01.12.2007 | Unfallschadensregulierung
Sachverständigenkosten aktuell
von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf
Streichen und Kürzen ist auch bei der Position „Sachverständigenkosten“ an der Tagesordnung. Was man dagegen tun kann und wie man mit den Folgeproblemen in Honorar- und Regressprozessen klar kommt, sagen die folgenden Checklisten.
I. 10 wichtige Grundsätze auf einen Blick |
1. Nach einem Verkehrsunfall (Haftpflichtschaden) ist ein Geschädigter im Regelfall berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadengutachtens zu beauftragen (BGH VA 07, 61, Abruf-Nr. 070758). Die Zustimmung zu einer Besichtigung durch einen Versicherungssachverständigen ist kein Verzicht auf den eigenen Gutachter (AG Bochum 15.12.05, 44 C 365/05, Abruf-Nr. 060159).
2. Zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen, ist ein Geschädigter grundsätzlich nicht verpflichtet (BGH VA 07, 61, Abruf-Nr. 070758).
3. Der Vertrag zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen ist ein Werkvertrag (BGH NJW 06, 2472) mit Schutzwirkung zugunsten des Schädigers bzw. seines Versicherers (OLG München NZV 91, 26). Beiden kann ein unmittelbarer Schadensersatzanspruch gegen den Sachverständigen zustehen. Einer Abtretung bedarf es dann nicht.
4. Als erforderlicher Herstellungsaufwand i.S.d. § 249 Abs. 2 BGBsind Sachverständigenkosten anzuerkennen, wenn eine vorherige Begutachtung des Fahrzeugs zur tatsächlichen Reparatur oder Ersatzbeschaffung erforderlich und zweckmäßig ist (BGH VA 07, 61, Abruf-Nr. 070758). Auch ohne Reparatur/Ersatzbeschaffung können die Kosten einer Begutachtung erstattungsfähig sein, soweit diese erforderlich und zweckmäßig ist, um einen Schadensersatzanspruch „auf Gutachtenbasis“ geltend zu machen (BGH VA 07, 61).
5. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer Begutachtung kommt es auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung an (BGH VA 05, 41, Abruf-Nr. 043098).
6. Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die vom Sachverständigen ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet („Bagatellgrenze“) oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht (BGH VA 05, 41, Abruf-Nr. 043098 = NJW 05, 356). Die vom Gutachter ermittelte Schadenshöhe wird aber oft ein Gesichtspunkt bei der Erforderlichkeitsprüfung sein (BGH VA 05, 41).
7. Ein in Relation zur Schadenshöhe berechnetes Sachverständigenhonorar kann grundsätzlich als erforderlicher Herstellungsaufwand i.S.d. § 249 Abs. 2 BGB erstattet verlangt werden (BGH VA 07, 61, Abruf-Nr. 070758). Allein dadurch, dass ein Sachverständiger eine an der Schadenshöhe orientierte angemessene Pauschalierung des Honorars vornimmt, überschreitet er die Grenzen zulässiger Preisgestaltung grundsätzlich nicht (BGH VA 06, 77, Abruf-Nr. 061058 = NJW 06, 2472).
8. Wenn keine bestimmte Vergütung vereinbart ist, richtet sich das Honorar nach der üblichen Vergütung (BGH NJW-RR 07, 123).
9. Nur wenn sich auch eine übliche Vergütung nicht feststellen lässt und die Vertragslücke nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden kann, kommt ein einseitiges Bestimmungsrecht des Sachverständigen nach §§ 315, 316 BGBin Betracht (BGH VA 06, 77, Abruf-Nr. 061058 = NJW 06, 2472).
10. Prozessuales: Der Geschädigte muss sich nicht auf das Kostenfestsetzungsverfahren verweisen lassen, sondern kann die Gutachterkosten im Schadensersatzprozess klageweise geltend machen (BGH NJW 07, 1752). Die Forderung ist keine Nebenforderung, also bei der Berechnung des Streitwerts und der Beschwer zu berücksichtigen (BGH NJW 07, 1752). Auch wenn der Geschädigte die Sachverständigenkosten noch nicht bezahlt hat, kann er auf Ersatz klagen. Er ist nicht auf einen Freistellungsanspruch beschränkt (LG Traunstein NZV 05, 324). Im Fall nur anteiliger Haftung des Schädigers kürzt die Praxis den Kostenerstattungsanspruch nach der Quote (anders Poppe, DAR 05, 669).
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II. Checkliste „Bagatellschadensgrenze“ |
1. Die Prüfung im konkreten Einzelfall ist anhand der BGH-Grundsätze in der Checkliste I unter 4 bis 6 vorzunehmen.
2. Für einen Schadensfall aus 9/02 mit einem gutachterlich ermittelten Pkw-Schaden von 727,37 EUR hat der BGH die Bagatellschadensgrenze als überschritten angesehen (VA 05, 41, Abruf-Nr. 043098 = NJW 05, 356). Er selbst nennt keinen Grenzwert, verweist aber auf eine allg. Meinung, wonach die Grenze bei 1.400 DM = 715.81 EUR liege. Bei Geschädigten ohne Vorsteuerabzugsberechtigung kommt es auf den Bruttobetrag an (AG Heidenheim 20.4.05, 7 C 204/05, Abruf Nr. 060425).
3. Argumente des Geschädigten für die Erforderlichkeit einer Begutachtung in Grenzfällen sind:
4. Aktuelle Rechtsprechung pro Geschädigten
5. Aktuelle Rechtsprechung pro Schädiger/Versicherer
6. Auffangposition: In Grenzfällen kann es zweckmäßig sein, hilfsweise die Kosten geltend zu machen, die bei Einholung eines „einfachen“ Gutachtens (Kurzgutachten) oder eines Kostenvoranschlags angefallen wären. Das Argument der Versicherung, ein Kostenvoranschlag sei wegen der Möglichkeit der Verrechnung im Reparaturfall kostenlos (Anrechnung), sticht zumindest bei fiktiver Abrechnung ohne Werkstattreparatur nicht (AG Neuss SP 06, 174; Meinel, VersR 05, 201).
7. Aufklärungspflicht: Wenn der Sachverständige prima vista erkennen kann, dass die voraussichtlichen Reparaturkosten deutlich unter der Bagatellschadensgrenze von derzeit 700 bis 750 EUR liegen, hat er den Geschädigten darüber aufzuklären, dass der gegnerische Versicherer eine Kostenübernahme ablehnen kann. Andernfalls kann er sich wegen vorvertraglichen Verschuldens schadensersatzpflichtig machen (§§ 311, 241, 280 BGB). |
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