01.10.2006 | Unfallschadensregulierung
Besonderheiten beim Motorradunfall
Unfälle mit Motorrädern sind „sehr variantenreich und von vielen Parametern beeinflusst“, so der DEKRA-Befund. Auch in haftungsrechtlicher Hinsicht sind vielfältige Besonderheiten zu beachten, vom Haftungsgrund bis hin zur Abrechnung von Einzelpositionen. Einschlägige Informationen, die Sie in Handbüchern und Kommentaren, wenn überhaupt, nur verstreut finden, erhalten Sie hier kurz und knapp auf einen Blick.
Checkliste I: Sonderfragen der Unfallrekonstruktion |
1. Geschwindigkeitsermittlung: Vom Ansatz her wird die Ausgangsgeschwindigkeit nicht anders als bei einem Pkw ermittelt. Zu beachten sind jedoch folgende Besonderheiten:
2. Vermeidbarkeitsanalyse: Wichtig ist Folgendes:
3. Beleuchtung: Nach § 17 Abs. 2a StVO müssen Krafträder auch am Tag mit Abblendlicht fahren. Ob Licht eingeschaltet war, kann durch eine Untersuchung der Glühlampen geprüft werden (gilt auch für Blinklicht).
4. Helmpflicht: Nach § 21a Abs. 2 StVO müssen Fahrer und Beifahrer eines Krads einen „geeigneten Schutzhelm“ (früher: amtlich genehmigter Schutzhelm) tragen. Ob der zur Unfallzeit getragene Schutzhelm vorschriftsmäßig ist (zur Neuregelung ab 1.1.06 s. VA 06, 89) und auch ordnungsgemäß angelegt war, sind Themen für einen Sachverständigen. |
Checkliste II: Haftungsgrund/Mithaftung |
1. Gefährdungshaftung: Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der Halter, nach § 18 Abs. 1 StVG der Fahrer für einen Schaden, der „bei dem Betrieb“ des Motorrades entstanden ist. Näheres zum Merkmal „bei dem Betrieb“ in VA 05, 45 ff.; zum Umkippen eines geparkten Krades siehe AG Berlin-Mitte SP 05, 332; zur Fallgruppe „Unfall ohne Berührung“ siehe VA 05, 156 ff.; weitere Motorradfälle OLG Düsseldorf NZV 06, 415; OLG München DAR 90, 340.
2. Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt: Nach § 7 Abs. 2 StVG ist die Ersatzpflicht des Motorrad-Halters gegenüber Fußgängern und Radfahrern nur bei höherer Gewalt ausgeschlossen, praktisch also nie.
3. Haftungsausschluss wegen Unabwendbarkeit: Nach § 17 Abs. 3 StVG ist die Halterhaftung gegenüber einem anderen motorisierten Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Aktuell dazu BGH NJW 06, 896; VersR 05, 566; OLG Koblenz NJW-RR 06, 94. Zum „idealen“ Kradfahrer siehe BGH NJW 85, 490; OLG Koblenz 28.4.06, 12 U 61/05, Abruf-Nr. 062623 (Unabwendbarkeit bejaht !). Praktisch gelingt der Entlastungsbeweis höchst selten, weil meist irgendein relevanter Punkt zu Lasten des Kradfahrers ungeklärt bleibt.
4. Entlastungsbeweis des Nur-Fahrers: Nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG kann sich der Fahrer (der kein Halter ist) von seiner Ersatzpflicht befreien, wenn er seine Schuldlosigkeit nachweist. Es gilt der Maßstab des § 276 BGB, nicht der des § 17 Abs. 3 StVG.
5. Erhöhte Betriebsgefahr wegen bauartbedingter Instabilität? Für sich allein nicht, so OLG Saarbrücken MDR 05, 1287; anders i.V.m. mit Geschwindigkeitsüberschreitung (BGH NJW 94, 2829) und/oder Abbremsen mit Sturz (LG Dresden DAR 06, 214).
6. Mithaftung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung: Zur Ermittlung s. Checkliste I; zur Kausalität grdl. BGH NJW 03, 1929 (sehr wichtiges Urteil). Zum Einwand, auch bei zulässigem Tempo gestürzt zu sein (Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten), siehe BGH 5.10.04, VI ZR 348/03, Abruf-Nr. 062624, n.v.
7. Mithaftung wegen Verstoßes gegen die Helmpflicht: Ausführlich dazu VA 06, 60 ff.; siehe auch OLG Hamm OLGR 01, 327 – Regentropfen auf Sichtscheibe des Visiers. Bei Unfallverletzungen, die bei Schutzkleidung vermieden worden wären, kommt eine Anspruchskürzung in Frage (AG Hannover zfs 96, 445).
8. Mithaftung wegen Fahrens ohne Licht: Verstöße von Kradfahrern gegen § 17 StVO spielen in der Praxis eine große Rolle. Bei einem Beleuchtungsverstoß spricht der Anschein für eine Unfallursächlichkeit (BGH NJW 05, 1351; auch zur Haftungsverteilung).
9. Mithaftung wegen vorschriftswidriger Ausrüstung: Fehlen des linken Außenspiegels (OLG Hamm NZV 95, 194).
10. Mithaftung wegen Alkohols: zur Berücksichtigung bei Verkehrsunfällen grdl. BGH NJW 95, 1029; siehe auch OLG Düsseldorf 12.12.05, I-1 U 92/05, Abruf-Nr. 062625 (Rollerfahrer mit 1, 32 Vol.-%). |
Checkliste III: Haftungsquoten in typischen Fällen | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Unfall im Begegnungsverkehr
Unfall mit Vorfahrtverletzung
Unfall beim Überholen
Unfall zwischen Abbieger und überholendem Krad pro Krad Sachverhalt Fundstelle 100 % Pkw biegt nach li. in Grundstück ab, Kollision mit Krad 100 % Pkw biegt nach li. ab (Verstoß gegen § 9 I StVO), Krad nur reine Betriebsgefahr OLG Nürnberg NZV 03, 89 50 % Pkw nach re. in Garageneinfahrt, Roller re. Überholen, beiderseitiges Verschulden OLG Saarbrücken OLGR 03, 108 20 % Pkw will nach li. abbiegen, Krad (in Kolonne) überholt bei unklarer Verkehrslage OLG Köln 28.1.03, 3 U 85/02, Abruf-Nr. 052874 |