22.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242801
Landgericht Mannheim: Beschluss vom 07.05.2024 – 4 Qs 26/24
1. Die nach § 43 StPO zu berechnende, zweiwöchige Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl beginnt ausweislich des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO mit dessen Zustellung. Für die Ausführung der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gelten nach § 37 Abs. 1 StPO Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend.
2. Bei der Verpflichtung des Zustellers bei Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gemäß § 180 Satz 3 ZPO, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, handelt es sich um eine zwingende Zustellungsvorschrift im Sinne des § 189 ZPO mit der Folge, dass das Schriftstück bei einer Verletzung dieser Vorschrift erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt gilt.
LG Mannheim
Beschluss vom 7. Mai 2024
Tenor
- Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Weinheim vom 25. März 2024 aufgehoben.
- Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
1
Mit Strafbefehl vom 04.09.2023 verhängte das Amtsgericht Mannheim gegen den Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung die Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30,00 EUR und ordnete die Entziehung der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins des Beschwerdeführers sowie eine Fahrerlaubnissperre von acht Monaten an. Ausweislich der in den Akten befindlichen Zustellungsurkunde wurde ihm eine Abschrift des Strafbefehls am 12.12.2023 durch Einwurf in den zur Wohnung des Beschwerdeführers in F. gehörenden Briefkasten eingelegt.2
Mit am 15.01.2024 aus dem elektronischen Postverkehr beim Amtsgericht Weinheim eingegangen Schriftsatz legte der Verteidiger des Beschwerdeführers Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Auf Schreiben des Amtsgerichts, welches den Einspruch als verspätet ansah und Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Frage gewährte, ob die Einspruchsfrist schuldlos versäumt worden sei, trug der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 31.01.2024 unter anderem vor, dass er erst am 14.01.2024 tatsächliche Kenntnis von dem Strafbefehl erlangt habe. Er ist der Auffassung, dass es auf diesen Zeitpunkt ankomme, da auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung durch den Zusteller nicht vermerkt worden sei. Darin sei ein Verstoß gegen die zwingende Zustellungsvorschrift des § 180 Satz 3 ZPO zu sehen. Damit sei der Einspruch fristgerecht eingelegt worden. Fürsorglich beantragte er Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl. Mit am 01.02.2024 aus dem elektronischen Postverkehr beim Amtsgericht eingegangen Schriftsatz übermittele der Verteidiger ein Foto, welches einen Umschlag des Amtsgerichts Weinheim ohne Zustellungsdatum zeigt.3
Mit dem Verteidiger am 04.04.2024 zugestellten Beschluss vom 25.03.2024 wies das Amtsgericht den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet ab und verwarf den Einspruch als verspätet und damit unzulässig. Mit am 10.04.2024 aus dem elektronischen Postverkehr beim Amtsgericht eingegangen Schriftsatz legte der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 25.03.2024 ein. Mit Verfügung vom 16.04.2024 legte das Amtsgericht die sofortige Beschwerde dem Landgericht Mannheim über die Staatsanwaltschaft Mannheim zur Entscheidung vor, wo diese am 29.04.2024 einging.II.
4
Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet, weil der Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Strafbefehl vom 04.09.2023 am 15.01.2024 innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO beim Amtsgericht Weinheim eingegangen ist. Die Frist hat nämlich erst mit der tatsächlichen Kenntnisnahme durch den Beschwerdeführer am 14.01.2024 zu laufen begonnen, § 37 Abs. 1 StPO i. V. m. § 189 ZPO, da auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks kein Datum vermerkt worden ist. Die Frist endete daher nach § 43 Abs. 2 StPO erst am Montag, dem 22.01.2024.1.
5
Die nach § 43 StPO zu berechnende, zweiwöchige Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl beginnt ausweislich des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO mit dessen Zustellung. Für die Ausführung der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gelten nach § 37 Abs. 1 StPO Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Die hier erfolgte Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten regelt § 180 ZPO.6
Bei der Verpflichtung des Zustellers gemäß § 180 Satz 3 ZPO, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, handelt es sich um eine zwingende Zustellungsvorschrift im Sinne des § 189 ZPO mit der Folge, dass das Schriftstück bei einer Verletzung dieser Vorschrift erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt gilt (vergleiche hierzu BGH, Beschluss vom 22.08.2023 ‒ AnwZ (Brfg) 14/23 - Anschluss an BGH, Beschluss vom 29.07.2022 ‒ AnwZ (Brfg) 28/20, in Abkehr von der vormals gegenteiligen Auflassung in BGH, Beschluss vom 14.01.2019 ‒ AnwZ (Brfg) 59/17).7
Durch die Vorschrift wird der Nachteil ausgeglichen, der dem Zustellungsadressaten durch den Wegfall der körperlichen Übergabe entsteht. Dieser liegt darin, dass er den Zeitpunkt des Eingangs nicht kontrollieren kann. Damit stellt nicht nur die Einlegung in den Briefkasten, sondern auch der Vermerk des Datums auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks ein Surrogat für die körperliche Übergabe dar und ist somit als notwendiger Teil der Bekanntgabe anzusehen, was sich aus dem Zusammenspiel der Regelungen in § 180 ZPO und § 182 ZPO ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 22.08.2023 ‒ AnwZ (Brfg) 14/23): Gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist zum Nachweis der Zustellung nach den §§ 171 und 177 bis 181 ZPO eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen. Diese Beurkundung dient nur zum Nachweis der Zustellung und ist selbst kein notwendiger konstitutiver Bestandteil der Zustellung.Dadurch, dass die Pflicht, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, ausdrücklich in § 180 Satz 3 ZPO enthalten ist, welcher die Art und Weise der Ersatzzustellung regelt, wird deutlich, dass es sich dabei um einen Bestandteil der Ersatzzustellung und nicht lediglich um einen Vorgang der Beurkundung handeln soll. Dass dieser Bestandteil als wesentlich anzusehen ist, ergibt sich wiederum daraus, dass § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO gerade als Nachweis dafür, dass diese Pflicht erfüllt worden ist, die Bemerkung verlangt, dass der Tag der Zustellung auf dem Umschlag vermerkt worden ist (BGH, ebd.).8
Die Schutzwürdigkeit des Zustellungsadressaten erfordert die Einordnung des § 180 Satz 3 ZPO als zwingende Zustellungsvorschrift (vgl. BGH, Beschluss vom 22.08.2023 ‒ AnwZ (Brfg) 14/23, Rn. 21). Die förmliche Zustellung dient der Sicherung des Nachweises von Art und Zeit der Übergabe des Schriftstücks, weil sich an die Zustellung wichtige prozessuale Wirkungen knüpfen. Die Zustellungsvorschriften gewährleisten den Anspruch des Zustellungsadressaten auf rechtliches Gehör, indem sie sicherstellen, dass der Betroffene Kenntnis von dem zuzustellenden Dokument nehmen und seine Rechtsverteidigung darauf einrichten kann (BGH, ebd.).2.
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Der Beschwerdeführer hat auch den vollen Beweis erbracht, dass hier der Datumsvermerk auf dem Zustellungsumschlag gefehlt hat und damit die Beweiskraft der Zustellungsurkunde beseitigt.10
Der Beweis der Unrichtigkeit der Postzustellungsurkunde auf Blatt 24 der Akte in Bezug auf die darin enthaltene Erklärung, der Zusteller habe den Tag der Zustellung auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt, ist zulässig. Dies ergibt sich aus § 418 Abs. 2 ZPO, der hier nach § 37 Abs. 1 StPO, §§ 168 Abs. 1 Satz 2, 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 33 PostG Anwendung findet. Er wurde zur Überzeugung der Kammer durch den Vortrag des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Vorlage des Fotos, welches einen Umschlag des Amtsgerichts Weinheim ohne Zustellungsdatum zeigt, erbracht. Dort, wo der Beweisführer keine umfassende Kenntnis der Umstände haben kann, dürfen die Anforderungen an substanziierten Vortrag nicht überspannt werden (BGH, Urteil vom 31.5.2017 ‒ VIII ZR 224/16): Ist sein Vortrag schlüssig, so ist der im Wege des Freibeweises (BGH NJW-RR 20, 499) zu führende Gegenbeweis zu erheben; ob der vorgetragene Sachverhalt wahrscheinlich ist, gehört zur Beweiswürdigung (BGH, Versäumnisurteil vom 17. 02.2012 − V ZR 254/10). Anhaltspunkte dafür, dass das vorgelegte Foto nicht den Zustellungsumschlag des Strafbefehls vom 04.09.2023 zeigt, sind nicht ersichtlich.11
Ferner bestand auch kein Anlass zum Zweifel an dem Vortrag des Beschwerdeführers, wonach er erst am 14.01.2024 tatsächliche Kenntnis von dem oben genannten Strafbefehl erlangt habe.12
Mithin war der den Einspruch als unzulässig verwerfende amtsgerichtliche Beschluss aufzuheben.III.
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.