01.07.2007 | Unfallschadensregulierung
Wichtiges BGH-Urteil zum Kinderunfall
1. Stößt ein achtjähriges Kind mit seinem Fahrrad aufgrund überhöhter, nicht angepasster Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit im fließenden Verkehr gegen ein verkehrsbedingt haltendes Kfz, das es nicht herankommen sehen konnte und mit dem es deshalb möglicherweise nicht rechnete, so handelt es sich um eine typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr. |
2. Darauf, ob sich diese Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten, kommt es im Hinblick auf die generelle Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit von Kindern durch § 828 Abs. 2 S. 1 BGB n.F. nicht an. |
(BGH 17.4.07, VI ZR 109/06, Abruf-Nr. 071809) |
Sachverhalt
Unfall vom 16.7.05: Die Klägerin hatte mit ihrem Pkw an einer Straßeneinmündung angehalten, um auf bevorrechtigten Verkehr zu achten. Zur selben Zeit näherte sich der achtjährige Beklagte mit seinem Fahrrad, um nach rechts in die Straße abzubiegen, in der die Klägerin mit ihrem Pkw stand. Der Blick auf die Einmündung war ihm zunächst durch eine ca. 2 m hohe Hecke versperrt. Bei weiterer Annäherung konnte er den Pkw der Klägerin aber zumindest aus einer Entfernung von ca. 20 m deutlich erkennen. Er übersah ihn jedoch aufgrund überhöhter Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit und fuhr frontal auf den stehenden Pkw der Klägerin auf. Das AG hat die Klage abgewiesen, während das LG ihr zu einer Quote von 4/5 stattgegeben hat. Die zugelassene Revision des Beklagten war erfolgreich.
Entscheidungsgründe
Entgegen der Ansicht des LG hält der BGH die Verantwortlichkeit des Beklagten für ausgeschlossen (§ 828 Abs. 2 S. 1 BGB). Anders als in den von ihm entschiedenen Fällen aus dem Bereich des ruhenden Verkehrs handele es sich hier um eine typische Fallkonstellation, in der ein Kind unter 10 Jahren regelmäßig überfordert sei. Dem stehe nicht entgegen, dass der Pkw im Unfallzeitpunkt und auch einige Sekunden zuvor nicht in Bewegung gewesen sei, sondern an der Einmündung gestanden habe. Trotz des vorübergehenden Anhaltens habe sich der Unfall im fließenden Verkehr und damit in einer typischen Überforderungssituation ereignet. Ob sich diese Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage gewesen ist, sich verkehrsgerecht zu verhalten, sei unerheblich.
Praxishinweis
Dass das Urteil des LG Bayreuth (zfs 06, 613) keinen Bestand haben wird, war zu erwarten. Dafür hat es sich zu weit von den Vorstellungen des Gesetzgebers und des BGH entfernt. Für eine weitere teleologische Reduktion auf solche Schadensfälle, in denen das Kind durch die konkrete Verkehrssituation (und nicht aus anderen Gründen) nachweislich überfordert war, ist in der Tat kein Raum. Kinder zwischen 7 und 10 Jahren sind bei bestimmten Unfalltypen vom „Überforderungsnachweis“ freigestellt. Entscheidend ist, ob sich „bei der gegebenen Fallkonstellation“ (was schon eine erste Abkoppelung vom konkreten Geschehen andeutet) eine typische Überforderungssituation durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs verwirklicht hat. Die Betonung liegt, vom LG nicht genügend bedacht, auf „typisch“.
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