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  • 06.11.2015 · IWW-Abrufnummer 145661

    Landgericht Dresden: Beschluss vom 11.09.2015 – 5 Qs 89/15

    Eine Wiedereinsetzung setzt auch im Bußgeldverfahren voraus, dass zur Entschuldigung geeignete Tatsachen geltend und glaubhaft gemacht werden, die das Amtsgericht bei der Verwerfung des Einspruchs nicht gewürdigt hat. Es kann nicht Wiedereinsetzung mit der gleichen Tatsachenbehauptung beantragt werden, mit der der Betroffene sein Nichterscheinen schon zuvor entschuldigt hatte und die das Gericht bei seiner Entscheidung bereits würdigen konnte. Die aus Sicht des Beschwerdeführers fehlerhafte Würdigung derartiger bekannter Tatsachen kann - wie vorliegend parallel erfolgt - nur mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden. Ergänzender Vortrag ist aber zulässig.


    Aktenzeichen: 5 Qs 89/15

    BESCHLUSS

    In dem Bußgeldverfahren
    gegen pp.

    Verteidiger:
    Rechtsanwalt Christian Schneider, Zimmerstraße 3, 04109 Leipzig
    wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

    ergeht am 11.09.2015

    durch das Landgericht Dresden - 5. Große Strafkammer als Kammer für Bußgeldsachen -
    nachfolgende Entscheidung:

    1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.07.2015 (218 OWi 706 Js 22725/14) aufgehoben.

    2. Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung des Termins zur Hauptverhandlung am 27.01.2015 gewährt.

    3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

    Gründe

    I.

    1. a) Die Landeshauptstadt Dresden hat mit Bußgeldbescheid vom 20.02.2014 (Az. 599902504973) gegen den Beschwerdeführer wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 29 km/h auf der Fahrt über die Waldschlößchenbrücke am 02.10.2013 eine Geldbuße i.H.v. 100,00 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet.

    Auf seinen fristgerechten Einspruch hat das Amtsgericht Dresden Termin zur Hauptverhandlung zunächst auf den 28.11.2014 bestimmt. Auf Antrag des Beschwerdeführers wurde durch das Amtsgericht mit Verfügung vom 28.11.2014 neuer Termin zur Hauptverhandlung auf den 27.01.2015, 11.30 Uhr, bestimmt. Diese Ladung ist dem Beschwerdeführer am 29.11.2014 durch förmliche Zustellung zugegangen. Mit Anwalts-Fax-Schreiben vom 26.01.2015, eingegangen beim Amtsgericht Dresden am 26.01.2015, 16.52 Uhr, hat der Betroffene beantragt, den Hauptverhandlungstermin vom 27.01.2015 zu verlegen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Betroffene seit 23.01.2015 bis voraussichtlich einschließlich 30.01.2015 arbeitsunfähig erkrankt sei und Reise- und Verhandlungsunfähigkeit vorliege. Aus der beigefügten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 23.01.2015 gehe der Diagnoseschlüssel J20.9 V hervor, der den Verdacht auf eine akute Bronchitis bezeichne. Für Nachfragen wurden die Personaldaten einschließlich der Telefonnummer des behandelnden Arztes angegeben sowie mitgeteilt, dass in der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zugleich die Entbindung des attestierenden Arztes von der Schweigepflicht liege.

    Eine telefonische Kontaktaufnahme mit dem Arzt gelang trotz mehrfacher Versuche des Amtsrichters vor Beginn der Hauptverhandlung nicht.

    b) Zum Hauptverhandlungstermin am 27.01.2015 erschien weder der Betroffene noch sein Verteidiger. Daraufhin verwarf das Amtsgericht Dresden mit Urteil vom selben Tag den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 20.02.2014 gemäß § 74 Absatz 2 OWiG. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die vorgebrachte Tatsache, dass der Betroffene arbeitsunfähig erkrankt sei, keine ausreichende Entschuldigung darstelle, weil keine Feststellungen zu seiner Reise- oder Verhandlungsfähigkeit getroffen werden konnten. Die Tatsache, dass er am 23.01.2015 von seinem Wohnsitz aus den Arzt habe aufsuchen können, lasse eher darauf schließen, dass er auch zur Hauptverhandlung hätte erscheinen können.

    2. Der Betroffene hat durch Verteidigerschriftsatz vom 06.02.2015, per Fax eingegangen am selben Tage, gegen das Urteil Rechtsbeschwerde eingelegt. Außerdem hat er in einem weiteren Verteidigerschriftsatz vom 06.02.2015, per Fax ebenfalls eingegangen am selben Tage, beantragt, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Hauptverhandlung zu gewähren. Dieser Wiedereinsetzungsantrag wurde durch Verteidigerschriftsatz vom 12.02.2015 durch Vorlage eines Originals einer Bescheinigung des behandelnden Arztes vom 05.02.2015 ergänzt. Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung führt der Verteidiger aus, dass der Betroffene in der Zeit vom 23. bis 30.01.2015 wegen akuter Bronchitis arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Zudem sei er, was sich aus der ärztlichen Bescheinigung vom 05.02.2015 des attestierenden Arztes ergebe, in der 5. Kalenderwoche 2015 aus ärztlicher Sicht nicht reisefähig gewesen.

    Das Amtsgericht Dresden hat mit Beschluss vom 16.07.2015 den Antrag auf Wiedereinsetzung als unbegründet verworfen. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, dass nicht dargelegt sei, welchen tatsächlichen Gesundheitszustand der Betroffene zum Zeitpunkt des Termins zur Hauptverhandlung am 27.01.2015 hatte, insbesondere, inwieweit mögliche Medikamente positive Auswirkung haben konnten. Es läge ein fehlender Nachweis für den Zeitpunkt des Termins zur Hauptverhandlung vor, welcher auch nicht dadurch erbracht sei, dass der behandelnde Arzt mit Attest vom 05.02.2015 ohne Angabe überprüfbarer oder nachvollziehbarer Tatsachen angebe, dass der Betroffene aus seiner Sicht in der 5. Kalenderwoche nicht reisefähig gewesen sei. Gegen die Reiseunfähigkeit spreche gerade die Tatsache, dass sich der Betroffene außerhalb seines Wohnortes in Dresden aufhalten und dort einen Arzt aufsuchen konnte. Insofern lägen dem Gericht nach wie vor keine konkreten nachvollziehbaren Tatsachen vor, die darauf schließen lassen, dass der Betroffene tatsächlich entschuldigt war.

    3. Gegen diesen, dem Verteidiger am 23.07,2015 zugestellten Beschluss hat der Betroffene mit Eingang vom 24.07.2015 sofortige Beschwerde eingelegt. Diese begründet er im Wesentlichen damit, dass die Bescheinigung vom 05.02.2015 die Nichtreisefähigkeit des Betroffenen in der 5. Kalenderwoche 2015 belege. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Woche davor am 23.01.2015 (Freitag der 4. Kalenderwoche) in Dresden bei seinem Arzt vorstellig gewesen sei, widerlege die Reiseunfähigkeit in der darauffolgenden Woche nicht. Es sei vielmehr der Normalfall, dass sich ein Patient nach Aufsuchen des Arztes in der Praxis nach verordneter Bettruhe erst einmal nach Hause begebe. Im Übrigen habe er, so der Verteidiger, dem Betroffenen mitgeteilt, die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genüge zur Entschuldigung bei Gericht. Hierauf habe sich dieser verlassen.

    II.
    Die nach §§ 46 Abs. 3, 311 StPO i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 74 Abs. 4 Satz 1 OWiG statthafte und im Übrigen zulässig eingelegte sofortige Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss der beantragten Wiedereinsetzung ist erfolgreich.

    1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht deshalb unzulässig, weil hier dem Gericht bereits bekannte Tatsachen bloß wiederholt würden. Eine Wiedereinsetzung setzt allerdings auch im Bußgeldverfahren voraus, dass zur Entschuldigung geeignete Tatsachen geltend und glaubhaft gemacht werden, die das Amtsgericht bei der Verwerfung des Einspruchs nicht gewürdigt hat (Beschluss der Kammer vom 31.03.2009 - 5 Qs 46/08 -, Juris; für das Strafverfahren allg. Meinung, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 329, Rdnr. 42 m.w.N.). Es kann nicht Wiedereinsetzung mit der gleichen Tatsachenbehauptung beantragt werden, mit der der Betroffene sein Nichterscheinen schon zuvor entschuldigt hatte und die das Gericht bei seiner Entscheidung bereits würdigen konnte. Die aus Sicht des Beschwerdeführers fehlerhafte Würdigung derartiger bekannter Tatsachen kann - wie vorliegend parallel erfolgt - nur mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden.

    Der Wiedereinsetzungsantrag wiederholt zwar auch die dem Amtsgericht schon bereits bekannten behaupteten Tatsachen der Erkrankung an Bronchitis und die behauptete Reiseunfähigkeit zum Hauptverhandlungstag. Dabei trägt er allerdings ergänzend vor, dass dem Betroffenen vom Arzt dringend die Rückkehr nach Hause und das Einhalten einwöchiger Bettruhe empfohlen worden war. Zudem wird die Behauptung der Reiseunfähigkeit nunmehr (erstmals) unterlegt durch die entsprechende ärztliche Bescheinigung. Dabei kann zwar ein Wiedereinsetzungsgesuch, welches keine Tatsachen enthält, die das Gericht bereits gewürdigt hat, nach verbreiteter Ansicht nicht dadurch zulässig werden, dass neue Beweismittel vorgelegt werden (OLG Koblenz, VRS 64, 211 f.). Unabhängig davon, ob das Wiedereinsetzungsgesuch deswegen zulässig ist, weil das Amtsgericht sich mit der Entschuldigung einer Reiseunfähigkeit gerade nicht auseinandergesetzt hat bzw. nicht auseinandersetzen konnte (weil der behandelnde Arzt für Nachfragen nicht rechtzeitig erreichbar war), trägt der Beschwerdeführer nunmehr ergänzend aber auch vor, ihm sei eine Woche Bettruhe empfohlen worden und macht dies durch die Bescheinigung des Arztes, dass Reiseunfähigkeit gegeben war, glaubhaft. Insofern handelt es sich um neuen, wenn auch mit dem früheren Vorbringen im Zusammenhang stehenden Tatsachenvortrag, der deswegen, weil er vom Erstgericht im Verwerfungsurteil gar nicht gewürdigt werden konnte, im Wiedereinsetzungsverfahren vorgebracht werden kann (OLG Düsseldorf, wistra 1996, 158 f.).

    2. Der Betroffene ist aufgrund vorliegender Reiseunfähigkeit am Tattag der Hauptverhandlung am 27.01.2015 aufgrund der seit 23.01.2015 diagnostizierten Erkrankung einer Bronchitis ohne eigenes Verschulden gehindert gewesen, an der Hauptverhandlung am 27.01.2015 teilzunehmen. Diese durch ärztliche Bescheinigung vom 05.02.2015 für die gesamte 5. Kalenderwoche 2015 glaubhaft gemachte Reiseunfähigkeit in Verbindung mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 23.01.2015 mit der Diagnose Bronchitis genügt für die Entschuldigung des Nichterscheinens. Die Vermutung des Amtsgerichts, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführer durch die positive Auswirkung einer Einnahme von Medikamenten sich gebessert haben könnte, entbehrt ebenso einer sachlichen Grundlage wie die Annahme, dass die Rückfahrt vom Arzt belege, dass der Beschwerdeführer trotz der Erkrankung doch reisefähig war. Denn es liegt auf der Hand, dass der krankgeschriebene Beschwerdeführer vom Arzt in Dresden zurück nach Hause fahren musste, um dort die verordnete Bettruhe einzuhalten. Angesichts des glaubhaft gemachten ärztlichen Rates war das Fernbleiben vom Gerichtstermin auch dann entschuldigt, wenn bei einer gerichtlichen Abwägung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit den Pflichten eines geladenen Verfahrensbeteiligten die Wahrnehmung des Gerichtstermins (im Ergebnis wohl: fernliegend) zumutbar gewesen wäre. Insoweit bedarf es keiner Entscheidung, ob die ärztliche Attestierung von Reiseunfähigkeit der weiteren Substantiierung durch Einzelheiten der gesundheitlichen Beeinträchtigungen ebenso bedarf wie bei der Einschätzung von Verhandlungsunfähigkeit, bei der es sich um einen (reinen) Rechtsbegriff handelt.

    Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Da der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde erfolgreich war, hat die Staatskasse sowohl die Kosten des Verfahrens als auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.