08.03.2021 · IWW-Abrufnummer 220973
Amtsgericht Wesel: Urteil vom 08.10.2020 – 5 C 108/19
Die Anwendung der Grundsätze zum Werkstatt- bzw. Prognoserisiko ist bei einer Selbst- bzw. Eigenreparatur durch eine geschädigte Fachwerkstatt nicht gerechtfertigt.
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 577,10 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 31.01.2019 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 31 % und die Beklagte zu 69 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Am 10.12.2018 kam es in X zu einem Verkehrsunfall zwischen dem Fahrzeug der Klägerin mit dem amtlichen Kennzeichen "C" und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen "T". Die Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen ist dem Grunde nach unstreitig.
Die Klägerin, die einen gewerblichen Kfz- Reparaturbetrieb unterhält, hat ihr Fahrzeug selbst repariert und sich selbst für die Reparatur mit Datum vom 27.12.2018 Kosten i.H.v. 2.432,83 € netto berechnet. Die Beklagte hat davon einen Teilbetrag von 1.693,23 € reguliert. Auf die geltend gemachte Wertminderung i.H.v. 600 € hat die Beklagte 500 € gezahlt. Mit ihrer Klage beansprucht die Klägerin vollen Schadensersatz.
Die Klägerin ist der Ansicht, das Werkstatt- bzw. Prognose-Risiko trage die Beklagte als Haftpflichtversicherung des Schädigers. Die Klägerin behauptet, die von ihr abgerechneten Reparaturarbeiten und - kosten seien unfallbedingt erforderlich gewesen, die durchgeführten Arbeiten entsprächen den Herstellerbedingungen und die Rechnungsbeträge seien ortsüblich und angemessen. Die Wertminderung könne mit 600 € veranschlagt werden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 839,60 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 31.01.2019 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die erforderlichen Reparaturkosten lägen bei lediglich 1.693,23 € brutto. Die Wertminderung sei mit allenfalls rund 500 € zu veranschlagen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben nach Maßgabe des Hinweis- und Beweisbeschlusses vom 09.01.2020. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen M vom 13.07.2020 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat teilweise Erfolg.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß §§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 7 StVG i.V.m. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB einen Anspruch auf restlichen Schadensersatz i.H.v. 577,10 €. Die weitergehende Klage ist unbegründet.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen M vom 13.07.2020 sind die abgerechneten Reparaturkosten lediglich in Höhe eines Betrages von 2.170,33 € netto als erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzuerkennen. Zum einen sind einige Reinigungs- und Poliermaßnahmen nicht erforderlich gewesen. Bei älteren und verwitterten Fahrzeuglacken ist es erforderlich, angrenzende Flächen vor der Lackierung zu polieren. Das Unfallfahrzeug der Klägerin war zum Unfallzeitpunkt allerdings erst 6 Monate alt, so dass der Aufwand zur Lackangleichung in Form eines vorherigen Polierens mit Kosten i.H.v. 52,50 € nicht erforderlich war. Eine Außenreinigung zur Vorbereitung ist erforderlich, wenn das Fahrzeug stark verschmutzt angeliefert wird. Die vorliegenden Lichtbilder zeigen indes, dass sich das Fahrzeug der Klägerin im Zeitpunkt der Besichtigung durch den vorgerichtlichen Schadensgutachter nicht besonders verschmutzt darstellte. Vielmehr ist darauf ein sauberes, fast fabrikneues Fahrzeug zu erkennen. Eine Außenreinigung zur Vorbereitung für die Lackiermaßnahmen mit Kosten i.H.v. 35 € lässt sich anhand der vorliegenden Schadensbilder bzw. des Gesamtzustandes des Fahrzeuges nicht ableiten. Zum anderen ist eine Vollmontage des vorderen Stoßfängers nicht geboten gewesen. Für die anstehenden Instandsetzungsarbeiten war es unter anderem erforderlich, den rechten Kotflügel zu lackieren. Der Stoßfänger ist im vorderen unteren Bereich mit dem Kotflügel verbunden. Für die anstehende Lackierung war es nicht erforderlich, den Stoßfänger komplett zu demontieren. Vielmehr hätte es im vorliegenden Fall ausgereicht, den Stoßfänger vom Kotflügel seitlich zu lösen, damit dieser vom Lackierbetrieb abgeklebt oder abgedeckt werden kann. Für das Lösen mit anschließender Befestigung sind vom Hersteller 4 AW vorgegeben. Der von der Beklagten vorgenommene Abzug in Höhe von 137,50 € sowie der Abzug i.H.v. 37,50 € bei Zusatz für eine 360° Kamera kann nachvollzogen werden. Unfallbedingt war eine Demontage des gesamten Stoßfängers nicht erforderlich. Es ergeben sich damit Abzüge vom Rechnungsbetrag in Höhe von insgesamt 262,50 € netto. Alle weiteren Arbeitspositionen entsprechen indes den Herstellerrichtlinien und sind ortsüblich und angemessen. Der von der Klägerin geltend gemachte Minderwert von 600 € ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach der so genannten Marktrelevanz- und Faktoren-Methode lässt sich ein Wertminderungsbetrag i.H.v. 666 € ermitteln. Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Ausführungen in dem Gutachten des Sachverständigen M verwiesen.
Das Gericht schließt sich den Ausführungen und Feststellungen des Sachverständigen M an. Es besteht keine Veranlassung, den in jeder Hinsicht ausführlich, nachvollziehbar und überzeugend begründeten Feststellungen des Sachverständigen M in seinem Gutachten vom 13.07.2020 nicht zu folgen. Zu dem von der Beklagten geltend gemachten Abzug eines Gewinnanteils ist ergänzend zu den Ausführungen in dem Gutachten des Sachverständigen M vom 13.07.2020, wonach nicht nachvollziehbar ist, wie der der von der Beklagten insoweit geltend gemachte Abzug i.H.v. 116,25 € berechnet worden ist, darauf hinzuweisen, dass der ausgelastete Reparaturbetrieb der Klägerin seine Leistungen gewinnorientiert und damit nach den üblichen Marktpreisen abrechnen durfte (vgl. BGH, Urteil vom 26.05.1970, VI ZR 168/68, zitiert nach Juris mit weiteren Nachweisen, u.a. BGHZ 54, 82ff.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.07.1994, 10 U 82/93, zitiert nach Juris mit weiteren Nachweisen, u.a. NJW-RR 1994, 1375f.).
Die Grundsätze zum Werkstatt- bzw. Prognose-Risiko kommen der Klägerin nicht zugute. Grundsätzlich trägt der Schädiger das so genannte Werkstattrisiko. Dies bedeutet, dass tatsächliche Mehrkosten, die ohne Verschulden des Geschädigten bei der Reparatur anfallen, auch dann ersatzfähig sein können, wenn sie objektiv nicht erforderlich gewesen sind (Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK- Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016, § 249 BGB, Rn. 84). Dies hat seinen Grund darin, dass die Schadensbetrachtung sich nicht nur an objektiven Kriterien zu orientieren, sondern auch subjektbezogen zu erfolgen hat. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen sind und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1974, VI ZR 42/73, zitiert nach Juris mit weiteren Nachweisen, u.a. BGHZ 63, 182ff.; AG Iserlohn, Urteil vom 27.07.2017, 43 C 138/17, zitiert nach Juris; AG Coburg, Urteil vom 25.04.2017, 15 C 4/17, zitiert nach Juris; AG Wesel, Urteil vom 28.11.2017, 5 C 120/17). Hier besteht indes die Besonderheit, dass die Reparaturarbeiten gerade nicht in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattgefunden haben. Vielmehr hat die Klägerin als Kfz-Fachbetrieb die Reparatur ihres Fahrzeuges selbst durchgeführt, so dass die Kosten für Arbeiten, die von der Klägerin als Fachfirma bzw. ihren Mitarbeitern als Fachleuten nicht als erforderlich angesehen werden durften, von der Beklagten auch nicht zu erstatten sind. Es kommt hinzu, dass die Klägerin bei ihrer Selbst- bzw. Eigenreparatur im Gegensatz zur Fremdreparatur neben der Auseinandersetzung um die Erforderlichkeit der geltend gemachten Reparaturkosten mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung, also der Beklagten, nicht auch noch einer ihr ggf. unzumutbaren weiteren Auseinandersetzung mit einer anderen Reparaturwerkstatt um die Erforderlichkeit der abgerechneten Reparaturkosten ausgesetzt ist. Auch dies ist ein Umstand, der es rechtfertigt, die den Geschädigten begünstigenden Grundsätze zum Werkstatt- bzw. Prognose-Risiko bei der Selbst- bzw. Eigenreparatur durch die eigene Fachwerkstatt nicht zur Anwendung kommen zu lassen.
Der zuerkannte Zinsanspruch beruht auf Zahlungsverzug und den §§ 280, 286, 288 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert: 839,60 €
Das Gericht hat gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO die Berufung zugelassen, weil die Rechtssache im Zusammenhang mit der Frage, ob einer Kfz- Fachwerkstatt im Fall der Selbst- bzw. Eigenreparatur die Grundsätze zum so genannten Werkstatt- bzw. Prognose-Risiko zugutekommen oder nicht, grundsätzliche Bedeutung hat.