19.02.2010 · IWW-Abrufnummer 100511
Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 19.05.2008 – I-1 U 199/07
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf
I-1 U 199/07
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20.07.2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, 1. an die XXX GmbH, XXXstraße, D, 3.281,24 €,2. an die XXX GmbH, XXX Weg, D, 450,89 € und 3. an die Klägerin 20 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.08.2006 zu zahlen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 72 % und die Klägerin zu 28 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klägerin kann aus dem streitigen Unfallereignis vom 26.05.2006 in D den mit der Berufung noch geltend gemachten Betrag von 3.752,13 € als Schadenersatz verlangen. Soweit die Klägerin ihre Ersatzansprüche unstreitig an die Fa. GmbH bzw. die XXX GmbH abgetreten hat, geht sie aufgrund einer - erneut unstreitigen - Ermächtigung dieser beiden Firmen zulässigerweise im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft vor und kann Zahlung an die Zessionare verlangen.
Das Landgericht hat zu Unrecht angenommen, die Klägerin habe nicht schlüssig dargelegt, dass wenigstens ein bestimmter, näher abgrenzbarer Teil des Schadens auf den fraglichen Zusammenstoß zurückzuführen sei. Anhand der Ergebnisse des erstinstanzlich herangezogenen Sachverständigen S lässt sich die nunmehr unstreitige Vorbeschädigung des Heckdeckels des klägerischen Fahrzeugs ohne Weiteres technisch und rechnerisch von dem unfallursächlichen Schaden abgrenzen. Die weitergehende Auffassung des Landgerichts, aufgrund des Vorhandenseins eines nicht mit dem Schadenereignis kompatiblen Schadens sei die Klage insgesamt abzuweisen, weil sich nicht ausschließen lasse, dass auch kompatible Schäden durch ein früheres Ereignis verursacht worden sind, verkennt die Bedeutung des § 287 ZPO.
Im Einzelnen:
I.
1. Der Beklagte zu 1. haftet für die Unfallfolgen aus §§ 7 Abs.1, 18 Abs.1 StVG und die Beklagte zu 2. aus § 3 Nr. 1 PflVG. Die volle Einstandspflicht der Beklagten für die aus dem Unfall herrührenden Schäden ist unstreitig. Sie haben daher den zur Herstellung des ursprünglichen Zustands erforderlichen Geldbetrag zu zahlen (§ 249 Abs.2 S.1 BGB).
2. Der Höhe nach beläuft sich der geschuldete Schadenersatz auf die mit der Berufung noch weiterverfolgten Beträge.
a) Es ist unstreitig, dass das Fahrzeug durch den Unfall im Heckbereich beschädigt worden ist. Im Streit steht nur die Frage, ob das Fahrzeug eventuell bereits Vorschäden aufwies. Steht jedoch eine Kollision und damit eine primäre Verletzung des Eigentums durch einen Verkehrsunfall fest, beurteilt sich die Frage, welche (weiteren) Beschädigungen durch den Unfall verursacht worden sind und welcher Aufwand zur Schadensbeseitigung erforderlich ist, nach dem Beweismaß des § 287 ZPO. Danach reicht für die Überzeugungsbildung je nach den Umständen des Falles eine überwiegende (höhere oder deutlich höhere) Wahrscheinlichkeit der Unfallkausalität aus. Darlegungs- und beweisbelastet hierfür ist der Geschädigte. Dementsprechend ist es nicht Aufgabe des Schädigers bzw. der Versicherung, das Vorhandensein von Vorschäden zu beweisen. Fehlt es an einer – vom Geschädigten beizubringenden - ausreichenden Schätzungsgrundlage und ist eine zuverlässige Ermittlung auch nur eines unfallbedingten Teilschadens aufgrund der Wahrscheinlichkeit von erheblichen Vorschäden nicht möglich, so hat erst diese Unsicherheit die vollständige Klageabweisung zur Folge (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Urteil vom 11.02.2008, I – 1 U 181/07; Urteil vom 19. November 2007, Az.: 1 U 126/07 mit Hinweis auf Senat, Schaden Praxis 2001, 272). Liegen (unbeseitigte) Vorschäden vor oder ist es dem Geschädigten nicht gelungen zu beweisen, dass alle geltend gemachten Beschädigungen mit dem Unfallereignis kompatibel sind, darf allerdings entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht (KG Schaden Praxis 2008,21; KG DAR 2006, 323; OLG Frankfurt ZfS 2005, 69; OLG Celle OLGR 2004, 175; OLG Köln NZV 1999, 378; OLG Köln NZV 1996, 241), der das Landgericht folgt, die Klageforderung nicht mit dem Argument insgesamt abgewiesen werden, allein das Vorhandensein nicht kompatibler Vorschäden ließe es nicht ausschließen, dass auch kompatible Schäden durch ein früheres Unfallereignis verursacht worden sind. Vielmehr besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in einem solchen Fall ein Ersatzanspruch insoweit, als der geltend gemachte kompatible Schaden technisch und rechnerisch von dem Vorschaden abgrenzbar ist (s. ausführlich Senat Urteil vom 11.02.2008, I – 1 U 181/07; auch OLG München NZV 2006, 261). Eine andere Sichtweise verkennt den Regelungsgehalt des § 287 ZPO, bei dem es nicht darauf ankommt, ob ausgeschlossen werden kann, dass kompatible Beschädigungen die Folgen eines früheren Schadenereignisses sind. Vielmehr genügt gemäß § 287 ZPO der Nachweis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Unfallbedingtheit. Eine ursächliche Beteiligung des Fahrzeuges des Beklagten an den streitigen Beschädigungen muss daher nur deutlich wahrscheinlicher sein als das Gegenteil (Eggert in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 4. Aufl., Teil 14, Rdnr. 111 mit Hinweis auf BGH NJW 1973, 1283). Bei technischer und rechnerischer Trennbarkeit von unfallbedingten Neuschäden von tatsächlichen oder potenziellen unfallfremden Altschäden darf dem Geschädigten deshalb ein Ersatz nicht vollständig versagt werden (Senat vom 11.02.1008, I – 1 U 181/07). Ein früherer Schaden außerhalb der geltend gemachten und als unfallursächlich festgestellten (§ 287 ZPO) Beschädigung, spielt für die Bemessung des Reparaturkostenaufwands keine Rolle. In sogenannten Überdeckungsfällen, bei denen Vorschädigungen innerhalb und/oder am Rand von Neuschäden vorliegen, kommt es darauf an, ob der Vorschaden vor dem Zweitunfall vollständig und fachgerecht behoben worden war. Ggf. sind Abschläge bei der Schätzung des erforderlichen Reparaturkostenaufwandes vorzunehmen.
b) Der Reparaturaufwand für die unfallursächlichen Beschädigungen lässt sich im vorliegenden Fall technisch und rechnerisch trennen. Der Sachverständige S hat überzeugend ausgeführt, dass bis auf die vertikale Eindellung der Heckklappe die weiteren im Gutachten der XXX GmbH aufgeführten Schäden aus dem Unfallereignis herrühren und widerspruchsfrei auf den Aufprall des Fahrzeugs der Beklagten zurückzuführen sind. Die Vorbeschädigung des Heckdeckels wurde durch anderweitige Schäden nicht überdeckt und deren Beseitigung lässt sich nach den Berechnungen des Sachverständigen rechnerisch abgrenzen. Gegen die Richtigkeit der sachverständigen Feststellungen haben die Beklagten nichts vorgebracht. Damit steht jedenfalls mit der für den § 287 ZPO ausreichenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit fest, dass unfallbedingt der Reparaturkostenaufwand entstanden ist, den der Sachverständige unter Herausrechnung der für die Reparatur des Heckdeckels erforderlichen Beträge ermittelt hat, hier mithin entsprechend dem Klägervorbringen im Berufungsverfahren 2.651,37 €. Die Differenz zum Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz um 1 Cent ergibt sich aus einem Rundungs- bzw. Berechnungsfehler der Klägerin, die vom Bruttobetrag der Rechnung den Bruttobetrag der Kosten für die Beseitigung der Vorschädigung abgezogen hat. Richtigerweise sind aber die Nettokosten für die Beseitigung der unfallbedingten Beschädigungen zuzüglich Umsatzsteuer zu berechnen. Da nicht mehr zugesprochen werden kann, als beantragt (§ 308 Abs. 1 S.1 ZPO), verbleibt es bei dem Ansatz von 2.651,36 €.
Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die Klägerin in erster Instanz hat vortragen lassen, dass alle im Gutachten des XXX aufgeführten Schäden unfallbedingt seien, obwohl sie nach eigenem Vorbringen wusste, dass die Delle an der Heckklappe bereits vor dem Unfall vorhanden war. Insoweit kann dahinstehen, ob dieses prozessuale Vorbringen auf einem Verschulden des Anwalts der Klägerin beruht, worauf sie sich in der Berufungsinstanz beruft und was die Beklagten zulässigerweise mit Nichtwissen bestreiten. Jedenfalls ist kein Grund dafür ersichtlich, der Klägerin die erleichterten Beweismöglichkeiten im Rahmen des § 287 ZPO vollständig zu versagen und gewissermaßen als Sanktion für unrichtigen Vortrag von ihr die Erfüllung der strengeren Beweisanforderungen des § 286 ZPO zu verlangen. Dies würde hier zu einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin führen. Zwar hat ein Kläger, der mit der ordnungsgemäßen Substantiierung seines Anspruchs hartnäckig zurückgehalten und die zumutbare Mitwirkung am Beweisverfahren verweigert hat, unter Umständen keinen Anspruch darauf, durch eine richterliche Schätzung der Schadenshöhe über den dem Strengbeweis zugänglichen Rahmen hinaus begünstigt zu werden (Senat vom 11.02.2008, I – 1 U 181/07; BGH NJW 1981, 1454). Ein solch obstruktives Verhalten kann hier der Klägerin jedoch nicht angelastet werden. Insbesondere waren die Beklagten durch das Verhalten Klägerin nicht daran gehindert, ihre Einwände zur Schadenshöhe vorzubringen. Die Eindellung der Heckklappe befand sich augenfällig außerhalb des vom Unfall herrührenden Schadensbereichs und ist von der Beklagten zu 2. bereits vorprozessual als Vorschaden erkannt und eingestuft worden. Weitere, über die Eindellung der Heckklappe hinausgehende, Vorbeschädigungen standen und stehen nur spekulativ im Raum. Konkrete Anhaltspunkte hierfür tragen die Beklagten selbst nicht vor. Das Vorhandensein der Delle als Vorbeschädigung hat wiederum bereits zu einem Teilunterliegen im erstinstanzlichen Verfahren geführt, wofür die Klägerin einen entsprechenden Kostenanteil zu tragen hat. Unter diesen Umständen ist kein Grund für eine weitere Verschärfung der prozessualen Möglichkeiten der Klägerin durch Anwendung des § 286 ZPO zu erkennen.
Dies gilt zumal im Hinblick darauf, dass bereits der § 287 ZPO hinreichend Raum lässt für eine je nach Fallgestaltung abgestufte Einordnung des als erforderlich anzusehenden Beweismaßes. Im vorliegenden Fall wäre jedenfalls auch bei Anwendung erhöhter Anforderungen an den nachzuweisenden Grad der Wahrscheinlichkeit der Unfallbedingtheit der in der Berufungsinstanz noch streitigen Schäden aufgrund der eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen S der Beweis als erbracht anzusehen.
c) An Mietwagenkosten kann die Klägerin nach den Feststellungen des Sachverständigen S. für 3 Tage Ersatz verlangen, weil ohne die stattgefundene Mitbeseitigung des Vorschadens nur eine Reparaturdauer von 3 Tagen erforderlich gewesen wäre. Der Ersatzbetrag hierfür beläuft sich demnach unter Zugrundelegung der im Übrigen der Höhe nach unstreitigen Mietwagenkosten auf ¾ von 839,83 €, mithin 629,87 €.
d) Die Klägerin kann auch die entstandenen Kosten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens der XXX GmbH in voller Höhe ersetzt verlangen. Kosten für die Einholung eines Schadengutachtens gehören in der Regel zu den erforderlichen Kosten der Schadensbehebung im Sinne des § 249 Abs.2 S.1 BGB. Der Schädiger muss diese Kosten im Grundsatz in voller Höhe tragen. Wenn allerdings feststellbar ist, dass der Geschädigte schuldhaft falsche Angaben gegenüber dem Sachverständigen gemacht oder die Unrichtigkeit eines Gutachtens aus anderen Gründen zu vertreten hat und sich das Gutachten deshalb als unbrauchbar erweist, kann ihm unter Umständen ein Ersatzanspruch versagt werden (Senat Urteil vom 11.02.2008, I – 1 U 181/07).
Zwar sind aus den oben genannten Gründen nicht alle in dem Privatgutachten aufgeführten Fahrzeugschäden als unfallbedingt anzuerkennen. Es lässt sich aber andererseits nicht feststellen, dass die Klägerin gegenüber dem mit der Sache befasst gewesenen Sachverständigen M schuldhafte falsche Angaben über den unfallbedingten Schadensumfang gemacht hat. Nach ihrem Vortrag in der Berufungsinstanz wurde das Gutachten über die Fa. D in Auftrag gegeben. Einen Kontakt mit dem Sachverständigen hatte sie nicht. Aus dem Gutachten ergibt sich insoweit auch, dass bei der Besichtigung des Fahrzeugs durch den Sachverständigen ein Mitarbeiter der Fa. D anwesend war, nicht aber die Klägerin selbst (Bl. 7 d.A., Seite 1 des Gutachtens). Zudem ist die Delle in der Heckklappe schon lokal so weit vom eigentlichen Schaden im Bereich des Heckstoßfängers und des Heckblechs entfernt, dass dem Sachverständigen von sich aus Zweifel an der Unfallbedingtheit hätten kommen müssen. Damit ist insgesamt kein Raum für die Annahme, die Klägerin habe die - teilweise - Unrichtigkeit des Gutachtens zu vertreten. In einem solchen Fall sind die Kosten des Privatgutachtens voll von der Ersatzverpflichtung des Schädigers umfaßt (so auch OLG München NZV 2006, 261).
e) Die Schadenspauschale schätzt der Senat entsprechend dem Klägervorbringen auf 20 € (§ 287 ZPO).
f) Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs.1, 92 Abs.1, 100 Abs.4 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs.2 ZPO) lagen nicht vor.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 3.752,13 €