19.10.2011 · IWW-Abrufnummer 113344
Landgericht Saarbrücken: Urteil vom 01.07.2011 – 13 S 61/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
13 S 61/11
15 C 589/10 (03) Amtsgericht St. Wendel
verkündet am 01.07.2011
LANDGERICHT SAARBRÜCKEN
URTEIL
Im Namen des Volkes XXX
In dem Rechtsstreit XXX
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken
auf die mündliche Verhandlung vom 24.06.2011
durch den Präsidenten des Landgerichts ..., den Richter am Landgericht ... und den Richter am Landgericht ...
für R e c h t erkannt:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts St. Wendel vom 15.02.2011 – 15 C 589/10 (03) – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der klagende Verein begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 09.08.2009 in ... ereignet hat.
Die Erstbeklagte befuhr mit ihrem Fahrzeug, das bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert ist, die ... und wollte nach links in die ... abbiegen. Sie hatte den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und hielt das Fahrzeug vor dem Abbiegen an.
Zur selben Zeit befuhr der Zeuge ... mit einem Notarzteinsatzfahrzeug des Klägers, an dem Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet waren, die ... in gleicher Fahrtrichtung und näherte sich von hinten dem stehenden Fahrzeug der Erstbeklagten. Im Notarzteinsatzfahrzeug befand sich als Notarzt der Zeuge .... In der Folge bog die Erstbeklagte nach links ab und stieß dabei mit dem sie überholenden Einsatzfahrzeug zusammen.
Die Zweitbeklagte hat den Schaden des Klägers auf der Grundlage einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zulasten der Beklagten reguliert. Mit seiner Klage verfolgt der Kläger den nicht regulierten Schaden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Erstbeklagte § 38 Abs. 1 StVO verletzt habe. Darüber hinaus habe sie gegen die doppelte Rückschaupflicht und die Pflicht, sich möglichst weit links einzuordnen, verstoßen. Demgegenüber habe der Zeuge ... davon ausgehen dürfen, dass die Erstbeklagte ihm freie Bahn verschaffen würde. Das rechtfertige die Alleinhaftung der Beklagten.
Die Beklagten haben eingewandt, es sei nicht vorgetragen, dass tatsächlich höchste Eile geboten gewesen sei, um Sonderrechte in Anspruch zu nehmen. Der Zeuge ... hätte auch, da die Erstbeklagte den linken Blinker gesetzt und sich zur Fahrbahnmitte eingeordnet habe, damit rechnen müssen, nicht wahrgenommen worden zu sein. Es sei deshalb von einer unklaren Verkehrslage iSd. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO auszugehen. Daraus ergebe sich eine Mithaftung des Klägers von jedenfalls 1/3.
Das Amtsgericht hat die Zeugen ... und ... zum Unfallgeschehen vernommen und die Erstbeklagte informatorisch angehört. Danach hat es der Klage in der Hauptsache stattgegeben. Die Erstbeklagte habe gegen § § 38 Abs. 1, 9 Abs. 4 StVO verstoßen. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass das klägerische Fahrzeug zum Kreis der Sonderrechtsträger nach § 35 Abs. 1 StVO gehört habe. Den Insassen des Rettungsfahrzeuges sei nämlich von der Rettungsleitstelle Saarland mitgeteilt worden, dass ein medizinischer Notfall vorliege mit Verdacht auf Herzinfarkt, weshalb der Fahrer des Rettungsfahrzeuges zu Recht beide Sondersignale eingesetzt habe. Die Erstbeklagte habe darüber hinaus ihrer Verpflichtung zur zweiten Rückschau nicht genügt, da sie – wie sie selbst eingeräumt habe – ihre Aufmerksamkeit auf den Gegenverkehr gerichtet und das Sonderrechtsfahrzeug weder gesehen noch gehört habe. Dem gegenüber habe sich der Fahrer des Rettungsfahrzeuges darauf verlassen dürfen, dass die Erstbeklagte, die angehalten habe, ihn wahrgenommen hatte. Das Maß der Unfallverursachung sei insofern auf der Beklagtenseite so groß, dass die von dem Kläger zu verantwortende Mitverursachung nicht ins Gewicht falle.
Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten weiter die Abweisung der Klage. Sie rügen eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Amtsgerichts. Die Erstrichterin sei schon von einer falschen Anspruchsgrundlage ausgegangen, da nicht § 3 Nr. 1 PflVG a.F., sondern § 115 VVG für den Streitfall maßgeblich sei. Darüber hinaus habe die Erstrichterin zu Unrecht die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Wegerechts nach § 38 Abs. 1 StVO bejaht. Es sei weder vorgetragen noch bewiesen worden, dass höchste Eile geboten gewesen sei, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Im Übrigen müsse sich der Kläger selbst dann eine Mithaftung von 1/3 anrechnen lassen, wenn er sich zu Recht auf § 38 Abs. 1 StVO berufen könne. Bei einer nachgewiesenen Geschwindigkeit des Einsatzwagens innerorts zwischen 70 und 80 km/h sei die Betriebsgefahr so massiv erhöht, dass eine Mithaftung von 1/3 gerechtfertigt sei. Es greife aber auch eine Verschuldensmithaftung auf Klägerseite. Ausgehend davon, dass das Beklagtenfahrzeug mit eingeschaltetem linken Fahrtrichtungsanzeiger an der Fahrbahnmittelinie gestanden habe, habe sich der Fahrer des Einsatzwagens nicht darauf verlassen dürfen, dass die Erstbeklagte ihn auch wahrgenommen hatte. Denn es wäre zu erwarten gewesen, dass das Beklagtenfahrzeug an den rechten Fahrbahnrand oder sogar darüber hinaus auf den Gehweg gezogen worden wäre. Der Fahrer des Einsatzwagens hätte deshalb seine Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h deutlich zurücknehmen und bremsbereit sein müssen, um den Unfall vermeiden zu können.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Das Urteil des Amtsgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere als die getroffene Entscheidung (§ 513 Abs.1 ZPO).
1. Zutreffend ist das Amtsgericht zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Beklagten als auch der Kläger grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens einzustehen haben. Dass die Erstrichterin dabei auf die vorliegend nicht mehr anwendbare Regelung des § 3 Nr. 1 PflVG a.F. abgestellt hat, statt auf die Vorschrift des § 115 VVG zurück zu greifen, ist im Ergebnis unschädlich, da sich die eingetretene Änderung der Rechtslage insoweit nicht auswirkt.
2. Ohne Rechtsfehler hat das Amtsgericht im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile angenommen, dass der Unfall durch ein Verschulden der Erstbeklagten verursacht worden ist.
a) Soweit das Amtsgericht einen Verstoß der Erstbeklagten gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO bejaht hat, weil sie als Linksabbiegerin ihrer Pflicht zur doppelten Rückschau nicht nachgekommen ist, begegnet dies keinen Bedenken und wird auch von der Berufung nicht in Zweifel gezogen.
b) Das Amtsgericht ist auch im Ergebnis zu Recht von einem Verstoß gegen § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO ausgegangen. Nach dieser Regelung war die Erstbeklagte gegenüber dem Notarzteinsatzfahrzeug der Beklagten, das mit Blaulicht und Einsatzhorn fuhr, verpflichtet, sofort freie Bahn zu schaffen. Dieses Gebot galt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Verwendung von Blaulicht und Einsatzhorn tatsächlich gegeben waren (vgl. KG, MDR 1997, 1121; VRS 100, 329; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 38 StVO Rn. 11 mwN.). Die Erstbeklagte hätte danach beiseite oder rechts heran oder scharf rechts ganz langsam fahren und ggf. anhalten müssen, bis sie hätte beurteilen können, ob sie das Einsatzfahrzeug behindern würde (vgl. OLG Hamm, ZfS 1999, 51; Hentschel aaO § 38 Rn. 11 mwN.). Das hat sie nicht getan. Sie ist vielmehr links abgebogen, ohne die nach der Verkehrslage gebotene Reaktion zu zeigen und hat so den Zusammenstoß mit dem klägerischen Fahrzeug verursacht. Bei Einhaltung der im Straßenverkehr gebotenen Sorgfalt musste die Klägerin die Signale des Einsatzfahrzeuges auch rechtzeitig wahrnehmen. Denn ein am normalen Straßenverkehr teilnehmender Kraftfahrer muss grundsätzlich Vorsorge treffen, dass er die von einem herannahenden Einsatzfahrzeug abgegebenen besonderen Warnsignale rechtzeitig wahrnehmen kann. Ein derart wahrnehmungsbereiter und aufmerksamer Verkehrsteilnehmer kann insbesondere das eingeschaltete Einsatzhorn mit seinem durchdringenden, besonders auffälligen Ton in der Regel schon von weitem hören (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1992, 1129).
3. Den Zeugen ... als Fahrer des Rettungsdienstfahrzeuges trifft kein Mitverschulden an dem Unfall.
a) Ein Verstoß gegen ein Überholverbot nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO liegt nicht vor. Diese Vorschrift bestimmt ein Überholverbot bei unklarer Verkehrslage. Unklar ist die Verkehrslage, wenn nach allen objektiven Umständen – nicht nach dem Gefühl des Überholwilligen – mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf, etwa weil sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird (vgl. Hentschel aaO § 5 StVO Rn. 34 mwN.). Das ist nicht schon dann der Fall, wenn der Vorausfahrende – auch bei einer sich nähernden Einmündung von links – seine Geschwindigkeit stark herabsetzt (vgl. nur Kammer, Urteil vom 14.05.2010 – 13 S 11/10; Hinweisbeschluss vom 22.07.2010 – 13 S 70/10, jeweils mwN.). Unklar wird die Verkehrslage erst, sobald weitere besondere Umstände hinzutreten, wenn etwa der Vorausfahrende neben dem Einordnen zur Fahrbahnmitte auch den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt (vgl. Kammer, Urteil vom 14.05.2010 aaO; Hentschel aaO Rn. 35, jeweils mwN.). Davon ist hier auszugehen, denn die Erstbeklagte hatte unstreitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und sich – wie auch der Fahrer des Rettungsdienstfahrzeuges bestätigt hat – zur Fahrbahnmitte eingeordnet. Damit lag eine unklare Verkehrslage vor, die unter normalen Umständen zu einem Überholverbot geführt hätte.
b) Das klägerische Fahrzeug gehörte jedoch – anders als die Berufung meint - zu den nach § 35 Abs. 5 a StVO privilegierten Fahrzeugen und war insoweit von der Einhaltung des Überholverbots befreit.
aa) Nach § 35 Abs. 5 a StVO sind Fahrzeuge des Rettungsdienstes – auch Notarzteinsatzfahrzeuge privater Einrichtungen wie hier (vgl. BGHZ 118, 304, 306; Hentschel aaO § 38 StVO Rn. 3; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 35 StVO Rn. 9 mwN.) - von den Vorschriften der StVO befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nachgewiesen (zur Darlegungs- und Beweislast vgl. KG, VRS 100, 329 mwN.). Für die Beurteilung, ob es sich um eine Einsatzfahrt iSd. § 35 Abs. 5 a StVO handelt, kommt es nicht auf die spätere objektive Betrachtung nach Beendigung der Einsatzfahrt, die der Einsatzfahrer nicht anstellen konnte, an. Vielmehr ist allein entscheidend, ob der Fahrer sich nach der ihm bekannten Lage aufgrund des Inhalts des Einsatzbefehls und der beschriebenen Krankheitssymptome für berechtigt halten durfte, die Sonderrechte aus § 35 Abs. 5 a StVO in Anspruch zu nehmen (OLG Düsseldorf, NZV 2010, 267 mwN.; vgl. auch Hentschel aaO § 35 StVO Rn. 5; Burmann aaO § 35 StVO Rn. 9). Das Amtsgericht hat - insoweit unwidersprochen - festgestellt, dass die Rettungsleitstelle Saarland die Einsatzanweisung mit dem Hinweis „medizinischer Notfall“ gegeben hatte. Aufgrund dieses Einsatzbefehls war bei einer sachgemäßen Vorwegbeurteilung (Hentschel aaO § 38 StVO Rn. 8) höchste Eile zur Rettung von Menschenleben geboten. Denn weder dem Fahrer des Rettungsdienstfahrzeuges noch dem Rettungsarzt waren weitere Informationen zugänglich, die sie in die Lage versetzt hätten, eine verlässliche Einschätzung im Hinblick auf den Einsatzbefehl und die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Sonderrechten abzugeben. In einer solchen Situation darf ein Fahrer eines Rettungsdienstfahrzeuges aber insbesondere mit Blick auf die möglichen Folgen eines zu sp äten Eintreffens am Einsatzort davon ausgehen, dass zur Abwendung der Gefahr für Menschenleben Sonderrechte in Anspruch genommen werden dürfen.
bb) Allerdings weist die Berufung zu Recht darauf hin, dass der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn nur dann darauf vertrauen darf, dass die anderen Verkehrsteilnehmer der Verpflichtung des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO nachkommen, sofort freie Bahn zu schaffen, wenn er nach den Umständen annehmen darf, dass ihn alle anderen Verkehrsteilnehmer wahrgenommen und sich auf das Einsatzfahrzeug eingestellt haben (vgl. BGHZ 63, 327, 331; KG, VRS 100, 329). Dafür muss er ihnen eine kurz zu bemessende, aber doch hinreichende Zeit einräumen (vgl. KG aaO). Das folgt aus § 35 Abs. 1 StVO, wonach die Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden dürfen (§ 35 Abs. 8 StVO). Die dem Sonderrechtsfahrer obliegende Sorgfaltspflicht ist danach umso größer, je mehr seine gegen die StVO verstoßende Fahrweise, die zu der zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe nicht außer Verhältnis stehen darf, die Unfallgefahr erhöht (KG, NZV 2008, 147; vgl. auch Hentschel aaO § 35 StVO Rn. 8; Burmann aaO § 35 Rn. 17, jeweils mwN.). Diesem Sorgfaltsmaßstab ist der Zeuge ... als Fahrer des Notarzteinsatzfahrzeuges gerecht geworden. Die Erstbeklagte befand sich unmittelbar vor dem Einsatzfahrzeug und hatte – wie auch die Berufung einräumt – bereits aus einer Entfernung von mehr als 25 m unbeschränkte Sicht auf das sich von hinten nähernde Einsatzfahrzeug. Grundsätzlich darf ein Fahrer eines Einsatzwagens annehmen, dass Fahrzeuge in der Nähe (50 m) Blaulicht und Einsatzhorn wahrnehmen (vgl. KG aaO; OLG Bremen, VersR 1974, 577; Hentschel aaO § 38 Rn. 10). Aufgrund des Abstands zum Einsatzfahrzeug bestand für die Erstbeklagte auch hinreichende Zeit, sich auf das Einsatzfahrzeug einzustellen. Der Zeuge ... durfte nach diesen Umständen annehmen, dass die Erstbeklagte ihn wahrgenommen hatte und er durfte mit freier Bahn rechnen. Dieses Vertrauen war entgegen der Auffassung der Berufung auch nicht dadurch eingeschränkt, dass die Erstbeklagte an der Fahrbahnmittelinie stehen geblieben und nicht rechts herangefahren ist. Das Vertrauen des Fahrers eines Einsatzfahrzeuges, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer freie Bahn schaffen, ist nicht erst dann geschützt, wenn die Verkehrsteilnehmer erkennbar dem Gebot des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO Folge leisten. Es knüpft vielmehr an die berechtigte Erwartung des Fahrers eines Einsatzfahrzeuges an, dass die Verkehrsteilnehmer, die die Signale des Einsatzfahrzeuges wahrgenommen haben und sich auf das Fahrzeug einstellen können, dem Gebot entsprechend handeln werden. Es würde dem Sinn der Regelung des § 35 Abs. 5 a StVO zuwiderlaufen, wenn man die Inanspruchnahme von Sonderrechten davon abhängig machen wollte, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer sich entsprechend dem Gebot des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO verhalten. Der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges müsste dann von der Inanspruchnahme der Sonderrechte absehen, wenn gegen das Gebot des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO verstoßen würde. Damit würde die Möglichkeit, in Notfallsituationen von Sonderrechten Gebrauch zu machen, in unzulässiger Weise eingeschränkt, wenn nicht sogar aufgehoben. Der Gesetzgeber wollte aber gerade durch § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO vermeiden, dass die höchsteilige Fahrt eines Wegerechtsfahrzeugs aufgehalten oder verzögert wird (vgl. BGHZ 63, 327, 332). Der Zeuge ... brauchte deshalb nicht abzuwarten, bis die Erstbeklagte nach rechts fuhr, sondern durfte darauf vertrauen, dass sie an der Fahrbahnmittelinie stehen bleiben und nicht auf die Gegenfahrbahn einfahren würde. Ob etwas anderes gelten kann, wenn der Fahrer des Einsatzfahrzeuges mit einem unmittelbar bevorstehenden Verkehrsverstoß der anderen Verkehrsteilnehmer rechnen muss, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Erstbeklagte hat – wie die Zeugen ... und ... übereinstimmend in ihrer Vernehmung geschildert haben – zum Abbiegen erst angesetzt, als der Einsatzwagen bereits an das Beklagtenfahrzeug herangefahren war, so dass der Zeuge ... auch nicht mehr unfallvermeidend hätte reagieren können.
c) Ein Mitverschulden des Zeugen ... als Fahrer des Einsatzfahrzeuges lässt sich auch nicht auf die von ihm gefahrene Geschwindigkeit stützen. Allerdings liegt es – ausgehend von der gesicherten Bremsblockierspur von 25 m Länge und der Aussage des Zeugen ... – nahe, dass das Einsatzfahrzeug vorkollisionär mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/h und damit über der § 3 Abs. 3 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren ist. Auch diese Frage bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn das Einsatzfahrzeug war auch insoweit nach § 35 Abs. 5 a StVO von dem Gebot, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts einzuhalten, befreit. Damit ist der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges zwar nicht in jedem Fall berechtigt, mit überhöhter Geschwindigkeit zu fahren. Denn auch insoweit gilt die Einschränkung des § 35 Abs. 8 StVO. Von einem Verstoß gegen diese Sorgfaltspflicht kann unter den hier gegebenen Umständen aber nicht ausgegangen werden. Bei einer – unterstellten - Geschwindigkeit von ca. 70 km/h lag der Anhalteweg des klägerischen Fahrzeugs nicht außerhalb der Reichweite seines Martinshorns (vgl. dazu OLG Bremen aaO). Die Straße verläuft vor der Unfallstelle auch so, dass der Fahrer des Einsatzfahrzeuges über eine weite Strecke unbehinderte Sicht nach vorne hatte. Er konnte daher das Fahrverhalten der Erstbeklagten schon von weitem erkennen und beurteilen. Im Hinblick auf das Fahrverhalten der Erstbeklagten durfte der Zeuge ... ferner – wie bereits gezeigt – darauf vertrauen, dass die Erstbeklagte ihm freie Bahn schaffen und nicht unbesehen nach links abbiegen würde. Sonstiger Verkehr, der unmittelbar durch das Einsatzfahrzeug hätte gefährdet werden können, ist nicht festgestellt. Eine – unterstellte – Geschwindigkeit von 70 km/h war danach nicht schon für sich genommen geeignet, einen Sorgfaltsverstoß des Zeugen ... begründen.
4. Die Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG führt zur Alleinhaftung der Beklagten. Auf Seiten der Erstbeklagten wirkt sich der doppelte Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO und § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO aus. Auf Seiten des Klägers kann lediglich die durch das innerörtliche Überholmanöver erhöhte Betriebsgefahr Berücksichtigung finden. Diese tritt allerdings gegenüber dem Verschulden der Erstbeklagten zurück. Denn das Verschulden eines Linksabbiegers wiegt gegenüber einem Fahrzeug, das in zulässiger Weise Sonderrechte nach § 35 Abs. 5 a StVO in Anspruch nimmt, so schwer, dass eine Mithaftung grundsätzlich nur in Betracht kommt, wenn den Sonderrechtsfahrer ein mitwirkendes Verschulden trifft (vgl. KG, NZV 2008, 147).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO iVm. § 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).