01.03.2006 | Unfallschadensregulierung
Haftungsabwägung bei Schädigermehrheit und Mithaftung des Geschädigten
Nimmt der Geschädigte mehrere Nebentäter in Anspruch, so ist seine Mitverantwortung gegenüber jedem der Schädiger gesondert nach § 254 BGB (§ 17 StVG) abzuwägen (Einzelabwägung). Zusammen haben die Schädiger jedoch nicht mehr als den Betrag aufzubringen, der bei einer Gesamtschau des Unfallgeschehens dem Anteil der Verantwortung entspricht, die sie im Verhältnis zur Mitverantwortung des Geschädigten insgesamt tragen (Gesamtabwägung). Die aus der Gesamtschau zu gewinnende Schadensquote ist stets zu ermitteln, wenn der Geschädigte gegen mehrere Schädiger gleichzeitig vorgeht oder wenn sich nach der Inanspruchnahme eines Schädigers die Frage stellt, was die übrigen Schädiger noch aufzubringen haben (BGH 13.12.05, VI ZR 68/04, Abruf-Nr. 060388). |
Sachverhalt
Der klagende Sozialversicherungsträger verlangt Ersatz von Aufwendungen für eine bei ihm versicherte Verletzte. Auf deren Pkw, in dem sie als Beifahrerin saß, war der Bekl. zu 5 aufgefahren. Der Fahrer (= Onkel der Versicherten) stellte den beschädigten Wagen auf dem Standstreifen der A 29 ab. Etwa zehn Minuten später näherte sich der Unfallstelle ein Fahrschul-Lkw der Bundeswehr (Bekl. zu 4). Ihm folgte ein Lkw der Bekl. zu 2, gesteuert vom Bekl. zu 1 und versichert bei der Bekl. zu 3. Um der Versicherten oder ihrem Onkel auszuweichen – beide hielten sich außerhalb ihres Pkw auf –, zog der Bundeswehr-Lkw nach links. Inzwischen war der nachfolgende Lkw zum Überholen auf den linken Fahrstreifen gewechselt. Dort fuhr er auf den Bundeswehr-Lkw auf. Der Anhänger des auffahrenden Lkw wurde nach rechts geschleudert und erfasste die Versicherte und ihren Onkel. Das OLG hat die gesamtschuldnerische Haftung der Bekl. zu 1 bis 3 auf 45 % und die Belastung der Bekl. zu 4 (Bundeswehr) auf 20 % festgesetzt. Der BGH hat das Urteil aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Nach Ansicht des BGH beruht die Haftungsabwägung des OLG auf falschen Erwägungen. Wenn der Geschädigte die mehreren Nebentäter wegen seiner eigenen Mithaftung nicht auf vollen Schadensausgleich in Anspruch nehmen könne, sei das Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung (§ 840 BGB) mit dem Abwägungsprinzip (§§ 254 BGB, 17 StVG) in Einklang zu bringen. Wie dies zu geschehen hat, geht aus dem oben mitgeteilten Leitsatz und der weiteren Urteilsbegründung hervor. Beanstandet hat der BGH ferner die Bewertung der Betriebsgefahr des Bundeswehr-Lkw im Verhältnis zum Pkw der Versicherten. Womöglich sei der Lkw zu schnell gewesen, was auf Antrag des Klägers hätte aufgeklärt werden müssen. Keinen Bestand hatten auch die Feststellungen, mit denen das OLG die Mithaftung der Bekl. zu 1 – 3 (Lkw II) begründet hat. Ohne erneute Beweisaufnahme hätte das OLG nicht von der erstinstanzlichen Feststellung zum Aufenthaltsort der Versicherten und ihres Onkels abweichen dürfen. Wie deren Verhalten mit Blick auf die Betriebsgefahr des abgestellten Pkw zu bewerten ist, zeigt der BGH auf.
Praxishinweis
Wenn für ein und dieselbe Schädigung mehrere Schädiger als Nebentäter ohne Zutun des Geschädigten verantwortlich sind, kann ein jeder für sich, aber auch alle zusammen, auf vollen Ersatz verklagt werden. Schwierig wird es, wenn der Geschädigte mithaftet. Der BGH löst das Problem durch eine Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung auf ziemlich komplizierte Weise. Nähere Einzelheiten und weiterführende Hinweise bei Geigel/Rixecker, 24. Aufl., 2. Kap. Rn. 25 ff.
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