01.09.2006 | Unfallschadensregulierung
Kein Restwertregress
1. Der nach einem Verkehrsunfall mit der Erstellung eines Restwertgutachtens beauftragte Sachverständige ist nicht verpflichtet, Angebote der sog. Online-Börse einzuholen, da der Geschädigte selbst das Fahrzeug auf diesem Markt nicht anzubieten braucht. |
2. Die Schutzwirkung des Sachverständigenauftrags zugunsten der Versicherung des Unfallgegners erweitert die Pflichten des Gutachters nicht. |
3. Nur wenn der Geschädigte ausdrücklich mitteilt, den Schaden (teilweise) selbst tragen zu müssen, hat der Sachverständige ihm auch Verkaufmöglichkeiten auf dem Online-Markt aufzuzeigen. |
(OLG Celle 23.5.06, 16 U 123/05, nrkr., Abruf-Nr. 062361) |
Sachverhalt
Ausgangspunkt ist ein Unfall, bei dem ein Versicherungsnehmer der klagenden KH-Versicherung den Lkw eines Fuhrunternehmers beschädigt hatte. Zur Schadenschätzung beauftragte dieser das beklagte Sachverständigenbüro mit der Erstellung eines Gutachtens. Der Restwert des Lkw wurde nach Einholung von nur zwei Angeboten auf dem regionalen Markt – ohne Einbeziehung von Internetangeboten – mit 4.500 EUR beziffert. Zu diesem Betrag veräußerte der Geschädigte das Unfallfahrzeug. Nach Erhalt des Gutachtens stellte die Klägerin das Fahrzeug bei AUTOonline ein. Als Höchstgebot wurde ein Betrag von 12.068,97 EUR netto genannt. Weitere Nettogebote lagen zwischen 10.000 und 11.000 EUR. Darauf gestützt, hat die Klägerin dem Beklagten vorgeworfen, den Restwert erheblich zu niedrig geschätzt zu haben. Das LG hat der Schadensersatzklage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung des Sachverständigenbüros hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Zwar sei es richtig, dass der zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigenbüro abgeschlossene Gutachterauftrag, ein Werkvertrag, Schutzwirkung zugunsten der Klägerin entfaltet habe. Der Restwert sei aber ohne Verletzung einer Vertragspflicht ermittelt worden. Bezogen auf den regionalen Markt läge der Gutachten-Restwert zwar am unteren Rand, wie das Gerichtsgutachten zeige. Internetangebote seien nach überwiegender und zutreffender Rechtsprechung prinzipiell nicht zu berücksichtigen. Aus einer Vielzahl von Gründen sei es einem Geschädigten nicht zuzumuten, sich auf den Online-Markt zu begeben. Für einen gewerblich tätigen Geschädigten (hier: Fuhrunternehmer) gelte nichts anderes. Der Pflichtenkreis des Sachverständigen erweitere sich nicht dadurch, dass der gegnerische KH-Versicherer in den Schutzbereich des Gutachtervertrages einbezogen sei. Wegen der abweichenden Judikatur einer Vielzahl von Instanzgerichten hat das OLG die Revision zugelassen. Abschließend hat es darauf hingewiesen, dass der Sachverständige ausnahmsweise auch den „Online-Markt“ einbeziehen müsse, nämlich dann, wenn der Geschädigte ausdrücklich mitteile, seinen Schaden teilweise selbst tragen zu müssen. Von sich aus müsse der Sachverständige nicht nach einer etwaigen Mithaftung fragen.
Praxishinweis
Um vor allem den Sachverständigen die nötige Sicherheit zu geben, ist zu wünschen, dass es in diesem Fall zu einer – vertragsrechtlich fundierten – Revisionsentscheidung kommt (siehe bereits LG Duisburg 11 S 119/03 = BGH III ZR 452/04 mit Verzichtsurteil). Das OLG-Urteil hilft einstweilen allen Sachverständigen, die in Restwertregresse verwickelt sind, aber auch Geschädigten, denen KH-Versicherer höhere Internetangebote entgegenhalten.
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