Oberlandesgericht Bamberg
Beschluss vom 13.06.2018
Zum Sachverhalt:
Das AG hat den Betr. wegen fahrlässiger Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und gegen ihn wegen eines groben Pflichtenverstoßes i.S.d. §§ 25 I 1 1. Alt. i.V.m. §
4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 11.3.6 Tab. 1c zum BKat ein Regelfahrverbot für die Dauer 1 Monats nach Maßgabe des §
25 IIa 1 StVG angeordnet. Nach den Urteilsfeststellungen fuhr der Betr. am 15.03.2017 um 17.07 Uhr mit einem Pkw stadteinwärts, wobei die Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät PoliScanSpeed mit der zugehörigen Softwareversion 3.2.4 durchgeführt wurde. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der Verfahrensrüge wird im Wesentlichen beanstandet, dass das AG seinem Antrag auf Beiziehung der Messdatei und deren Überlassung an ihn zur Einsicht nicht nachgekommen sei. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach §
79 I 1 Nr. 2 OWiG statthaften und auch sonst zulässigen, vom Einzelrichter gemäß §
80a III 1 i.V.m. §
80a I OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragenen Rechtsbeschwerde deckt keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. auf (§
79 III 1 OWiG i.V.m. §
349 II StPO).
II. Anlass zur ergänzenden Erörterung gibt dem Senat allein die Rüge der Verletzung des Grundsatzes auf rechtliches Gehör und auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens, weil das AG dem Antrag auf Beiziehung der digitalen Messdatei nicht nachgekommen sei. Diese Beanstandung dringt nicht durch.
1. Es entspricht gefestigter Rspr. des Senats (vgl. nur OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 –
3 Ss OWi 1444/15 =
DAR 2016, 337 = StRR 2016, Nr. 8, 16 = OLGSt StPO §
147 Nr 10; 05.09.2016 –
3 Ss OWi 1050/16 =
StraFo 2016, 461 =
ZD 2017, 80; 24.08.2017 –
3 Ss OWi 1162/17 =
DAR 2017, 715 [jeweils zur Messdatei]; 04.10.2017 –
3 Ss OWi 1232/17 =
NStZ 2018, 235 = NZV 2018, 80 [zur Lebensakte]), der sich mittlerweile eine Reihe anderer Oberlandesgerichte - teilweise sogar unter ausdrücklicher Aufgabe ihrer bisherigen entgegengesetzten Rspr. - angeschlossen haben (vgl. nur OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss [OWi] 40/17 =
ZfS 2017, 469; OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2017 –
2 RBs 202/16 [bei juris] und 20.06.2017 –
4 RBs 169/17 [bei juris]; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 9.11.2017 – Ss Rs 39/2017 [bei juris] =
BeckRS 2017, 131683; 25.10.2017 – Ss Rs 17/2017 [bei juris]; 15.11.2017 –
1 OWi 2 SsBs 52/17 [unveröffentlicht] und OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.02.2018 –
1 OWi 2 SsBs 106/17 [bei juris]; zustimmend auch: König, DAR 2016, 362, 371), dass die Nichtüberlassung von Unterlagen, die sich nicht bei der Akte befinden, weder einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör noch gegen den fair-trial-Grundsatz darstellt. Vielmehr handelt es sich bei dem Antrag auf Beiziehung entsprechender Unterlagen um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§
244 II StPO) gerügt werden kann (OLG Bamberg, Beschl. vom 04.10.2017 -
3 Ss OWi 1232/17 [unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 -
2 BvR 864/81 =
BVerfGE 63, 45 =
NJW 1983, 1043 =
StV 1983, 177 =
NStZ 1983, 273 =
MDR 1983, 548 =
EuGRZ 1983, 196; BGH, Urt. v. 26.05.1981 -
1 StR 48/81 =
BGHSt 30, 131 =
NJW 1981, 2267 =
NStZ 1981, 361 =
StV 1981, 500 =
MDR 1981, 860]).
2. Der von der Verteidigung in der Gegenerklärung zitierte Beschluss des VerfGH Saarbrücken vom 27.04.2018 – 1
Lv 1/18, der in Fällen der vorliegenden Art sowohl einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs als auch gegen das faire Verfahren bejahen will, weil den Betr. eine „Darlegungs- und Beibringungslast“ [sic!] für das Vorhandensein von Messfehlern treffe, der er andernfalls nicht nachkommen könne, gibt dem Senat keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsansicht, die sich, wie bereits erwähnt, auf die Rspr. des BVerfG und des BGH gründet, abzuweichen. Der Auffassung des VerfGH Saarbrücken vermag der Senat aus den Gründen seiner zitierten Entscheidungen, aber auch deswegen nicht zu folgen, weil er einerseits die entgegenstehende Rspr. des BVerfG und des BGH übergeht und sich schon deshalb mit deren Argumentation nicht einmal im Ansatz auseinandersetzt, seine Begründung andererseits auf der mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbarenden Prämisse, dem Betr. obliege eine „Darlegungs- und Beibringungslast“, beruht und überdies grundlegende strafprozessuale Prinzipien außer Acht lässt.
a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art.
103 I GG) durch die Ablehnung des Antrags auf Beiziehung der digitalen Messdatei und sonstiger nicht zu den Akten gelangter Unterlagen, scheidet von vornherein aus. Es entspricht seit Jahrzehnten gefestigter Rspr. des BVerfG und des BGH, dass die Nichtbeiziehung von Beweismitteln oder Unterlagen den Schutzbereich des rechtlichen Gehörs nicht berührt (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 -
2 BvR 864/81 =
BVerfGE 63, 45 =
NJW 1983, 1043 =
StV 1983, 177 =
NStZ 1983, 273 =
MDR 1983, 548; BGH, Urt. v. 26.05.1981 -
1 StR 48/81 =
BGHSt 30, 131 =
NJW 1981, 2267 =
NStZ 1981, 361 =
StV 1981, 500 =
MDR 1981, 860). Das BVerfG (a.a.O.) führt insoweit aus, der Anspruch auf rechtliches Gehör solle verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Beschuldigten aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwerte. Art.
103 I GG sei hingegen nicht verletzt, wenn es um die Frage gehe, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, erst zu verschaffen habe, weil es nicht Sinn und Zweck der Gewährleistung rechtlichen Gehörs sei, dem Beschuldigten Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen. Der BGH (a.a.O.), der im Ausgangsverfahren zum selben Ergebnis gelangt war, hatte insbesondere hervorgehoben, unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs sei nur das maßgeblich, was für das Urteil oder das Verfahren Bedeutung erlangt habe. Was darüber hinaus für die Sachentscheidung Bedeutung erlangen könnte, sei dagegen zunächst nur für die Frage der Aufklärungspflicht von Interesse. Über diese grundlegende verfassungsgerichtliche und höchstrichterliche Rspr. setzt sich der VerfGH Saarbrücken hinweg, ohne sie auch nur zu erwähnen.
b) Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt ebenfalls nicht vor. Auch dies entspricht mittlerweile gefestigter Rspr. des Senats, die ihrerseits basiert auf der Rspr. des BVerfG und des BGH (vgl. hierzu zuletzt OLG Bamberg, Beschl. v. 04.10.2017 –
3 Ss OWi 1232/17 [unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 -
2 BvR 864/81 sowie BGH, Urt. v. 26.05.1981 -
1 StR 48/81, jeweils a.a.O.]). Hiernach ist der fair-trial-Grundsatz von vornherein nicht berührt. Es geht vielmehr allein um die Frage der Aufklärungspflicht nach §
244 II StPO und im Rahmen dessen hat, wie der Senat in seinem Beschluss vom 04.10.2017 (OLG Bamberg a.a.O.) aufgezeigt hat, ein Betr. ausreichende Möglichkeiten, sich anderweitig an der Wahrheitsfindung aktiv zu beteiligen, ohne dass ein Rückgriff auf das fair-trial-Prinzip geboten wäre.
aa) Die gegenteilige Auffassung des VerfGH Saarbrücken, die einen Verstoß gegen das faire Verfahren bejahen will, ist schon deswegen unhaltbar, weil sie auf einer unzutreffenden, grundlegenden Rechtsstaatsprinzipien zuwiderlaufenden Prämisse beruht. Der VerfGH führt für die Richtigkeit seiner These, der Anspruch auf rechtliches Gehör und der Fairnessgrundsatz seien verletzt, wenn dem Betr. kein Einblick in die Messdatei bzw. andere Unterlagen gewährt werde, als maßgebliches Argument an, dass ihn eine „Darlegungs- und Beibringungslast“ für das Vorliegen von Messfehlern treffe. Auch wenn der Begriff der ‚Beweislast‘ vermieden wird, stellt die Überbürdung einer „Darlegungs- und Beibringungslast“ auf einen Angeklagten im Strafprozess bzw. einen Betroffenen im Bußgeldverfahren nichts anderes als den Versuch dar, ihm den Nachweis seiner Unschuld aufzuerlegen. Dass dies mit rechtsstaatlichen Gedanken nicht in Einklang zu bringen ist, stellt eine Selbstverständlichkeit dar. Eine derartige Sicht widerspräche der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung, die in Art.
6 II EMRK eine positiv-rechtliche Normierung erfahren hat (vgl. nur BGH, Beschl. v. 28.07.2016 –
AK 41/16 [bei juris]; LR/Esser StPO 26. Aufl., Art.
6 EMRK [Art. 14 IPBPR] Rn. 496). Zudem würde dadurch das Recht eines Angeklagten bzw. Betroffenen, zu dem Schuldvorwurf zu schweigen, geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Eine derartige Rspr. liefe darauf hinaus, dass die Gewährung und der Umfang rechtsstaatlicher Prinzipien davon abhängig gemacht würden, ob und ggf. mit welchen Mitteln sich ein Betroffener gegen den Schuldvorwurf zur Wehr setzt. Dies wird schon dadurch verdeutlicht, dass andernfalls derjenige, der von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, von vornherein mit einer Verurteilung rechnen müsste.
Damit würde sich aber bei Zugrundelegung der Gegenansicht gerade das Schweigen des Betroffenen zu dessen Nachteil auswirken, was rechtsstaatswidrig wäre. Eine solche Beschneidung der Aussagefreiheit, die Folge einer Rspr. wäre, die einem Angeklagten bzw. Betroffenen die „Darlegungs- und Beibringungslast“ für seine Unschuld auferlegt, würde das aus der Menschenwürde (Art.
1 I GG) resultierende Verbot verletzen, einen Betroffenen zum bloßen Verfahrensobjekt zu machen (vgl. LR/Gleß StPO 26. Aufl., § 136 Rn. 27 m.w.N. sowie [zur Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes] BGH, Urt. v. 06.03.2018 –
1 StR 277/17 [bei juris] m.w.N.). Dies erscheint umso bemerkenswerter, als der VerfGH Saarbrücken die Richtigkeit seiner Gegenansicht damit begründet, dass ein Betroffener, würde ihm nicht die Einsicht in die Messdatei gewährt werden, damit er seiner „Darlegungs- und Beibringungslast“ genügen könne, zum bloßen Objekt des Verfahrens würde. Mit anderen Worten: Nicht die Versagung der Beiziehung der digitalen Messdatei degradiert ihn zum Verfahrensobjekt, sondern die Annahme, diesen treffe eine „Darlegungs- und Beibringungslast“.
bb) Das Schweigerecht des Betroffenen gilt allgemein und wird auch nicht durch die Besonderheiten des standardisierten Messverfahrens (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 19.08.1993 -
4 StR 627/92 =
BGHSt 39, 291 =
MDR 1993, 1107 = VM 1993, Nr 107 =
NJW 1993, 3081 =
ZfS 1993, 390 =
NStZ 1993, 592 =
NZV 1993, 485 =
DAR 1993, 474 =
DRiZ 1994, 58) und 30.10.1997 -
4 StR 24/97 =
BGHSt 43, 277 =
NJW 1998, 321 =
MDR 1998, 214 =
NZV 1998, 120 =
DAR 1998, 110 =
BGHR StPO § 267 I Satz 1 Beweisergebnis 11) eingeschränkt, worauf der Senat bereits in seinen zitierten Beschlüssen vom 04.04.2016 -
3 Ss OWi 1444/15 und 04.10.2017 –
3 Ss OWi 1232/17 (jeweils a.a.O.) hingewiesen hat. Auch dort, wo standardisierte Messverfahren Anwendung finden, ist es keineswegs Aufgabe oder auch nur Obliegenheit des Betroffenen, seine Unschuld etwa „darzulegen“ oder gar „beizubringen“. Vielmehr obliegt es dem erkennenden Gericht, die Richtigkeit des erzielten Messergebnisses unter strenger Beachtung der Aufklärungspflicht (§
244 II StPO) sorgfältig zu überprüfen. Eine Verurteilung setzt auch bei Geschwindigkeitsverstößen den positiven Nachweis der Schuld voraus. Der Tatrichter hat zu klären, ob der Beweis mittels des von dem Messgerät erzeugten Messwerts in einer Weise geführt ist, dass eine Verurteilung gerechtfertigt ist, was die volle Überzeugung des Tatrichters voraussetzt. Hierzu müssen die vom BGH genannten Prämissen des standardisierten Messverfahrens in rechtsstaatlich einwandfreier Weise festgestellt werden. Ist dies nicht der Fall, so drängt schon die Aufklärungspflicht dazu, das Messergebnis einer sachverständigen Überprüfung zu unterziehen. Eines Nachweises von Anhaltspunkten für Messfehler oder dergleichen durch den Betroffenen bedarf es hierzu nicht. Sind aber andererseits die Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren erfüllt, so kann das Messergebnis einer Verurteilung zu Grunde gelegt werden. Mit einer dem Rechtsstaatsprinzip zuwiderlaufenden „Darlegungs- und Beibringungslast“ oder aber einer „Richtigkeitsvermutung“ (so VerfGH Saarbrücken), die niemals Verurteilungsgrundlage sein darf, hat dies nichts zu tun. Vielmehr geht es allein um die Frage, ob bei Einhaltung der Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens das Messergebnis unter Berücksichtigung der Toleranzabzüge hinreichende Verurteilungsgrundlage sein kann.
Dies hat der BGH aber in seinen beiden grundlegenden Entscheidungen (BGH a.a.O.) bejaht. Hiernach hat die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen - die systemimmanenten Messfehler erfassenden - Toleranzwert gerade den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen. Zwar hat der BGH auch konstatiert, es bestehe kein Erfahrungssatz, dass die gebräuchlichen Geschwindigkeitsmessgeräte unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefern. Vielmehr sei eine absolute Genauigkeit, d.h. eine sichere Übereinstimmung mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit, nicht möglich. Allerdings könne den nach den jeweiligen technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen Fehlerquellen hinreichend durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen Rechnung getragen werden. Darüber hinaus müsse sich der Tatrichter nur dann von der Zuverlässigkeit der Messungen überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben seien. Wie der BGH in seiner Entscheidung vom 30.10.1997 (
a.a.O.) nochmals ausdrücklich bestätigt hat, ist der Tatrichter nur dann gehalten, die Zuverlässigkeit von Messungen, die mit einem standardisierten Messverfahren gewonnen worden sind, zu überprüfen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler bestehen. Diese „Anhaltspunkte“ sind freilich gerade nicht vom Betroffenen oder seiner Verteidigung darzulegen oder gar zu beweisen. Vielmehr hat der Tatrichter auch in solchen Fällen von Amts wegen die Beweisaufnahme darauf zu erstrecken, ob sich solche Anhaltspunkte ergeben.
cc) Bei Zugrundelegung dieser rechtlichen Ausgangssituation ist ein Rückgriff auf den Fairness-Grundsatz nicht geboten. Wie der Senat bereits aufgezeigt hat, handelt es sich bei dem Begehren auf Beiziehung von nicht bei den Akten befindlichen Unterlagen um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung unter Aufklärungsgesichtspunkten (§
244 II StPO) gerügt werden kann. Dies hat der BGH in einer grundlegenden Entscheidung zum Antrag auf Beiziehung sog. Spurenakten überzeugend dargelegt (BGH, Urt. v. 26.05.1981 -
1 StR 48/81 =
BGHSt 30, 131 =
NJW 1981, 2267 =
NStZ 1981, 361 =
StV 1981, 500 =
MDR 1981, 860); auch das BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde die Richtigkeit der Einschätzung zum fair-trial-Grundsatz bestätigt (BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 -
2 BvR 864/81 =
BVerfGE 63, 45 =
NJW 1983, 1043 =
StV 1983, 177 =
NStZ 1983, 273 =
MDR 1983, 548 =
EuGRZ 1983, 196). Diese Rspr. ist bis heute nicht aufgegeben worden. Vielmehr hat der BGH in einer neueren Entscheidung (BGH, Beschl. v 28.03.2017 –
4 StR 614/16 [bei juris]) nochmals explizit konstatiert, die abgelehnte Beiziehung von Akten hätte „nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§
244 II StPO) gerügt werden“ können. Diese Rspr. wird im Übrigen von namhaften Stimmen geteilt (vgl. Meyer-Goßner NStZ 1982, 353, der treffend konstatiert: „Ob das Gericht diese Frage richtig beantwortet hat, ist an Hand der gesetzlichen Vorschriften - hier: des §
244 II StPO - zu klären; mit fair trial hat es nichts zu tun.“).
dd) Der Rekurs des VerfGH Saarbrücken, ein Betroffener dürfe nicht „bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern müsse die Möglichkeit erhalten, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen“, ist isoliert betrachtet zwar zutreffend, vermag aber einen Verstoß gegen den Fairnessgrundsatz nicht zu belegen. Der VerfGH übersieht nämlich, dass die einschlägigen Verfahrensbestimmungen zur Wahrung dieser Rechte ausreichende Möglichkeiten für den Betroffenen und die Verteidigung eröffnen und es deshalb eines Rückgriffs auf die Generalklausel des ‚fairen Verfahrens‘ überhaupt nicht bedarf. Vielmehr stellt der Gesetzgeber geeignete und auch ausreichende Instrumentarien im Verfahren zur Verfügung, die es ihm ermöglichen, in adäquater Weise bei der Ermittlung der Wahrheit, um die es allein geht, mitzuwirken. Er darf Aktenbestandteile einsehen und amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen (§
46 I OWiG i.V.m. §
147 I und IV StPO), kann in der Hauptverhandlung das Fragerecht bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen ausüben (§
46 I OWiG i.V.m. §
240 II StPO) und ihm steht es frei, an der Sachaufklärung durch Stellung von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen aktiv mitzuwirken. Im Falle der unzulässigen Einschränkung dieser Rechte hat er die Möglichkeit, sich mit entsprechenden Verfahrensrügen im Rechtsbeschwerdeverfahren dagegen zur Wehr zu setzen. Dies alles zeigt, dass der Gesetzgeber ausreichende Regelungen geschaffen hat, damit ein Angeklagter bzw. Betroffener sich aktiv an der Ermittlung der Wahrheit beteiligen kann. Ein von der Sachaufklärung losgelöstes Interesse kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens anerkannt werden, wie das BVerfG und der BGH (a.a.O.) überzeugend dargelegt haben.
Denn es ist von vornherein nicht unfair, wenn Anträge zur Wahrheitsermittlung nichts beizutragen vermögen. Von einer Beschränkung der Rechte eines Betroffenen kann bei diesen Prämissen nicht die Rede sein. Schon gar nicht würde er dadurch zum Verfahrensobjekt gemacht.
ee) Schließlich verfängt auch der Hinweis des VerfGH Saarbrücken auf die „Waffengleichheit“ nicht. Denn zum einen findet dieser Grundsatz im Verhältnis zwischen Gericht und Angeklagten bzw. Betroffenen von vornherein keine Anwendung (BVerfG, Beschl. v. 15.01.2009 -
2 BvR 2044/07 =
BVerfGE 122, 248 =
EuGRZ 2009, 143 =
NJW 2009, 1469 =
JR 2009, 245 =
JZ 2009, 675 =
StV 2010, 497). Zum anderen stehen dem Gericht nicht beigezogene Unterlagen eben nicht zur Verfügung, so dass sich die vom VerfGH Saarbrücken erwähnte Problematik einer „Wissensparität“ gar nicht stellt. […]