24.09.2009 | Videoüberwachung
Grundlage für Videoüberwachung im Verkehr
Der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung durch eine (verdachtsunabhängige) Videoüberwachung ist nur aufgrund eines Gesetzes und nicht nur aufgrund einer Verwaltungsanweisung erlaubt (BVerfG 11.8.09, 2 BvR 941/08, Abruf-Nr. 092913). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Auf Grundlage eines Ministeriums-Erlasses wurde eine Videoüberwachung von Autobahnverkehr durchgeführt. Dabei wurden alle durchfahrenden Fahrzeuge verdeckt gefilmt. Auf dem Film war der jeweilige Fahrer erkennbar und identifizierbar. Es erfolgte keine Auswahl, ob der jeweilige Fahrer eines Verkehrsverstoßes verdächtig war. Die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen gegen seine Verurteilung aufgrund der Bilder wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes hatte Erfolg.
Das BVerfG sah einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Durch die Aufzeichnung des Bildmaterials sind die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert worden. Sie konnten später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden. Eine Identifizierung des Kfz sowie des Fahrers war beabsichtigt und technisch auch möglich. Zwar kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse eingeschränkt werden. Dies bedarf jedoch einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen und verhältnismäßig sein muss. Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden. Dem wird der Erlass des Ministeriums nicht gerecht. Dieser ist nur eine Verwaltungsvorschrift und damit eine verwaltungsinterne Anweisung. Derartige Regelungen, durch die eine vorgesetzte Behörde etwa auf ein einheitliches Verfahren oder eine einheitliche Gesetzesanwendung hinwirkt, sind kein Gesetz im Sinne des Art. 20 Abs. 3 sowie des Art. 97 Abs. 1 GG. Sie sind grundsätzlich Gegenstand, nicht Maßstab der richterlichen Kontrolle. Ein solcher Eingriff bedarf vielmehr einer formell-gesetzlichen Grundlage.
Praxishinweis
Auf den ersten Blick scheint die Entscheidung revolutionär. Man könnte meinen, dass alle Überwachungsmaßnahmen derzeit unzulässig sind. Dann aber erkennt man, dass das BVerfG nur Stellung genommen hat zur sog. verdachtsunabhängigen Überwachung, bei der vorsorglich alle durchfahrenden Kfz gefilmt werden. Für einen konkreten Messvorgang, bei dem z.B. aufgrund einer zu hohen Geschwindigkeit ein Lichtbild nur von dem konkret betroffenen Fahrzeugführer und dem Verkehrsvorgang gefertigt wird, dürfte etwas anderes gelten. Insoweit liegen mit den Polizeigesetzen der Länder und der StPO (§§ 163b, 100h) wohl ausreichende Ermächtigungsgrundlagen vor. In allen übrigen Fällen der „verdachtsunabhängigen“ Überwachung muss die Unverwertbarkeit des Messergebnisses geltend gemacht werden.
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