01.05.2006 | Unfallschadensregulierung
Kausalität einer Geschwindigkeitsüberschreitung trotz Unvermeidbarkeit
1. Hat ein Kraftfahrer die zulässige Geschwindigkeit überschritten, lässt sich aber weder die örtliche noch die zeitliche Vermeidbarkeit feststellen, so besteht gleichwohl der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen dem Geschwindigkeitsverstoß und den erlittenen Verletzungen, wenn es bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufs und der erlittenen Verletzungen gekommen wäre (Anschluss an die st. Rspr. des BGH, zuletzt NJW 05, 1940 = VA 05, 152, Abruf-Nr. 051583). |
2. Die Haftung des Schädigers ist in einem solchen Fall nicht auf diejenigen Verletzungen zu beschränken, die allein auf Grund der höheren Geschwindigkeit hervorgerufen worden sind. Vielmehr ist es sachgerecht, bei feststehender „Schadensabmilderung“ eine Haftungsquote nach Prozentsätzen vom Gesamtschaden auszuurteilen. |
3. Eine tatsächliche Vermutung spricht dafür, dass ein Fußgänger, der von einem Pkw angefahren wird, bei einer Kollisionsgeschwindigkeit von ca. 26 km/h deutlich geringere Verletzungen erlitten hätte als bei einer tatsächlichen Kollisionsgeschwindigkeit von ca. 41 km/h. |
(KG 24.11.05, 12 U 188/04, Abruf-Nr. 061056, nrkr. – Leitsätze der Redaktion) |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der Kläger war als Fußgänger beim Überqueren einer Straße von einem Pkw angefahren worden. Dessen Ausgangsgeschwindigkeit betrug mindestens 58 km/h. Dass der beklagte Fahrer bei Einhaltung der innerorts zulässigen 50 km/h den Unfall räumlich oder zeitlich hätte vermeiden können, war nicht feststellbar. Bei Tempo 50 hätte die Kollisionsgeschwindigkeit aber nur ca. 26 km/h betragen, während sie bei der effektiven Geschwindigkeit von mind. 58 km/h bei ca. 41 km/h gelegen hat. Nach der BGH-Rspr. sei daher der Frage nachzugehen, ob die Verletzungen bei Tempo 50 geringer ausgefallen wären. Allerdings seien die Einzelheiten der Haftung in solchen Fällen noch nicht geklärt, weshalb die Revision zuzulassen sei. Das KG entscheidet sich in rechtlicher Hinsicht für eine Gesamtbetrachtung/Gesamtquote (s. Leitsatz 2) und gelangt im Tatsächlichen zur Feststellung einer hypothetischen „Schadensabmilderung“ (s. Leitsatz 3).
Praxishinweis
Wiederholt hat der BGH in Fällen mit Geschwindigkeitsüberschreitung darauf hingewiesen, dass die Kausalitätsprüfung nicht beendet ist, wenn sich die räumliche oder zeitliche Vermeidbarkeit bei ordnungsgemäßer Fahrweise nicht feststellen lässt (vgl. BGH NJW 05, 1940 = VA 05, 152, Abruf-Nr. 051583). Die sich dann – noch im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität – stellende Anschlussfrage nach der Auswirkung auf den Unfallverlauf und die erlittenen Verletzungen bzw. die eingetretenen Sachschäden wird oft gar nicht erst erkannt. Dabei kommt es auch im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 StVG auf die „Zurechnung“ des Tempoverstoßes an.
Abzuwarten bleibt, ob die zugelassene Revision durchgeführt wird. Mit dem KG und anderen Instanzgerichten eine „Gesamtbetrachtung“ anzustellen und eine einheitliche Mithaftungsquote zu bilden, ist sachgerecht (Parallele zur Kausalitätsprüfung in Gurtfällen, s. VA 06, 60). Spätestens wenn die Vermeidbarkeitsfrage zugunsten des Schädigers beantwortet worden ist, muss der Anwalt des Geschädigten zur „Schadensverringerung“ so konkret wie möglich vortragen und Beweis anbieten (bei Körperverletzungen unfallmedizinisches, bei Fahrzeugschäden verkehrstechnisches Gutachten).
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