01.08.2005 | Unfallschadensregulierung
Kausalitätsfragen im Haftpflichtprozess
Mehrere aktuelle BGH-Entscheidungen, nicht zuletzt das in dieser Ausgabe auf Seite 133 vorgestellte Urteil vom 19.4.05 (VI ZR 175/04, Abruf-Nr. 051584), geben Veranlassung, das komplexe Thema „Kausalität“ im Zusammenhang darzustellen und anhand praxisrelevanter Fallbeispiele zu erläutern.
Basiswissen kompakt |
1.Terminologie: Unter Kausalität versteht man allgemein den Zusammenhang zwischen Handlung, Rechtsgutsverletzung und Schaden. Im zivilen Haftungsrecht haben sich zahlreiche Sonderformen der Kausalität herausgebildet: Die Rede ist von Mitkausalität, von Gesamtkausalität, von hypothetischer Kausalität u.a. Die für die Praxis wichtigste Unterscheidung ist folgende:
2.Unterscheidung: Der haftungsbegründenden Kausalität wird die haftungsausfüllende Kausalität gegenübergestellt. Bei der haftungsbegründenden Kausalität geht es um den Haftungsgrund, um den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Handeln des Schädigers oder einem betriebsgefährlichen Vorgang (z.B. § 7 Abs. 1 StVG) und der Verletzung eines Rechtsguts des Geschädigten. Ob ihm daraus ein Schaden in welchem Ausmaß entstanden ist, betrifft die haftungsausfüllende Kausalität. Die Trennung der beiden Kausalbeziehungen ist deshalb so wichtig, weil unterschiedliche Beweismaße gelten.
3.Beweismaßunterschiede:
4.Vermeidbarkeit: Ihre zivilrechtliche Heimat hat die Vermeidbarkeitsprüfung bei der deliktischen Haftung. Bei § 847 BGB a.F. war sie ein zentrales Thema in Schmerzensgeldprozessen. Auch in Haftungsfällen seit dem 1.8.02 prüfen Sachverständige weiterhin, ob der Unfall für den Beklagten vermeidbar war. Ob es bei der Vermeidbarkeit um die haftungsbegründende Kausalität oder um den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens oder gar um ein zum Verschulden (Fahrlässigkeit) gehörendes Kriterium gehört, wird i.d.R. nicht thematisiert. In der Praxis geht es meist darum, ob der Kraftfahrer, der zu schnell gefahren ist, die Kollision bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit – räumlich und zeitlich – hätte vermeiden können. Das ist für den BGH eine Frage des „rechtlichen Ursachenzusammenhangs“ (VA 03, 98, Abruf-Nr. 031164 = NZV 04, 21). Er ist schon anzunehmen, wenn der Unfall bei ordnungsgemäßer Fahrweise zu deutlich geringeren Verletzungen geführt hätte (BGH VA 02, 113, Abruf-Nr. 020781 = NJW 02, 2324).
5.Mitursächlichkeit: Der Beitrag des Schädigers muss nicht die alleinige Ursache für die Rechtsgutsverletzung und den daraus entstehenden Schaden sein. Das Zivilrecht unterscheidet auch nicht zwischen wesentlichen und unwesentlichen Ursachen. Auch eine Mitursächlichkeit, sei es auch nur als „Auslöser“ neben erheblichen anderen Umständen, steht der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich gleich (BGH VA 05, 133, Abruf-Nr. 051584). So kann auch die Mitverursachung einer Verschlechterung im Befinden ausreichen, um die volle Haftung auszulösen (BGH a.a.O). Zumal in medizinischen Gutachten wird diese Gleichstellung häufig verkannt. In den Urteilen pflanzt sich dieser Fehler nicht selten fort – zum Nachteil der Geschädigten.
6.Sonstige Zurechnungskriterien: Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinn ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für eine Schadenszurechnung. Mit dem Gesichtspunkt der Adäquanz bemüht man sich um eine erste Eingrenzung der Ersatzpflicht. Ein weiterer Filter steht mit dem Kriterium „Schutzzweck der Norm“ zu Verfügung. In einer Reihe von Sonderfällen hat der BGH den haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang trotz adäquater Kausalität verneint (z.B. NJW 04, 1375 – Zweitunfall).
7.Bedeutung der Kausalität bei der Haftung nach § 7 StVG: Hier ist auf zwei Punkte zu achten:
8.Bedeutung der Kausalität bei deliktischer Haftung: In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob die Handlung conditio sine qua non ist. Das ist nur in ganz seltenen Fällen zu verneinen (z.B. BGHZ 66, 398 – Rückstufungsschaden). Die Anschlussfrage nach der Adäquanz der Kausalität erfordert ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Nur sehr eigenartige Kausalverläufe („exotische Fälle“) werden hier ausgeschlossen. Zum Teil verzichten die BGH-Senate im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität auf die Adäquanzprüfung und beurteilen den Zurechnungszusammenhang nach anderen Gesichtspunkten wie z.B. dem Schutzzweck der Norm. Soweit es um die haftungsausfüllende Kausalität geht, besteht zwischen deliktischer Haftung und Gefährdungshaftung kein Unterschied.
9.Kausalität und Mitverschulden: Zu unterscheiden ist zwischen einem Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens (§ 254 Abs. 1 BGB) und der Verletzung der Pflicht, den Schaden abzuwenden oder gering zu halten (§ 254 Abs. 2 BGB):
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Problemgruppen |
1. Zweitunfälle Beispiel 1(haftungsbegründende Kausalität/Zurechnungszusammenhang): Bei Dunkelheit und Regen waren A und B zusammengestoßen. Beide Fahrzeuge standen quer auf der dreispurigen Autobahn und versperrten den zweiten und dritten Fahrstreifen. Der nachfolgende X erkannte den Unfall rechtzeitig, hielt an und sicherte die Unfallstelle. Einige Kraftfahrer passierten problemlos. S fuhr jedoch ungebremst in den Wagen des X. Von A verlangt S einen Teil seines Schadens ersetzt.
Lösung: Der Erstunfall war zwar für den Zweitunfall und seine Folgen adäquat kausal. Gleichwohl muss A als Mitverantwortlicher des Erstunfalls nicht für die Folgen des Zweitunfalls einstehen. Im Rahmen der Deliktshaftung fehlt es bei der gebotenen wertenden Betrachtung am Zurechnungszusammenhang (BGH NJW 04, 1375). Ob auch eine Zurechnung des Zweitunfalls zur Betriebsgefahr des Fahrzeugs des A zu verneinen ist, hat der BGH offen gelassen. Die Haftungsfreistellung des A über die Abwägung nach § 17 StVG blieb unbeanstandet.
Beispiel 2(Zurechnungszusammenhang bei Fehlreaktion): Im Anschluss an die Kollision mit dem Krad des Bekl. fuhr die Kl. mit ihrem Pkw noch gegen ein Verkehrsschild sowie einen Mauersockel. Ob die Kollision mit dem Mauersockel ursächlich auf die Pkw-Krad-Kollision zurückzuführen ist und der weitere Schaden dem Bekl. zuzurechnen ist, war strittig.
Lösung: Das OLG Celle hat die (anteilige) Haftung des Bekl. bejaht. Zunächst hat es eine adäquate Verursachung angenommen, um sodann die Frage zu prüfen, ob auch der Zurechnungszusammenhang besteht. Nach dem Gutachten kamen für den Maueraufprall zwei Ursachen in Frage: Unterlassen des gebotenen Lenkeinschlags durch eine psychische bzw. physische Beeinträchtigung oder ein Abrutschen vom Brems- auf das Gaspedal. So oder so sei der haftungsrechtliche Zusammenhang mit dem Erstunfall gegeben (27.9.01, 14 U 23/01, Abruf-Nr. 051990).
Beispiel 3 (haftungsausfüllende Kausalität/Mitursächlichkeit): Die Klägerin war in zwei Unfälle verwickelt: Beim ersten Unfall erlitt sie eine HWS-Distorsion. Beim zweiten Unfall wurde sie gleichfalls verletzt. Im Prozess der Klägerin gegen alle Verantwortlichen aus beiden Unfällen war streitig, welche Schäden Unfallfolgen und auf welchen der Unfälle sie zurückzuführen sind.
Lösung: Hier ist Folgendes zu beachten:
2. Schadensanfälligkeit und Vorschäden Schwerpunktmäßig geht es in diesen Fällen, die in der gerichtlichen Praxis die größten Schwierigkeiten machen, um die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität. Im Vordergrund stehen Streitigkeiten i.Z.m. HWS-Verletzungen und deren Folgen, wobei psychische Störungen eine besondere Problemgruppe bilden (aktuell BGH VA 04, 127, Abruf-Nr. 041228 = NJW 04, 1945). Typisch ist der Einwand des Schädigers/Versicherers, die – bestrittene – HWS-Verletzung könne die geltend gemachten Beschwerden nicht verursacht haben. Sofern sie überhaupt existent seien, gingen sie auf zum Unfallzeitpunkt bereits vorhandene (Vor-)Schäden zurück, etwa degenerative Verschleißerscheinungen. Prüfschritte:
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