24.08.2009 | Unfallschadensregulierung
Mithaftung bei Geschwindigkeitsüberschreitung?
Der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen einem Überholvorgang unter Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und der anschließenden Kollision mit einem vom Fahrbahnrand anfahrenden und wendenden Fahrzeug ist nur zu bejahen, wenn der Unfall bei Beachtung der Verkehrsvorschriften durch den Vorfahrtberechtigten zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation vermeidbar gewesen wäre (OLG Celle 27.5.09, 14 U 2/09, Abruf-Nr. 092065). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Unfallort innerstädtisch: Der Kläger wollte vom rechten Fahrbahnrand anfahren und sogleich wenden. Von hinten näherte sich der Beklagte mit seinem Krad. Nach Klägerangaben war er zunächst durch einen in gleicher Richtung mit ca. 50 km/h fahrenden Lkw verdeckt. Außerdem sei er zu schnell gefahren. Nach Aufklärung durch Zeugen- und Sachverständigenbeweis hat das LG die Klage abgewiesen. Eine etwaige Betriebsgefahr des Krads trete angesichts der grob fahrlässigen Fahrweise des Klägers zurück.
Dessen Berufung blieb erfolglos. Das OLG verneint einen unfallursächlichen Verkehrsverstoß des Kradfahrers. Zwar habe er bei seinem Überholmanöver entweder gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO (50 km/h) oder gegen § 5 Abs. 2 S. 2 StVO (Überholen nur mit wesentlich höherer Geschwindigkeit) verstoßen. Es sei indes nicht feststellbar, dass der Unfall bei Einhaltung dieser Vorschriften vermeidbar gewesen sei. Abzustellen sei auf den Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation. Das sei hier nicht das Anfahren vom Fahrbahnrand, sondern erst das Erkennbarwerden des Wendens. Bei Erkennbarkeit dieses Vorgangs (Reaktionsaufforderung) sei das Krad beweisbar zwischen 50 und 55 km/h gefahren, wobei zugunsten des Kradfahrers von 50 km/h auszugehen sei. Erwogen hat der Senat, ob die kritische Verkehrssituation „vorverlegt“ werden müsse, d.h. vor den Zeitpunkt der Erkennbarkeit der Vorfahrtverletzung des wendenden Klägers. Dahinter steht die Überlegung, dass eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit den Wartepflichtigen zu einer Fehleinschätzung verleiten kann („schaffe ich noch“). Dass das Krad in der Phase vor der Erkennbarkeit des Wendens schneller als 50 km/h war, konnte indes gleichfalls nicht festgestellt werden. Damit blieb es bei einem Alleinverschulden des Klägers. Es stand schon nach Anscheinsgrundsätzen fest.
Praxishinweis
Das Urteil arbeitet mustergültig die entscheidenden, aber oft vernachlässigten Punkte heraus. Obgleich der Kradfahrer nicht korrekt gefahren ist (man beachte die Wahlfeststellung), konnte ihm ein unfallursächliches Verschulden nicht nachgewiesen werden. Die Kausalitätsprüfung (Zurechnungszusammenhang) kommt bei nicht spezialisierten Spruchkörpern häufig zu kurz. Und wenn man daran denkt, bleibt die Vorverlegungsfrage meist buchstäblich auf der Strecke (Näheres in VA 09, 42).
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