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  • 12.07.2016 · IWW-Abrufnummer 187144

    Verwaltungsgericht Düsseldorf: Urteil vom 21.06.2016 – 14 K 6661/15

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Verwaltungsgericht Düsseldorf

    14 K 6661/15

    Tenor:

    Der Bescheid der Beklagten vom 31. August 2015 wird aufgehoben.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils beizutreibenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

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    2

    Tatbestand:

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    Der am 00.00.1978 geborene Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Kosten für das Abschleppen und Verwahren seines Kraftfahrzeugs.

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    Der Kläger ist Halter des Kraftfahrzeugs VW H. , letztes amtliches Kennzeichen XX-XX 0000, FIN XXXXXX0XX0X000000, das noch angemeldet ist. Dieses Fahrzeug wurde von Amts wegen außer Betrieb gesetzt, nachdem der Kläger den Haftpflichtversicherungsschutz verloren hatte. Beamte der Polizeiinspektion E. -T. entfernten daraufhin am Freitag, dem 14. August 2015 um 11:00 Uhr die Dienstsiegel von den Nummernschildern des im D. Weg in E. -X. auf dem Seitenstreifen geparkten Fahrzeugs. Zugleich brachten sie einen Aufkleber an, mit dem sie den Verfügungsberechtigten aufforderten, das Fahrzeug spätestens bis zum 19. August 2015 aus dem öffentlichen Straßenraum zu entfernen. Andernfalls werde das Fahrzeug auf seine Kosten beseitigt. Auf der Meldung ist angekreuzt: „mit Verkehrsbehinderung“. Handschriftlich ist ergänzt: „Parkverhinderung, Parkplatzmangel“.

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    Da das Fahrzeug bis Mittwoch, dem 19. August 2015, nicht entfernt wurde, ließ die Beklagte es am Dienstag, dem 25. August 2015 durch ein privates Unternehmen abschleppen und verwahrt es seitdem. Das beauftragte Unternehmen stellte der Beklagten hierfür einen Betrag von 77,35 Euro brutto in Rechnung.

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    Mit zwei Schreiben vom 26. August 2015 an das Polizeipräsidium E. und die Straßenverkehrsbehörde I. erfragte die Beklagte mit einfacher Briefpost die letztbekannte Anschrift des Halters. Das Polizeipräsidium E. teilte am 4. September 2015 als Anschrift des Klägers „O. 00, 00000 I. “ mit. Die Straßenverkehrsbehörde I. teilte mit Schreiben vom 1. September 2015 mit, dass der Kläger von dieser Anschrift unbekannt verzogen sei.

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    Am 31. August 2015 wandte sich der Kläger per Fax an die Beklagte, ohne vorher seitens der Beklagten informiert worden zu sein und formulierte zahlreiche Fragen und Anmerkungen zum Abschleppvorgang. In der Betreffzeile dieses Schreibens bezeichnet sich der Kläger als Fahrzeughalter. Im Briefkopf und über dem Adressfeld wird „N. V. N1. “ als Absender genannt; auch die Unterschrift ist mit diesem Namen ausgewiesen. Am Ende des Schreibens fordert der Kläger die Beklagte auf, weiteren Schriftverkehr an die Adresse „N. V. N1. , c/o M. N1. , L. Landstraße 000, 00000 E. “ zu senden. Im Briefkopf ist hingegen die Anschrift O. 00, 00000 I. genannt, während über dem Adressfeld wiederum die Anschrift in E. zu finden ist. Einen Hinweis auf einen „N. N1. “ (ohne den zweiten Vornamen V. ) enthält das Schreiben nicht.

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    Am 31. August 2015 erließ die Beklagte den angegriffenen Leistungsbescheid, mit dem sie Auslagen für die Sicherstellung in Höhe von 77,35 Euro und Verwaltungsgebühren in Höhe von 80,00 Euro (Abschleppen) bzw. 17,50 Euro (Verwahrung vom 25. bis zum 31. August 2015) geltend macht. Der festgesetzte Gesamtbetrag beläuft sich auf 174,85 Euro. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass das entstempelte Fahrzeug eine Störung der öffentlichen Sicherheit darstelle, da es straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften zuwider weiterhin im öffentlichen Straßenraum abgestellt sei. Aufgrund des erheblichen innerstädtischen Parkdrucks sei der Verkehr dadurch erschwert.

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    Der Bescheid wurde dem Kläger unter der von ihm angegebenen Anschrift „N. N1. , L. Landstr. 000 c/o M. N1. , 00000 E. “ am 3. September 2015 durch Einlegen in den dortigen Wohnungsbriefkasten zugestellt. Eine von der Beklagten durchgeführte Abfrage im behördlichen Meldeportal brachte nur einen Datensatz zu einem „N. V. N1. “ hervor.

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    Der Kläger hat am 2. Oktober 2015 Klage erhoben.

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    Zur Begründung führt er aus, nicht der im Bescheid genannte „N. N1. “, sondern „N. V. N1. “, der als Prozessbevollmächtigter im Klagerubrum genannt ist, sei Halter des Fahrzeugs und somit richtiger Adressat des Leistungsbescheids.

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    Der Kläger beantragt sinngemäß schriftsätzlich,

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    den Leistungsbescheid der Beklagten vom 31. August 2015 aufzuheben.

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    Die Beklagte beantragt,

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    die Klage abzuweisen.

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    Unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des angegriffenen Bescheids trägt sie weiter vor, den Bescheid an die vom Kläger in seinem Schreiben vom 31. August 2015 genannte Anschrift zugestellt zu haben. Ergänzend führt sie nach Erhalt des gerichtlichen Hinweises vom 17. Dezember 2015, mit dem angeregt wurde, den angegriffenen Bescheid aufzuheben, folgendes aus: Die Ordnungsbehörde hätte den Halter nicht in angemessener Zeit ermitteln können, da hier aufgrund der auswärtigen Zulassungsbehörde und den entstempelten Kennzeichen nur über eine schriftliche Anfrage an das Kraftfahrtbundesamt Informationen zum letzten Halter der auswärtigen Kennzeichen zu erhalten gewesen wären. Dies hätte erfahrungsgemäß etwa drei Wochen gedauert. Es sei im allgemeinen unsicher, ob die ungültigen Kennzeichen tatsächlich jemals dem vorgefundenen Fahrzeug zugeordnet gewesen seien. Auch sei es erfahrungsgemäß höchst zweifelhaft, ob der letzte Halter unter der im Fahrzeugregister hinterlegten Anschrift überhaupt noch erreichbar ist. Selbst wenn der letzte Halter erreicht werden könnte, stehe damit noch kein Verantwortlicher für die Beseitigung der Gefahr fest. Es sei generell als auch bezogen auf den konkreten Fall notwendig, die vom Abstellen eines nicht zugelassenen Fahrzeugs im öffentlichen Straßenraum ausgehende gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit sofort zu beseitigen, indem das Fahrzeug sichergestellt wird. Die Durchführung eines gestreckten Verfahrens sei bei sachgerechter Prognosestellung mangels ermittelbaren Störers nicht möglich.

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    Auch sei die negative Vorbildwirkung zu berücksichtigen sowie der Umstand, dass solche Autos aufgrund ihres optischen Erscheinungsbildes und der offensichtlichen Verwahrlosung als störend wahrgenommen würden. Auch schwäche es das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat, wenn eine festgestellte Störung nach Ablauf der Beseitigungsfrist auf dem Aufkleber für jedermann erkennbar wochenlang nicht beseitigt werde.

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    Der in den Schriftsätzen als „Bevollmächtigte“ genannte N. V. N1. hat trotz der ausdrücklichen gerichtlichen Aufforderung vom 20. Oktober 2015 mit Fristsetzung von 4 Wochen keine Prozessvollmacht vorgelegt.

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    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

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    Entscheidungsgründe:

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    Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2016 verhandeln und entscheiden, weil der Kläger auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 VwGO.

    22

    Die Kammer konnte gemäß § 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch die Vorsitzende als Einzelrichterin entscheiden, da ihr der Rechtsstreit durch Kammerbeschluss vom 15. Dezember 2015 zur Entscheidung übertragen worden ist.

    23

    Das Klagerubrum, das einen „N. N1. “ mit Wohnsitz in I. als Kläger und einen „N. V. N1. “ mit Wohnsitz in E. als dessen Prozessbevollmächtigten ausweist, war von Amts wegen zu berichtigen. In entsprechender Anwendung des § 118 VwGO kann das Gericht auch Falschbezeichnungen von Beteiligten korrigieren.

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    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. August 1981 – 4 B 77.81 –, Rn. 4, juris.

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    Nach dem Rechtsgedanken des § 88 VwGO, demzufolge das Gericht nicht an die Formulierung der Anträge, sondern nur an das Rechtsschutzbegehren gebunden ist, war die Klage dahingehend auszulegen, dass sie von N. V. N1. erhoben wird. Dies entspricht dem wohlverstandenen Rechtsschutzinteresse des Klägers, denn nur diese Klage ist zulässig. Ein „N. N1. “, so diese Person überhaupt existiert, wäre nämlich nicht klagebefugt. Nach § 42 Abs. 2 VwGO kann die Anfechtungsklage nur erheben, wer behaupten kann, durch den Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Dies ist der Fall, wenn eine solche Rechtsverletzung zumindest möglich erscheint. Eine Verletzung jenes „N. N1. “ in eigenen Rechten ist indes von vornherein ausgeschlossen, da nur der Kläger, also N. V. N1. , Adressat des angegriffenen Leistungsbescheids ist. Dies ergibt eine Auslegung jenes Bescheids: Der Inhalt eines Verwaltungsakts ist, einschließlich seines Adressaten, durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont zu ermitteln. Die im Privatrecht zu § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entwickelten Grundsätze kommen insoweit auch im öffentlichen Recht zur Anwendung.

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    BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2014 – 3 C 23.13 –, Rn. 18, juris.

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    Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der „wirkliche Wille“ zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Maßgeblich ist demnach der objektive Gehalt der Erklärung, d.h. der in der Willenserklärung zum Ausdruck kommende erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte bzw. nach Treu und Glauben verstehen durfte und musste („Empfängerhorizont“). Dabei markiert der Wortlaut der Erklärung zwar den Ausgangspunkt, ist aber nicht allein maßgeblich. Zu berücksichtigen sind vielmehr alle von dem Adressaten erkannten oder ihm erkennbaren Umstände vor und bei Ergehen der behördlichen Maßnahme, namentlich deren erkennbar verfolgter Sinn und Zweck.

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    BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2014 – 3 C 23.13 –, Rn. 18, juris.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 5. Oktober 2015 – 1 B 830/15 –, Rn. 7, juris.

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    Erkennbar verfolgter Zweck des Leistungsbescheids war es, dem Halter des eingeschleppten Fahrzeugs die durch die Sicherstellung und Verwahrung entstandenen Kosten aufzuerlegen. Das ergibt sich bereits aus seinem Einleitungssatz, in dem das Fahrzeug als „Ihr nicht mehr für den Straßenverkehr zugelassenes Fahrzeug“ bezeichnet wird, sowie aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf die vorherige, ebenfalls an den Halter als Verfügungsberichtigten gerichtete Aufforderung, das Fahrzeug aus dem öffentlichen Straßenraum zu entfernen. Halter ist aber seinem eigenen unbestrittenen Vortrag zufolge der Kläger.

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    Dass der Kläger nicht mit vollem Namen, sondern nur als „N. N1. “ bezeichnet wurde, ändert an dieser Auslegung nichts. Denn zur genauen Bezeichnung einer Person sind in aller Regel Nach- und Rufname ausreichend. Etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn für die Behörde erkennbar eine Namensgleichheit und daraus folgende Verwechslungsgefahr besteht. Dies war hier aber nicht der Fall, denn in seinem Vorausgegangenen Schreiben vom 31. August 2015 erwähnt der Kläger einen „N. N1. “ nicht. Überhaupt ist eine Person dieses Namens den Behörden offenkundig nicht bekannt; eine Suche nach „N. N1. “ im behördlichen Meldeportal brachte lediglich den Kläger hervor. Die Beklagte hatte also im hier maßgeblichen Erlasszeitpunkt keinerlei Veranlassung, ihre Zustellung durch den zweiten Vornamen zu präzisieren. Vor diesem Hintergrund konnte ein objektiver Dritter den Bescheid nur so verstehen, dass er sich an den Kläger als Halter des Fahrzeugs richten soll. Nur dieser kann im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO behaupten, durch den belastenden Leistungsbescheid in eigenen Rechten verletzt zu sein.

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    Die zulässige Klage ist begründet.

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    Der Leistungs- und Gebührenbescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

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    Die an den Kläger gerichtete Aufforderung, die für die eingeleitete Abschleppmaßnahme entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 174,85 Euro zu zahlen, findet ihre Ermächtigungsgrundlage weder in § 77 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW), § 20 Abs. 2 Nr. 7, 8 der Verordnung zur Ausführung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VO VwVG NRW) i.V.m. § 8, § 50 Abs. 2, § 51 Abs. 1 Nr. 1, § 52 Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) noch in § 77 Abs. 1 VwVG NRW, § 20 Abs. 2 Nr. 7, 8 VO VwVG NRW i.V.m. § 46 Abs. 3, § 43 Nr. 1 PolG NRW.

    34

    Ob die hier in Rede stehende Abschleppmaßnahme als Sicherstellung gemäß § 46 Abs. 3, § 43 Nr. 1 PolG NRW oder als Ersatzvornahme einer Beseitigungsmaßnahme gemäß § 8, § 50 Abs. 2, § 51 Abs. 1 Nr. 1, § 52 PolG NRW auf Grundlage der polizeirechtlichen Generalklausel anzusehen ist, kann dahinstehen,

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    vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. November – 5 A 2625/00 –, Rn. 13, juris,

    36

    denn die eingeleitete Abschleppmaßnahme ist nach beiden Alternativen rechtswidrig.

    37

    Zwar könnte vorliegend noch davon ausgegangen werden, dass wegen Verstoßes gegen § 31 Abs. 1 StVO und § 18 StrWG eine gegenwärtige bzw. konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestand, denn eine Gefahr im polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne liegt jedenfalls bei einem Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung, mithin bei einer Zuwiderhandlung gegen formelle und materielle Gesetze vor.

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    Allerdings war die Abschleppmaßnahme nicht verhältnismäßig.

    39

    Soweit man die Abschleppmaßnahme als Ersatzvornahme ansieht, erfolgte diese vorliegend im Wege des Sofortvollzuges. Bei der am Fahrzeug angebrachten Aufforderung, das Fahrzeug bis zum 19. August 2015 zu entfernen, ansonsten werde es zwangsweise entfernt (Aufkleber), handelt es sich nicht um eine vollstreckbare Grundverfügung mit Zwangsmittelandrohung. Diese müsste dem Adressaten bekannt gegeben und darüber hinaus auch zugestellt werden, (§ 63 Abs. 6 S. 1VwVG NRW).

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    Vgl. für Aufkleber nach Abfallrecht OVG NRW , Beschluss vom 12.11.2012, - 5 E 214/12 -.

    41

    Vorliegend liegt keine ordnungsgemäße Bekanntgabe (§ 41 VwVfG) - es fehlt bereits die Nennung eines Adressaten - auf jeden Fall aber keine ordnungsgemäße Zustellung vor. Die zufällige Kenntnisnahme des Aufklebers reicht hierfür nicht aus, sodass es hier dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger Kenntnis von einer auf dem Fahrzeug angebrachten Aufforderung im oben genannten Sinne gehabt hatte. Darüber hinaus ergeben sich hierfür aus dem Verwaltungsvorgang auch keine Anhaltspunkte.

    42

    Die Voraussetzungen des Verwaltungszwanges in Form des Sofortvollzugs lagen nicht vor. Nach § 55 Abs. 2 VwVG NW kann der Verwaltungszwang (auch in Form der Ersatzvornahme) ausnahmsweise im sofortigen Vollzug, d.h. ohne vorausgehenden, dem Pflichtigen das geforderte Verhalten aufgebenden Grundverwaltungsakt angewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung mit Strafe oder Geldbuße bedrohter Handlungen oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt.

    43

    Hier war das Einschreiten im Wege des sofortigen Vollzuges gemäß § 55 Abs. 2 VwVG NW nicht notwendig. Notwendig im Sinne dieser Vorschrift ist die Vollstreckung dann nicht, wenn das Vorgehen im Wege des sofortigen Vollzuges gegen die Grundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit (§ 58 Abs. 2 Satz 2 VwVG NW) und Verhältnismäßigkeit (§ 58 Abs. 2 Satz 1 VwVG NW) verstoßen würde. Besteht für die Behörde die Möglichkeit, im Wege des gestreckten Verfahrens vorzugehen, gegebenenfalls auch mittels mündlicher Ordnungsverfügung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 OBG NRW, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und mittels kurzer Fristen, so muss sie davon Gebrauch machen. Denn der Sofortvollzug ist ein besonders schwerwiegender Eingriff, der im Interesse des rechtsstaatlichen Schutzes des Betroffenen auf besonders dringliche Ausnahmefälle begrenzt bleiben muss,

    44

    vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. April 2008 – 11 A 1386/05 –, Rn. 18 ff., juris; OVG NRW, Urteil vom 30. Juli 1998 – 20 A 5664/96 –, Rn. 20 ff., juris; OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 1988– 20 A 2659/87 –; VG Köln, Urteil vom 4. Juni 2009 – 20 K 2276/08 –, Rn. 15 ff., juris; VG Köln, Urteil vom 19. Juni 2007 – 2 K 1999/06 –, Rn. 23 ff., juris;. OVG NRW, Urteil vom 10. Dezember 1979– IV A 2215/19 –.

    45

    Bei der Prüfung eines besonders dringlichen Ausnahmefalles ist im Hinblick auf das (sofortige) Abschleppen eines verkehrswidrig abgestellten Fahrzeuges die höchstrichterlicher Rechtsprechung,

    46

    vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2002, Az. 3 B 149/01; BVerwG, Beschluss vom 1. Dezember 2000, Az. 3 B 51.00; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992, Az. 3 C 3.90; BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 1983, Az. 7 B 182.82 und 7 B 179.89 und Beschluss vom 26. Januar 1988, Az. 7 B 189.87,

    47

    zu berücksichtigen, die u.a. ausführt, dass ein bloßer Verstoß etwa gegen straßenverkehrsrechtliche Verbote ohne konkrete Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer allein nicht ohne weiteres eine Abschleppmaßnahme rechtfertigt. Auch ohne konkrete Behinderungen sind Abschleppmaßnahmen zwar nicht ausgeschlossen, hierbei bekommen die gegenläufigen Interessen des Betroffenen naturgemäß jedoch ein größeres Gewicht. Eine rechtmäßige Abschlepppraxis darf dabei in zulässiger Weise auch spezial- und generalpräventive Zwecke verfolgen; soweit Verkehrsteilnehmer nach Erfahrung der zuständigen Behörden zunehmend dazu übergehen, mit Hilfe von entsprechenden Angaben unter Inkaufnahme von Bußgeldern, aber in Erwartung eines hieraus folgenden „Abschlepp-Schutzes" Verkehrsverstöße zu begehen, die andere Verkehrsteilnehmer behindern, steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Abschlepppraxis, die solche Missstände zurückzudrängen sucht, nicht entgegen. Mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist das Abschleppen eines verkehrswidrig geparkten Fahrzeuges auch dann, wenn mit dem verkehrswidrigen Parken eine Funktionsbeeinträchtigung der Verkehrsfläche verbunden ist. Letztlich gilt für alle Abschleppmaßnahmen, dass die Nachteile, die mit einer Abschleppmaßnahme für den Betroffenen verbunden sind, nicht außer Verhältnis zu dem bezweckten Erfolg stehen dürfen, was sich aufgrund einer Abwägung der wesentlichen Umstände des Einzelfalls beurteilt,

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    vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2002, Az. 3 B 149/01.

    49

    Nach alledem rechtfertigte hier das verbotswidrige Parken eines nicht zugelassenen Fahrzeuges auf einem Seitenstreifen einer Fahrbahn nicht die Notwendigkeit des Eingreifens im sofortigen Vollzug. Es lag kein Verstoß vor, der ein sofortiges Handeln der Behörde erforderte.

    50

    Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 5. März 2014 – 14 K 6956/13 – juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 1. Juli 2014 – 14 K 54/14 – juris.

    51

    So war keine konkrete Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer gegeben, denn von dem Fahrzeug selbst ging keine Gefahr aus. Das Fahrzeug war auf dem Seitenstreifen des D. Weges sicher abgestellt. Es ist nicht ersichtlich, dass er von Unbefugten bewegt oder von Kindern als Spielobjekt genutzt werden konnte. Auch gingen von dem Fahrzeug keine Verletzungsgefahren für Passanten aus und es erschwerte durch seinen Standort weder den fließenden bzw. ruhenden Verkehr, noch den Durchgang für Fußgänger. Auch war hier die Funktionsfähigkeit der Fläche nicht in einer Weise beeinträchtigt, die ein sofortiges Abschleppen erforderte. Der klägerische Wagen stand auf einer Fläche, auf der regelmäßig geparkt werden darf, nämlich auf dem Seitenstreifen der Fahrbahn (§ 12 Abs. 4 StVO). Zwar ist es richtig, dass der Parkraum ordnungsgemäß zugelassenen Fahrzeugen vorbehalten ist und auch das Gericht ein Entfernen dieser Fahrzeuge aus dem öffentlichen Verkehrsraum für geboten ansieht. Allerdings ist dies nach Ansicht des Gerichts nicht als so eilig anzusehen, dass die Entfernung des Fahrzeuges im Sofortvollzug vorgenommen werden müsste. Vielmehr hält es das Gericht in diesem Fall für geboten, den Halter des Fahrzeuges zunächst per Ordnungsverfügung, gegebenenfalls unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und mittels kurzer Fristen, über den Vorfall zu informieren und ihn zur Beseitigung des Fahrzeuges aufzufordern. Dass der Parkraum einige Tage nicht den zugelassenen Fahrzeugen zur Verfügung steht, ist hier in Abwägung der Interessen des Klägers, sein Fahrzeug ohne bzw. auf eigene Kosten abschleppen zu können, noch als hinnehmbar anzusehen.

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    Dass auf dem D. Weg ein außergewöhnlich hoher Parkdruck besteht, der möglichweise ein sofortiges Abschleppen rechtfertigen könnte, kann das Gericht nicht erkennen. Angesichts der Tatsache, dass 11 Tage zwischen dem Anbringen des Aufklebers und dem Abschleppen lagen, ist dieses Argument auch wenig überzeugend. In etwa dieser Zeit wäre es möglich gewesen, dem vorrangig verantwortlichen Halter eine Ordnungsverfügung zuzustellen und ihn unter kurzer Fristsetzung von 2 oder 3 Tagen zum Entfernen des Fahrzeuges aufzufordern. Dies war auch möglich, denn das klägerische Fahrzeug war noch mit dem Kfz-Kennzeichen versehen, sodass der letzte Halter unproblematisch ermittelt werden konnte und ausweislich des Verwaltungsvorgangs ja auch tatsächlich ermittelt wurde.

    53

    Der Kläger hätte nach Zustellung einer Ordnungsverfügung zumindest die Möglichkeit gehabt, das Fahrzeug selbst zu entfernen. Anhaltspunkte dafür, dass der Halter des Fahrzeuges seiner Verpflichtung nicht nachkommen werde, waren nicht ersichtlich. Man kann auch nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass jeder Halter, der sein abgemeldetes Fahrzeug am Straßenrand stehen lässt, auch auf eine Ordnungsverfügung, die ihn zur Entfernung des Fahrzeuges auffordert, nicht reagieren wird.

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    Auch spezial- und generalpräventive Zwecke rechtfertigen hier die eingeleitete Abschleppmaßnahme nicht. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht auf eine Ordnungsverfügung reagiert hätte, sind nicht ersichtlich. Ebenso sind generalpräventive Zwecke nicht gegeben. Der Vortrag der Beklagten, das Abschleppen habe auch den Zweck gehabt, einer Verwahrlosung der Gegend vorzubeugen und das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat zu stärken, überzeugt das Gericht nicht. Das Fahrzeug war einerseits auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht in einem verwahrlosten Zustand, sondern lediglich nicht mehr angemeldet. Andererseits scheint es nicht dazu angetan zu sein, das Vertrauen der Bürger in einen funktionierenden Rechtsstaat zu stärken, wenn die Durchführung eines aus Sicht der Behörde eiligen Sofortvollzuges 11 Tage in Anspruch nimmt.

    55

    Ebenso rechtfertigen die von der Beklagten angeführten praktischen Schwierigkeiten der Halterermittlung hier keine Sicherstellung im Sofortvollzug. Zum einen ist aus dem Verwaltungsvorgang ersichtlich, dass der Halter unschwer und schnell ermittelt werden konnte. Wenn den Kläger eine unter seiner Hagener Adresse zugestellte Ordnungsverfügung nicht erreicht hätte, so hätte er sich dies zurechnen lassen müssen. Erst nach einem solchen Zustellversuch wäre aus Sicht des Gerichts eine sofortige Abschleppmaßnahme rechtmäßig gewesen. Zum anderen ist die Beklagte verpflichtet, Verwaltungsstrukturen zu schaffen, die ihr ein rechtmäßiges Vorgehen ermöglichen. Ein rechtswidriges Vorgehen kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Behörde aus organisatorischen und praktischen Gründen Schwierigkeiten hat, rechtmäßig zu handeln. Auch bestünde zur Verbesserung der Verwaltungspraxis und zur Beschleunigung der Vorgehensweise die Möglichkeit, dass die Polizei in gleichgelagerten Fällen der Ordnungsbehörde gleichzeitig mit der Information über ein „beklebtes“ Auto die letzte Halteranschrift mitteilt.

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    Die Verwaltungsgebühr war ebenfalls rechtswidrig, da diese eine rechtmäßige Abschleppmaßnahme voraussetzt, die vorliegend nicht gegeben ist.

    57

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

    58

    Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

    59

    Beschluss:

    60

    Der Streitwert wird auf 174,85 Euro festgesetzt.

    61

    Gründe:

    62
    Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) erfolgt.