Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 13.12.2011 · IWW-Abrufnummer 113966

    Oberlandesgericht Bamberg: Beschluss vom 14.01.2011 – 3 Ss OWi 2062/10

    Durch die gerichtliche Anordnung der Übersendung eines (anthropologischen) Sachverständigengutachtens zur Klärung der Fahrereigenschaft des Betroffenen an den Verteidiger zur Stellungnahme wird die Verfolgungsverjährung der Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG unterbrochen.


    Oberlandesgericht Bamberg
    Beschluss vom 14. 1. 2011

    3 Ss OWi 2062/10

    Zum Sachverhalt:
    Das AG hat die Betr. wegen einer am 18.08.2009 als Führerin eines Pkw begangenen fahrlässigen Ordnungswidrigkeit der Missachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage nach länger als einer Sekunde dauernder Rotlichtphase zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt und gegen sie ein Fahrverbot verhängt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts; sie wendet sich insbesondere gegen die Beweiswürdigung des AG. Das Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.
    Aus den Gründen:
    Die gemäß § 79 I 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde erweist sich – zumindest vorläufig – als erfolgreich, da die Beweiswürdigung des AG lückenhaft ist.
    1. Auf die von der Betr. zulässig erhobene Rechtsbeschwerde ist von Amts wegen durch Freibeweis zu prüfen, ob das Verfahrenshindernis eingetretener Verjährung besteht (Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. Einl. Rn. 150 ff., § 337 Rn. 6). Vorliegend ist durch die Anordnung der Übersendung des anthropologischen Sachverständigengutachtens an den Verteidiger der Betr. zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen am 08.07.2010 die Verjährung gemäß § 33 I 1 Nr. 2 OWiG wirksam unterbrochen worden.
    a) Die Frist der Verfolgungsverjährung beträgt 3 Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen noch öffentliche Klage erhoben ist, danach 6 Monate (§§ 24, 26 III StVG). Die verfahrensgegenständliche Ordnungswidrigkeit wurde am 18.08.2009 begangen. Vor Ablauf der dreimonatigen Verjährungsfrist wurde die Verjährung zuletzt am 28.10.2009 durch den Erlass des am 30.10.2009 ordnungsgemäß zugestellten Bußgeldbescheides gemäß § 33 I 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen. Die mit dem Erlass des Bußgeldbescheides in Lauf gesetzte, nunmehr sechsmonatige Verjährungsfrist wurde sodann erstmals nach § 33 I 1 Nr. 10 OWiG am 14.12.2009 durch den Eingang der Akten beim AG gemäß § 69 III 1 OWiG unterbrochen. Erneut wurde die Verjährungsfrist unterbrochen nach § 33 I 1 Nr. 11 OWiG am 15.12.2009 mit der (erstmaligen) Terminsbestimmung und nochmals nach § 33 I 1 Nr. 2 am 03.02.2010 durch die im Beschlusswege erfolgte gerichtliche Beauftragung eines anthropologischen Sachverständigen zur Anfertigung eines Identitätsgutachtens.
    b) Die hierdurch nach § 33 III 1 OWiG in Lauf gesetzte Verjährungsfrist von 6 Monaten wurde durch die Anordnung der Übersendung des schriftlichen Sachverständigengut-achtens an den Verteidiger der Betroffenen zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen am 08.07.2010 nach § 33 I 1 Nr. 2 OWiG wiederum unterbrochen. Denn hierin liegt eine Anordnung der richterlichen Vernehmung der Betr. i.S.v. § 33 I 1 Nr. 2 OWiG. Der Begriff der Vernehmung ist im OWiG nicht bestimmt, sondern über § 46 I OWiG den §§ 136, 163 a StPO zu entnehmen (Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. § 33 Rn. 10). Nach § 163 a I 2 StPO liegt eine Vernehmung in einfachen Sachen, um die es sich in Bußgeldsachen im Regelfall handelt, vor, wenn dem Betr. Gelegenheit gegeben wird, sich zu äußern (OLG Oldenburg NJW 1970, 719 f.; OLG Brandenburg NStZ-RR 1999, 279 f.; Rebmann/Roth/Herrmann a.a.O.; Göhler OWiG 15. Aufl. § 33 Rn. 10). Auch sind die bei der Vernehmung als Mindestvoraussetzung gemäß §§ 46 Abs. 1, 55 OWiG i.V.m. §§ 163 a, 136, 136 a StPO zu wahrenden Förmlichkeiten beachtet. Die Betr. wurde gemäß § 136 I StPO i.V.m. § 71 I OWiG in der Hauptverhandlung gemäß § 136 StPO belehrt.
    2. Jedoch erweist sich die Beweiswürdigung des Tatgerichtes als fehlerhaft, da sie lückenhaft ist. Hierzu hat die GenStA in ihrer Antragsschrift im wesentlichen ausgeführt: „Die Urteilsgründe sind hinsichtlich der Feststellung der Fahreridentität lückenhaft (§ 267 I 1 StPO i.V.m. § 71 I OWiG). Zwar hat allein der Tatrichter zu entscheiden, ob im Rahmen der Fahreridentifizierung das Messfoto die Feststellung erlaubt, dass der Betr. der abgebildete Fahrzeugführer ist. Ob ein solches Foto jedoch ein geeignetes Beweismittel ist, ist (...) durch das Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar (BGHSt 41, 376 ff.). Das Gericht hat in den Urteilsgründen ausdrücklich auf das in den Akten befindliche Messfoto nach § 267 I 3 StPO Bezug genommen und es damit zum Bestandteil der Urteilsurkunde gemacht. Das Rechtsbeschwerdegericht kann und darf daher aus eigener Anschauung beurteilen, ob das Messfoto als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist oder eine so schlechte Qualität aufweist, dass eine Identifizierung allein anhand des Bildes nicht möglich ist. Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Das Lichtbild, auf das in den Urteilsgründen Bezug genommen wurde, ist aufgrund seiner groben Körnung und der Verdeckung der Augenpartie durch eine Sonnenbrille zu Identifizierungszwecken nur eingeschränkt geeignet. Die Tatrichterin hat deshalb in nicht zu beanstandender Weise ein anthropologisches Sachverständigengutachten erholt und damit selbst zum Ausdruck gebracht, dass sie sich allein anhand des Lichtbildes nicht in der Lage sieht, die Betroffene zu identifizieren. Die Urteilsgründe tragen eine Verurteilung aber trotzdem nicht (...). Denn die Sachverständige konnte die Betr. als Fahrerin nicht verifizieren, aber auch nicht ausschließen. Das AG hat die Verurteilung deshalb allein darauf gestützt, dass auf dem Bild eine blonde, jüngere Frau zu sehen ist und die Mutter der Betroffenen, die selbst als Fahrerin in Betracht kommt, eine Mitwirkung an der Identifizierung abgelehnt und sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat. Das AG hätte hier aber im Rahmen einer Gesamtwürdigung alle Umstände darlegen müssen, ob etwa verbleibende Zweifel an der Identifizierung durch weitere Indizien wie beispielsweise die Fahrtstrecke oder -zeit, die Kleidung des Fahrers oder ähnliches ausgeräumt werden konnten; denn die Überzeugung des Tatrichters hinsichtlich der Identität des Betroffenen wird gerade in einem solchen Fall i.d.R. nur auf einer Gesamtwürdigung aller Umstände beruhen können (Gübner in Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl., Rn. 1776). Diese Gesamtwürdigung liegt nicht vor. Allein aus dem der Mutter der Betr. zustehendem Recht, das Zeugnis zu verweigern und nicht an der Gutachtenerstattung mitzuwirken, kann nicht auf die Täterschaft der Betr. geschlossen werden. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass die Mutter sich an der Aufklärung der Tat zugunsten der Tochter beteiligen wird, wenn sie selbst gefahren sein könnte. Da das Urteil auf diesem Darstellungsmangel beruht, ist es mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§§ 353 Abs. 2 StPO i.V.m. 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).“ Der Senat macht sich diese zutreffenden Ausführungen zu Eigen und bemerkt ergänzend, dass das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO nicht ausschließt, das äußere Erscheinungsbild eines Zeugen für die Urteilsfindung zu verwerten; die Aufklärungspflicht (§ 77 I OWiG) kann dies sogar gebieten (BGH StraFo 2004, 314 f. = NStZ-RR 2005, 257).

    RechtsgebietOWiGVorschriften§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG