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  • 05.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140349

    Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Urteil vom 18.08.2013 – 7 K 4525/12

    Im Verhältnis zwischen einem früheren allgemeinen Aufbauseminar und einem späteren besonderen Seminar für alkohol- oder drogenauffällige Kraftfahrer kann das allgemeine frühere Seminar nicht das spätere besondere ersetzen, so dass nur eine Verwarnung zu erteilen wäre.


    Tenor:
    Die Klage wird abgewiesen.
    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages Sicherheit leistet.
    Tatbestand
    Der 1977 geborene Kläger erwarb am 16. Februar 1998 die Fahrerlaubnis der Klassen BE, C1E, CE und ML.
    Wegen wiederholter Verkehrsverstöße und entsprechender Eintragungen im Verkehrszentralregister mit insgesamt 9Punkten wurde er von der Beklagten unter dem 21.April 2008 schriftlich verwarnt und auf die Möglichkeit eines Punkteabzuges durch die freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar hingewiesen. Gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass er im Falle weiterer Verkehrsverstöße, die zu 14oder mehr Punkten im Verkehrszentralregister führen, an einem Aufbauseminar für Kraftfahrer teilnehmen müsse. Von der Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Aufbauseminar zur Punktereduzierung machte der Kläger keinen Gebrauch.
    Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten im Mai 2011 einen Stand von insgesamt 16Punkten im Verkehrszentralregister zu Lasten des Klägers mitgeteilt hatte, forderte die Beklagte ihn mit Verfügung vom 14.Juni 2011 zur Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß §4 Abs.3 Nr.2 des Straßenverkehrsgesetzes -StVG- auf. An diesem Aufbauseminar nahm der Kläger in der Zeit vom 21.Juli 2011 bis zum 4.August 2011 teil und legte der Beklagten eine entsprechende Bescheinigung vor.
    Am 25.Juli 2012 wurde gegen den Kläger ein Bußgeldbescheid erlassen, nachdem er am 1.Juli 2012 ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,26 mg/l geführt hatte. Nach Eintritt der Rechtskraft am 11.August 2012 wurden aufgrund dieses Bescheids für den Kläger vier Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen.
    Mit Verfügung vom 5.September 2012 ordnete die Beklagte die Teilnahme des Klägers an einem besonderen Aufbauseminar gemäß §4 Abs.3 Nr.2 StVG an.
    Hiergegen erhob der Kläger am 5.Oktober 2012 Klage, die er nicht näher begründet hat.
    Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
    den Bescheid der Beklagten vom 5.September 2012 aufzuheben.
    Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
    Zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger nicht erschienen.
    Entscheidungsgründe
    Das Gericht konnte in der Sache entscheiden, obwohl der Kläger nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, da sein Prozessbevollmächtigter in der Ladung zum Termin darauf hingewiesen wurde, dass auch bei Ausbleiben eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§102 Abs.2 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
    Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet, da die angegriffene Ordnungsverfügung der Beklagten rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. §113 Abs. 1 VwGO).
    Rechtsgrundlage der Anordnung des besonderen Aufbauseminars ist §4 Abs.3 Satz1 Nr.2 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach §4 Abs.8 StVG anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn sich 14, aber nicht mehr als 17 Punkte ergeben (§4 Abs.3 Satz1 Nr.2 Satz1 StVG). Hat der Betroffene innerhalb der letzten fünf Jahre bereits an einem solchen Seminar teilgenommen, so ist er schriftlich zu verwarnen (§4 Abs.3 Satz1 Nr.2 Satz2 StVG).
    Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung am 5.September 2012 ergaben sich für den Kläger 16 Punkte.
    Am 21.April 2008 wurde der Kläger nach §4 Abs.3 Satz 1 Nr.1 StVG verwarnt. Zu diesem Zeitpunkt waren für ihn 9 Punkte eingetragen (Geschwindigkeitsverstoß am 5. Mai 2004 mit 1 Punkt, Vorfahrtsverstoß am 4. Mai 2006 mit 3 Punkten, Mobiltelefonverstoß am 24. Januar 2007 mit 1 Punkt, Geschwindigkeitsverstoß am 17. Juni 2007 mit 1 Punkt und Geschwindigkeitsverstoß am 22. September 2007 mit 3 Punkten).
    Hinzu kam ein Geschwindigkeitsverstoß am 21. Juli 2008 mit 3 Punkten, so dass der Kläger bei 12 Punkten stand. Anschließend wurde der Verstoß vom 5. Mai 2004 getilgt. Danach kamen ein weiterer Geschwindigkeitsverstoß am 23. November 2009 mit 1 Punkt und ein Verstoß an einem Fußgängerüberweg mit 4 Punkten hinzu. Zu diesem Zeitpunkt waren also 16 Punkten zu berücksichtigen. Dieser Stand fiel durch die Tilgung des Vorfahrtsverstoßes vom 4. Mai 2006 auf 13 Punkte.
    Nachdem auch der Punkt aufgrund des Mobiltelefonverstoßes am 24. Januar 2007 getilgt worden war, hatte der Kläger zunächst einen Stand von 12 Punkten erreicht. Durch den Verstoß gegen §24a StVG vom 1.Juli 2012 kamen jedoch 4 Punkte hinzu, so dass für den Kläger erneut 16 Punkte zu berücksichtigen waren.
    Der Kläger war nicht nach §4 Abs.3 Satz1 Nr.2 Satz2 StVG anstelle der Anordnung des besonderen Aufbauseminars zu verwarnen, weil er im Jahr 2011 an einem Aufbauseminar nach §§42, 35 Fahrerlaubnisverordnung -FeV- teilgenommen hat. Zwar liegt dieses allgemeine Aufbauseminar noch innerhalb der Fünf-Jahres-Frist. §4 Abs.3 Satz1 Nr.2 Satz2 StVG steht jedoch der Anordnung des besonderen Aufbauseminars nicht entgegen, weil im Verhältnis zwischen einem früheren allgemeinen Aufbauseminar und einem späteren besonderen Seminar für alkohol- oder drogenauffällige Kraftfahrer das allgemeine frühere Seminar nicht das spätere besondere ersetzen kann, so dass nur eine Verwarnung zu erteilen wäre.
    Vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, §4 StVG Rdnr.19; VG Würzburg, Beschluss vom 18.März 2011 -W 6 S 11.199-, [...], Rdnr.20.
    Zwar belastet die Teilnahme an einem erneuten Aufbauseminar den Betroffenen finanziell und zeitlich stärker als eine Verwarnung. Allerdings unterschieden sich allgemeine Aufbauseminare nach §§42, 35 FeV und besondere Aufbauseminare für alkoholauffällige Kraftfahrer nach §§43, 36 FeV so deutlich voneinander, dass der Sinn des §4 Abs.3 Satz1 Nr.2 Satz2 StVG nicht mehr erfüllt wird. §4 Abs.3 Satz1 Nr.2 Satz2 StVG sieht innerhalb von fünf Jahren eine Verwarnung anstelle eines zweiten Aufbauseminars vor, weil innerhalb dieser Zeitspanne der Lerneffekt eines wiederholten Seminars nicht gegeben wäre. Dieser Zweck greift im Verhältnis zwischen den im Aufbau und insbesondere im Inhalt unterschiedlichen allgemeinen und besonderen Aufbauseminaren nicht. Die Seminare unterscheiden sich so erheblich, dass ein früheres allgemeines Aufbauseminar das spätere besondere nicht bereits inhaltlich abdeckt, so dass es zu der reinen Wiederholung von Inhalten käme, die §4 Abs.3 Satz1 Nr.2 Satz2 StVG verhindern will.
    Allgemeine Aufbauseminare gemäß §§42, 35 FeV bestehen aus vier Sitzungen von jeweils 135 Minuten Dauer in einem Zeitraum von zwei bis vier Wochen sowie einer Fahrprobe zwischen der ersten und der zweiten Sitzung. Inhaltlich werden die Verkehrszuwiderhandlungen, die bei den Teilnehmern zur Anordnung der Teilnahme an dem Aufbauseminar geführt haben, und die Ursachen dafür diskutiert. Durch Gruppengespräche, Verhaltensbeobachtung in der Fahrprobe, Analyse problematischer Verkehrssituationen und weitere Informationsvermittlung soll ein sicheres und rücksichtsvolles Fahrverhalten erreicht werden. Ziel ist es, die Einstellung zum Verhalten im Straßenverkehr zu ändern, das Risikobewusstsein zu fördern und die Gefahrenerkennung zu verbessern. Die Aufbauseminare nach §§42, 35 FeV dürfen nur von Fahrlehrern abgehalten werden (§4 Abs.8 Satz3 StVG).
    Besondere Aufbauseminare gemäß §§43, 36 FeV für Kraftfahrer, die gegen §24a StVG verstoßen haben, bestehen aus einem Vorgespräch und drei Sitzungen von jeweils 180 Minuten Dauer in einem Zeitraum von zwei bis vier Wochen sowie der Anfertigung von Kursaufgaben zwischen den Sitzungen. Inhaltlich werden die Ursachen, die bei den Teilnehmern zur Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar geführt haben, diskutiert und Möglichkeiten für ihre Beseitigung erörtert. Wissenslücken der Kursteilnehmer über die Wirkung des Alkohols und anderer berauschender Mittel auf Verkehrsteilnehmer sollen geschlossen und individuell angepasste Verhaltensweisen entwickelt und erprobt werden. Durch die Entwicklung geeigneter Verhaltensmuster sollen die Kursteilnehmer in die Lage versetzt werden, einen Rückfall und weitere Verkehrszuwiderhandlungen unter dem Einfluss berauschender Mittel zu vermeiden. Besondere Aufbauseminare dürfen nur von hierfür amtlich anerkannten Seminarleitern durchgeführt werden (§4 Abs.8 Satz4 StVG), nach §36 Abs.6 FeV Psychologen mit verkehrspsychologischer Zusatzausbildung sowie Kenntnissen und Erfahrungen bei der Begutachtung von alkohol- oder rauschmittelauffälligen Kraftfahrern.
    Diese Besonderheiten der Aufbauseminare gemäß §§43, 36 FeV führen dazu, dass ein vorheriges allgemeines Aufbauseminar den Lerneffekt des Seminars nach §§43, 36 FeV nicht berührt. Eine bloße Verwarnung würde den Zweck des Seminars nach §§43, 36 FeV, weitere durch Alkohol oder andere Rauschmittel bedingte Verkehrszuwiderhandlungen zu vermeiden, nicht erreichen.
    Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs.1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §167 VwGO i.V.m. §§708 Nr.11, 711 VwGO.