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  • 29.10.2014 · IWW-Abrufnummer 143093

    Verwaltungsgericht Freiburg: Urteil vom 20.06.2014 – 5 K 1143/14

    1. Die Entziehung einer Fahrerlaubnisbehörde wegen Erreichen des maßgeblichen Punktestands richtet sich seit dem 01.05.2014 unbeschadet des Tattag-Prinzips wohl nach neuem Recht.
    2. Es ist fraglich, ob das Erreichen bzw. Überschreiten der 18 Punkte-Schwelle vor dem 01.05.2014 mit einer Verwarnung unter Strafvorbehalt wegen fahrlässiger Körperverletzung (5 Punkte im Verkehrszentralregister nach altem Recht) begründet werden kann, weil diese nach neuem Recht im Fahreignungsregister nicht mehr eingetragen wird, entsprechende Eintragungen am 01.05.2014 gelöscht werden und das Übergangsrecht insoweit unklar erscheint.


    VG Freiburg

    20.06.2014

    5 K 1143/14

    In der Verwaltungsrechtssache

    wegen Entziehung der Fahrerlaubnis,
    hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

    am 20. Juni 2014

    beschlossen:

    Tenor:

    1.
    Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 29.04.2014 wird wiederhergestellt.

    2.
    Dem Antragsgegner wird aufgegeben, dem Antragsteller den Führerschein wieder auszuhändigen.

    3.
    Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

    4.
    Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

    Gründe

    Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist gemäß § 80 Abs. 5 statthaft, auch sonst zulässig und begründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers überwiegt nicht dessen Interesse an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.

    Der Widerspruch des Antragstellers ist nicht ohne Aussicht auf Erfolg. Insoweit ist von Folgendem auszugehen:

    Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung dürfte nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG n.F. zu beurteilen sein. Denn die einschlägigen Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 StVG n.F. bestimmen wohl nicht allgemein, dass für Fahrerlaubnisentziehungen nach dem Punktesystem bei Erreichen von 18 Punkten vor dem 01.05.2014 das alte Recht gilt, sondern befassen sich wohl nur punktuell mit der Löschung bzw. Neueintragung der Entscheidungen der Bußgeldbehörden und Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitengerichte, welche nach neuem Recht nicht eintragungswürdig sind. Aus dem im neuen Recht nunmehr ausdrücklich geregelten Tattag-Prinzip (§ 4 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 5 bis 7 StVG n.F.) ergibt sich wohl nichts Anderes. Denn dieses regelt allein die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung, ob sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat, jedenfalls unmittelbar nicht allgemein, sondern beschränkt auf die Frage des maßgeblichen Punktestands (und dabei der Berücksichtigung späterer Tilgungen). Soweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anklingt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach altem Recht der "Tattag" sei (an dem 18 Punkte erreicht oder überschritten wurden, vgl. BVerwG, Urt. v. 25.09.2008 - 3 C 21.07 - Rdnr. 9), ist doch zu bedenken, dass das Bundesverwaltungsgericht sich dabei allein mit dem Erreichen der 18-Punkte-Grenze und der Bedeutung späterer Tilgungen befasst hat (vgl. auch Beschl. v. 06.11.2012 - 3 B 5.12 - juris).

    Hiervon ausgehend wäre dem Antragsteller zwar die Fahrerlaubnis zu entziehen, weil sein alter Punktestand von mehr als 18 Punkten nach altem in acht Punkte nach neuem Recht umzurechnen ist (vgl. § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG n.F.).

    Fraglich ist allerdings, ob das Erreichen bzw. Überschreiten der 18 Punkte-Schwelle nach altem Recht mit der Bewertung von 5 Punkten (nach altem Recht) für die Verwarnung unter Strafvorbehalt wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Urteil des Landgerichts Freiburg vom 20.03.2014 begründet werden kann. Denn § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG ordnet die Löschung von Eintragungen ab dem 01.05.2014 an, wenn diese nach dem neuen Recht nicht mehr zu speichern wären.

    Das Verhältnis dieser Löschungsregelung zum Tattag-Prinzip, welches besagt, dass spätere Tilgungen wegen Zeitablauf, nicht mehr zu berücksichtigen sind, wenn einmal 18 Punkte nach altem Recht erreicht waren (bzw. 8 Punkte nach neuem Recht erreicht werden) erscheint der Kammer unklar und in den Übergangsregelungen in § 65 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVG n.F. möglicherweise nicht bedacht.

    Im Unterschied zur Tilgung früherer Verkehrsverstöße erfolgt eine Löschung nach § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG nicht wegen eines Zeitablaufs, sondern wegen der Wertung des Gesetzgebers, dass bestimmte früher eintragungspflichtige Verkehrsverstöße nicht mehr für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erheblich sein sollen (vgl. Janker, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVG, 23. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 10).

    Dies könnte dafür sprechen, eine solche Löschung gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG n.F. abweichend vom Tattagprinzip zu berücksichtigen. Denn es leuchtet nicht ohne Weiteres ein, dass ein nicht mehr eintragungswürdiger Verkehrsverstoß letztlich den Ausschlag für eine Entziehung der Fahrerlaubnis geben können soll.

    Dafür könnte auch sprechen, dass gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG n.F. Entscheidungen, die bis zum 30.04.2015 begangene Zuwiderhandlungen ahnden, und erst nach dem 01.05.2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, nach neuem Recht behandelt werden sollen. Dies ist wohl so zu verstehen, dass eine Eintragung der Entscheidungen nicht mehr erfolgt. Dies würde aber bedeuten, dass es vom Zufall bzw. vom Hinauszögern von Bußgeld- und Strafverfahren abhinge, ob vor dem 30.04.2015 begangene Zuwiderhandlungen, die nach neuem Recht nicht eintragungsfähig sind, für die Entziehung einer Fahrerlaubnis ausschlaggebend sein können. Die Materialien zu den Übergangsvorschriften des neuen Rechts lassen nicht erkennen, dass der Gesetzgeber eine solche Unstimmigkeit bewusst, etwa zur erleichterten Handhabbarkeit der Vorschriften oder aus sonstigen Gründen in Kauf genommen hat oder ob er es der Rechtsprechung überlassen hat, die Reichweite insbesondere von § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG zu klären.

    Sind danach die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers offen, vermag die Kammer ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Fahrerlaubnisentziehung nicht anzunehmen. Denn der Antragsteller ist im Jahr 2010 (in Kenntnis einer Vielzahl von Eintragungen im Verkehrszentralregister für die Vergangenheit) insoweit vom TÜV Süd günstig beurteilt worden und seitdem nicht mehr im Verkehr auffällig geworden mit Ausnahme einer nach Beurteilung des Landgerichts leicht fahrlässigen Körperverletzung wegen Unaufmerksamkeit beim "stop and go" Verkehr.

    Damit hat auch der Antrag des Antragstellers Erfolg, dem Antragsgegner aufzugeben, ihm den Führerschein wieder auszuhändigen (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO).

    Soweit der Antragsteller auch begehrt, die (in der Verfügung) getroffene "Kostenentscheidung" (richtig: Gebührenentscheidung) "aufzuheben", käme im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allenfalls in Betracht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (vgl. § 24 Satz 2 LGebG) insoweit anzuordnen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Dies hat der Antragsteller aber nicht beantragt und ein solcher Antrag hätte auch keine Aussicht auf Erfolg, weil die durch die vorliegende Entscheidung angeordnete aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht auch die Gebührenentscheidung erfasst (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2011 - 2 S 247/11 - VBlBW 2012, 116 m.w.N.) und weil - bei offener Erfolgsaussicht des Widerspruchs gegen die Fahrerlaubnisentziehung selbst - nicht ersichtlich ist, dass der Gebührenentscheidung eigene gebührenrechtliche Rechtsmängel anhaften.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Für eine Feststellung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kein Raum (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 11.02.1981 - 5 S 108/81 - Justiz 1981, 327). Der Antragsteller ist insoweit auf das anhängige Widerspruchsverfahren (vgl. § 73 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 80 Abs. 2 VwGO) bzw. ein sich ggf. anschließendes Klageverfahren (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO) verwiesen.