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  • 30.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242935

    Verwaltungsgerichtshof Bayern: Beschluss vom 25.03.2024 – 11 CS 23.1561

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Verwaltungsgerichtshof Bayern 

    Beschluss vom 25.03.2024


    Tenor:

    I.
    Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

    II.
    Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

    III.
    Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

    Gründe

    I.

    1
    Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der ihm am 12. September 2002 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen B, L und M.

    2
    Mit rechtskräftigem Urteil vom 31. Januar 2023 verurteilte das Amtsgericht Regensburg den Antragsteller wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller am 17. Mai 2022 gegen 16.15 Uhr auf einer öffentlichen Straße mit seinem Kraftrad dicht neben den Pkw seines Nachbarn fuhr, mit der Faust mehrfach stark gegen die Fahrerscheibe klopfte und dann gegen die Fahrertür des Pkws und anschließend gegen dessen Heck fuhr und dadurch einen Sachschaden von rund 1.600,- EUR verursachte. Außerdem hatte der Antragsteller diesen Nachbarn am 8. Mai 2022 gegen 9.35 Uhr im Bereich von dessen Wohnanwesen zu Boden gestoßen, als dieser versuchte, vor ihm wegzulaufen. Durch den Sturz zog sich der Nachbar eine rechtsseitige Rippen- und Hüftprellung sowie eine Ellbogenprellung und eine Schürfwunde am rechten Knie zu.

    3
    Daraufhin forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 23. März 2023 auf, bis zum 23. Mai 2023 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, weil die Straftaten Anlass zu Zweifeln an seiner Fahreignung gegeben hätten. Sie zeigten ein hohes Aggressionspotential, eine Neigung zu Rohheit und impulsiver Durchsetzung eigener Interessen.

    4
    Hiergegen ließ der Antragsteller mit Schreiben seines Bevollmächtigten einwenden, dass die Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG der Anforderung eines Fahreignungsgutachtens entgegenstehe und die Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung erfolgt sei. Mangels Vorsatz bestehe kein Raum für die Annahme eines Aggressionsdelikts.

    5
    Mit auf § 11 Abs. 8 FeV gestütztem Bescheid vom 15. Juni 2023 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis, gab ihm unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids abzugeben und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.

    6
    Am 22. Juni 2023 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage erheben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen.

    7
    Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. August 2023 als unbegründet ab, weil die Klage voraussichtlich keinen Erfolg habe. Der Entziehungsbescheid sei rechtmäßig, weil der Antragsteller einer rechtmäßigen Gutachtensanordnung der Fahrerlaubnisbehörde nicht nachgekommen sei. Deren Rechtsgrundlage sei § 11 Abs. 3 Nr. 7 Alt. 2 FeV, wonach bei im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehenden Straftaten die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert werden könne, wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestünden. Solche Straftaten lägen hier vor. Der Antragsteller habe in deren Ausführung auch ein besonderes Aggressionspotenzial dokumentiert. Die Taten zeigten, dass er nicht davor zurückschrecke, private Meinungsverschiedenheiten auch im öffentlichen Straßenverkehr in besonders gefahrgeneigten Situationen mit nicht absehbaren Risiken für andere Verkehrsteilnehmer auszutragen und dabei Kraftfahrzeuge als Mittel bzw. Waffe einzusetzen. Unerheblich sei, dass die Körperverletzung vom 8. Mai 2022 nach den insoweit bindenden Feststellungen des Strafgerichts fahrlässig erfolgt sei. Für das vorhandene Aggressionspotenzial sei maßgeblich, dass der Antragsteller - ungeachtet der Vorsatzform - einen anderen auf der Flucht von hinten zu Boden gestoßen habe. Allein die (wenn auch wohl spontane) Tat vom 17. Mai 2022 zeige ein im Straßenverkehr äußerst gefährliches und aggressives Verhalten. Die Antragsgegnerin habe fehlerfrei und ermessensgerecht entschieden und die Gründe im Bescheid näher ausgeführt. Nachdem der Antragsteller das Gutachten nicht beigebracht habe, habe die Antragsgegnerin auf seine Nichteignung schließen und ihm die Fahrerlaubnis entziehen dürfen. Die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins stütze sich auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV.

    8
    Mit seiner Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, macht der Antragsteller geltend, die Beibringungsanordnung sei wegen der Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG rechtswidrig gewesen. Dahinstehen könne, ob sie in Anbetracht der Rechtsprechung nach § 11 Abs. 3 Nr. 7 FeV möglich sei, wobei es sich bei der Körperverletzung um ein Fahrlässigkeitsdelikt gehandelt habe, das per se nicht auf ein hohes Aggressionspotential schließen lasse. Im Strafurteil vom 31. Januar 2023 werde jedenfalls konkludent festgestellt, dass von der Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen sei und es bei einem Fahrverbot von vier Monaten bleiben könne. Das Amtsgericht habe sich auch intensiv mit der Fahreignung des Antragstellers beschäftigt. Nach Ziffer IV. des Urteils ist ihm wegen der Verurteilung gemäß § 44 StGB für die Dauer von vier Monaten das Führen von Kraftfahrzeugen verboten. Bei dem Textbaustein unter Ziffer II. des Urteils ("Durch die Tat hat sich der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.") handle es sich in Anbetracht des Fahrverbots im Tenor und der Ziffer IV. des Urteils eindeutig um ein Redaktionsversehen. Damit habe das Strafgericht aufgrund einer - wenn auch nur knappen - Beurteilung der Eignungsfrage von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen. Die Urteilsgründe ließen keinen Raum für die Annahme, es habe von einer eigenständigen Bewertung der Kraftfahreignung abgesehen und diese Frage letztlich offenlassen wollen. Es gebe auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Strafgericht aufgrund anderer Umstände von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen oder lediglich an der Ungeeignetheit gezweifelt habe. Auch die Auslegung, es habe nur das Vorliegen eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 StGB verneint, sodass eine umfassende Prüfung der Kraftfahreignung nach § 69 Abs. 1 StGB geboten sei, komme nach dem Wortlaut der Urteilsgründe nicht in Betracht. Vielmehr folge aus der knappen, aber klaren Begründung, dass der Fahreignung nichts entgegenstehe und es bei dem Fahrverbot von vier Monaten bleiben könne. Dass die Fahreignung im Urteil nicht positiv festgestellt worden sei, rechtfertige keine andere Einschätzung. Eine Unterscheidung zwischen positiver Feststellung der Eignung und Verneinung der Ungeeignetheit sei jedenfalls im Entziehungsverfahren rechtlich ohne Belang. Liege keine Ungeeignetheit vor, müsse der Kraftfahrer im Rechtssinn als (weiterhin) geeignet angesehen werden. Dies werde durch das sich nicht in Behördenakten befindliche Protokoll der Hauptverhandlung vom 31. Januar 2023 gestützt. Daraus, dass der Staatsanwalt die Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt habe und der Verteidiger, es bei einem Fahrverbot von zwei Monaten zu belassen, werde ersichtlich, dass sich das Strafgericht eingehend mit der Entziehung der Fahrerlaubnis beschäftigt habe und zu dem Schluss gekommen sei, es könne bei einem Fahrverbot bleiben und die Fahrerlaubnis sei gerade nicht zu entziehen. Eine dienstliche Stellungnahme des erkennenden Strafrichters werde noch nachgereicht. Die Fahrerlaubnisbehörde sei auch nicht von einem umfassenderen Sachverhalt als das Strafgericht ausgegangen. Die strafrechtlich abgeurteilten Taten entsprächen den in der Beibringungsanordnung aufgeführten Vorfällen. Die Bindungswirkung (§ 3 Abs. 4 Satz 1 StVG) setze voraus, dass der gleiche Sachverhalt, d.h. die Tat im Sinne des Strafverfahrensrechts, Gegenstand der verschiedenen Verfahren sei, was hier der Fall sei. Der Strafrichter habe zwar nur die konkreten Taten abzuurteilen, treffe seine Entscheidung jedoch unter Würdigung der Persönlichkeit des Täters. Daher habe er hier sämtliche Zuwiderhandlungen des Antragstellers in dem gleichen umfassenden Maße wie die Verwaltungsbehörde gewürdigt, so dass die Bindungswirkung nicht ausgeschlossen sei. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, ob das Strafgericht zu Recht von einer Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB abgesehen habe. Die Bindungswirkung entfalle schließlich auch nicht deshalb, weil die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV verpflichtend sei. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG gehe als formelles Gesetz der FeV vor. Die Fahrerlaubnisbehörde habe die abgeurteilten Taten aus dem Strafurteil daher nicht zum Anlass für die Beibringungsanordnung nehmen dürfen. Damit sei der Schluss auf eine fehlende Fahreignung gemäß § 11 Abs. 8 FeV unzulässig.

    9
    Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

    II.

    10
    Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

    11
    Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

    12
    Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV, BGBl I S. 1980), beide zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2023 (BGBl 2023 I Nr. 56), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 Abs. 1 und 2 FeV angeordnet werden bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 - BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19). Dies ist hier der Fall.

    13
    Die Beschwerde gründet sich ausschließlich auf die Bindungswirkung des Strafurteils vom 31. Januar 2023. Streitig ist, ob das Strafgericht die Fahreignung des Antragstellers beurteilt hat und die Antragsgegnerin deshalb an diese Beurteilung gebunden ist.

    14
    Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG kann die Fahrerlaubnisbehörde - will sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist - zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Dabei gilt die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete Bindungswirkung nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren unter Einschluss der vorbereitenden Maßnahmen, sodass in derartigen Fällen die Behörde schon die Beibringung eines Gutachtens nicht anordnen darf (BayVGH, U.v. 17.4.2023 - 11 BV 22.1234 - BayVBl. 2023, 667 Rn. 28; B.v. 28.1.2022 - 11 CS 21.2171 - juris Rn. 13). Allerdings ist die Verwaltungsbehörde an die strafgerichtliche Entscheidung nach Maßgabe des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG grundsätzlich nur dann gebunden, wenn der Strafrichter im Rahmen des § 69 StGB die Fahreignung zu beurteilen hatte und nachprüfbar tatsächlich auch beurteilt hat (BVerwG, U.v. 27.9.1995 - 11 C 34.94 - BVerwGE 99, 249 = juris Rn. 12). So tritt eine Bindungswirkung nicht ein, wenn das Strafurteil keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder in den schriftlichen Gründen unklar bleibt, ob das Gericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat (vgl. BVerwG, U.v. 15.7.1988 - 7 C 46.87 - BVerwGE 80, 43 = juris Rn. 10 ff.; B.v. 11.10.1989 - 7 B 150.89 - juris Rn. 2; B.v. 1.4.1993 - 11 B 82.92 - Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 89 = juris Rn. 3; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 3 StVG Rn. 59 m.w.N.). Um den Eintritt einer Bindung überprüfen zu können, verpflichtet § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO den Strafrichter zu einer besonderen Begründung, wenn er im Urteil von der Entziehung der Fahrerlaubnis absieht, obwohl sie nach der Art der Straftat in Betracht gekommen wäre. Dies gilt auch, wenn das Gericht - wie hier - von der Möglichkeit, die Gründe gemäß § 267 Abs. 4 StPO abzukürzen, Gebrauch macht (BayVGH, B.v. 21.3.2021 - 11 CS 20.2867 - juris Rn. 24; B.v. 8.1.2015 - 11 CS 14.2389 - SVR 215, 232 = juris Rn. 15). Fehlt es an der besonderen Begründung, entfällt die Bindung nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG, da die strafgerichtliche Entscheidung in solchen Fällen die erforderliche Eindeutigkeit und Bestimmtheit vermissen lässt (BayVGH, B.v. 7.8.2008 - 11 CS 08.1854 - BayVBl 2009, 111 = juris Rn. 40). Verhängt ein Strafgericht anstelle einer in Betracht kommenden Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) ein Fahrverbot (§ 44 StGB) oder sieht es trotz Antrags der Staatsanwaltschaft davon ab, die Fahrerlaubnis zu entziehen, ist dies regelmäßig nicht schon für sich genommen Ausdruck einer stillschweigenden Prüfung und Bejahung der Fahreignung (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2015 a.a.O.; B.v. 7.8.2008 a.a.O.; OVG NW, B.v. 19.3.2015 - 16 B 55/15 - Blutalkohol 52, 284 = juris Rn. 8). Ebenso wenig tritt die Bindungswirkung ein, wenn die gerichtliche Entscheidung in sich widersprüchlich ist, weil der Angeklagte als fahrungeeignet bezeichnet wird, von einer Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB aber ohne Begründung abgesehen wird (vgl. Dauer a.a.O. Rn. 59; Pießkalla, NZV 2022, 379/382; NdsOVG, B.v. 14.9.2015 - 12 ME 102/15 - DAR 2016, 100 Rn. 12; B.v. 15.8.1995 - 12 M 5004/95 - zfs 1995, 438 = juris Ls. 2).

    15
    Nach diesen Maßgaben hat das Strafurteil vom 31. Januar 2023 keine Bindungswirkung gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde entfaltet. Lässt man die strafrichterliche Feststellung beiseite, der Antragsteller habe sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, weil man sie mit der Beschwerde für ein Redaktionsversehen hält, fehlt es an einer eindeutigen und bestimmten und durch § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO gebotenen Eignungsbeurteilung durch den Strafrichter. Ohne diese Feststellung beschränken sich die Urteilsgründe auf die Verhängung eines Fahrverbots, ohne mit einem Wort darauf einzugehen, dass und weshalb der Strafrichter von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen hat. Ob er die Fahreignung geprüft hat, ist dann völlig unklar. Eine konkludente Bejahung der Fahreignung ist entgegen der Auffassung des Antragstellers daraus nicht abzuleiten. Sie würde im Übrigen - wie ausgeführt - nicht den Anforderungen an eine die Bindungswirkung auslösende Eignungsprüfung genügen. Dadurch würde letztlich eine ordnungsgemäße Anwendung des § 69 Abs. 1 StGB unterstellt. Aus dem vom Antragsteller angeführten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 3. Mai 2010 (ZfSch 2010, 415 = juris Rn. 3 f.) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der Gerichtshof betont vielmehr, dass die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden sei, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruhe. Die Bindungswirkung lasse sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen könne, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt habe. In dem dort beurteilten Fall hatte das Strafgericht ausdrücklich begründet, weshalb von der Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen war (vgl. VGH BW, B.v. 3.5.2010 a.a.O. juris Rn. 4).

    16
    Handelt es sich bei der strafrichterlichen Feststellung fehlender Fahreignung hingegen um kein Redaktionsversehen, wovon mangels eindeutiger Anhaltspunkte auszugehen sein dürfte, wäre dem Antragsteller die Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB mit dem Strafurteil zu entziehen gewesen, wie noch im vorangegangenen Strafbefehl vorgesehen. Da das Urteil hierzu keinerlei Ausführungen enthält, liegt zwischen den tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen ein nicht auflösbarer Widerspruch, mit der Folge, dass eine Bindungswirkung gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG ebenfalls zu verneinen ist.

    17
    Die Antragsgegnerin durfte daher den abgeurteilten vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und die Sachbeschädigung vom 17. Mai 2022 und die fahrlässige Körperverletzung vom 8. Mai 2022 zum Anlass für eine Beibringungsanordnung nehmen.

    18
    Doch auch, wenn man davon ausginge, dass das Strafurteil wegen der vom Wortlaut her eindeutigen Feststellung fehlender Fahreignung Bindungswirkung gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde entfaltet, würde dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Denn dann hätte die Antragsgegnerin die Entziehung der Fahrerlaubnis ohne gutachterliche Eignungsprüfung und ohne Rückgriff auf die Beweisregel des § 11 Abs. 8 FeV (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2023 - 11 CS 23.273 - Blutalkohol 60, 427 Rn. 26 m.w.N.) auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV stützen können und müssen. Da es sich bei der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen feststehenden Fehlens der Fahreignung um eine gebundene Entscheidung handelt, würde sich der Umstand, dass die Beibringungsanordnung dann wegen § 11 Abs. 7 FeV nicht veranlasst und damit rechtswidrig gewesen wäre, nicht weiter auswirken. Die fehlerhafte rechtliche Begründung einer gebundenen Entscheidung macht diese nicht rechtswidrig (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auf. 2023, § 45 Rn. 46). Eine Auswechslung der Begründung bzw. der Rechtsgrundlagen ist grundsätzlich zulässig. Sie würde die Entziehung der Fahrerlaubnis weder in ihrem Regelungsumfang oder Wesensgehalt verändern noch die Rechtsverteidigung des Antragstellers in nicht zulässiger Weise beeinträchtigen oder erschweren (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2007 - 11 CS 06.2228 - juris Rn. 49).

    19
    Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

    20
    Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

    21
    Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

    RechtsgebietStVGVorschriften§ 3 Abs. 4 S. 1 StVG