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  • 11.07.2023 · IWW-Abrufnummer 236218

    Amtsgericht Dortmund: Urteil vom 14.02.2023 – 729 OWi-264 Js 110/23-12/23

    Die Geschwindigkeitsfeststellung durch nachträgliche Auswertung eines ProViDa-Videos und Bestimmung der Geschwindigkeit anhand einer nachträglich frei anhand des Videos gewählten Messtrecke durch nachträgliche Weg-Zeit-Berechnung ist anerkannt, auch wenn sie kein standardisiertes Messverfahren darstellt (Anschluss an: OLG Hamm Beschl. v. 22.6.2017 – 1 RBs 30/17, BeckRS 2017, 122484; AG Castrop-Rauxel Urt. v. 26.8.2022 – 6 OWi-264 Js 1170/22-486/22, BeckRS 2022, 22074; AG Lüdinghausen Urt. v. 20.4.2015 – 19 OWi-89 Js 1431/14-139/14, BeckRS 2015, 10022).


    AG Dortmund

    Urteil vom 14.2.2023


    Amtsgericht Dortmund

    IM NAMEN DES VOLKES

    Urteil

    In dem Bußgeldverfahren

    gegen    

    wegen     Verkehrsordnungswidrigkeit

    hat das Amtsgericht Dortmund
    aufgrund der Hauptverhandlung vom 14.02.2023,
    an der teilgenommen haben:

    für Recht erkannt:

    Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 320,00 € verurteilt.

    Ihm wird gestattet, die Geldbuße in monatlichen Teilbeträgen von 50,00 €, jeweils bis zum 5. eines Monats, beginnend mit dem 1. des Folgemonats nach Erhalt der Zahlungsaufforderung, zu zahlen. Diese Vergünstigung entfällt, wenn ein Teilbetrag nicht rechtzeitig gezahlt wird.

    Dem Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

    Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

    Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Betroffene.

    G r ü n d e :

    Der Betroffene ist verheiratet. Er lebt getrennt von seiner Ehefrau. Er hat ein Kind im Alter von 12 Jahren. Von Beruf ist er Maschineneinrichter.

    Auf Nachfrage hat der Betroffene angegeben, es sei für den Fall der Verhängung einer Geldbuße hilfreich, wenn ihm eine Ratenzahlung von 50,00 € monatlich ermöglicht werde.

    Der Betroffene ist verkehrsrechtlich wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes vorbelastet:

    Am 21.07.2022 setzte die Stadt Münster wegen eines am 25.06.2022 dort begangenen Geschwindigkeitsverstoßes (Geschwindigkeitsüberschreitung von 35 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften bei zulässigen 100 km/h Höchstgeschwindigkeit) eine Geldbuße von 200,00 € fest. Rechtskraft trat am 09.08.2022 ein.

    Das Gericht hat diese Voreintragung zur Kenntnis genommen, jedoch nicht im Rahmen der Rechtsfolgenzumessung berücksichtigt, da die Rechtskraft erst nach der hier in Rede stehenden Ordnungswidrigkeitsbegehung eintrat.

    Am 28.07.2022 um 15:25 Uhr befuhr der Betroffene in Dortmund die B236 in Fahrtrichtung Lünen in Höhe Kilometer 7,500 als Führer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 123 des Fabrikats VW und überschritt hier die zulässige Höchstgeschwindigkeit von beidseitig angeordneten 60 km/h (Anordnung durch Zeichen 274) um 45 km/h. Der Betroffene hatte zunächst etwa 200 Meter vor der beidseitigen Beschilderung „60 km/h“ zwei gleichartig aufgestellte Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder „80 km/h“ passiert. Er war bereits hier der Polizei in Gestalt des Messbeamten C aufgefallen.

    Dieser führte zunächst eine automatische Messung mit dem Messgerät ProViDa 2000 Modular durch. Bei dieser Messung hatte der Betroffene die Geschwindigkeit von „80 km/h“ deutlich überschritten. Da die Messung jedoch in den Bereich der „60 km/h“ hineinreichte, wurde sie von der Polizei verworfen. Stattdessen fand anhand einer Wegzeitberechnung mittels des Videos des ProViDa-Fahrzeugs, welches entsprechend der Bedienungsanleitung und im geeichten Zustand genutzt wurde, eine nachträgliche Auswertung statt, die zu einer gemessenen Geschwindigkeit von 111,65 km/h führte. Von dieser Geschwindigkeit wurde eine Toleranz von 6 km/h abgezogen, so dass sich ein vorwerfbarer Wert von 105 km/h trotz der zuvor beschilderten 60 km/h ergab. Die nachträgliche Videoauswertung erfolgte anhand des Wegstreckenzählers, mittels dessen eine Distanz von 196 Metern als Messstrecke festgelegt werden konnte. In dem Video des ProViDa-Messgerätes waren in dieser Zeit 158 Bilder erzeugt worden, so dass sich bei einer Einzelbilddauer von 0,04 Sekunden eine Messzeit von 6,32 Sekunden ergab. Dann vorzunehmenden Geschwindigkeitsberechnung für die zurückgelegten 196 m in 6,32 Sekunden ergab sich die genannte Geschwindigkeit von 111,65 km/h, von der der genannte Toleranzabzug vorgenommen wurde.

    Auch nach der eigentlich durchgeführten Messung blieb das Polizeifahrzeug in gleichbleibenden Abstand hinter dem Fahrzeug des Betroffenen und konnte auch in der Folge - nach Messung zahlreicher Sekunden - die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Betroffenen feststellen anhand der in dem ProViDa-Messsystem eingespiegelten eigenen gefahrenen Geschwindigkeit des Polizeifahrzeuges.

    Der Betroffene erklärte zur Sache, er habe keine konkrete Erinnerung mehr.

    Er sei mit dem Verkehr mitgeflossen. Eine konkrete Erinnerung habe er erst, als er von der Polizei in Gestalt des die Messung durchführenden Beamten C aus dem Verkehr „herausgezogen“ worden sei.

    Der Verteidiger machte geltend, für eine derartige Messung bedürfe es einer Messstrecke von 1.000 Metern entsprechend einer Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Jahre 1993.

    Insoweit war dem Gericht bekannt, dass es sich bei dieser Entscheidung um eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ohne jedes weitere technische Gerät gehandelt hatte. Für ProViDa-Messungen ist eine Mindestmessstrecke in der Bedienungsanleitung nicht vorgesehen. Eine Strecke von 196 Metern erscheint dem Gericht ohne weiteres für ausreichend, eine Geschwindigkeitsmessung durchführen zu können.

    Im Übrigen hat der Zeuge C die Richtigkeit der Messung ausführlich dargestellt.

    Er erklärte, dass Fahrzeug des Betroffenen sei der Polizei schon vor der eigentlichen Messung aufgefallen. Er selbst habe am Tattage als Beifahrer den Betroffenen mit dem ProViDa-Fahrzeug gemessen. Der Betroffene sei bereits im Bereich der 80 km/h zu schnell gewesen. Die Messung sei jedoch von der Polizei verworfen worden, da die Messung bis in den 60 km/h-Bereich gereicht habe. Dementsprechend habe er, der Beamte C, eine manuelle nachträgliche Auswertung des Messvideos vorgezogen. Ansonsten bestätigte der Zeuge C, dass Messgerät im gültig geeichten Zustand entsprechend der Bedienungsanleitung genutzt zu haben.

    Das Gericht hat insoweit das Messprotokoll des Tattages urkundsbeweislich verlesen können. Hieraus ergaben sich keine Besonderheiten hinsichtlich des Messgeräteeinsatzes. Vielmehr war insbesondere der Reifendruck individuell vor dem Messgeräteeinsatz geprüft worden.

    Das Gericht hat auch die Eichung des Messgerätes zur Zeit der Messung feststellen können. Insoweit hat das Gericht einen Eichschein des Landesbetriebes Mess- und Eichwesen NRW vom 16.09.2021 urkundsbeweislich verlesen können, der eine Eichung vom selben Tage dokumentierte und das Ende der Eichfrist auf den 31.12.2022 festlegte.

    Das Gericht hat das Video des Vorfalls in Augenschein genommen und auch die beiden Videoprints, anhand derer die Messung stattgefunden hat.

    Zunächst war festzustellen bei Inaugenscheinnahme des Videofilms, dass das Video im Bereich startete, indem die Geschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt wurde. Zu Beginn des Videos sind also die beidseitigen 80 km/h-Beschilderungen erkennbar und auch das Fahrzeug des Betroffenen, hinter das sich das Fahrzeug um 15:25:29 Uhr setzte.

    Die Zeitangabe konnte das Gericht feststellen durch urkundsbeweisliche Verlesung des oberen rechten Datenfeldes des Messgerätes, eingespielt in die Videoaufnahme des Messsystems. In diesem Bereich unmittelbar vor der Front, ggf. eine Fahrzeuglänge davor, war zu dieser Zeit die linksseitige Beschilderung 60 km/h an der Fahrbahn und ebenso die rechtsseitige Beschilderung sichtbar, an der der Betroffene vorbeigefahren ist und die er bei ordnungsgemäßer Sorgfalt im Straßenverkehr hätte beachten können und müssen.

    Auf dem Video war dann sichtbar, wie der Betroffene im gleichbleibenden Abstand vor dem Polizeifahrzeug auf der linken Fahrspur herfuhr. Anhand der für das Polizeifahrzeug durch das Messgerät stets eingespielten Geschwindigkeit, die das Gericht jeweils urkundsbeweislich verlesen konnte und die sich rechts unter im Video erkennen ließ, konnte festgestellt werden, dass der Betroffene stets die zulässige Höchstgeschwindigkeit während des gesamten zwischen 15:25:22 Uhr und etwa 15:29 Uhr gefertigten und in Augenschein genommenen Videos überschritten hat, bis nach dem geschwindigkeitsbegrenzenden 80-Km/h-Bereich ein Bereich von 120 km/h Höchstgeschwindigkeit folgt.

    Bei Inaugenscheinnahme der maßgeblichen Prints der Messung (hier eingefügt; auf die beiden Prints wird wegen der Einzelheiten ‒ insbesondere zur Größe des Fahrzeugs des Betroffenen auf der linken Fahrspur, des gleichbleibenden Abstands zum videografierenden Polizeifahrzeug, der Erkennbarkeit der Beschilderung und der 2-spurigen Fahrbahnführung - verwiesen gem. § 267 Abs. 1 Nr. 3 StPO) konnte das Gericht feststellen, dass beide Prints aus einer Nachfolgesituation um 15:25:31 Uhr (unteres Print) und 15:25:37 Uhr (oberes Print) gefertigt wurden.

    Wegen der eingespielten und von der Eichung des Gerätes umfassten Uhrzeitangabe wurden die Datenfelder der Prints urkundsbeweislich verlesen. Das Polizeifahrzeug befand sich zu dieser Zeit gemeinsam mit dem Fahrzeug des Betroffenen auf dem linken Fahrstreifen und folgte diesem im gleichmäßigen Abstand. Ein Vergleich der Prints ergab dabei, dass das Fahrzeug des Betroffenen sich von dem Fahrzeug der Polizei geringfügig entfernte während der festgestellten Messstrecke, so dass dies eine zusätzliche Sicherheit zu Gunsten des Betroffenen bei der Geschwindigkeitsberechnung bot.

    Das Gericht hat anhand der eingespielten und urkundsbeweislich verlesenen Daten in dem 1. genannten gefertigten Print einen Stand des Wegstreckenzählers von 188.981 Metern feststellen können und bei dem 2. Bild von 15:25:37 Uhr einen Wegstreckenzählerstand von 189.177 Metern. Hieraus ließ sich eine Differenz von 196 Metern für die freigewählte und freiwählbare Messstrecke feststellen.

    Anhand der beiden Prints und der darin enthaltenen urkundsbeweislich verlesenen Datenfelder hat das Gericht dann auch die Zahl der einzelnen von dem Messgerät genutzten Einzelbilder zur Aufzeichnung feststellten können. Diese ergaben sich aus einem Vergleich des Einzelbildzählers auf dem 1. zeitlich gefertigten Lichtbild von 334.009 Bildern und bei dem 2. gefertigten Lichtbild von 334.167 Bildern, woraus sich eine Differenz von 158 Bilder für die gewählte Messstrecke ergab. Jedes dieser Bilder ist entsprechend der Bedienungsanleitung des ProViDa-Messgerätes und der technischen Gegebenheiten des Messsystems 0,04 Sekunden lang, so dass sich eine Messzeit von 6,32 Sekunden errechnen lässt.

    Die Geschwindigkeit war dann zu berechnen anhand der Formel: 196 Meter Messstrecke x 3,6 : 6,32 Sekunden. Hieraus ergab sich eine zu bestimmende Geschwindigkeit von 111,65 km/h. Hiervon hat das Gericht einen Toleranzabzug entsprechend der Bedienungsanleitung von 6 km/h vorgenommen, so dass sich nach Streichung der Nachkommastellen eine Geschwindigkeit von 105 km/h als vorwerfbare Geschwindigkeit ergab und folgerichtig eine Überschreitung von 45 km/h. Diese Art der Geschwindigkeitsfeststellung ist anerkannt, auch wenn sie kein standardisiertes Messverfahren darstellt (hierzu etwa: OLG Hamm Beschl. v. 22.6.2017 ‒ 1 RBs 30/17, BeckRS 2017, 122484; AG Castrop-Rauxel Urt. v. 26.8.2022 ‒ 6 OWi-264 Js 1170/22-486/22, BeckRS 2022, 22074; AG Lüdinghausen Urt. v. 20.4.2015 ‒ 19 OWi-89 Js 1431/14-139/14, BeckRS 2015, 10022).

    Dementsprechend war der Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu verurteilen.

    Die für den Verstoß außerhalb geschlossener Ortschaften vorgesehene Regelgeldbuße von 320,00 € erschien dem Gericht angesichts der zur Tatzeit noch nicht rechtskräftigen Vorbelastung des Betroffenen den Umständen für angemessen und ausreichend. Besonderheiten weiterer Art, die ein Heraufgehen oder ein Herabsenken der Regelgeldbuße nahegelegt hätten, waren nicht erkennbar und wurden nicht geltend gemacht.

    Ferner war wegen 11.3.7 des BKat ein 1-monatiges Fahrverbot festzusetzen, auf Grundlage des § 25 StVG.

    Auch hier waren keinerlei tatbezogene Besonderheiten vorhanden oder wurden geltend gemacht. Schließlich wurden auch keine täterbezogenen Besonderheiten seitens des Betroffenen oder des Verteidigers ins Feld geführt, die ein etwaiges Fehlen eines weiteren Erziehungsbedarfes oder eine Unverhältnismäßigkeit einer Fahrverbotsanordnung hätten naheliegen können und müssen.

    Das Gericht hat sich sodann noch mit der Frage befasst, ob gemäß § 4 Abs. IV BKatV gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße ein Absehen vom Fahrverbot in Betracht kommen könnte.

    Das Gericht hat diese Möglichkeit vorliegend verneint aufgrund der Tatsache, dass die in Rede stehende Geschwindigkeitsüberschreitung nicht nur kurzfristig während der Messstrecke stattfand, sondern auch Geschwindigkeitsüberschreitungen unmittelbar vor der Messung und auch noch nach der Messung festzustellen waren, so dass es der Verhängung eines Fahrverbotes aus Sicht des Gerichtes durchaus bedurfte.

    Das Gericht hat schließlich noch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine sogenannte Schonfrist nach § 25 Abs. II a StVG anzuordnen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 StPO, 46 OWiG.

    RechtsgebieteStVG, BKatVorschriften§§ 41 Abs. I i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, 24, 25 StVG. 11.3.7 BKat