08.03.2016 · IWW-Abrufnummer 146513
Landgericht Stuttgart: Beschluss vom 16.06.2015 – 4 Qs 13/15
Zur verneinten Verpflichtung des Bußgeldbehörde Token und Passwort für eine Geschwindigkeitsmessung herauszugeben.
LG Stuttgart
Beschluss vom 16.06.2015
Geschäftsnummer: 4 Qs 13/15 Hw.
Amtsgericht Stuttgart: 203 OWi 73 Js 29288/15 jug.
Staatsanwaltschaft Stuttgart: 73 Js 29288/15
Landgericht Stuttgart
4. Große Jugendkammer
Beschluss
vom 16. Juni 2015
Beschwerdesache des
pp
wegen Ordnungswidrigkeit
Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 19. Mai 2015 wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
I.
Am 25. November 2014 erließ die Stadt Stuttgart gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid, der ihm am 28. November 2014 zugestellt wurde. Dem Betroffenen wird darin zur Last gelegt, am 01. September 2014 um 13.44 Uhr in Stuttgart, B 14, Höhe Schattenring, Richtung Rudolf-Sophien-Stift als Führer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h überschritten zu haben.
Die Geschwindigkeitsmessung wurde mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät der Vitronic Bildverarbeitungssysteme GmbH, Wiesbaden, Typ PoliScan speed F1 mit der Fabriknummer 640229 vorgenommen. Die Bauart des Geschwindigkeitsüberwachungsgeräts wurde unter dem Zulassungszeichen Z 18.11/07.01 von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zur innerstaatlichen Eichung zugelassen. Das Gerät wurde am 14. November 2013 geeicht. Die Eichung war bis Ende 2014 gültig. Das Messgerät wurde mit der Softwareversion 3.2.4 betrieben; für die Auswertung wurde die Tuff-Viewer-Version 3.45.1 verwendet.
Am 02. Dezember 2014 legte der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein und beantragte mit Schreiben vom 12. Mai 2015 beim Amtsgericht Stuttgart, die Herstellerfirma Vitronic Bildverarbeitungssysteme GmbH, Wiesbaden, zu verpflichten, das Token und das Passwort zu dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScan speed F1 für die Messung am 01. September 2014 um 13:44 Uhr herauszugeben. Als Begründung führte der Betroffene aus, dass er ein privates Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben habe und zur Begutachtung des gesamten Vorgangs diese Zugangsdaten der Herstellerfirma benötigt würden, welche diese jedoch ohne Gerichtsbeschluss nicht herausgebe.
Mit Beschluss vom 19. Mai 2015 wies das Amtsgericht Stuttgart diesen Antrag zurück. Die Erhebung der beantragten Daten sei zu Beweiszwecken weder erforderlich noch geboten. Das vorliegend verwendete Messgerät mitsamt der Messgerätesoftware und Auswertesoftware sei von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen worden. Es liege daher mit der Zulassung im Wege des Behördengutachtens ein antizipiertes Sachverständigengutachten vor, so dass es sich vorliegend um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung handele. Daher sei das Tatgericht grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweisen des Messgeräts, enthoben. Konkret vorgetragene Tatsachen, die Zweifel an der Richtigkeit des zur Verhandlung stehenden konkreten Messergebnisses aufkommen lassen, seien nicht vorgetragen worden. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens und demnach auch die beantragte gerichtliche Anweisung zwecks Erstellung eines privaten Gutachtens seien daher abzulehnen.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Beschwerde vom 03. Juni 2015 und weist hierzu auf eine Stellungnahme der V hin, auf die er Bezug nimmt. Darin wird vor allen ausgeführt, dass die Zulassung durch die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) nicht den Vorgaben für ein antizipiertes Sachverständigengutachten genüge. Auch müsse eine sachgerechte Prüfung des Geräts ermöglicht werden. Ohne Informationen zu Geräteinterna (Soft- und Hardware) und ohne Zugriff auf Rohmessdaten fehle in den meisten Fällen die Basis für ein Gutachten. Nur in Kenntnis der Geräteinterna könne ein Sachverständiger darlegen, ob Fehlermöglichkeiten ausgeschlossen werden könnten. Das Geheimhaltungsinteresse des Herstellers müsse gegenüber dem Rechte des Betroffenen auf Überprüfung des ihm vorgeworfenen Sachverhalts zurückstehen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Amtsgericht Stuttgart hat zu Recht den Antrag des Betroffenen, die Herstellerfirma zu verpflichten, die Zugangsdaten zu dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScan speed F1 herauszugeben, zurückgewiesen.
Das Amtsgericht Stuttgart war nicht im Wege seiner Amtsaufklärungspflicht gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 244 Abs. 1 StPO verpflichtet, dem Betroffenen die Zugangsdaten zu dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScan speed F1 durch Gerichtsbeschluss zu verschaffen.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass Messergebnisse, die mit amtlich zugelassenen Geräten in standardisierten Verfahren gewonnen werden (nach Abzug der Messtoleranz) von Behörden und Gerichten im Regelfall ohne weiteres zugrunde gelegt werden können. Fehlerquellen brauchen nur erörtert werden, soweit der Einzelfall dazu konkrete Veranlassung gibt (BGHSt 39, 291-305).
Messungen mit PoliScanSpeed-Messgeräten, die unter Einsatz dieser Geräte- und Auswertesoftwarekombination (hier: Geräte-Softwareversion 3.2.4 und Auswertesoftware Tuff-Viewer 3.45.1) durchgeführt wurden, sind aufgrund der Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt – PTB – (hier: Zulassungszeichen:18.11/07.01) standardisierte Messverfahren im Sinne dieser Rechtsprechung (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Februar 2012, 4 Ss 39/12; OVG Nordrheinwestfalen, Beschluss vom 05. März 2015, 8 B 1213/14, VG Düsseldorf, Urteil vom 22. September 2014, 6 K 8838/13, OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 04. Dezember 2014, 2 Ss-OWi 1041/14 und viele andere).
Angesichts der erfolgten Bauartzulassung besteht auch kein Anlass, dem System PoliScan Speed die Anerkennung als standardisiertes Messverfahren zu versagen, weil ein Sachverständiger – mangels Zugangs zu patent- und urheberrechtlich geschützten Herstellerinformationen – die genaue Funktionsweise des Geräts anhand hierfür relevanter Daten der Messwertermittlung nicht im Einzelnen nachvollziehen kann. Die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden verfolgt – ebenso wie die Berücksichtigung eines Toleranzabzugs für etwaige systemimmanente Messfehler- gerade den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalls freizustellen (BGHSt 39, 291, 297). Bereits in Strafsachen können regelmäßig Ergebnisse allgemein anerkannter kriminaltechnischer oder rechtsmedizinischer Untersuchungsverfahren verwertet werden, ohne dass die genaue Funktionsweise der verwendeten Messgeräte bekannt sind, so dass keine strengeren Anforderungen in Bußgeldsachen gelten können, bei denen es lediglich um die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten geht und die im Hinblick auf ihre vorrangige Bedeutung für Massenverfahren des täglichen Lebens auf eine Vereinfachung des Verfahrensgangs ausgerichtet sind (BGHSt 39, 291, 299).
Der Anspruch des Betroffenen, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten belangt zu wer-den, bleibt durch die Möglichkeit gewahrt, auf konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Messung im Einzelfall hinzuweisen und diesbezüglich Beweisanträge zu stellen.
Derartige konkrete Fehlerquellen im vorliegenden Einzelfall werden jedoch vom Betroffenen nicht vorgebracht.
Daher wurde der Antrag des Betroffenen, die Herstellerfirma zu verpflichten, die Zugangsdaten zu dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScan speed F1 herauszugeben, zu Recht zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.