01.03.2005 | Unfallschadensregulierung
Was bedeutet bei Kraftfahrzeugen, Anhängern und Bahnen „bei dem Betrieb“?
Dass die zentrale Haftungsvoraussetzung „bei dem Betrieb“ in den §§ 7 Abs. 1 StVG, 1 Abs. 1 HPflG nach wie vor „weit“ zu fassen ist, ist jedem Verkehrsrechtler geläufig. Nur: Wie weit geht das Verständnis und wo verläuft die Grenze der Gefährdungshaftung? Diese Frage hat in Fällen nach dem 31.7.02 in dreierlei Hinsicht an praktischer Bedeutung gewonnen: durch den Ersatz des immateriellen Schadens bei bloßer Gefährdungshaftung, durch die Haftungsverschärfung gem. § 7 Abs. 2 StVG und infolge der Privilegierung von Kindern nach § 828 Abs. 2 BGB. Die folgenden Checklisten und Fallbeispiele bringen Sie auf den neuesten Stand.
Checkliste „Grundwissen in zehn Punkten“ |
1. Keine Definition: Die einschlägigen Haftungsnormen (§§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 1 Abs. 1 HPflG) geben keine Definition des Begriffs „bei dem Betrieb“.
2. Keine maschinentechnische Sicht: An keiner Stelle im Gesetz heißt es, dass ein Unfall „bei dem Betrieb“ nur vorliege, wenn das Fahrzeug in Bewegung sei oder sein Motor laufe. Die per 1.8.02 reformierte Anhängerhaftung – sie greift auch für separat abgestellte Anhänger ein – gilt als Beleg für die „verkehrstechnische Auffassung“.
3. Unfallort nicht entscheidend: Der Betrieb eines Kfz i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG erfordert nicht seinen Einsatz auf öffentlicher Verkehrsfläche (BGH NZV 95, 19). Die Frage kann nur sein, ob von einem außerhalb des Verkehrsraums, z.B. auf einem privaten Parkplatz oder in einer Garage, abgestellten Kfz die spezifische Gefahr ausgeht, vor der die Gefährdungshaftung schützen will. Merksatz: Die völlige Entfernung eines Kfz aus dem Verkehrsbereich beendetet den Betrieb (OLG München NZV 01, 510 unter Hinweis auf BGHZ 29, 163; Brand. OLG DAR 05, 38); zur Vertiefung s. Grüneberg, NZV 01, 109.
4. Schutzzweck der Norm: Ob Kraftfahrzeuge, Anhänger und Bahnen im ruhenden Verkehr und Unfälle mit Beteiligung solcher Fahrzeuge außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums unter die Gefährdungshaftung fallen, ist vom Schutzzweck der Norm her zu bestimmen („normativer Betriebsbegriff“).
5. Standardformel des BGH: Für die §§ 7, 18 StVG gilt: Ein Schaden ist bereits dann „bei dem Betrieb“ entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben und das Unfallgeschehen in dieser Weise durch das Kfz (mit-) geprägt wird (st. Rspr., z.B. BGH NJW 91, 2568; NZV 95, 19).
6. Verursachungshaftung: Ob das Merkmal „bei dem Betrieb“ erfüllt ist, hängt nicht davon ab, ob sich der Fahrer des Fahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat (BGH NJW 88, 2802). Die bloße Anwesenheit des Fahrzeugs an der Unfallstelle genügt nicht. Vielmehr muss das Fahrzeug durch seine Fahrweise oder – im ruhenden Verkehr – durch sonstige Verkehrsbeeinflussung zur Entstehung des Schadens beigetragen haben (BGH NJW 88, 2802).
7. Kontakt nicht nötig: Der Schaden kann auch dann auf die Betriebsgefahr eines Kfz zurückgeführt werden, wenn es zu keiner Berührung mit ihm gekommen ist (BGH NJW 88, 2802). Selbst ein Unfall infolge einer objektiv nicht erforderlichen Abwehr- oder Ausweichreaktion eines anderen Verkehrsteilnehmers kann dem Betrieb des Kfz zugerechnet werden, das die Reaktion ausgelöst hat (BGH NJW 88, 2802; KG VersR 98, 778 mit Ausführungen zur Darlegungs- und Beweislast; KG VA 00, 88, Abruf-Nr. 001216 = KGR 00, 316; OLG Hamm VA 01, 66, Abruf-Nr. 010513 = DAR 01, 34).
8. Ruhender Verkehr: Von einem im öffentlichen Verkehrsraum ordnungsgemäß geparkten Auto geht zwar eine fortdauernde Betriebsgefahr aus; sie wirkt sich aber nicht aus, wenn z.B. ein Kind mit seinem Fahrrad mit dem Auto kollidiert (BGH, Kinder-Urteile v. 30.11.04, Abruf-Nrn. 043097 und 043098 = VA 05, 1 = NJW 05, 354, 356, und v. 21.12.04, VI ZR 276/03, Abruf-Nr. 050278 = VA 05, 42).
9. Haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang: Wie bei der deliktischen Haftung muss im Rahmen des § 7 StVG und des § 1 HPflG gefragt werden, ob der geltend gemachte Schaden innerhalb des Schutzzwecks der Norm liegt (BGH NJW 91, 2568). Das ist zu bejahen, wenn der Schaden auf eine Ursache zurückgeht, die zum Betrieb des Kfz als solchen gehört, wobei die Nähe des örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs maßgeblich ist (instruktiv BGH NJW 04, 1375 für den Fall eines BAB-Unfalls, der durch einen vorausgegangenen Unfall mitverursacht wurde).
10. Betrieb und Gebrauch: Weiter als der Begriff „bei dem Betrieb“ ist der Begriff des Gebrauchs i.S.d. § 10 AKB (BGH NZV 95, 19). Das heißt: Der Versicherer kann nach § 3 PflVG einstandspflichtig sein, selbst wenn der Halter nicht nach § 7 Abs. 1 StVG haftet (BGH NJW 79, 2408). |
Fallgruppe „bei dem Betrieb“ bejaht | ||||||||||||||||||||||||||
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Fallgruppe „bei dem Betrieb“ verneint | ||||||||||||||||||||||
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