest bei hundertprozentiger Ersatzpflicht des Schädigers kann er diesem bzw. dessen VR das Fahrzeug zur Verwertung zur Verfügung stellen, er muss es aber nicht, d.h. Schädiger und VR haben kein eigenes Verwertungsrecht, auch nicht bei Abrechnung auf Neuwagenbasis (unechter TS), vgl. BGH NJW 83, 2694.

     

    3. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten über den Restwert einzuholen. Er kann sein Fahrzeug auch „freihändig“ verkaufen. Den dabei erzielten Erlös kann er seiner Schadensabrechnung zugrunde legen. Dabei trägt er allerdings das Risiko, dass sich der Erlös später im Prozess als zu niedrig herausstellt. Will er dieses Risiko vermeiden, muss er sich mit dem gegnerischen VR abstimmen oder ein eigenes Gutachten mit korrekter Wertermittlung einholen (BGH VA 10, 19, Abruf-Nr. 093553). Bei einer unabgesicherten Veräußerung sind Schädiger/VR mit dem Einwand zu hören, auf dem regionalen Markt sei ein höherer Erlös erzielbar gewesen. Dafür tragen sie die Darlegungs- und Beweislast (BGH VA 09, 55, Abruf-Nr. 090691; BGH VA 05, 186, Abruf-Nr. 052785).

     

    4. Beauftragt der Geschädigte einen Sachverständigen mit der Schadensschätzung, ist er in der Regel in der Annahme schutzwürdig, dass der vom Sachverständigen auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelte Restwert korrekt ist. Ein Verkauf/Inzahlunggabe zu einem Preis in dieser Höhe ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (st. Rspr., zuletzt BGH VA 10, 19, Abruf-Nr. 093553).

     

    5. Der Geschädigte, der bei der Veräußerung des Unfallfahrzeugs weniger erzielt als im Gutachten als Restwert ausgewiesen, muss sich nicht generell auf den von seinem Sachverständigen geschätzten höheren Restwert verweisen lassen. Grundsätzlich ist der konkret erzielte Restwertbetrag maßgebend (BGH VA 06, 149, Abruf-Nr. 062103); dies auch bei im Übrigen (WBW) fiktiver Schadensabrechnung (BGH a.a.O.). Liegt der erzielte Erlös noch im Rahmen der später vom Gerichtssachverständigen ermittelten Angebote, ist er nicht zu beanstanden (BGH VA 05, 186, Abruf-Nr. 052785). Zur Darlegungs- und Beweislast beim Streit über die Höhe des erzielten Erlöses s. OLG Düsseldorf VA 07, 43, Abruf-Nr. 070498; Thür. OLG SP 09, 110.

     

    6. Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, sich vor einer Veräußerung mit dem gegnerischen VR in Verbindung zu setzen, insbesondere kann er seine Veräußerungsabsicht für sich behalten (BGH NJW 93, 1849; BGH VA 05, 186, Abruf-Nr. 052785).

     

    7. Der Geschädigte ist grundsätzlich nicht verpflichtet, mit der Veräußerung zu warten, bis der VR das ihm übersandte Gutachten mit der Restwertschätzung geprüft und/oder das Fahrzeug besichtigt hat (OLG Düsseldorf VA 06, 4, Abruf-Nr. 053507, mit Hinweis auf BGH NJW 93, 1849; ebenso zuletzt AG Köln 22.12.09, 264 C 122/09, Abruf-Nr. 101513; a.A. LG Essen 18.6.09, 10 S 87/09, Abruf-Nr. 093100, unter Berufung auf OLG Hamm NZV 92, 363). Argumentation wie BGH NJW 93, 1849 und BGH VA 05, 186, Abruf-Nr. 052785.

     

    8. Wie der Geschädigte sich zu verhalten hat, wenn der VR ihm rechtzeitig vor dem Verkauf/Inzahlunggabe des Unfallfahrzeugs ein höheres Restwertangebot präsentiert, ist noch nicht abschließend geklärt. Unklar ist insbesondere, unter welchen Voraussetzungen sich der Geschädigte auf Angebote von Aufkäufern aus Internet-Restwertbörsen einlassen muss. Derartige Angebote sind jedenfalls nicht von vornherein inakzeptabel (BGHZ 143, 189; BGH VA 05, 186, Abruf-Nr. 052785). Näheres unten Punkt 7.

     

    9. Ein Geschädigter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, einen „Sondermarkt“ für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen. Er muss sich jedoch einen (höheren) Erlös anrechnen lassen, den er bei tatsächlichem Verkauf auf diesem Markt ohne besondere Anstrengungen erzielt hat (BGH VA 05, 40, Abruf-Nr. 050148).

     

    10. Benutzt der Geschädigte sein (total) beschädigtes Fahrzeug nach einer (Teil-) Reparatur weiter, ist bei einer Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten in der Regel der im Schadensgutachten für den allg. regionalen Markt ermittelte Restwert abzuziehen, nicht der höhere aus einem VR-Angebot (BGH VA 10, 19, Abruf-Nr. 093553; BGH VA 07, 174, Abruf-Nr. 072681; BGH VA 07, 75, Abruf-Nr. 071214, hier Weiternutzung ohne Reparatur). Ein Zeitlimit für die Weiternutzung hat der BGH nicht festgelegt.
     

     

    Übersicht: Aktuelle Detailprobleme

    1. Restwert netto oder brutto?  

    Die Bezeichnungen in den Gutachten sind uneinheitlich: Mal heißt es „Restwert, steuerneutral“, mal „der Restwert ist inkl. MwSt. angegeben“, mitunter wird nach brutto und netto differenziert. „Steuerneutral“ ist der Restwert nur bei Veräußerung eines Privatfahrzeugs, egal, an wen. Der Privatmann muss keine USt. abführen, ergo ist sie nicht herauszurechnen. Gehört der Unfallwagen dagegen zum Betriebsvermögen, fällt bei der Veräußerung USt. an. Da sie dem FA geschuldet ist, ist hier der Netto-Restwert in die TS-Abrechnung einzustellen (BGH NJW 93, 1849; OLG Thüringen VA 09, 128, Abruf-Nr. 091866).  

     

    2. Vertrauen ist gut, ist Kontrolle besser, gar Pflicht?  

    Ob und inwieweit der Geschädigte bzw. sein Anwalt die Obliegenheit hat, das Gutachten darauf zu kontrollieren, ob die Restwertermittlung nach Maßgabe von BGH VA 10, 19, Abruf-Nr. 093553, korrekt ist, ist eine offene Frage in den Veräußerungs- wie in den Behaltensfällen. Deshalb ist Vorsicht geboten. Jedenfalls wenn das Gutachten eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, genießt der Geschädigte Vertrauens- und Dispositionsschutz (grundlegend BGH NJW 93, 1849). Zumindest der anwaltlich beratene Geschädigte sollte den ausgewiesenen Restwert nicht blind übernehmen. Als Voraussetzung für den Vertrauensschutz scheint der BGH ein gewisses Maß an Prüfung zu verlangen; selbstverständlich nicht inhaltlich, sondern in Form einer Evidenzkontrolle (Anzahl der Angebote, keine Angebote vom Internet-Sondermarkt, Herkunft ausschließlich vom allgemeinen regionalen Markt, zu dem auch ortsansässige Restwertaufkäufer zählen, vgl. BGH VA 09, 55). Zur Prüfpflicht bei einem Unternehmen BGH NJW 93, 1849; beim Staat OLG Thüringen SP 09, 110; s.a. LG Saarbrücken SP 09, 292.  

     

    3. Unvollständige Restwertermittlung  

    Angenommen, der Sachverständige listet lediglich drei Angebote regionaler Marktteilnehmer in unterschiedlicher Höhe auf. Auf einen bestimmten Betrag legt er sich nicht fest. Gilt automatisch der Mittelwert?  

     

    Hier ist die Restwertermittlung erkennbar unvollständig. Der Geschädigte ist gut beraten, vom Sachverständigen Nachbesserung zu fordern. Zu einer ordnungsgemäßen Restwertermittlung gehört die Angabe eines bestimmten (nicht nur eines bestimmbaren) Restwerts als Endbetrag.  

     

    4. Festlegung auf Höchstgebot  

    Angenommen, der Sachverständige entscheidet sich bei drei unterschiedlich hohen Regio-Angeboten a) kommentarlos, b) mit Begründung für das Höchstgebot. Muss der Geschädigte mindestens zu diesem Betrag veräußern oder hat er Spielraum nach unten, etwa bis zum niedrigsten Betrag? Und wie ist es beim Behalten des Fahrzeugs und fiktiver TS-Abrechnung?  

     

    Der BGH verlangt nicht, dass der Sachverständige das Höchstgebot des allg. regionalen Markts als Restwert nimmt. Er schreibt auch nicht vor, das niedrigste Gebot zu berücksichtigen oder einen Mittelwert zu bilden. In BGH VA 10, 19 wird nur gesagt, dass (mindestens) drei im Gutachten aufzuführende Angebote eine geeignete Schätzgrundlage bilden. Für welchen Betrag sich der Sachverständige entscheidet, liegt in seinem Beurteilungsspielraum. Veräußert der Geschädigte unter dem vom Sachverständigen favorisierten Höchstgebot, gilt oben Grundsatz Nr. 5. Wie ein Geschädigter vorgehen soll, der noch keine Haftungsübernahme des VR hat, andererseits vollkaskoversichert ist, sagt KG DAR 10, 138. Für den Fall des Behaltens mit Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten ist BGH VA 07, 75, Tz. 11 (Abruf-Nr. 071214) maßgebend: kein Mittelwert, sondern Höchstgebot (Grund: Erzielbarkeit dieses Betrags ist hinreichend wahrscheinlich, § 287 ZPO).  

     

    5. Drei Angebote nicht einholbar  

    Was, wenn der Sachverständige auf dem regionalen Markt keine drei Angebote erhält?  

     

    Die Drei-Angebote-Entscheidung BGH VA 10, 19 gilt nur für den Regelfall. Erhält der Sachverständige weniger als drei Angebote aus dem allgemeinen regionalen Markt, hat er dies im Gutachten anzugeben. Ein Ausweichen auf den sog. Sondermarkt - die Grenze ist fließend und auf Dauer nicht zu halten - ist ihm nach derzeitiger BGH-Rspr. (VA 09, 55) ohne Absprache mit dem Geschädigten nicht gestattet, nicht einmal ein Auffüllen der Angebotsliste mit einem Angebot eines überregionalen „Spezialisten“. Handelt der Sachverständige dem erkennbar zuwider, indem er z.B. ein Internetangebot eines überregionalen Aufkäufers aus einer Restwertbörse aufnimmt, kann der Geschädigte die fehlerhafte Restwertbestimmung ignorieren. Für Beachtlichkeit des höheren Internetangebots, sofern ohne weiteres zugänglich, OLG Hamm VA 09, 56, Abruf-Nr. 090897. Rücksprache mit dem Sachverständigen vor einer Veräußerung ist ratsam, ggf. auch eine Abstimmung mit dem VR. Ein weiteres Gutachten zum Restwert braucht nicht eingeholt zu werden (BGH VA 05, 186, Abruf-Nr. 052785).  

     

    6. Wettlauf mit der Zeit  

    Was gilt bei einem Kontakt zwischen dem Geschädigten und dem VR in der Phase zwischen Unfall und potenzieller Veräußerung?  

     

    Immer früher, oft schon am Unfalltag, gelingt es dem VR, Kontakt zum Geschädigten aufzunehmen. Kommt es zu einer festen Absprache, muss der Geschädigte sich selbstverständlich daran halten. Mitunter ist der Inhalt von Telefonaten strittig. Hier darf der Geschädigte im Prozess nicht mit Nichtwissen bestreiten (LG Duisburg 28.6.07, 12 S 159/06, Abruf-Nr. 072395). Nimmt der Geschädigte den (tel.) Hinweis des Sachbearbeiters auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit ohne Einwände entgegen, darf der VR nach Treu und Glauben erwarten, dass der Geschädigte die Absicht einer früheren Veräußerung mitteilen werde (LG Duisburg a.a.O.). Ebenso, wenn der Sachbearbeiter unwidersprochen um Rücksprache wegen einer günstigeren Verwertungsmöglichkeit gebeten hat (LG Erfurt ZfS 07, 84). Mit der Veräußerung auf unbestimmte Zeit zu warten, ist aber auch nach dieser (umstr.!) Rspr. unzumutbar. Für vierzehn Tage LG Duisburg a.a.O., für eine Woche LG Erfurt a.a.O. Wer ohne vorherige Mitteilung früher veräußert, sollte dafür nachvollziehbare Gründe nennen können. Fazit für den Geschädigten-RA: Trotz günstiger BGH-Rspr. ist in den „Kontaktfällen“ besondere Vorsicht am Platz. Mandanten nach Telefonaten, Schreiben etc. fragen. Wer als Anwalt ein Zuwarten signalisiert, muss sich daran halten (OLG Düsseldorf VA 04, 55, Abruf-Nr. 040654).  

     

    7. Präsentation eines „Überangebots“ rechtzeitig vor Veräußerung  

    Auf Angebote überregionaler Restwertaufkäufer, insbesondere aus Internet-Restwertbörsen, muss sich der Geschädigte grundsätzlich nicht verweisen lassen (BGH VA 09, 55, Abruf-Nr. 090691; BGH VA 07, 75, Abruf-Nr. 071214). Nur in engen - vom BGH noch nicht ausgeloteten - Grenzen sind Ausnahmen möglich. Für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Ausnahmesituation ist der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig (BGH VA 07, 75). Das gilt auch für die Zugangsfrage incl. Zeitpunkt (wobei es auf die schuldrechtliche Bindung ankommt, vgl. OLG Düsseldorf VersR 98, 518). Für den Zeitpunkt des Verkaufs ist der Geschädigte sekundär darlegungs- und beweisbelastet (OLG Düsseldorf, a.a.O.). In den übrigen Details ist Vieles strittig. Die Instanzgerichte urteilen unterschiedlich:  

     

    • Geschädigtengünstig: OLG Frankfurt/M. VA 10, 55, Abruf-Nr. 100791, unter Hinweis auf das Kasko-Urteil OLG Karlsruhe 28.8.09, 12 U 90/09, Abruf-Nr. 092926; Thüringer OLG SP 09, 110.
    • In der Tendenz versicherungsgünstig: OLG Düsseldorf VersR 98, 518; VA 04, 55, Abruf-Nr. 040654; VA 04, 110, Abruf-Nr. 041513 (AutoOnline); VA 07, 209, Abruf-Nr. 073447 (Car tv); AG Duisburg SP 09, 333 (AutoOnline, aber regionaler Anbieter).

     

    Mindestvoraussetzung ist, dass die Angebote eine kostenlose Abholung und Barzahlung verbindlich zusagen. Der Geschädigte muss praktisch nur noch anrufen, um das Geschäft perfekt zu machen. Von der „Entfaltung eigener Initiative“ stellt BGHZ 143, 189 ihn frei. Die Befristung des Angebots ist kein Nichtannahmegrund. Der Geschädigte darf keinem wesentlich höheren Risiko ausgesetzt sein als bei einer Veräußerung an einen seriösen Händler aus der Region. Diskutiert werden, nicht immer realitätsnah, folgende Risiken: Falschgeldrisiko, Risiko der Entwendung des Fahrzeugs anlässlich der Geldkontrolle in der Bank, Gewährleistungsrisiko, Risiko infolge der Fremdheit des Aufkäufers.  

     

    8. Restwertregress des VR gegen den Sachverständigen  

    Maßgebend ist weiterhin BGH VA 09, 55, Abruf-Nr. 090691; nunmehr im Licht der Drei-Angebote-Entscheidung BGH VA 10, 19, Abruf-Nr. 093553. Pro SV: LG Kleve SP 09, 113; pro VR: LG Düsseldorf SP 09, 82; LG Heidelberg SP 09, 27. Zum Ganzen Dickmann, SVR 09, 208 ff.; Eggert, NZV 09, 367 ff.  

     

    9. Abwrackprämie  

    Soweit ersichtlich, hat bisher nur das AG Nürtingen (17.2.10, 11 C 1598/09, Abruf-Nr. 100891) die Abwrackprämie von 2.500 EUR als Restwert voll angerechnet. Das Urteil überzeugt nicht (zum Problem auch Voit/Geck, NJW 10, 117; Buck NZV 10, 122).  

    Quelle: Ausgabe 06 / 2010 | Seite 95 | ID 135835