24.11.2020 · IWW-Abrufnummer 219084
Bundesgerichtshof: Urteil vom 20.10.2020 – VI ZR 374/19
Zur Reichweite der Haftung des Halters eines in einer Werkstatthalle in Brand geratenen Kraftfahrzeuges nach § 7 Abs. 1 StVG.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2020 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterinnen Dr. Oehler und Müller sowie die Richter Dr. Klein und Böhm
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. September 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Der klagende Gebäudeversicherer macht im Wege des Direktanspruchs gegen den beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer Schadensersatzansprüche aus Halterhaftung (§ 7 Abs. 1 StVG) nach einem Brandereignis geltend.
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Die Klägerin ist der Gebäudeversicherer der Firma O., die eine Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt betreibt. Am 14. Dezember 2012 wurde ein bei der Beklagten haftpflichtversicherter Lkw zur Firma O. gebracht, nachdem er auf der Autobahn ein Rad verloren hatte, das im Zuge einer Notreparatur ersetzt worden war. Der Lkw wurde im Werkstattgebäude aufgebockt, das linke hintere Rad abmontiert, der Bremssattel abgebaut. Wegen des Fehlens von Ersatzteilen wurde die Reparatur sodann unterbrochen. Am 15. Dezember 2012 brannte die Werkstatt der Firma O. fast vollständig aus. Die Klägerin regulierte gegenüber der Firma O. bislang einen Schaden in Höhe von rund 1,8 Mio. €.
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Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht (§ 86 Abs. 1 VVG) einen Zahlungsanspruch in Höhe von 1 Mio. € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend.
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Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils vollständig abgewiesen. Mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in ZfSch 2020, 317 veröffentlicht ist, hat Ansprüche der Klägerin verneint, weil sich in dem streitgegenständlichen Brandereignis nicht die von § 7 StVG umfasste Betriebsgefahr verwirklicht habe. Zwar habe das Landgericht beanstandungsfrei festgestellt, dass der Brand an dem bei der Beklagten versicherten Lkw und nachfolgend am Werkstattgebäude der Versicherungsnehmerin der Klägerin dadurch entstanden sei, dass es im Bereich des Fahrzeugrahmens rechts aus unbekannten Gründen zu einem Defekt an der Fahrzeugelektrik gekommen sei, wodurch ein Kurzschluss aufgetreten sei. Es stehe damit fest, dass der Brand durch Selbstentzündung einer Betriebseinrichtung des Lkw herbeigeführt worden sei, die nicht im Zusammenhang mit den in der Werkstatt bereits begonnenen Reparaturarbeiten gestanden habe. Auf eine exakte Feststellung jener Betriebseinrichtung, die sich entzündet habe, komme es rechtlich nicht an. Dennoch sei der streitgegenständliche Schaden nicht "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG entstanden. Dass sich ein Betriebsvorgang des Lkw in dem Brandereignis fortgesetzt habe, sei nicht dargelegt oder ersichtlich. Es lasse sich nicht feststellen, dass die Selbstentzündung des Lkw der Versicherungsnehmerin der Beklagten auf jenen Einwirkungen auf das Fahrzeug beruht habe, die dadurch zustande gekommen seien, dass der Lkw am 14. Dezember 2012 auf der Autobahn ein Rad verloren habe. In einem "Werkstattfall" wie dem vorliegenden umfasse der Schutzbereich des § 7 Abs. 1 StVG auch nicht alle Schäden, die durch Fehlfunktionen oder Defekte einzelner Betriebseinrichtungen eines Fahrzeugs verursacht worden seien, wenn - wie hier - die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Fahrzeugs im Zeitpunkt des den Schaden auslösenden Ereignisses nicht zumindest noch nachwirke. Allein die Tatsache, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer bestehenden Betriebseinrichtung des Fahrzeugs stehe, genüge in den "Werkstattfällen" zur Bejahung einer Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG nicht. Während des Werkstattaufenthalts stehe das Fahrzeug - anders als nach einem Parkvorgang - als Beförderungs- und Transportmittel nicht zur Verfügung. Die Halterhaftung komme daher nur zum Tragen, wenn der eingetretene Schaden auf einen zeitlich davorliegenden - fortwirkenden - Betriebsvorgang zurückzuführen sei, bei dem die Funktion des Fahrzeugs als Beförderungsmittel noch eine Rolle gespielt habe.
II.
6
Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz des ihrer Versicherungsnehmerin entstandenen Sachschadens gegen die Beklagte aus § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 86 Abs. 1 VVG nicht verneint werden.
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1. Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" verletzt bzw. beschädigt worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist dieses Haftungsmerkmal entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. nur Senatsurteile vom 11. Februar 2020 - VI ZR 286/19, VersR 2020, 782 Rn. 10; vom 26. März 2019 - VI ZR 236/18, VersR 2019, 897 Rn. 8 mwN).
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2. Nach diesen Grundsätzen ist der geltend gemachte Brandschaden der von dem Fahrzeug der Versicherungsnehmerin der Beklagten ausgehenden Betriebsgefahr im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG zuzurechnen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wurde der Brand durch eine defekte Betriebseinrichtung verursacht, nämlich durch einen Defekt an der Fahrzeugelektrik im Bereich des Fahrzeugrahmens rechts, der zu einem Kurzschluss führte. Der geltend gemachte Schaden unterfällt damit nach Art und Entstehungsweise dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG.
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a) Dass Dritte durch den Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen Schaden erleiden, gehört nach der Rechtsprechung des Senats zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos halten will. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob der Brand unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wollte man die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auf Schadensfolgen begrenzen, die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Schadensgeschehen jedoch auch in diesen Fällen - im Gegensatz etwa zu einem vorsätzlichen Inbrandsetzen eines ordnungsgemäß auf einem Parkplatz abgestellten Kraftfahrzeuges (vgl. Senatsurteil vom 27. November 2007 - VI ZR 210/06, VersR 2008, 656 Rn. 11 f.) - durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren entscheidend (mit)geprägt worden. Hierzu reicht es aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 2014 - VI ZR 253/13, BGHZ 199, 377 Rn. 6). An diesen Grundsätzen hält der Senat auch angesichts der hiergegen vorgebrachten Kritik (vgl. LG Heidelberg, r+s 2016, 481, 482 f.; LG Köln, r+s 2017, 655; Burmann/Jahnke, DAR 2016, 313, 319; Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl., § 7 StVG Rn. 9; Herbers, NZV 2014, 208; Lemcke, r+s 2014, 195; ders., r+s 2016, 152; Schwab, DAR 2014, 197; Pieroth/Schmitz-Justen, NZV 2020, 293 ff.) fest.
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b) Demnach liegen im Streitfall keine Umstände vor, die den Schutzzweckzusammenhang zwischen der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts schadensursächlichen Betriebseinrichtung und dem Brandschaden entfallen lassen würden.
11
Dass der Schaden auf einem Privatgelände eingetreten ist, steht einer Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG nicht grundsätzlich entgegen (vgl. nur Senatsurteil vom 24. März 2015 - VI ZR 265/14, VersR 2015, 638 Rn. 10 mwN). Für das Eingreifen der Halterhaftung ist hier auch nicht ausschlaggebend, ob das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Schadensverursachung fahrtüchtig war (vgl. für den Fall des liegengebliebenen Fahrzeugs Senatsurteil vom 9. Januar 1959 - VI ZR 202/57, BGHZ 29, 163 ff.). Die in den vom Berufungsgericht angeführten "Abschleppfällen" aufgeworfene Frage, ob von dem abgeschleppten Fahrzeug eine eigenständige Betriebsgefahr ausgeht oder eine Betriebseinheit mit dem Abschleppfahrzeug besteht (vgl. dazu OLG München, DAR 2016, 87, 88 f.; OLG Karlsruhe, r+s 2014, 573), stellt sich im Streitfall nicht.
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Allein der Umstand, dass sich das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Schadensverursachung in der Obhut des Geschädigten befand, rechtfertigt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts einen Ausschluss der Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG nicht. Die vom Berufungsgericht angesprochenen Möglichkeiten des Werkunternehmers, die von dem in seiner Obhut befindlichen Fahrzeug ausgehenden Gefahren zu minimieren, wären hier nur dann zu berücksichtigen, wenn aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles die Voraussetzungen eines Mitverschuldens nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB erfüllt wären (vgl. hierzu etwa Senatsurteil vom 26. März 2019 - VI ZR 236/18, VersR 2019, 897 Rn. 14). Diesen von der Beklagten erhobenen Einwand hat das Berufungsgericht - aus seiner Sicht konsequent - bislang nicht geprüft.
III.
13
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Seiters
Oehler
Müller
Klein
Böhm
Von Rechts wegen