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  • 01.03.2007 | Verkehrsunfallprozess

    Wichtige Änderung beim Sachverständigenbeweis

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    Nach § 411a ZPO in der Fassung des 1. JuMoG konnte die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten SV-Gutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden. Diese Regelung, die in Verkehrsunfallprozessen aus einer Reihe von Gründen praktisch leer lief, ist jetzt durch das 2. JuMoG (in Kraft seit dem 31.12.06) ergänzt worden. Nunmehr genügt es, wenn das Gutachten von der StA eingeholt worden ist. Diese gegen den Widerstand der Anwaltschaft eingeführte Neuerung gibt aus der Perspektive des Verkehrsunfallprozesses Anlass zu folgenden Hinweisen:  

     

    Checkliste
    1. Schon vor Einführung des § 411a ZPO konnten Gutachten aus beigezogenen Strafakten per Urkundenbeweis verwertet werden. Das durfte aber nicht dazu führen, dass das Recht der Parteien auf persönliche Befragung des Sachverständigen (§§ 402, 397 ZPO) verkürzt wird. Deshalb war das Gericht verpflichtet, eine zusätzliche schriftliche oder mündliche Begutachtung durch denselben oder einen anderen Sachverständigen anzuordnen, wenn auch nur eine der beiden Parteien dies wünschte (BGH NJW 02, 2324).

     

    2. Im Rahmen des § 411a ZPO geht es nicht um die urkundenbeweisliche Verwertung eines verfahrensfremden Gutachtens, sondern um die Ersetzung der schriftlichen Begutachtung im laufenden Verfahren durch ein bereits vorliegendes gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholtes Gutachten. Das bedeutet: Der frühere Sachverständige wird auch Sachverständiger im Zweitverfahren, allerdings mit der Besonderheit, dass er kein neues schriftliches Gutachten zu erstatten braucht. Im übrigen unterscheidet sich sein Status nicht von einem normal bestellten Erstgutachter. Die Partei kann ihn ablehnen; auch seine Ladung zur Anhörung beantragen.

     

    3. Bevor das Gericht den Weg nach § 411a ZPO einschlägt, muss es die Parteien hören und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme geben (BT-Drucks. 16/3038, 38).

     

    4. Als Beispiel für eine sinnvolle Verfahrensweise nach § 411a ZPO wird ein Schadensersatzprozess nach Unfall genannt (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 411a Rn. 2). Dem ist mit aller Deutlichkeit zu widersprechen. Gleichviel, ob das verkehrsanalytische Gutachten im Auftrag des Gerichts oder, wie meist, der StA (Polizei) erstattet worden ist: Seine Verwendung im Unfallhaftpflichtprozess nach § 411a ZPO ist äußerst problematisch. Denn die Fragestellungen/Beweisthemen sind nur partiell deckungsgleich, überwiegend aber grundverschieden:
    • Gutachten im Ermittlungsverfahren bzw. Strafprozess sind eindimensional: Ist dem beschuldigten Kraftfahrer ein Verschulden nachweisbar? Wobei in dubio pro reo gilt.
    • Im Zivilprozess verläuft die Sachverhaltsaufklärung dagegen mehrdimensional: 1. Kann der Entlastungsbeweis nach den §§ 7 Abs. 2, 18, 17 Abs. 3 StVG geführt werden? 2. Ist ein unfallursächliches Fehlverhalten der Beteiligten (nicht nur des Beschuldigten im Strafverfahren) erwiesen (wobei ein anderer Fahrlässigkeitsmaßstab als im Strafverfahren gilt)?

     

    5. Allein schon diese Inkongruenzen verbieten in den meisten Fällen eine Vorgehensweise nach § 411a ZPO. Hinzu kommt, dass jedenfalls die StA-Gutachten in aller Regel erstattet werden, bevor Aussagen von Zeugen aktenkundig sind. Die Informationsbasis des StA-Sachverständigen ist entsprechend unvollständig. Leitungsmaßnahmen der Auftraggeber, wie sie § 404a ZPO vorschreibt, werden nur selten getroffen. Ferner: Ortstermine und Fahrzeugbesichtigungen finden statt, ohne die Parteien und ihre Vertreter davon unterrichtet zu haben. Schließlich: § 404 Abs. 2 ZPO sieht vor, möglichst öffentlich bestellte Sachverständige zu beauftragen. Die von der StA oder in deren Auftrag von der Polizei beauftragten Sachverständigen, häufig aus Organisationen wie DEKRA und TÜV, erfüllen dieses Kriterium vielfach nicht.

     

    6. Bevor der Anwalt seine Zustimmung zu einem Verfahren nach § 411a ZPO gibt, sollte er das Vor-Gutachten sorgfältig auf seine Beweisbedeutung für das Zivilverfahren überprüfen. Die vom Zivilrichter beabsichtigte Ersetzung kann im Einzelfall für den Mandanten durchaus günstig sein. Profitieren werden jedoch erfahrungsgemäß meist die Nulleinser, also die Schädiger und ihre Versicherer. Aus Sicht der Geschädigten wird eine Ersetzung ohne ergänzende Anhörung des Sachverständigen häufig nachteilig sein. Macht das Gericht gegen den Widerspruch der Partei von § 411a ZPO Gebrauch, bleibt die Möglichkeit, die persönliche Anhörung des Vor-Gutachters oder eines anderen Sachverständigen zu beantragen. Dieses Recht ist und bleibt zwingend.

     

    7. § 411a ZPO n.F. gilt auch für Verfahren, die vor dem 31.12.06, aber nach dem 1.9.04 anhängig geworden sind.
    Quelle: Ausgabe 03 / 2007 | Seite 39 | ID 90783