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  • 24.11.2009 | Unfallschadensregulierung

    Muss der Geschädigte die Kosten der Schadensbehebung vorfinanzieren?

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    Grundsätzlich ja, heißt es im Anwaltshandbuch Verkehrsrecht (Teil 3, Rn. 281). Sei der Geschädigte zur Vorfinanzierung nicht in der Lage oder ihm dies jedenfalls nicht zuzumuten, könne er auf Kosten des Schädigers einen Kredit aufnehmen. Auf die Notwendigkeit der Kreditaufnahme müsse rechtzeitig hingewiesen werden. Damit wird ein Problemkreis angesprochen, der von großer praktischer Bedeutung ist, nicht zuletzt für den Anwalt des Geschädigten. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte ist uneinheitlich; zulasten der Geschädigten tendenziell zu weit entfernt von den BGH-Grundsätzen.  

     

    I. Die Rechtsprechung des BGH in zehn Punkten
    1. Grundsätzlich ist es Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren (BGH NJW 74, 34; NJW 89, 290). Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz (BGH NJW 09, 910).

     

    2. Grundsätzlich ist der Geschädigte nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Vermeidung von Folgeschäden Kredit aufzunehmen (BGH NJW 89, 290; NJW 02, 2553, NJW-RR 06, 394).

     

    3. Verfügbare Eigenmittel: Ihr Einsatz zur Finanzierung der Instandsetzung oder Ersatzbeschaffung oder zur Anmietung eines Ersatzfahrzeugs ist dem Geschädigten nur zuzumuten, sofern dies ohne besondere Einschränkung der gewohnten Lebensführung möglich ist (BGH NJW 74, 34; NJW 07, 1676 Tz. 9).

     

    4. Kreditaufnahme: Nur ausnahmsweise besteht eine Pflicht zur Kreditaufnahme. Das ist der Fall wenn der Geschädigte sich den Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird (BGH NJW-RR 06, 394; NJW 02, 2553, 2555). Siehe auch BGH NJW 89, 290: „nur unter besonderen Umständen“.

     

    5. Kreditkarte: Ihr Einsatz kann nur verlangt werden, soweit es dem Geschädigten möglich und zumutbar ist (BGH NJW 05, 1933; NJW 06, 1508; NJW 07, 1676).

     

    6. Deckungszusage/Kostenvorschuss: Steht ausreichend Zeit zwischen dem Unfall und der Anmietung eines Ersatzwagens zur Verfügung, kann der Geschädigte verpflichtet sein, vom Versicherer eine Deckungszusage oder einen Kostenvorschuss anzufordern (BGH NZV 08, 286 Tz. 19). Einen Rechtsanspruch auf Kostenvorschuss lehnt der BGH nach wie vor ab. Noch nicht entschieden hat er die umstrittene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Geschädigte seine Vollkasko zur Schadensminderung in Anspruch nehmen muss (zum Dürfen: BGH VA 06, 153; NJW 07, 66).

     

    7. Darlegungs- und Beweislast: Für die Möglichkeit und Zumutbarkeit des Einsatzes eigener Mittel, einer Kreditkarte oder einer Kreditaufnahme ist primär der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig (BGH NJW-RR 06, 394; NJW 07, 1676). Kann der Schädiger zu den Umständen aus eigenem Wissen nicht vortragen, trifft den Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast (BGH a.a.O.).

     

    8. Hinweis- und Warnpflicht: Nach Treu und Glauben kann der Geschädigte verpflichtet sein, den Schädiger/Versicherer auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens i.S.d. § 254 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB aufmerksam zu machen, der dadurch droht, dass Mittel zur (Vor-)Finanzierung der Schadensbeseitigung fehlen (BGH NJW 89, 290).

     

    9. Kausalität und Beweismaß: Zwischen dem pflichtwidrigen Unterlassen, sei es in Form mangelnder Warnung, sei es durch Unterbleiben einer Vorfinanzierung, und der Höhe des Schadens muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (BGH VersR 86, 1208; NJW 89, 290). Es geht um die nach § 287 ZPO festzustellende haftungsausfüllende Kausalität (BGH VersR 86, 1208) mit Darlegungs- und Beweislast des Schädigers. Die Verletzung der Obliegenheit nach § 254 Abs. 2 BGB ist nach § 286 ZPO festzustellen (BGH VersR 86, 1208).

     

    10. Die Kehrseite: Ein Geschädigter, dem es nicht möglich oder zumutbar ist, die Kosten der Wiederherstellung aus eigenen Mitteln vorzustrecken, darf Fremdmittel in Anspruch nehmen. Die dadurch anfallenden Kosten sind, soweit erforderlich, gem. § 249 BGB erstattungsfähig, und zwar unabhängig von einem Verzug des Schädigers/Versicherers (BGH NJW 74, 34).
     

     

    II. Fallgruppe „Einsatz von Eigenmitteln“
    1. Ausgangspunkt sind die in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zu sehenden BGH-Aussagen Nr. zwei und drei.

     

    2. Parameter: Entscheidend ist, ob der Einsatz vorhandener Eigenmittel „ohne besondere Einschränkung der gewohnten Lebensführung“ möglich ist. Ob der Schädiger allein oder nur nach einer Quote haftet, ist unerheblich. Erwerbslose, Gering- und auch noch Durchschnittsverdiener brauchen selbst vergleichsweise geringe Mietwagenkosten nicht bar vorzufinanzieren (Zeitungsausträgerin/OLG Nürnberg 28.9.06, 2 U 1169/06, Abruf-Nr. 063456; Lohnlandwirt/OLG Köln NZV 07, 81; Lagerarbeiter/AG Dortmund 24.10.06, 123 C 8123/06, Abruf-Nr. 063458; Rentner mit 400 Euro-Job/LG Hagen 27.10.06, 1 S 15/05, Abruf-Nr. 063457). Unverständlich streng LG Halle 17.9.09, 1 S 32/09, Abruf-Nr. 093680: Rentner mit 5 000 EUR auf dem Giro- und 4. 000 EUR auf dem Sparkonto. Da alles eine Frage des Einzelfalls ist, gibt es keine Zumutbarkeitsgrenzwerte.

     

    3. Sekundäre Darlegungslast: Da der Schädiger/Versicherer i.d.R. keinen Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten hat und auch nicht haben kann, darf er sich unter Hinweis auf den Beruf bzw. das Gewerbe des Geschädigten (ggf. auch Größe des Fahrzeugs) zunächst auf die pauschale Behauptung beschränken, eine Vorfinanzierung durch Eigenmittel, jedenfalls durch Kreditaufnahme (dazu III), sei möglich und zumutbar gewesen. Eine Pflicht, die Vermögensverhältnisse des Geschädigten zu erforschen, besteht nicht (OLG Naumburg VA 04, 147). Mit einem einfachen Bestreiten darf sich der Geschädigte nicht begnügen. Vielmehr hat er „anschaulich und konkret“ (LG Braunschweig 13.1.09, 7 S 93/08, Abruf-Nr. 093399) vorzutragen, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse eine Vorfinanzierung entweder mangels Masse oder wegen anderweitiger Dispositionen (z.B. Urlaub, „Notgroschen“) nicht gestatten. An die Sekundärlast werden unterschiedlich hohe Anforderungen gestellt. Das LG Halle verlangt eine Darstellung wie bei einem PKH-Antrag (1.10.09, 1 S 4/09, Abruf-Nr. 093486), was zu weit geht (s. auch § 117 Abs. 2 S. 2, § 127 Abs. 1 S. 3 ZPO). Zu den Folgen unzureichender Sekundärdarlegung s. III, 5.
     

    III. Fallgruppe „Einsatz von Fremdmitteln“
    1. Ausgangspunkt sind die BGH-Aussagen Nummer zwei und vier. Auch sie stehen im Verhältnis von Grundsatz und Ausnahme.

     

    2. Parameter: a) leichte Beschaffbarkeit: Auf diesen Gesichtspunkt wird das Problem mitunter unzulässig verkürzt (z.B. LG Koblenz 19.11.07, 5 O 351/07, Abruf-Nr. 073894). Hinzu kommen muss b), dass der Geschädigte durch die Rückzahlung nicht unangemessen belastet wird. Wenngleich der Geschädigte einen Anspruch auf Ersatz „erforderlicher“ Kreditkosten hat (oben I, 10), ist dessen Realisierung nach Grund und Höhe häufig zweifelhaft und damit keine echte Kreditbeschaffungshilfe. Kein Kriterium ist das Verhältnis zwischen der ex ante nur schwer abschätzbaren Höhe der Kreditkosten und dem abzuwendenden Schaden (anders OLG Düsseldorf OLGR 97, 107; VersR 98, 911; aber aufgegeben, s. VA 02,1; 07, 22).

     

    3. Ältere Rechtsprechung ist mit Vorsicht heranzuziehen, zumal sich die Kreditvergabe-Bedingungen verschärft haben. Zu beachten ist ferner, ob die Entscheidung eine Privatperson oder einen Unternehmer betrifft. Die strengere Unternehmer-Rechtsprechung (OLG Düsseldorf 2.7.09, I-5 U 147/07, Abruf-Nr. 093681, Autohaus; OLG Düsseldorf OLGR 97, 107, Taxibetrieb) wird von Versicherern, aber auch von Gerichten, nicht selten zu Lasten von Privatpersonen ins Feld geführt.

     

    4. Kein widersprüchliches Verhalten: Wer mitgeteilt hat, sich um einen Kredit zu bemühen, muss die Versicherung unverzüglich informieren, wenn die Bemühungen fehlgeschlagen sind (OLG Schleswig VersR 67, 68). Nur mit der Hausbank zu verhandeln, kann u.U. nicht genügen (LG Koblenz a.a.O.).

     

    5. Sekundäre Darlegungslast: Der primär darlegungspflichtige Schädiger muss auch darlegen, dass der Geschädigte in der Lage gewesen wäre, eine geeignete Kreditsicherheit anzubieten, und dass diese von seiner Hausbank oder sonstigen Kreditinstituten auch akzeptiert worden wäre (BGH NJW-RR 06, 394 - kein Haftpflichtschaden). Tendenziell stellen die Gerichte an die primäre Darlegungslast zu geringe, an die sekundäre zu hohe Anforderungen. Beispiele für hinreichende Substanziierung auf Geschädigtenseite: OLG Düsseldorf VA 07, 22; OLG Brandenburg 30.8.07, 12 U 60/07, Abruf-Nr. 073046; Gegenbeispiel: OLG Naumburg VA 04, 147.

     

    Hinweis für Geschädigten-RA: Konkretisierungsgebot ernst nehmen; Gericht um Hinweis bitten, falls Vortrag ungenügend sein sollte. Wer die sekundäre Darlegungspflicht nicht erfüllt, muss mit der Anerkennung des Mitverschuldensvorwurfs rechnen (kein wirksames Bestreiten). Bei Erfüllung der Sekundärpflicht ist der Schädiger (Versicherer) am Zug. Die Beweis(führungs-)last liegt allein bei ihm.