12.06.2013 · IWW-Abrufnummer 131858
Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 05.03.2013 – I-1 U 115/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf
I-1 U 115/12
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 28. März 2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist in der Sache unbegründet.
Sie dringt auch in der Berufungsinstanz nicht mit ihrem Einwand durch, die Klägerin sei aus prozessualen und materiell-rechtlichen Gründen verpflichtet, an der Vorlage eines Vorerkrankungsverzeichnisses mitzuwirken, indem sie ihre private Krankenversicherung von der Schweigepflicht entbinden müsse. Aus der Tatsache, dass die Klägerin die verlangte Entbindungserklärung verweigert, kann zu ihren Lasten kein prozessualer Nachteil im Sinne einer Beweislastumkehr oder gar eines unterstellten Nachweises der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten abgeleitet werden, es habe in psychischer und/oder physischer Hinsicht eine erhebliche Vorerkrankung vorgelegen, welche sich anspruchsmindernd oder weitergehend anspruchsvernichtend auf die durch das Landgericht der Klägerin zuerkannten Ersatzansprüche auswirken müsse. Die Beklagte bleibt in Bezug auf die Richtigkeit der eher als Vermutung in den Rechtsstreit eingeführten Vorerkrankungsbehauptung beweisfällig.
Auch der Senat sieht keinen Anlass, der Klägerin nach Maßgabe des § 142 ZPO oder auf der Grundlage einer anderen prozessualen Bestimmung aufzugeben, ihre Krankenversicherung von der gesetzlichen Schweigepflicht zu entbinden und die Herausgabe eines Vorerkrankungsverzeichnisses als Erkenntnisgrundlage für den vorliegenden Rechtsstreit zu veranlassen. Was die streitigen gesundheitlichen Vorbeeinträchtigungen der Klägerin anbelangt, ist sie nicht nur in hinreichendem Umfang ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen. Vielmehr hat im Hinblick auf das Ergebnis der umfassenden erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung durch Zeugenvernehmung und Einholung eines fachmedizinischen Sachverständigengutachtens der Tatsachenvortrag der Klägerin über einen beschwerde- und störungsfreien vorkollisionären Gesundheitszustand eine Bestätigung gefunden.
Zwar steht fest, dass die Reaktion der Klägerin auf die Wahrnehmung des Unfallgeschehens und die dabei eingetretene Distorsionsverletzung der Halswirbelsäule, diese von eher untergeordneter Bedeutung, außergewöhnlich heftig mit dem Eintritt gravierender orthopädischer und psychischer Folgebeeinträchtigungen bis hin zu einer gänzlichen Dienstunfähigkeit ausgefallen ist. Die Beklagte muss sich jedoch mit der Tatsache abfinden, dass entgegen ihrer Mutmaßung die durch das Landgericht zutreffend festgestellten Folgewirkungen des Schadensereignisses ihre Ursache ausschließlich in der Wahrnehmung und Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens bis hin zu der Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung haben, ohne dass sich eine irgendwie geartete psychische oder physische Prädisposition der Klägerin kausal oder auch nur mitursächlich ausgewirkt hat. Soweit die Beklagte weiterhin auf die Beiziehung des fraglichen Vorerkrankungsverzeichnisses dringt, um den vermuteten Inhalt als Erkenntnisgrundlage für ihr Verteidigungsvorbringen zu verwerten, hat ihr prozessuales Begehren einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag zum Gegenstand.
Der ganz allgemein gehaltene Einwand gegen die Höhe des der Klägerin durch das Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldes stellt einen unzulässigen Berufungsangriff dar.
Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:
I.
1 )
Gemäß § 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 152, 254, 258).
2 )
Derartige Zweifel sind in Bezug auf die Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil nicht gegeben.
a )
Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist nunmehr in der Berufungsinstanz – mit Ausnahme der seitens der Beklagten behaupteten physischen und psychischen Prädisposition der Klägerin – weitgehend unstreitig. Die Beklagte stellt nicht mehr in Abrede, dass sich bei der Klägerin entsprechend der Feststellung des Landgerichts als Primärverletzung eine Distorsionsschädigung der Halswirbelsäule eingestellt hat. Unter dem Eindruck der als lebensgefährlich empfundenen Auffahrkollision und des nachträglich immer wieder neu erlebten Unfallgeschehens durch erinnerungsauslösende Momente (Trigger) hat sich bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, die mit der Ausbildung eines psychogenen Schiefhalses (Torticollis) einhergeht.
b )
Auch die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Berechnung der ersatzfähigen materiellen Schäden in dem insgesamt sehr ausführlich und in jeder Hinsicht überzeugend begründeten Urteil zieht die Beklagte nicht in Zweifel.
3 )
Der Streit der Parteien betrifft nur noch die Tatsachenfrage, ob die Klägerin in physischer und/oder psychischer Hinsicht für die Entstehung der unfallbezogenen Verletzung und Gesundheitsbeeinträchtigung vorerkrankungsbedingt eine Veranlagung hatte, die sich entweder kausal oder zumindest mitursächlich für den Eintritt der materiellen und immateriellen Schäden ausgewirkt hat. Diese Frage ist nach dem Ergebnis der umfassenden Beweisaufnahme vor dem Landgericht eindeutig zu verneinen, ohne dass es für eine abschließende Streitentscheidung noch einer ergänzenden Tatsachenaufklärung durch Beiziehung eines Vorerkrankungsverzeichnisses bedarf. Entgegen der seitens der Beklagten vertretenen Ansicht ergibt sich für die Klägerin kein prozessualer Nachteil aus dem Umstand, dass sie sich nicht mit der Beiziehung eines solchen Verzeichnisses einverstanden erklärt und ihre private Krankenversicherung, die XXX., nicht von deren Schweigepflicht entbindet. Die Weigerungshaltung der Klägerin führt in prozessualer Hinsicht insbesondere nicht dazu, dass das streitige Verteidigungsvorbringen der Beklagten im Hinblick auf eine Prädisposition für die eingetretenen Körper- und Gesundheitsschäden als erwiesen angesehen werden kann.
4 )
Allerdings folgt entgegen der Ansicht der Klägerin die Unbegründetheit des Rechtsmittelvorbringens der Beklagten nicht daraus, dass sie gegen Ende der erstinstanzlichen Beweisaufnahme auf die klagegegenständliche Schmerzensgeldforderung einen Anteil von 30.000 Euro gezahlt hat. Diese Teilüberweisung kann nicht mit einem deklaratorischen oder gar konstitutiven Schuldanerkenntnisses dergestalt in Verbindung gebracht werden, dass die Beklagte damit dem Grunde nach uneingeschränkt ihre Einstandspflicht für die materiellen und immateriellen Schadensfolgen des Kollisionsereignisses vom 17. März 2006 unter Aufgabe der Behauptung einer besonderen Schadensveranlagung der Klägerin anerkannt hat. Denn in dem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 9. September 2010 mit der Ankündigung der Überweisung in Höhe von 30.000 Euro hat die Beklagte ausdrücklich ihr Verteidigungsvorbringen aufrecht erhalten, das Verletzungsbild der Klägerin sei nicht (allein) unfallbedingt entstanden; zum Nachweis dessen hat sie zum wiederholten Male beantragt, der Klägerin die Auflage zu erteilen, ein Vorerkrankungsverzeichnis vorzulegen, bzw. ein solches bei der Krankenversicherung einzuholen (Bl. 266/269 d.A.). Die Schmerzensgeldzahlung von 30.000 Euro kann folglich nur mit einer Erklärung der Beklagten des Inhaltes in Verbindung gebracht werden, dass sie sich nach dem Ergebnis der bis dahin durchgeführten Beweisaufnahme allenfalls nicht mehr gegen die Annahme einer Mitursächlichkeit des Unfallgeschehens für den Eintritt der Körperverletzung und der gesundheitlichen Beeinträchtigungen wehren wollte, die sich aus dem vorangegangenen psychiatrischen Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. XXX (Bl. 201 ff. d.A.) ergaben.
II.
In mehrfacher Hinsicht fehl geht der Berufungsangriff der Beklagten, bei Beachtung des Gebotes eines fairen Verfahrens hätte das Landgericht die Klägerin darauf hinweisen müssen, bei einer Vereitelung der Vorlage des streitigen Vorerkrankungsverzeichnisses wegen der Verweigerung einer Entbindung der Krankenversicherung von der Schweigepflicht sei das Verteidigungsvorbringen als richtig zu unterstellen, es hätten Vorerkrankungen in einem Ausmaß vorgelegen, welche bei Hinwegdenken des Unfalls zeitnah Folgen ausgelöst hätten, die den tatsächlich eingetretenen Unfallfolgen entsprochen hätten (Bl. 508 d.A.). Die Klägerin ist weder aus prozessualen noch aus materiell-rechtlichen Gründen gehalten, den von ihr verlangten Beitrag zu der Vorlage des Verzeichnisses zu leisten, um der Beklagten die notwendige Erkenntnisgrundlage für die Vervollständigung und für den Nachweis ihrer Behauptung einer psychischen und physischen Prädisposition für die eingetretenen materiellen und immateriellen Schadensfolgen zu verschaffen. Die Beklagte ist mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass sie einem grundlegenden Irrtum über Art und Ausmaß der Mitwirkungspflicht der Klägerin an der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes unterliegt. Sie ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gehalten, der Beklagten die für den angestrebten Prozesssieg benötigten Informationen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ebenso wenig hätte das Landgericht im Wege einer Anordnung gemäß § 142 ZPO darauf hinwirken müssen, dass die Klägerin durch eine Befreiung ihrer privaten Krankenkasse von deren Schweigebefugnis dafür Sorge trug, dass das streitige Vorerkrankungsverzeichnis in den Rechtsstreit eingeführt werden konnte.
1 )
Einerseits lässt der Senat nicht außer Acht, dass es eine Krankenvorgeschichte der Klägerin gibt und dass die damit in Zusammenhang stehenden Einzelheiten zwangsläufig dem Wissen der Beklagten entzogen sind, weil sie die Privatsphäre der Klägerin betreffen. Auch steht außer Frage, dass im Rahmen der Kausalitätsprüfung die Frage von Bedeutung ist, ob sich eine Vorerkrankung des Anspruchstellers physischer oder psychischer Art kausal oder zumindest mitursächlich für die Entstehung einer körperlichen oder gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgewirkt hat, die sich nach einer Unfallverletzung diagnostizieren lässt. Sollte ein Unfallopfer etwa eine entsprechende psychische Prädisposition aufgewiesen haben, so kann dieser Umstand im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung als Minderungsgesichtspunkt berücksichtigt werden, wenn sich das Unfallereignis in einer psychischen Folgebeeinträchtigung auswirkt . Auch steht außer Frage, dass die Unterlagen einer – hier privaten – Krankenversicherung aus naheliegenden Gründen am besten geeignet sind, über die Krankenvorgeschichte eines Unfallopfers Auskunft zu geben.
2 )
Davon zu trennen ist aber die Frage, ob ein Unfallopfer aus prozessualen oder materiell-rechtlichen Gründen verpflichtet ist, insbesondere durch eine Schweigepflichtentbindungserklärung seinen Beitrag dazu zu leisten, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung in den Besitz des Vorerkrankungsverzeichnisses gelangt oder dass dieses zumindest in den Rechtsstreit zu dem Zweck eingeführt wird, der Gegenseite eine fundierte und gegebenenfalls beweiskräftige Stellungnahme zu einer Kausalitätsproblematik im Hinblick auf gesundheitliche Vorschäden zu ermöglichen. Diese Fragestellung ist zu Lasten der Beklagten zu verneinen.
3 )
Ausweislich des letzten Schreibens der XXXKrankenversicherung vom 25. Januar 2011 an das Landgericht ist das Versicherungsunternehmen grundsätzlich bereit, „einen Ausdruck über den Schadenverlauf der Krankenversicherung“ der Klägerin zu erstellen; gleichzeitig macht das Unternehmen aber seine in Aussicht gestellte Mitwirkung zu Recht von der Voraussetzung abhängig, dass die Klägerin eine Befreiung von der Schweigepflicht erklärt (Bl. 330 d.A.). Nach § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO haben Personen, deren Amts- oder Berufsausübung die schutzwürdige Vertrauenssphäre Dritter berührt, ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen. Zu den in diesem Sinne zeugnisverweigerungsberechtigten Personen zählen u.a. Bedienstete von Krankenkassen (Zöller/Greger, Kommentar zur ZPO, 30. Aufl., § 383, Rdnr. 18; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur ZPO, 71. Aufl., § 383, Rdnr. 16). In ihrem Schriftsatz vom 7. Februar 2011 hat die Klägerin unmissverständlich erklärt, mit der Beiziehung eines Vorerkrankungsverzeichnisses nicht einverstanden zu sein, also die zuständigen Mitarbeiter der privaten Krankenversicherung nicht von der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht entbinden zu wollen (Bl. 331 f. d.A.). Deshalb war das Landgericht gehindert, gemäß §§ 428, 142 ZPO eine Anordnung betreffend die Vorlage eines Vorerkrankungsverzeichnisses durch die XXXKrankenversicherung zu erlassen.
4 )
Rechtsirrig vertritt die Beklagte auch in der Berufungsinstanz die Ansicht, die Klägerin habe durch eine Verschwiegenheitsentbindungserklärung die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass das streitige Verzeichnis in den Rechtsstreit eingeführt werden könne.
a )
Muss – wie im vorliegenden Fall – eine Partei Umstände beweisen, die zu dem ihrem Einblick entzogenen Bereich des Prozessgegners gehören, so entstehen ihr erhebliche Beweisprobleme, da Beweisermittlungs- und Ausforschungsanträge nicht zulässig sind. Materiell-rechtliche Auskunftsansprüche bestehen nur in bestimmten Bereichen, die – wie hier noch darzulegen sein wird – nicht einschlägig sind (vgl. Zöller/Greger a.a.O., vor § 284, Rdnr. 34). Dieser Problematik trägt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch die sogenannte sekundäre Darlegungslast Rechnung. Danach ist in solchen Fällen, in welchen der Darlegungspflichtige außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, der Gegner aber alle wesentlichen Tatsachen kennt, dessen einfaches Bestreiten prozessual nicht ausreichend, sofern ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGH NJW-RR 2004, 989; Rdnr. 16 – zitiert nach juris – mit Hinweis auf BGHZ 86, 23, 29 sowie BGHZ 140, 156, 158). Unterlässt der Gegner die ihm zumutbaren näheren Angaben ohne hinreichenden Grund, kann nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast sein bestrittener Vortrag als unzureichend behandelt werden. Nach diesen Grundsätzen kann er etwa gehalten sein, Angaben über innerbetriebliche und deshalb dem Gegner unzugängliche Vorgänge zu machen, wenn er dazu unschwer in der Lage ist und die Fallumstände eine entsprechende Beweisführungserleichterung nahe legen (BGH a.a.O. mit Hinweis auf BGHZ 120, 320, 327 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
b )
In richtiger Erkenntnis dieser prozessualen Zusammenhänge hat das Landgericht der Klägerin zu Ziff. III. seines Beschlusses vom 14. September 2009 aufgegeben vorzutragen, ob sie bereits vor dem Unfall an einer psychischen Krankheit litt oder in orthopädischer, chirurgischer oder psychiatrischer Behandlung war – gegebenenfalls zu welchen Zeitpunkten und aus welchen Gründen (Bl. 88 d.A.). Zu dieser Auflage hat die Klägerin sodann in ihrem Schriftsatz vom 23. September 2009 mit folgenden Angaben Stellung genommen: Sie habe vor etwa 13 Jahren Bandscheibenvorfälle im Bereich L 3/4 sowie L 4/5 gehabt; nach konservativen Heilbehandlungen seien in der Folgezeit keine Behandlungen orthopädischer Art mehr notwendig gewesen. Neben einer in Kindheitstagen vollzogenen Mandeloperation und einem im Januar 2005 am rechten Ovar erfolgten gynäkologischen Eingriff seien ansonsten keine chirurgischen Interventionen zu verzeichnen gewesen. Zu keinem Zeitpunkt habe sie sich in psychiatrischer Behandlung befunden und – mangels eines entsprechenden Anlasses – auch noch nie einen Psychiater konsultiert (Bl. 91 d.A.).
c )
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Klägerin mit diesen Ausführungen ihrer sekundären Darlegungslast in hinreichendem Umfang nachgekommen. Aufgrund des sich daraus ergebenden Erkenntnisstandes ist kein Raum für die Annahme, dass sich irgendeine Vorerkrankung der Klägerin physischer oder psychischer Art (mit)ursächlich auf die Körperverletzung und gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgewirkt hat, die nach dem 17. März 2006 diagnostiziert wurden.
aa)
Ein mehr als 10 Jahre vor dem Kollisionsereignis einmalig aufgetretener Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule, der zudem auf konservative Weise einer Heilung zugeführt werden konnte, steht in keinem physiologischem Zusammenhang mit der unfallbedingten Zerrung der Halswirbelsäule. Dass es einen solchen Zusammenhang auch im Hinblick auf die übrigen bekannt gegebenen Vorerkrankungen der Klägerin nicht gibt, bedarf keiner weiteren Ausführung.
bb )
Ausweislich des Berichtes des Durchgangsarztes vom Unfalltag (Anlage K 11) hat eine Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule die Diagnose einer degenerativen Veränderung in Form einer Spangenbildung an den Brustwirbelkörpern 11 bis 9 erbracht. Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt 50 Jahre alt. Degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule eines berufstätigen Menschen fortgeschrittenen Alters sind eher eine Regel- als eine Ausnahmeerscheinung. Zieht man zudem in Betracht, dass unfallbedingt nicht der BWS-Bereich, sondern die Halswirbelsäule der Klägerin in Mitleidenschaft gezogen worden ist, ergeben sich in orthopädischer Hinsicht keinerlei Hinweise auf eine physiologische Prädisposition der Klägerin für den Eintritt der Distorsionsschädigung. Ebenso wenig lässt sich eine anlagebedingte Anfälligkeit der Klägerin für die Unfallfolge der posttraumatischen Belastungsstörung im Hinblick darauf feststellen, dass sie unwiderlegt angibt, zu keinem Zeitpunkt in der Vergangenheit in psychiatrischer Behandlung gewesen zu sein oder einen Psychiater auch nur konsultiert zu haben.
III.
Das Berufungsvorbringen der Beklagten, die ganz außergewöhnliche Auswirkung der HWS-Distorsion auf die psychische Gesundheit der Klägerin lasse die Annahme einer Wahrscheinlichkeit zu, dass sie bereits vor dem Unfall aufgrund einer psychischen Befindlichkeit behandlungsbedürftig geworden sei, stellt sich eher als der Vortrag einer Mutmaßung als das Vorbringen einer konkreten Tatsachenbehauptung dar. Dessen ungeachtet ist nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme auch der Senat der Überzeugung, dass es sich bei der Klägerin vor dem Unfall um eine – insbesondere auch in psychischer Hinsicht – gesunde Frau handelte, die ihr berufliches Leben als Gymnasiallehrerin sowie ihr Privatleben als Ehefrau und Mutter von fünf zu versorgenden und zu erziehenden Kindern gut gemeistert hat. Die Ursache für ihre schwerwiegende psychische Beeinträchtigung mit einer grundlegenden Persönlichkeitsveränderung zum Negativen liegt allein in der als lebensbedrohlich empfundenen Wahrnehmung der Auffahrkollision mit dem Eintritt einer leichten bis mittelgradigen Distorsionsschädigung der Halswirbelsäule. Infolge einer individuellen Fehlverarbeitung des traumatischen Erlebnisses ohne jede psychische Prädisposition ist es dann zu der Ausbildung eines psychogenen Schiefhalses sowie einer posttraumatischen Belastungsreaktion (ICD 10: F 43.0) gekommen.
1 )
Bei seiner zeugenschaftlichen Befragung im Termin vom 18. November 2009 hat der Ehemann der Klägerin glaubhaft bekundet, abgesehen von nicht ganz unproblematisch verlaufenen Schwangerschaften, einer gynäkologischen Operation und des Auftretens erfolgreich therapeutisch behandelter Rückenschmerzen sei seine Frau vor dem Schadensereignis „fit“ und ein „sehr robustes Wesen“ gewesen, von dem man eigentlich erst hinterher gemerkt habe, wieviel sie als Ehefrau, Mutter und Lehrerin geschafft habe (Bl. 128, 129 d.A.).
2 )
Diese Darstellung hinsichtlich eines stabilen körperlichen und psychischen Zustandes der Klägerin vor dem Unfallereignis kann nicht als eine Gefälligkeitsaussage abgetan werden, da sie in Übereinstimmung mit allen zu den Akten gelangten fachärztlichen Stellungnahmen und gutachterlichen Äußerungen steht.
a )
Die Klägerin befand sich ab dem 20. Februar 2007 in regelmäßiger stationärer Behandlung in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Abteilung der Universitätskliniken XXX. Der dort tätige Prof. Dr. Dr. XXX hat ihr unter dem Datum des 19. Dezember 2007 bescheinigt, ihr sei es bis vor dem Unfall sehr gut gelungen, die Belastung durch fünf Kinder und eine volle Lehrstelle gut und ohne Einbrüche zu meistern; es habe sich eine gute innerpsychische Stabilität in Verbindung mit interpersonalen Ressourcen gezeigt und es hätten sich keine Hinweise dafür ergeben, dass dieses Gleichgewicht ohne den traumatisch verarbeiteten Verkehrsunfall zusammengebrochen wäre. Es sei eindeutig festzuhalten, dass ohne das traumatische Unfallgeschehen die Klägerin weiterhin stabil gesund und berufsfähig wäre (Anlage K 7 zur Klageschrift). Auch bei seiner zeugenschaftlichen Vernehmung durch das Landgericht im Termin vom 18. November 2009 hat sich Prof. Dr. Dr. XXX sachverständig noch einmal dahingehend geäußert, es gebe keinerlei Hinweise auf irgendwelche Krankheitsbilder, die für die nach dem Unfall gestellte Diagnose relevant seien; die Klägerin sei zur Unfallzeit eine psychisch gesunde Persönlichkeit gewesen (Bl. 125, 126 d.A.).
b )
Inhaltlich weitgehend identisch ist das von der Klägerin vorgelegte Gutachten des leitenden Arztes des Krankenhauses für psychosomatische Medizin und Psychotherapie der XXXKlinik in XXX, Dr. XXX, vom 22. Oktober 2008 (Anlage K 20). Er hat der Klägerin attestiert, vor dem Unfall keine psychischen Symptome aufgewiesen zu haben und ohne psychotherapeutische bzw. psychopharmakologische Behandlung voll leistungsfähig gewesen zu sein.
c )
An Deutlichkeit nicht zu überbieten ist schließlich das psychiatrische Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. XXX vom 30. Juni 2010. Er ist zusammenfassend zu der Feststellung gelangt, vor dem Unfall hätten keine erheblichen psychopathologischen oder funktionellen körperlichen Symptome vorgelegen. Eine besondere prämorbide Disposition für die Entwicklung der psychoreaktiven Störungen sei gutachterlich nicht nachweisbar. Der Unfall sei keine Gelegenheitsursache gewesen, vielmehr stelle er sich als ein nicht auswechselbarer Kristallisationspunkt für eine neurotische Fehlentwicklung dar. Das Schadensereignis sei nicht ein zufälliger Auslöser gewesen, ohne welchen zu einem späteren Zeitpunkt die festzustellende psychische Erkrankung ohnehin eingetreten wäre (Bl. 249-250 d.A.). In seinem Nachtragsgutachten vom 8. Dezember 2010 hat der gerichtlich bestellte Sachverständige dann ergänzende Ausführungen hinsichtlich der zu erwartenden Dauer des Krankheitszustandes und eventueller Heilungsmöglichkeiten gemacht und ist abschließend zu der Erkenntnis gelangt, die Möglichkeit einer Besserung sei als sehr unwahrscheinlich anzusehen und es bestehe eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Dienstunfähigkeit der Klägerin (Bl. 298/299 d.A.).
d )
Die Beklagte hat sich von den eindeutigen gutachterlichen Darlegungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen immer noch nicht überzeugt gezeigt und mit Schriftsatz vom 12. August 2011 eine ergänzende Befragung zu Vorerkrankungen der Klägerin beantragt (Bl. 379 d.A.). Bei seiner Anhörung im Termin vom 22. Februar 2012 ist der Sachverständige Dr. XXX dann nicht von seinen früheren gutachterlichen Feststellungen abgewichen. Insbesondere hat er der Klägerin keine schwache Charakterstruktur attestiert – ebenso wenig wie histrionische, narzisstische oder astenische Persönlichkeitszüge. Sie habe alle Lebensstationen einschließlich der familiären und beruflichen Belastungen gemeistert; ihre persistierende Erkrankung habe ihre Ursache allein in einer individuellen Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens (Bl. 445 d.A.). Weitergehend hat der gerichtlich bestellte Sachverständige es sogar abgelehnt, sich der Einschätzung des Prof. Dr. Dr. XXX anzuschließen, der Unfall habe bei der Klägerin bis dahin voll kompensierte, traumatische und lebensbedrohliche Situationen – zu ergänzen ist: insbesondere aus Anlass der überwiegend von Komplikationen begleiteten Geburten ihrer fünf Kinder – mobilisiert. Dr. XXX hat in überzeugender Weise ausgeführt, unter Berücksichtigung der gesamten Vita der Klägerin mit guten Bewältigungsstrategien sei nicht feststellbar, dass durch den Unfall oder durch die traumatische Schädigung der Halswirbelsäule sich irgendwelche schweren Lebenskonflikte wieder reaktiviert hätten (Bl. 445 d.A.).
3 )
Der Vollständigkeit halber sei noch auf Folgendes hingewiesen: Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2008 zunächst gestützt auf ein Gutachten XXX die Ansicht vertreten, die psychische Erkrankung der Klägerin sei keine Folge des Dienstunfalls vom 17. März 2006. Im Termin vom 16. August 2010 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf hat sich dann der zuständige Einzelrichter die vorstehend wiedergegebenen Erkenntnisse des gerichtlich bestellten Sachverständigen XXX zu Eigen gemacht. Daraufhin hat der Vertreter des beklagten Landes Nordrhein-Westfalen unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2008 erklärt, er erkenne als weitere Folgen des Dienstunfalls der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Neurasthenie, einen psychogenen Schiefhals sowie eine schwere depressive Episode ohne psychotisches Symptom an.
4 a )
Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass – so der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem Gutachten vom 30. Juni 2010 – eine Diskrepanz zwischen dem eher als leichter einzuordnenden Verkehrsunfall und der Schwere der nachfolgenden psychischen Störungen auffallend ist (Bl. 245, 246 d.A.). Jedoch hat er auch hervorgehoben, der Kausalzusammenhang zwischen den aufgeführten Diagnosen, u.a. dem psychogenen Schiefhals und der posttraumatischen Belastungsstörung, einerseits und dem Auffahrunfall andererseits sei gutachterlich mit allen nervenärztlichen Behandlern und Gutachtern (Prof. Dr. Dr. XXX, Dr. XXX, Dr. XXX sowie Dr. XXX) zu bejahen (Bl. 245 d.A.). Überzeugend sind darüber hinaus die Erläuterungen des Sachverständigen Dr. XXX, die subjektive Wahrnehmung und Bewertung eines traumatischen Ereignisses sei einer der wesentlichen Faktoren für die Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung – und zwar wichtiger noch als die objektiven Parameter an sich. Zwar bestehe in einem gewissen Sinne eine ungewöhnliche Gefahrenverwirklichung, aber der innere Zusammenhang zwischen der Art des Traumas, der subjektiven Verarbeitung und der Ausprägung der psychoreaktiven Störungen sei gut nachvollziehbar und gutachterlich zu bejahen (Bl. 249 d.A.).
b )
Stimmig dazu hatte der sachverständige Zeuge XXX, Amtsarzt des Gesundheitsamtes Neuss, im Termin vom 18. November 2009 bekundet, bei der Definition einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD 10 komme es nicht nur auf die Schwere des auslösenden Ereignisses an, sondern es sei weiter festgelegt, dass die Schwelle, bei der eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst werden könne, je nach Persönlichkeit des Betroffenen herabgesenkt sein könne. Wesentliches Kriterium für das Vorliegen einer solchen Störung seien Trigger sowie Flashbacks mit den Folgen des Wiedererlebens des Unfallgeschehens (Bl. 115 d.A.).
5 )
Die Beklagte unterliegt einem Verständnisirrtum, soweit sie zur Darlegung einer gesundheitlichen Prädisposition der Klägerin immer wieder auf den Bericht des XXX Krankenhauses, Verfasser Dr. XXX, vom 26. September 2006 rekurriert. Zwar ist dort von einer Sorge der Klägerin um „eventuelle neuerliche neurologische Defizite“ die Rede. Mit solchen Defiziten sind allerdings nicht nervliche oder psychische Vorbelastungen der Klägerin gemeint. Vielmehr bezieht sich die Wendung – wie der gerichtlich bestellte Sachverständige bei seiner Anhörung vom 22. Februar 2012 plausibel dargelegt hat – darauf, dass die Klägerin in der Zeit nach dem Unfallgeschehen „ja offensichtlich über weitere Beschwerden, nämlich das zusätzliche Einschlafen der Hände, von den Fingern ausgehend und dann zum Handrücken, verbunden mit einer Schmerzzunahme klagte“ (Bl. 444 d.A.). Dem ist nichts weiter hinzuzufügen.
6 )
Auf ein an die XXX Versicherung gerichtetes Schreiben des Landgerichts vom 5. Januar 2011 betreffend das streitige Vorerkrankungsverzeichnis hatte das Versicherungsunternehmen unter dem Datum des 17. Januar 2011 ablehnend u.a. mit dem Hinweis darauf reagiert, die Vorlegung des Verzeichnisses sei unzumutbar, da dies mit einem erheblichen Aufwand verbunden sei (Bl. 318 d.A.). Rein spekulativ sind die Versuche der Beklagten, aus dieser Mitteilung irgendwelche die Klägerin belastenden Schlussfolgerungen über den Inhalt des Verzeichnisses, was Vorerkrankungen anbelangt, zu ziehen (Bl. 510 d.A.). Insbesondere ist nicht die Annahme gerechtfertigt, die Versicherung habe allein schon wegen einer Fülle von Voreintragungen zu früheren gesundheitlichen oder psychischen Beeinträchtigungen die Vorlegung als unzumutbar abgelehnt. Der Inhalt des Antwortschreibens vom 17. Januar 2011 lässt sich auch zwanglos mit einem Versuch des Versicherungsunternehmens erklären, allein schon wegen des unerwünschten und mit der erbetenen Vorlage verbundenen Nachforschungsaufwandes zunächst einmal ablehnend auf die gerichtliche Anfrage vom 5. Januar 2011 zu reagieren. Erst auf eine telefonische Nachfrage der Vorsitzenden des Landgerichts hat sich die Möglichkeit herausgestellt, die nachgefragten Daten nach einem vereinfachten und computergestützten „Kölner System“ zu erfassen und vorzulegen (Bl. 322 d.A.).
IV.
1 )
Die Ersatzpflicht des für einen Körper- oder Gesundheitsschaden einstandspflichtigen Schädigers erstreckt sich grundsätzlich auch auf psychisch bedingte Folgewirkungen des von ihm herbeigeführten haftungsbegründenden Ereignisses (BGH NJW 2004, 1945; Rdnr. 7 – zitiert nach juris mit Hinweis auf BGHZ 132, 341, 343; BGH VersR 1991, 432; BGH VersR 1991, 704, 705; BGH VersR 1997, 752, 753; BGH VersR 1998, 200, 201 sowie BGH VersR 2000, 372, 373). Dies gilt insbesondere auch für eine psychische Fehlverarbeitung als haftungsausfüllende Folgewirkung des Unfallgeschehens, wenn eine hinreichende Gewissheit besteht, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre (BGH a.a.O. mit Hinweis auf BGHZ 132, 341, 343; BGH VersR 1999, 862; BGH, Urteil vom 25. Februar 1997, Az.: VI ZR 101/96).
2 )
Darüber hinaus kann keine Rede davon sein, die unfallbedingte Primärverletzung, die sich bei der Klägerin eingestellt hat, sei eine für die Begründung des haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhangs im Hinblick auf die nachfolgende psychische Beeinträchtigung unzureichende Bagatelle. Damit sind Beeinträchtigungen gemeint, die sowohl von der Intensität als auch der Art der Primärverletzung her nur ganz geringfügig sind und üblicherweise den Verletzten nicht nachhaltig beeindrucken, weil er schon aufgrund des Zusammenlebens mit anderen Menschen daran gewöhnt ist, vergleichbaren Störungen seiner Befindlichkeit ausgesetzt zu sein (BGH a.a.O.; Rdnr. 8 – zitiert nach juris – mit Hinweis auf BGHZ 132, 341, 346; BGHZ 137, 142, 146 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Ein HWS-Schleudertrauma, das zu einer mehrwöchigen Arbeitsunfähigkeit wegen organischer Beeinträchtigungen führt, geht über eine bloße Bagatelle hinaus. Eine derartige Verletzung ist für das Alltagsleben nicht typisch, sondern regelmäßig – so auch hier – mit einem besonderen Schadensereignis verbunden (BGH a.a.O.).
3 a )
Da nach dem Ergebnis der umfassenden erstinstanzlichen Tatsachenaufklärung nichts für die Annahme einer irgendwie gearteten physischen oder psychischen Vorbelastung der Klägerin für die eingetretene Unfallverletzung und die sich daraus ergebenden körperlichen und gesundheitlichen Folgen spricht, ist auch kein Raum für eine Vorlageanordnung gemäß § 142 ZPO des durch die Beklagte verlangten Inhalts. Die Bestimmung befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast. Dementsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum bloßen Zwecke der Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags der Partei anordnen (BGH, NJW 2007, 2989; Rdnr. 20 – zitiert nach juris).
b )
Das Vorliegen einer Prädisposition der Klägerin für die Körperverletzung und für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die sich bei ihr unfallbedingt eingestellt haben, wird von der Beklagten jedoch nur auf Vermutungsbasis geltend gemacht. Deshalb läuft die durch sie postulierte Beiziehung eines Vorerkrankungsverzeichnisses auf einen unzulässigen und damit unbeachtlichen Beweisermittlungsantrag hinaus ( zu einem solchen Antrag : Zöller/Greger, a.a.O., vor § 284, Rdnr. 5). Das Verzeichnis soll im Sinne eines Ausforschungsbeweises der Erkundung von Tatsachen oder der Erschließung von Erkenntnisquellen dienen, die es erst ermöglichen sollen, bestimmte Tatsachen zu behaupten und sodann unter Beweis zu stellen (vgl. Zöller/Greger a.a.O.). Die Zivilprozessordnung kennt indes keine – über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende – allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt (BGH NJW 1990, 3151; Leitsatz). Angesichts dieser Rechtslage erwächst der Klägerin kein prozessualer Nachteil aus ihrer Weigerung, ihre Krankenversicherung von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden und so die Voraussetzung für die verlangte Überlassung des Vorerkrankungsverzeichnisses zu schaffen. Die Bestimmung des § 427 ZPO regelt die beweisrechtlichen Folgen zu Lasten einer Partei, die einer gerichtlichen Anordnung zur Vorlage einer Urkunde nicht nachkommt. Der hinter dieser Bestimmung stehende Rechtsgedanke ist aus den dargelegten Gründen hier nicht zum Nachteil der Klägerin einschlägig.
V.
Ohne Erfolg versucht die Beklagte, auf materiell-rechtlicher Grundlage eine Mitwirkungspflicht der Klägerin bezüglich der Überlassung der Vorerkrankungsunterlagen aus dem Datenbestand der XXX Versicherung darzulegen.
1 )
Gemäß § 422 ZPO ist der Gegner zur Vorlage der Urkunde verpflichtet, wenn der Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Herausgabe oder die Vorlegung der Urkunde verlangen kann.
Die allenfalls in Betracht kommende bürgerlich-rechtliche Vorschrift ist diejenige des § 810 BGB. Diese regelt die Voraussetzungen, unter welchen ein Anspruchsteller mit einem entsprechenden rechtlichen Interesse verlangen kann, eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde einzusehen. Ganz abgesehen davon, dass die Klägerin selbst nicht Besitzerin des Vorerkrankungsverzeichnisses ist und sich der Krankenversicherer zu Recht auf § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO beruft, liegen die Einsichtsvoraussetzungen des § 810 BGB ohnehin nicht vor: Das die Klägerin betreffende Vorerkrankungsverzeichnis ist keine Urkunde, die im Interesse des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners errichtet ist. Darüber hinaus ist in dem Verzeichnis nichts über ein die Beklagte betreffendes Rechtsverhältnis beurkundet; ebenso wenig enthält das Verzeichnis irgendwelche rechtsgeschäftlichen Verhandlungen, die mit der Beklagten in Verbindung gebracht werden können.
2 )
Ins Leere geht auch der Versuch der Beklagten, eine Vorlageverpflichtung auf § 119 Abs. 3 VVG zu stützen.
a )
Da sich das Schadensereignis im Jahre 2006 zugetragen hat, ist nicht die Bestimmung des § 119 VVG einschlägig, sondern diejenige des § 158d VVG a.F.. Danach muss der Dritte, der seinen Anspruch gegen den Versicherungsnehmer geltend macht, dies dem Versicherer innerhalb von zwei Wochen schriftlich anzeigen (Abs. 1). Der Versicherer kann von dem Dritten Auskunft verlangen, soweit sie zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens erforderlich ist. Zur Vorlegung von Belegen ist der Dritte nur insoweit verpflichtet, als ihm die Beschaffung billigerweise zugemutet werden kann (Abs. 3, Satz 1 und Satz 2). Da für eine ausgedehnte Auslegung der gesetzlich normierten Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten des Dritten kein Anlass besteht, ist eine Pflicht, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien und sich zur Untersuchung durch einen vom Versicherer beauftragten Arzt zur Verfügung zu stellen, gerade nicht gegeben (Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl., § 158d, Rdnr. 9 mit Hinweis auf OLG Stuttgart NJW 1958, 2122 sowie BK Hübsch, § 158d, Rdnr. 29; so auch Prölss/Martin, 28. Aufl., § 119, Rdnr. 12).
b )
Diese Rechtsansicht lässt sich auch auf die Fragestellung übertragen, ob ein Unfallopfer verpflichtet ist, seine Krankenversicherung von der Schweigepflicht um des Informationsbedürfnisses der Haftpflichtversicherung willen zu befreien. Unabhängig davon ist der Klägerin auch aus Billigkeitsgründen die Mitwirkung an der Vorlegung eines Vorerkrankungsverzeichnisses nicht zuzumuten. Wie bereits ausgeführt, ist keine Partei prozessual gehalten, dem Gegner für dessen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt; die Bestimmung des § 158d VVG bzw. des § 119 VVG ist in der Kommentierung zu § 422 ZPO nicht aufgeführt (vgl. Zöller/Geimer a.a.O., § 422, Rdnr. 2). Eine Vorlegungspflicht gegenüber der Versicherung fehlt, wenn es – wie im vorliegenden Fall – um eine bloße Ausforschung geht (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O., § 422, Rdnr. 9, Stichwort „Versicherung“).
3 )
Es bedarf keiner weiteren Ausführungen dazu, dass die seitens der Beklagten zitierte Vorschrift des § 188 SGB VII im vorliegenden Fall nicht einschlägig ist. Diese Bestimmung regelt die Auskunftspflicht der Krankenkassen gegenüber den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Beklagte ist als Unternehmen der gesetzlichen Haftpflichtversicherung (§ 1 PflVG) nicht mit einem auskunftsberechtigten gesetzlichen Unfallversicherungsträger gleich zu setzen; der XXX Versicherung steht als Unternehmen der privaten Krankenvorsorge ein Zeugnisverweigerungsrecht zu.
4 )
Letztlich kann sich die Beklagte im Hinblick auf die Vorerkrankungen der Klägerin auch nicht auf einen allgemeinen, auf § 242 BGB gestützten Auskunftsanspruch berufen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung billigt einen solchen Anspruch nur dann zu, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchführung seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst zu beschaffen vermag, der Verpflichtete sie unschwer geben kann und zwischen den Berechtigten und Verpflichteten eine besondere rechtliche Beziehung besteht. Dafür hat die Rechtsprechung im Allgemeinen für erforderlich erachtet, dass der Leistungsanspruch dem Grunde nach besteht und nur der Anspruchsinhalt offen ist (BGH NJW 1990, 3151; Rdnr. 23 – zitiert nach juris – mit Hinweis auf BGH WM 1987, 1127). Der Beklagten steht indes gegenüber der Klägerin keinerlei Leistungsanspruch dem Grunde nach zu.
VI.
Soweit die Beklagte am Ende ihrer Berufungsbegründung die Angemessenheit des der Klägerin durch das Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldes in Höhe von insgesamt 100.000 Euro (gezahlte 30.000 Euro zuzüglich zuerkannter weiterer 70.000 Euro) ganz allgemein mit dem Vortrag in Abrede stellt, dieser Betrag sei auch unter Zugrundelegung der Annahmen des Landgerichts nicht gerechtfertigt, handelt es sich um einen nach Maßgabe des § 520 Abs. 3 Satz 2 Ziff. 2 und 3 unzulässigen Berufungsangriff.
1 )
Das Landgericht hat, nachdem es sich einen persönlichen Eindruck von der Klägerin verschafft hat, in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausführlich dargelegt, aus welchen tatsächlichen Erwägungen es im Hinblick auf die Zumessungskriterien des § 253 Abs. 2 BGB eine Entschädigungssumme von insgesamt 100.000 Euro für die unfallbedingten immateriellen Beeinträchtigungen im Rahmen der Ermessensentscheidung als angemessen erachtet (Bl. 10 - 12 UA; Bl. 483 R- 484 R d.A.). Im Zusammenhang mit der Teilzahlung von 30.000 Euro auf die Schmerzensgeldforderung hatte die Beklagte erstinstanzlich ausgeführt, die Vorstellungen der Klägerin in Bezug auf die geltend gemachte Mindesthöhe (75.000 Euro) des in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeldes seien überzogen und unrealistisch; ein höherer Betrag als die gezahlte Entschädigung sei im Hinblick auf die - nicht weiter ausgeführte - veröffentlichte einschlägige Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen (Bl. 266 d.A.). Das Berufungsvorbringen beschränkt sich bezüglich des Umfangs des Schmerzensgelderkenntnisses des Landgerichts in pauschaler Weise auf eine Wiederholung des bestreitenden Vorbringens, ohne dass im Einzelnen dargelegt ist, aus welchen tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen die Zumessungserwägungen des Landgerichts nicht tragfähig sein sollen.
2 )
Eine Berufung ist unzulässig, wenn ihre Begründung sich darauf beschränkt, eine im ersten Rechtszug getroffene Ermessensentscheidung, etwa bei der Bemessung von Schmerzensgeld, als unangemessen zu beanstanden ( OLG Hamm, MDR 2003, 1249 ; vgl. auch Eggert, Verkehrsrecht aktuell 2007, 64, 68 ). Zwar mag das Berufungsvorbringen der Beklagten dahingehend zu verstehen sein, dass sie selbst bei unterstellter Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen des Landgerichts zur Bemessung des Schmerzensgeldes dessen erstinstanzlich zuerkannte Höhe als unangemessen erachtet. Jedoch fehlt jegliche Konkretisierung, aus welchen tatsächlichen und/oder rechtlichen Erwägungen die ausführlich begründete Ermessensentscheidung des Landgerichts zu Gunsten der Beklagten bezüglich der Höhefestsetzung der Abänderung unterliegen soll. So unterlässt es die Beklagte beispielsweise, an Hand von konkret aufgezeigter Vergleichsrechtsprechung die Richtigkeit der angefochtenen Entschädigungsentscheidung in Zweifel zu ziehen. Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 13. Februar 2013 ohne weitere Erläuterungen auf ein Urteil des OLG Karlsruhe vom 20. Mai 2005 aus der Schmerzensgeldtabelle von Hacks/Wellner/Häcker 2013 verweist, vermag dieses nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nachgeschobene Vorbringen nichts an der Unzulässigkeit des Berufungsangriffs zu ändern.
VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 219.865,20 € (70.000,-- € + 35.560,40 € + 28.555,-- € + 42.769,80 € [712,83 € x 60] + 22.980,-- € [393,-- € x 60] + 20.000,-- €).
Das Vorbringen der Beklagten in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 20. Februar 2013, das im Wesentlichen eine Wiederholung der bereits in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Einwendungen gegen die beabsichtigte Senatsentscheidung darstellt, gibt keinen Anlass zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO). Gleiches gilt im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagten in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 25. Februar 2013.
Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.