23.09.2010 | Unfallschadensregulierung
Weitere BGH-Entscheidung zu den Stundenverrechnungssätzen
1. Der Schädiger kann den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Werkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden. |
2. Für die tatrichterliche Beurteilung der Gleichwertigkeit der Reparaturmöglichkeit gilt auch im Rahmen des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO. |
(BGH 13.7.10, VI ZR 259/09, Abruf-Nr. 102865) |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Lediglich Bagatellschäden hatte der im Unfallzeitpunkt sieben Jahre alte Mercedes A 140 abbekommen. Nach Einholung eines Gutachtens mit Kalkulation von Mercedes-Preisen rechnete die Klägerin, eine Autovermietung, den Schaden fiktiv ab. Die beklagte Versicherung strich die Verbringungskosten und kürzte die Stundenverrechnungssätze auf die Sätze des teuersten der drei von ihr benannten Karosseriebetriebe, allesamt „Eurogarant-Fachbetriebe“ mit regelmäßiger Qualitätskontrolle durch TÜV oder DEKRA. Die Klage auf den Differenzbetrag blieb in den Vorinstanzen erfolglos.
Der BGH hat die Revision zurückgewiesen. Zu den Verbringungskosten konnte er sich kurz fassen. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten haben sämtliche Mercedes-Niederlassungen am Geschäftssitz der Klägerin eine eigene Lackierwerkstatt. Daher hätte der Sachverständige „Verbringungskosten“ nicht kalkulieren dürfen. Im Hauptstreitpunkt, Höhe der Stundensätze, stellt der BGH unter Bezugnahme auf seine aktuelle Rspr. fest, dass die Verweisung auf eine Reparaturmöglichkeit in der benannten freien Werkstatt nicht zu beanstanden sei. Auf der Basis der tatrichterlich getroffenen Feststellungen bescheinigt der BGH „technische Gleichwertigkeit“. Dabei weist er auf das Beweismaß hin: § 287 und nicht § 286 ZPO. Den Einwand der Revision, die Freie habe mit Mercedes-Pkw keine ausreichende Erfahrung und auch nicht die nötige Ausstattung, weist der VI. ZS mit dem Argument zurück, bei den Bagatellschäden habe es dessen nicht bedurft. Angesichts der technischen Gleichwertigkeit des „Eurogarant-Fachbetriebs“ war bei dem Alter des Unfallfahrzeugs deutlich jenseits der Dreijahresgrenze eine Verweisung nur in engen Grenzen unzumutbar. Doch keiner der in Betracht kommenden Gründe - marktunübliche Sonderpreise, ständige Wartung bzw. Reparaturarbeiten bei Mercedes, räumliche Entfernung - stand der Verweisung entgegen.
Praxishinweis
Der Schwerpunkt des Urteils - Nr. 5 der mit dem VW-Urteil vom 20.10.09 (VA 09, 199) beginnenden Kette - ist das Thema „technische Gleichwertigkeit“ (dazu schon BGH VA 10, 109). Der BGH sieht sie zu Recht nicht pauschal, sondern mit Blick auf die Beseitigung des konkreten Unfallschadens. Das soll hier ein „Bagatellschaden“ gewesen sein, eine gefährlich wertungsoffene Kategorie. Der Kaufrechtssenat des BGH versteht darunter lediglich einen reinen Lackschaden ohne Beschädigung des Blechs. Ein derartig enges Begriffsverständnis ist bei der Prüfung der Reparaturkompetenz nicht angebracht. Was an der A-Klasse genau beschädigt war, erfährt man leider nicht. Deshalb kann nicht beurteilt werden, ob Elektronikkomponenten betroffen waren, etwa am Stoßfänger (Einparkhilfe). Was vordergründig als „Bagatellschaden“ daherkommt, wird von Sachverständigen wegen verborgener Schäden mitunter ganz anders eingeschätzt. Sofern Elektronikteile betroffen sind oder nur sein können, sind Zweifel an der Fachkompetenz einer Freien durchaus angebracht (aktueller ADAC-Test: „freie Werkstätten häufig schlechter“, Motorwelt 9/2010). Mit den in concreto erforderlichen Lackierarbeiten war die Verweisungswerkstatt als auf die Unfallinstandsetzung spezialisierter Meisterbetrieb indes nicht überfordert.
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