22.08.2018 · IWW-Abrufnummer 203074
Kammergericht Berlin: Beschluss vom 17.01.2018 – 3 Ws (B) 356/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Berlin
Beschl. v. 17.01.2018
Az.: 3 Ws (B) 356/17 - 122 Ss 195/17
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Oktober 2017 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen eines qualifizierten fahrlässigen Rotlichtverstoßes gemäß §§ 37 Abs. 2 (zu ergänzen: Nr. 1 Satz 7 und Nr. 2), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 2) StVO, (zu ergänzen: §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV i.V.m. der Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat) i.V.m. mit § 24 (zu ergänzen: Abs. 1) StVG zu einer Geldbuße von 250,00 Euro verurteilt, ein Fahrverbot gemäß § 25 (zu ergänzen: Abs. 1) StVG von einem Monat verhängt und eine Wirksamkeitsbestimmung gemäß § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Die Urteilsgründe weisen aus, dass der Betroffene, gegen den in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt vier Bußgeldbescheide, davon einer wegen eines Rotlichtverstoßes und drei jeweils wegen Geschwindigkeitsüberschreitung, erlassen worden sind, am xxx 2016 um xxx Uhr in xxx den xxx Richtung West befuhr, wobei er das Rotlicht der dortigen Lichtzeichenanlage, als es bereits 2,2 Sekunden leuchtete, missachtete (UA S. 3).
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 12. Januar 2018 hat vorgelegen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
Infolge der wirksamen Rechtsmittelbeschränkung durch den Betroffenen sind die Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Oktober 2017 zum sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß gemäß §§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 und Nr. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV, Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat i.V.m. §§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 und Abs. 2a StVG in Rechtskraft erwachsen.
Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters, weshalb sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob der Tatrichter von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat, wobei die Entscheidung des Tatgerichts bis zur Grenze des Vertretbaren zu respektieren ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. April 2017 - 3 Ws (B) 31/17 - und 10. März 2017 - 3 Ws (B) 63/17 - ; OLG Hamm, Beschluss vom 7. Februar 2008 - 2 Ss OWi 29/08 - = NZV 2008, 306, juris Rn. 17; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. April 2001 - 3 Ss 6/01 - = NStZ-RR 2001, 278, juris Rn. 9).
Im Rahmen dieses Prüfungsumfanges hält der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts rechtlicher Nachprüfung stand. Das Festsetzen der Geldbuße in Höhe von 250,00 Euro und die Anordnung eines einmonatigen Regelfahrverbots weisen keinen Rechtfehler zu Lasten des Betroffenen auf.
1. Das Amtsgericht hat sich bei der Bemessung der Geldbuße am Regelsatz des Bußgeldkatalogs nach Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat orientiert und die mehrfache - in einem Fall sogar einschlägige - verkehrsrechtliche Vorahndung zu Ungunsten des Betroffenen angemessen berücksichtigt. Fehler beim Ausüben des tatrichterlichen Ermessens bei der Bußgeldbemessung sind nicht ersichtlich.
2. Auch die Verhängung des Fahrverbots hält der rechtlichen Überprüfung stand.
a. Liegen - wie hier - die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV i.V.m. der Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat vor, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Erziehungsmaßnahme angeordnet werden soll, so ist grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen; sie ist in diesen Fällen bereits indiziert (tatbestandsbezogene Vermutungswirkung). Die Gerichte haben diese Vorbewertung des Verordnungsgebers zu beachten.
Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen. Der Tatrichter ist in diesen Fällen gehalten, ein Fahrverbot anzuordnen. Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots wegen Wegfalls des Erfolgs- oder Handlungsunwerts kommt nur dann in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat (z.B. atypischer Rotlichtverstoß wegen Ausschlusses einer Gefahrenlage) oder in der Persönlichkeit des Betroffenen (z.B. Augenblicksversagen beim Rotlichtverstoß) offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt. Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. Senat Beschlüsse vom 21. Juli 2017 - 3 Ws (B) 165/17 -; 12. April 2007 - 3 Ws (B) 31/17 - = NZV 2017, 340, juris Rn. 38; 11. Januar 2017 - 3 Ws (B) 659/16 -; 22. September 2004 - 3 Ws (B) 418/04 - = VRS 108, 286, juris Rn. 4 und 2. Juni 2014 - 3 Ws (B) 285/14 -).
b. Nach diesem Maßstab ist die Verhängung des Fahrverbots hier frei von Rechtsfehlern. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise ausgeschlossen werden kann, dass dem qualifizierten Rotlichtverstoß die ihm besondere abstrakte Gefährlichkeit innewohnt, die der Gesetzgeber zum Anlass genommen hat, die Anordnung der erzieherischen Maßnahme des Fahrverbots als Regelfolge vorzuschreiben, sind nicht ersichtlich. Die Urteilsfeststellungen zeigen keine Verkehrssituation auf, welche die Unaufmerksamkeit des Betroffenen und seine Sorgfaltswidrigkeit in einem signifikant milderen Licht erscheinen lassen könnten.
c. Dass - wie der Rechtsmittelführer meint - eine abstrakte Gefährdung nicht bestand, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden.
Bei Schaffung der Vorschriften über die Missachtung von Wechsellichtzeichen (Nr. 130 ff. BKat) war der Verordnungsgeber der Auffassung, bei Kreuzungsampeln sei eine abstrakte Gefährdung grundsätzlich zu unterstellen. Als besonders gefährlich hat er Verstöße eingestuft, wenn das Rotlicht die Einfahrt in die Kreuzung schon länger als eine Sekunde sperrt, und für diese Verstöße deswegen unabhängig von den genauen Verhältnissen im Einzelfall die Verhängung eines Fahrverbots vorgesehen (vgl. Senat, Beschluss vom 5. September 2016 - 3 Ws (B) 399/16 -).
Entsprechendes gilt freilich auch für das Befahren eines mittels Wechsellichtzeichen regelten, aus mehreren Einmündungen bestehenden, mehrspurigen innerstädtischen Kreisverkehrs wie den xxx, weil der Verordnungsgeber in Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat neben den für das Einfahren in einen Kreuzungsbereich maßgeblichen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO auch den für andere Straßenstellen wie u.a. Einmündungen (in einen Kreisverkehr) maßgeblichen § 37 Abs. 2 Nr. 2 StVO aufgenommen hat.
Es war gerade das Anliegen des Verordnungsgebers, die abstrakte Gefährdung typisierend festzulegen. Diese Grundentscheidung des Verordnungsgebers ist auch von den Gerichten zu beachten und darf nicht dahingehend eingeschränkt werden, dass Handlungen, die im konkreten Fall ungeeignet sind, das geschützte Rechtsgut nicht in Gefahr bringen, von Anlage (zu § 1 Abs. 1 BKatV) Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat ausnimmt. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob im konkreten Einzelfall eine konkrete Gefahr ausgeschlossen war (vgl. Senat, Beschluss vom 5. September 2016, a.a.O.).
d. Der Ausdruck "Augenblicksversagen" beschreibt nur den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Dieser Umstand allein ist kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Verletzung gegeben sind. Eine Vielzahl der Fälle unbewusster Fahrlässigkeit, insbesondere bei Regelverstößen im Straßenverkehr, beruht gerade darauf, dass der Handelnde für eine kurze Zeit unaufmerksam ist und das an ihn gerichtete Ge- oder Verbot übersieht. Vielmehr müssen weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen (vgl. BGHZ 119, 147).
e. Ein "Augenblicksversagen" oder kurzzeitiges Fehlverhalten, das nicht vorkommen darf, aber erfahrungsgemäß auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterläuft, das nicht als grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG oder schadensrechtlich nicht als grob fahrlässig zu bewerten ist, kann (muss aber nicht) vorgelegen haben, wenn der Betroffene (1.) ein unübersichtliches Verkehrsgeschehen falsch gedeutet oder eine verwirrende Verkehrsregelung falsch verstanden hat, (2.) auf eine besonders schwierige, insbesondere überraschend eingetretene Verkehrslage falsch reagiert oder (3.) ein Verkehrszeichen schlicht übersehen hat und die sichtbaren äußeren Umstände auch nicht auf eine Beschränkung oder ein Ge- oder Verbot hingedeutet haben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. März 2014 - IV-1 RBs 183/13 - = DAR 2015, 213, juris).
aa. Soweit der Betroffene hier vorgebracht hat, das für ihn maßgebliche Rotlichtregister nicht gesehen zu haben, weil es durch das Fahrzeug eines anderen Verkehrsteilnehmers zumindest teilweise verdeckt gewesen sei, kommt allenfalls drittgenannte vorstehende Variante in Betracht.
Allerdings musste der Betroffene beim Befahren des Großen Sterns dort mit einer Verkehrsregelung durch Wechsellichtzeichen rechnen.
bb. Die fehlende Ortskenntnis des Betroffenen ist kein Umstand, der einen groben Verkehrsverstoß in einem milderen Licht erscheinen lässt. Wer sich nicht auskennt, muss das durch erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht ausgleichen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).
cc. Auch die sonstigen vom Rechtmittelführer zu seinen Gunsten angeführten Umstände, namentlich die Sichtverhältnisse seien witterungsbedingt beeinträchtigt gewesen und der Betroffene habe einen für ihn ungewohnten Mietwagen geführt, sind vom Amtsgericht erörtert worden und vermögen die Pflichtverletzung nach den vorstehenden Maßstäben nicht in einem milderen Licht erscheinen lassen. Auch diese Umstände sind, wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt, durch erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht auszugleichen.
dd. Schließlich kann der Senat auch nicht erkennen, dass die im Zusammenhang mit dem Rotlichtverstoß aufgetretene Verkehrssituation im Sinne der genannten Rechtsprechung anderweitig "besonders schwierig" gewesen wäre. Vielmehr gilt, dass von einem Kraftfahrzeugführer, der in den durch Wechsellichtzeichen geschützten Bereich einer belebten innerstädtischen Kreuzung mit mehreren Fahrspuren einfährt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit verlangt werden muss; missachtet er das Rotlicht dennoch, so kommt in aller Regel die Annahme nur leichter Fahrlässigkeit im Sinne eines so genannten Augenblicksversagens nicht in Betracht (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Dezember 2017 - 3 Ws (B) 341/17 -; BayObLG, Beschluss vom 27. Juni 2002 - 1 ObOWi 244/02 - = VRS 103, 390, juris). Beim Befahren eines mehrspurigen innerstädtischen Kreisverkehrs - wie dem xxx - kann wiederum nichts anderes gelten.
3. Die Urteilsgründe lassen schließlich auch erkennen, dass die Tatrichterin sich der Möglichkeit bewusst war, nach § 4 Abs. 4 BKatV von der Anordnung des Fahrverbots abzusehen, falls der notwendige Warneffekt durch eine angemessene Erhöhung der Geldbuße zu erreichen gewesen wäre (vgl. BGHSt 38, 125). Rechtsfehlerfrei hat das Amtsgericht dies verneint.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 StPO.
RechtsgebietBKatVVorschriften§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BKatV