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  • 04.10.2012 · IWW-Abrufnummer 122968

    Oberlandesgericht Bamberg: Beschluss vom 06.06.2012 – 2 Ss OWi 563/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    OLG Bamberg
    Beschl. v. 6. 6. 2012
    2 Ss OWi 563/12
    In pp.
    I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 16. Februar 2012 aufgehoben.
    II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bayreuth zurückverwiesen.
    Gründe
    I.
    Das Amtsgericht Bayreuth verurteilte den Betroffenen am 16.02.2012 wegen einer am 24.10.2011 auf der BAB A 9 begangenen fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 55 km/h zu einer Geldbuße von 240,00 €. Zugleich verhängte es ein mit einer Anordnung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats.
    Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
    II.
    Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich auf die Sachrüge hin als begründet.
    Die bisherigen Feststellungen im Rahmen der Beweiswürdigung und der auf ihr beruhenden Sachverhaltsfeststellung des Tatrichters tragen den Schuldspruch und damit auch die verhängten Rechtsfolgen der Tat nicht. Es liegt ein Widerspruch zwischen Urteilstenor und Urteilsgründen - hier bezüglich Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung - vor. Dies stellt einen materiell-rechtlichen Mangel des Urteils dar, der auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils führt (vgl. BayObLG Beschluss vom 23.08.1994 - 3 St RR 74/94 - bei juris; OLG Bamberg, VRS 113, 238).
    In den beweiswürdigenden Ausführungen des tatrichterlichen Urteils ist einerseits festgestellt, dass im Bereich der verfahrensgegenständlichen Messung eine Geschwindigkeitsbeschränkung durch Zeichen 274 auf 60 km/h bestand; andererseits führt der Tatrichter zur vom Betroffenen an der Messstelle gefahrenen Geschwindigkeit u.a. aus:
    "Bei der Messung ist eine Geschwindigkeit von 160 km/h gemessen worden. Zum Ausschluss von Messtoleranzen hat das Gericht einen Abzug von 5 km/ vorgenommen, so dass letztlich von einer Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h auszugehen war."
    Diese Feststellungen sind zwar bei einer lediglich auf die beweiswürdigenden Ausführungen beschränkten Betrachtung nicht widersprüchlich, da selbstverständlich bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h der Betroffene auch mit einer Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h gefahren sein könnte. Sie tragen jedoch die Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 55 km/h nicht.
    Wenn nämlich die tatrichterliche Feststellung zu der vom Betroffenen gefahrenen Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h zutrifft, dann muss - bei einer Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 55 km/h - die Feststellung zur Beschränkung der Geschwindigkeit durch Zeichen 274 auf 60 km/h unzutreffend sein; es müsste vielmehr eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf 100 km/h angeordnet gewesen sein. Falls die Feststellung zur Beschränkung der Geschwindigkeit auf 60 km/h an der Messstelle zutreffend sein sollte, dann kann angesichts der Verurteilung des Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 55 km/h die im Rahmen der Beweiswürdigung erfolgte Feststellung einer Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h nicht zutreffen.
    Nicht in Einklang zu bringen sind die beweiswürdigenden Ausführungen und die Sachverhaltsfeststellung des Tatrichters zur gefahrenen Geschwindigkeit auch mit folgender Erwägung des Tatrichters zur Verhängung des Fahrverbots:
    "Die Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit war enorm, der Betroffene ist nahezu doppelt so schnell gefahren wie erlaubt."
    Wenn an der Messstelle eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h bestand, dann betrug die vom Amtsgericht festgestellte gefahrene Geschwindigkeit von mindestens 155 km/h deutlich mehr als das Doppelte der erlaubten Geschwindigkeit. Bei einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h fuhr der Betroffene mit 155 km/h auch nicht annähernd "doppelt so schnell … wie erlaubt."
    Es lässt sich auch nicht zur Gewissheit des Senats feststellen, dass - wie die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Antragsschrift vom 20.04.2012 meint - hinsichtlich der in den Urteilsgründen angegebenen Mindestgeschwindigkeit von 155 km/h ein Schreibversehen und somit nur ein scheinbarer Widerspruch vorliegt. Insbesondere spricht der Umstand gegen ein solches Schreibversehen, dass der Tatrichter ausdrücklich von einer gemessenen Geschwindigkeit von 160 km/h ausgeht und dann einen Toleranzabzug von 5 km/h vornimmt, also genau den Toleranzwert abzieht, der bei Geschwindigkeitsüberwachung mit dem Einseitensensor ES3.0 nach der Ergänzenden Weisung Nr. 2.5 der Richtlinie für die polizeiliche Verkehrsüberwachung vom 12.05.2006 (VÜR) bei einem gemessenen Geschwindigkeitswert von 131 bis 165 km/h abzuziehen war. Wenn der Tatrichter, wie die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Antragsschrift vom 20.04.2012 meint, von einer Geschwindigkeit von 115 km/h (nach Toleranzabzug) ausgegangen wäre, dann hätte bei dem für diese Geschwindigkeit in Betracht kommenden Geschwindigkeitswert nach der Ergänzenden Weisung Nr. 2.5 der VÜR eine Toleranz von 4 km/h Abzug finden müssen.
    Der Widerspruch zwischen Urteilstenor und den Urteilsgründen ist ein materiell-rechtlicher Mangel. Er führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils (BayObLG a.a.O.).
    III.
    Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben. Die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Bayreuth zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 OWiG).
    IV.
    Für die neue Entscheidung des Amtsgerichts weist der Senat hinsichtlich der Darstellung der Beschilderung auf folgendes hin:
    Zum einen erscheinen Ausführungen zur vollständigen Beschilderungssituation vor der Verkehrskontrollstelle bei Prüfung der Möglichkeit des Absehens von der Verhängung eines Fahrverbots wegen Augenblicksversagens oder auch bei Prüfung, ob trotz einer Existenzgefährdung das Gewicht des Verkehrsverstoßes die Verhängung eines Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen zwingend erforderlich macht, zumindest sinnvoll.
    Zum anderen ist in der neuen tatrichterlichen Entscheidung weiter auszuführen, wie und wodurch jeweils das Zeichen 274 von dem offenbar am selben Pfosten befindlichen Zeichen 276 (Überholverbot) "deutlich … abgesetzt" (UA S. 4) war (vgl. BayObLG VM 1978, 29/30; vgl. auch OLG Bamberg NZV 2007, 633). Zwar bezieht sich - entgegen der Ansicht der Verteidigung - ein, wie im vorliegenden Fall, unter mehreren Verkehrszeichen angebrachtes Zusatzzeichen (hier nach Angaben der Verteidigung in der Rechtsbeschwerde das Zusatzzeichen 1049-13) nur auf das unmittelbar darüber befindliche Verkehrszeichen, wie aus § 39 Abs. 3 Satz StVO folgt (Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Auflage § 39 StVO Rn. 31a a.E.). Dennoch kann u.U. ein Irrtum über die beschränkte Wirkung von Zusatzschildern dazu führen, dass trotz Vorliegens der Regelvoraussetzungen die Anordnung eines Fahrverbots entfällt; dies etwa dann, wenn eine deutliche Trennung des durch das Zusatzschild eingeschränkten Überholverbots von dem Zeichen 274 nicht vorgenommen ist (vgl. OLG Bamberg NZV 2007, 633; BayObLG NJW 2003, 2253).
    V.
    Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
    Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

    RechtsgebieteGeschwindigkeitsüberschreitung, Beweiswürdigung, Zusatzzeichen